Der Karfreitag (althochdeutschkara ‚Klage‘, ‚Kummer‘, ‚Trauer‘)[1] ist der Freitag vor Ostern. Er folgt auf den Gründonnerstag und geht dem Karsamstag voraus. Christen gedenken an diesem Tag des Leidens und Sterbens Jesu Christi am Kreuz. Der Karfreitag wird auch stiller Freitag oder hoher Freitag genannt. Die liturgische Bezeichnung ist Feria sexta in Parasceve „sechster Tag, am Rüsttag“ (von griechischπαρασκευήparaskeuḗ, deutsch ‚Zurüstung, Herrichtung, Rüsttag, Freitag‘).
Diese österliche Dreitagefeier stellt in allen christlichen Konfessionen das älteste und höchste Fest des Kirchenjahres dar und wird als das Pascha-Mysterium liturgisch wie ein einziger Gottesdienst gefeiert, der am Gründonnerstag mit der Eröffnung des Gottesdienstes beginnt und in den Segen am Ostermorgen mündet.
Über den Karfreitag gibt es bislang keine grundlegende geschichtliche Untersuchung.[2] Der Karfreitag beruht auf einem im Neuen Testament geschilderten Ereignis. Die Kreuzigung von Jesus von Nazaret auf Golgota schilderte Markus: „Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten“ (Mk 15,22–25 EU). Er galt deshalb im aufkommenden Christentum zunächst als Gedenktag. Die ersten Christen feierten ihn als „Kreuzigungspassah“, als Rüsttag zum Osterfest.[3] Das Osterfasten beschränkte sich zu Zeiten Tertullians auf Karfreitag und Karsamstag und dehnte sich um 250 nach Christus auf die Karwoche aus. Im Jahre 325 entschied das Erste Konzil von Nicäa über den flexiblen römischen Ostertermin. Vom Karfreitag und Karsamstag schrieb Papst Innozenz I. (416) in seinem Brief an Decentius von Eugubium über die Kirche von Rom, dass hier die Sakramentsfeier nicht notwendig sei (lateinisch„iduo sacramenta penitus non celebrari“).[4]
Im Mittelalter gehörte der Karfreitag keineswegs zu den hohen christlichen Festen wie etwa Ostern als Tag der Auferstehung, sondern galt nur als halber Feiertag, an dem die Arbeit nur während des Gottesdienstes oder bis zum Mittag ruhen sollte.[5] Nach der Reformation führten viele Landeskirchen diesen Tag in alter Tradition als halben Feiertag fort. Die „Ordnung der Feiertage“ der reformierten Kirche in Zürich von 1526 sah ihn nicht als Feiertag vor, nach der KirchenordnungSachsens von 1528 sollte er „in Maßen gehalten“ werden.[6] 1532 erwähnte ihn die hessische Kirchenordnung nicht mehr als Feiertag. Die lutherische Kirche vergrößerte dagegen die Bedeutung des Karfreitags, indem sie ihn mit den kirchlichen Hauptfesten (Weihnachten, Ostern und Pfingsten) gleichstellte, so etwa 1573 in der Oldenburgischen Kirchenordnung.
Ab 1642 wurde der Karfreitag durch die Festordnung Papst Urbans VIII. in der ganzen katholischen Kirche zum gewöhnlichen Werktag, während sich Martin Luthers „Guter Freitag“ („Kar-“ aus lateinischcarus, „lieb“, „gut“ oder „teuer“) im lutherischen Bereich als höchster kirchlicher Feiertag etablierte. Aus dem „Guten Freitag“ entwickelte sich die heutige Bezeichnung für Karfreitag im angelsächsischen Sprachraum (englischGood Friday) oder in den Niederlanden (niederländischgoede vrijdag). In den reformierten Gegenden der Schweiz wurde der Karfreitag erst um 1860 zum Feiertag.[7] In Kurbrandenburg erhielt der Karfreitag 1696 die Funktion eines vollen Feiertags.[8] Die Festtagsordnung von 1771 erkannte den Karfreitag als ganzen Feiertag an.[9] Der englische Bank Holidays Act legte erstmals im Oktober 1871 bürgerliche Feiertage verbindlich fest.
Der Karfreitag mit der Passion Jesu ist im Zusammenhang mit Ostern für die Christen einer der höchsten Feiertage. An ihm gedenkt die Kirche des KreuzestodesJesu Christi in Erwartung seiner Auferstehung. Nach ihrem Glauben litt und starb Jesus Christus als „Gottesknecht“ und nahm im Kreuzestod freiwillig die Sünde und Schuld aller Menschen auf sich. Erst durch Tod und Auferstehung Jesu wird allen Menschen Sündenvergebung und damit Errettung aus dem Tod und ewiges Leben zuteil. Gleichzeitig betont die katholische Theologie zunehmend die Konsequenz seiner Gottessohnschaft, deren Botschaft von der Zuwendung des Schöpfergottes zu den Menschen nicht an Gewalt und Tod ihre Grenzen findet.
Das Karfreitagsgeschehen ist nicht isoliert zu betrachten, sondern steht als „Pascha-Mysterium“ in einer Reihe mit Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten. Nicht das Opfer Jesu soll damit allein das Große sein, sondern der Sieg über Hölle, Tod und Grab.
Feier der Karfreitagsliturgie
Besonders für die Liturgiewissenschaft ist die Karfreitagsliturgie der verschiedenen Konfessionen von großem Interesse, da sich an ihr der Grundsatz bewahrheitet: „Älteste Überlieferungen erhalten sich am ehesten in liturgisch hochwertiger Zeit“ (Anton Baumstark).[12] Zu den ältesten überkommenen Riten am Karfreitag zählen der Wegfall der Eröffnungsriten, der Gesang oder die Lesung der Passionsgeschichte, die Verwendung von Holzklappern anstelle von Glocken und Altarschellen, die Prostratio, der Gesang der Improperien und die Großen Fürbitten. Bereits ab 500 übernahm die römisch-katholische Kirche unter Papst Gelasius I. die Kyrielitanei aus den orthodoxen Kirchen, in deren Liturgie noch viele frühkirchliche Riten erhalten sind. Im Stundengebet wird die Vesper nur von denen gebetet, die nicht an der nachmittäglichen Feier vom Leiden und Sterben Christi teilnehmen konnten.
In der römisch-katholischen Kirche
Kreuzverehrung – Adoratio crucis
Der Karfreitag ist eingebunden in die „Dreitagefeier vom Leiden und Sterben, von der Grabesruhe und der Auferstehung des Herrn“, das Triduum Sacrum (Triduum Paschale), auch „österliches Triduum“ genannt. Es beginnt am Gründonnerstag mit der Messe vom letzten Abendmahl und findet seinen Höhepunkt in der Feier der Auferstehung Christi in der Osternacht. Als Teil des Osterfastens ist der Karfreitag in der römisch-katholischen Kirche ein strenger Fast- und Abstinenztag. Die Tradition, freitags kein Fleisch zu essen, ist auf das Karfreitagsgeschehen zurückzuführen.
Wie es seit dem frühen Christentum kirchliche Tradition ist, wird am Karfreitag keines der mit Festfreude verbundenen Sakramente gefeiert („Ecclesia […] sacramenta penitus non celebrat“[13]), daher auch nicht die heilige Messe. Der Altar ist schmucklos, ohne Kerzen und Altartücher. Kreuze sind verhüllt, Triptychen und Flügelaltäre sind häufig zugeklappt und zeigen die einfacher gestaltete Rückseite der Flügel. Das ewige Licht brennt nicht, Kerzen brennen nur beim provisorischen Aufbewahrungsort des Allerheiligsten.
Erhebung und Verehrung des Heiligen Kreuzes (aus Jerusalem übernommen)
Kommunionfeier (nach altem Brauch Konstantinopels, seit dem 7. Jahrhundert in Rom bekannt).
Der Gottesdienst beginnt in der Regel um 15 Uhr, zur überlieferten Todesstunde Jesu, und keinesfalls später als 18 Uhr. Die liturgische Farbe ist seit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht mehr Schwarz, sondern Rot. Rot steht hier als Zeichen für das im Leiden und Sterben Jesu vergossene Blut. Auf die Verwendung von Weihrauch wird verzichtet.
Der Wortgottesdienst des Karfreitags mit den biblischen Lesungen bildet den alten und eigentlichen Kern der Feier vom Leiden und Sterben Christi; Höhepunkt der Wortfeier ist die Verkündigung des Leidensevangeliums Christi (Passion) nach dem Evangelisten Johannes (Joh 18,1–19,42 EU).
Darauf folgen gegebenenfalls eine kurze Predigt und immer die Großen Fürbitten, welche die Anliegen der Kirche, der Welt und der Notleidenden vor Gott tragen; hierzu gehört auch die Fürbitte für die Juden, die umstritten war und mehrfach geändert wurde.
Ecce lignum Crucis, Wechselgesang bei der Erhöhung des Kreuzes
Die Kreuzverehrung (Adoratio sanctae crucis) bildet den zweiten Teil der Feier. Das üblicherweise[15] seit dem 5. Fastensonntag (früher: „Passionssonntag“) verhüllte Kruzifix wird erhoben gezeigt und von allen verehrt. Die Zeigung des erhöhten Kreuzes ist mit dem dialogischen Ruf zur Kreuzerhebung verbunden, der alle zur Kreuzverehrung einlädt: „V: Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt. A: Kommt, lasset uns anbeten.“ (Ecce lignum crucis, in quo salus mundi pependit: Omnes: Venite, adoremus.)
Video: Karklappern in Morshausen, Hunsrück, 1986Karfreitagsratsche aus Rottenburg am Neckar, 19. JahrhundertKarfreitagsprozession in Leohito (Osttimor)Passionsprozession in Stuttgart-Bad Cannstatt
In katholischen Kirchen schweigen nach alter Tradition die Orgel und die Kirchenglocken nach dem Gloria der Messe vom letzten Abendmahl am Gründonnerstag. An die Stelle der Glocken und Schellen treten vielerorts Ratschen und Klappern, mit denen in vielen katholischen Landstrichen die Kirchgänger nach alter Tradition auch zu den Gottesdiensten, zum Stundengebet und zum Angelus gerufen werden.
Grablegung, Heiliges Grab
In manchen Diözesen, so in Trier, schließt sich an die Karfreitagsliturgie die „Feier der Grablegung“ an. Die Trierer Bistumstradition fügt den drei Teilen des nachmittäglichen Karfreitagsgottesdienstes somit einen vierten hinzu. Nach der Kommunionfeier erinnert der Priester an die Abnahme des Leichnams Jesu vom Kreuz und seine Grablegung. Die Feier der Grablegung wird in vier liturgische Elemente unterteilt:
Evangelium der Grablegung Jesu
Gang zum Heiligen Grab
Grablegung
Segensgebet und Abschluss
Der Priester liest am Ambo den Schluss der Johannespassion (Joh 19,38–42 EU). Wegen der Feier der Grablegung endet die Leidensgeschichte nach Johannes bereits mit den Worten: „Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben“ (Joh 19,37 EU). Nach der Verkündigung des Evangeliums von der Grablegung Jesu legt ein Ministrant das Kreuz dem Priester auf das über beiden Armen geschürzte Messgewand. Dieser trägt es zu dem in der Kirche hergerichteten Heiligen Grab. Er wird begleitet von zwei Leuchterträgern. Der Thuriferar führt die Prozession an, ihm folgen die Ministranten mit den Klappern, jene die einen besonderen Dienst ausüben und nach Möglichkeit die übrigen Gläubigen. Während der Übertragung des Kreuzes kann das Responsorium „Jerusalem luge“ oder das Lied „O Traurigkeit, o Herzeleid“ gesungen werden.
Am Ort der Grablegung legt der Priester das Kreuz nieder. Er inzensiert es und bedeckt es mit einem Leinentuch. Währenddessen kann der Chor das Responsorium „Ecce quomodo moritur justus“ oder „Sepulto Domino“ singen. Es folgt eine Zeit der Stille. Am Ende der Feier spricht der Priester das Segensgebet. Danach kann er den Versikel singen: „Ihm ist ein Ort bereitet im Frieden. Seine Wohnung wird sein auf dem Zion.“ Der Priester begibt sich mit den liturgischen Diensten direkt in die Sakristei. Die Gläubigen verlassen schweigend die Kirche.
Eine symbolische Grablege, das „Heilige Grab“, mit dem dort niedergelegten Kreuz, dem Bild des im Grab ruhenden Christus, wird verbreitet auch in anderen Kirchen errichtet, in denen ein solcher Brauch der Grablegung sonst nicht üblich ist. Das Heilige Grab in der Zeit nach der Feier vom Leiden und Sterben Christi und am Karsamstag während des Tages der Grabesruhe des Herrn von den Gläubigen aufgesucht (Visitatio crucis). Ein Verweilen im Gebet vor dem Heiligen Grab über die Zeit von 40 Stunden, die Jesus im Grab gelegen haben soll, gilt als Ursprung des Vierzigstündigen Gebetes.[16]
Das in der Kirche aufgestellte Kreuz (bzw. das im Heiligen Grab liegende) wird bis zur Feier der Osternacht durch eine einfache oder auch doppelte Kniebeuge verehrt.
Durch eine Reihe von Faktoren: die Konzentration der evangelischen Predigt auf die Bedeutung des Erlösungswerkes Christi (Solus Christus) und die „Theologie des Kreuzes“ sowie die Konzentration der Feier des Abendmahls auf sehr wenige Male im Jahr, darunter vor allem am Karfreitag, entwickelte sich dieser Tag in der Zeit des Pietismus zu dem Feiertag, der in den evangelischen Landeskirchen als der wichtigste im Kirchenjahr wahrgenommen wurde – eine Wahrnehmung, die bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts anhielt. Der Karfreitag wurde zum dezidiert protestantischen Feiertag, zu einem identitätsstiftenden Konfessionsmerkmal der Evangelischen.[20] Die Rede vom „höchsten Feiertag in der evangelischen Kirche“ findet sich bis heute, obwohl seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ein kultureller Wandel stattgefunden hat.[21]
Nachdem vor allem die lutherischen Kirchen bis ins 18. Jahrhundert hinein die vorreformatorische liturgische Praxis beibehielten – abzüglich einiger als Missbräuche empfundenen Stücke –, änderte sich das mit dem aufkommenden Einfluss rationalistischer und pietistischer Theologie und Frömmigkeit, in deren Folge die Deutung des Heiligen Abendmahls als Sakrament stark an Bedeutung verlor. Das hatte zur Folge, dass im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nun der Karfreitag einer der wenigen Tage war, an dem in fast allen evangelischen Kirchen das Abendmahl gefeiert wurde. Auch heute noch ist in manchen Gemeinden der Empfang des Abendmahls an diesem Tag ein wichtiger Teil der Spiritualität. In anderen Kirchengemeinden wird der Karfreitag in altkirchlicher Tradition ohne Abendmahl begangen. Liturgische Farbe ist Schwarz, ersatzweise Violett, auch wenn häufig auf jegliche Paramente verzichtet wird. Auch Blumenschmuck und Kerzen sind am Karfreitag eher unüblich. Am Karfreitag – wie auch am Karsamstag – schweigen mancherorts in Anlehnung an die katholische Tradition die Glocken, oder es läutet nur die größte Glocke (Pulsglocke).
Liturgische Feier zur Todesstunde Jesu mit Johannespassion in der Apostelkirche in Hannover
In manchen evangelischen Kirchen findet neben dem Hauptgottesdienst am Morgen oder stattdessen eine Liturgische Feier zur Todesstunde Jesu um 15 Uhr (Mk 15,25 LUT) oder eine Aufführung der Johannespassion oder anderer Passionsmusik in einem gottesdienstlichen Rahmen statt. Auch im Brauchtum vieler evangelischer Familien spielt der Karfreitag eine besondere Rolle durch gemeinsamen Kirchgang und oft auch durch ein Fischessen.
In den Ostkirchen byzantinischer und slawischer Tradition
Russisch-orthodoxes Segenskreuz
Die Karfreitagsfeier in den orthodoxen und katholischen Ostkirchen byzantinischer und slawischer Tradition beginnt in der Regel am Donnerstagabend mit dem Morgengottesdienst (Orthros/utrenja). Dieser Gottesdienst – im Volksmund oft einfach „Die zwölf Evangelien“ genannt – wird von zwölf Evangelienlesungen bestimmt. Die offizielle Bezeichnung lautet „Akoluthia der heiligen Leiden“.
In dem Gottesdienst werden die Passionstexte aus den vier Evangelien gesungen, außerdem fünfzehn zum Teil altkirchliche Antiphonen und Kathismen. Der „Kanon“ dieses Gottesdienstes stammt von Kosmas von Majuma und ist ein Musterbeispiel aus der Zeit der zweiten Hochblüte byzantinischer Kirchendichtung im 7./8. Jahrhundert.
In der griechischen, aber auch in der rumänischen Tradition hat der Gottesdienst einen dramatischen Höhepunkt mit dem Gesang der 15. Antiphon. Hier wird ein Kruzifix aus der Nordtür der Ikonostase in die Mitte der Kirche getragen und dort befestigt. Daran schließt sich die Verehrung des Kreuzes durch die Gemeinde an. Der Text der ersten Strophe der 15. Antiphon lautet:
„Heute hängt am Holz, der die Erde in die Wasser gehängt hat. Mit einem Kranz aus Dornen wird umwunden der König der Engel. Lügenhaft wird mit Purpur verhüllt, der den Himmel mit Wolken verhüllt. Schläge hat empfangen, der im Jordan den Adam befreite. Mit Nägeln wurde befestigt der Bräutigam der Kirche. Mit einer Lanze wurde durchbohrt der Sohn der Jungfrau. Wir verehren deine Leiden, Christus. Zeige uns auch deine herrliche Auferstehung!“
Die nächsten Gottesdienste, die am Freitagmorgen gefeiert werden, sind die „königlichen Stunden“. Bei ihnen wird in der griechischen Tradition der Kruzifixus vom Kreuz, das am Abend zuvor in der Kirche aufgestellt wurde, abgenommen und in ein weißes Tuch gehüllt.
In der anschließenden Vesper erfolgt die feierliche Auslegung des Grabtuchs Christi (epitaphios oder plaschtschanica) in der Kirche. Dieses Tuch mit einer Ikone der gestorbenen Christus verbleibt dort bis zum Osterfest als Ort, an dem die Gläubigen den ins Grab gestiegenen Christus verehren.
Am Abend des Karfreitags findet die Prozession des Epitaphios (plaschtschanica) statt. In den ostkirchlichen Karfreitagshymnen finden sich zahlreiche Vorgriffe auf die Auferstehung.
Als besonderes Zeichen der Stille im Angesicht des Todes wird am Karfreitag keine Eucharistie gefeiert. Die der Konstantinopler Tradition angehörende karfreitägliche Kommunionfeier (Liturgie der vorgeheiligten Gaben) verschwand im 15. Jahrhundert, örtlich bereits etwas früher.
Der einzige Fall, in dem am Karfreitag eine volle Liturgie gefeiert wird, ist, wenn dieser mit der Verkündigung des Herrn am 25. März zusammenfällt; für diesen Fall gibt es eine spezielle vereinigte Liturgie der beiden Feste. Anders als die lateinische Tradition kennen die byzantinischen Ostkirchen keine Umlegung von Feiertagen.
Der Karfreitag ist in den orthodoxen Kirchen strenger Fastentag. Wenn überhaupt gegessen wird, so beschränkt sich das auf einfachste fettfreie pflanzliche Lebensmittel.
In der alt-katholischen Kirche
Der Tag des Leidens und Sterbens des Herrn wird in der alt-katholischen Kirche mit einem Wortgottesdienst zur Todesstunde Jesu begangen.
Die Eröffnung und die Entlassung sind schlicht und schmucklos:
Während des Einzugs wird nicht gesungen
Der Altardienst wirft sich vor dem entblößten Altar nieder oder kniet davor
Die Kreuzverehrung kann auch unmittelbar nach der Passion oder nach der Predigt folgen. Die Großen Fürbitten werden nach diesem Ablauf vor dem enthüllten Kreuz vollzogen und mit dem Vaterunser abgeschlossen.[22]
Drei-Stunden-Andacht
Im 18. Jahrhundert entwickelte der Jesuit Alonso Messia Bedoya in Lima eine nicht-liturgische Andachtsform. Sie bestand aus Lesungen und Betrachtungen der sieben letzten Worte Jesu, verbunden mit Liedern und Gebeten. Über Rom verbreitete sich diese Andachtsform auch in Europa; Joseph Haydn schuf mit Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze ihre bekannteste musikalische Fassung. Im englischsprachigen Raum erlangte die Feier, die von 12 bis 15 Uhr dauerte und deshalb auch Three-Hours service genannt wird, im ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl in der katholischen Kirche als auch in verschiedenen protestantischen Konfessionen große Beliebtheit.[23]
Der frühstmögliche Termin für den Karfreitag ist der 20. März (zuletzt war dies im Jahr 1818 so); der spätestmögliche der 23. April (erst wieder 2038).
Dass der Karfreitag in Österreich einen besonderen Stellenwert einnimmt, zeigt dieses Beispiel: Der 1967 gegründete öffentlich-rechtliche Radiosender Ö3 sendete im Schaltjahr 1968 an 365 Tagen je 22 Stunden Programm. Allein am Karfreitag herrschte ganztägig Funkstille.[31]
Da der Karfreitag zu den sogenannten stillen Tagen gehört, gelten besondere Einschränkungen wie das Tanzverbot. Es verbietet verschiedene öffentliche Veranstaltungen, etwa sportliche Veranstaltungen, solche in Räumen mit Schankbetrieb und alle sonstigen öffentlichen Veranstaltungen zur Unterhaltung, „außer wenn sie der geistig-seelischen Erhebung oder einem höheren Interesse der Kunst, Wissenschaft oder Volksbildung dienen und auf den ernsten Charakter des Tages Rücksicht nehmen“. Auch Kinos, Theater und Opern müssen in ihrem Spielplan den Karfreitag berücksichtigen. In Bremen bleibt die traditionelle „Osterwiese“, ein Volksfest mit Fahrgeschäften etc., am Karfreitag geschlossen, ebenso in Hamburg der „Frühlingsdom“.
Das Bundesverfassungsgericht entschied im Oktober 2016, dass die Anerkennung des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag sowie seine Ausgestaltung als Tag mit einem besonderen Stilleschutz und die damit verbundenen grundrechtsbeschränkenden Wirkungen dem Grunde nach durch die verfassungsrechtliche Regelung zum Sonn- und Feiertagsschutz in Art. 140GG in Verbindung mit Art. 139 WRV gerechtfertigt sind, weil sie niemandem eine innere Haltung vorschreiben, sondern lediglich einen äußeren Ruherahmen schaffen.[32]
In Nordrhein-Westfalen ist gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage am Karfreitag „die Vorführung von Filmen, die nicht vom Kultusminister oder der von ihm bestimmten Stelle als zur Aufführung am Karfreitag geeignet anerkannt sind“, verboten.[33]
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 16. April 2019 die Landeshauptstadt Stuttgart verpflichtet, unter der Auflage geschlossener Türen und Fenster eine Befreiung vom Verbot des Feiertagsgesetzes für die Vorführung der Filme Das Wort zum Karfreitag (mit humanistischem Tanzsegen) und Das Leben des Brian am Karfreitag, dem 19. April 2019 zu erteilen.[35] Antragsteller war ein Mitglied der Giordano-Bruno-Stiftung.
Spezielle Karfreitagsregelungen bestehen weiterhin für Beamte, die schon bisher einen halben Tag frei hatten, sowie Lehrer, für die am Karfreitag wegen der Osterferien dienstfrei ist.[37]
Literatur
Karl-Friedrich Wiggermann: Karfreitag. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 4, Mohr-Siebeck, Tübingen 2001, Sp. 809–810.
Sebastià Janeras: Le Vendredi-Saint dans la tradition liturgique byzantine. Structure et histoire de ses offices. (Studia Anselmiana 99; Analecta Liturgica 12), EOS Editiones, Rom 1988, OCLC19807428.
Holger Kaffka: „Die Schädelstätte wurde zum Paradies“. Das Kreuz Christi im orthodoxen Gottesdienst der byzantinischen und slawischen Tradition. (Oikonomia 35). Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des Christlichen Ostens, Erlangen 1995, ISBN 3-923119-34-8
Kongregation für den Gottesdienst: Rundschreiben Über die Feier von Ostern und ihre Vorbereitung. In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls. 81, Bonn 1990, S. 15–46.
Steffen Bauer: Karfreitag predigen: Wirklichkeit und Möglichkeit der Karfreitagspredigt in unserer Zeit, dargestellt an exemplarischen Predigten über 2. Kor. 5, 14b–21 (= Wechsel-Wirkungen / Ergänzungsreihe, Band 7). Spenner, Waltrop 1997, ISBN 3-927718-90-4 (Dissertation Universität Heidelberg 1994, 409 Seiten).
Bischöfliches Generalvikariat Trier, Hauptabteilung Pastorale Dienste: Manuale Trevirense. Heilige Woche – Karwoche und Ostern. Studienausgabe. Paulinus, Trier 1999, ISBN 3-7902-0190-1.
Manfred Jakubowski-Tiessen: Die Leiden Christi und die Leiden der Welt. Die Entstehung des lutherischen Karfreitags. In: Wolfgang Behringer, Hartmut Lehmann, Christian Pfister (Hrsg.): Kulturelle Konsequenzen der „Kleinen Eiszeit“. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-35864-4, S. 195–213.
↑Wolfgang Behringer, Hartmut Lehmann, Christian Pfister (Hrsg.): Kulturelle Konsequenzen der „Kleinen Eiszeit“. 2005, S. 202 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Friedrich Gustav Lisco: Das christliche Kirchenjahr. 1840, S. 23, nimmt für „Karfreitag“ eine Wortherkunft von althochdeutschkaren für „rüsten“ an.
↑Hartmann Grisar: Das Missale im Lichte Römischer Stadtgeschichte. 1925, S. 103.
↑Peter Browe: Die Kommunion an den drei letzten Kartagen. In: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 10, 1930, S. 64.
↑Emil Sehling (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. 1902, S. 169.
↑Walter Heim: Volksbrauch im Kirchenjahr heute. 1983, S. 82.
↑Johann Conrad Hinrichs: Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche. Band 21, 1908, S. 425.
↑Robert Anderson: The Coming Prince: The Marvelous Prophecy of Daniel’s Seventy Weeks Concerning the Antichrist. Cosimo, Inc., 2007, ISBN 978-1-60206-230-6, S.127 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Robert Anderson: Der kommende Fürst. (pdf; 416 kB) Ins Deutsche übertragen von Tobias Bolt, 20. März 2020, S. 43–46, abgerufen am 2. April 2021 (wiedergegeben auf tobiasbolt.ch).
↑Das Gesetz der Erhaltung des Alten in liturgisch hochwertiger Zeit. In: JLw 7 (1927), S. 1–23
↑Missale Romanum, Editio typica, 1970. Einführung zum Triduum Sacrum, S. 250
↑Kongregation für den Gottesdienst: Rundschreiben „Über die Feier von Ostern und ihre Vorbereitung“. Januar 1988. Nr. 64: „Die Ordnung der Feier vom Leiden und Sterben Christi, die aus alter Tradition der Kirche stammt, (nämlich: Wortgottesdienst, Kreuzverehrung, Kommunionfeier) soll genau und getreu eingehalten werden und darf von niemandem eigenmächtig abgeändert werden.“ (PDF; 194 kB).
↑Vgl. Kongregation für den Gottesdienst: Rundschreiben „Über die Feier von Ostern und ihre Vorbereitung“. Januar 1988. Nr. 26: „Der Brauch, die Kreuze in den Kirchen vom 5. Fastensonntag an zu verhüllen, kann beibehalten werden, wenn die Bischofskonferenz es so angeordnet hat. Die Kreuze bleiben in diesem Fall verhüllt bis zum Ende der Karfreitagsliturgie, die Bilder jedoch bis zum Beginn der Osternachtfeier.“ (PDF; 194 kB).
↑Wie der Karfreitag evangelisch wurde. Rheinische Post Online, 20. März 2008, abgerufen am 15. April 2019.
↑Glaubens-ABC: Karfreitag. In: EKD.de. 31. Januar 2017, abgerufen am 19. April 2019: „In den Medien wird fälschlicherweise immer wieder darauf hingewiesen, Karfreitag sei der höchste Feiertag in der evangelischen Kirche. Diese Einschätzung gründet sich darauf, dass Protestanten den Karfreitag als ganz besonderen Feiertag betrachten. Doch ist für sie wie für die ganze Christenheit Ostern, die Feier der Auferweckung Jesu, das höchste Fest.“
↑Vgl. Die Rubrik zum Karfreitag in: Die Feier der Eucharistie im Katholischen Bistum der Alt-Katholiken. Für den gottesdienstlichen Gebrauch erarbeitet durch die Liturgische Kommission und herausgegeben durch Bischof und Synodalvertretung, Bonn: Alt-Katholischer Bistumsverlag 2006, ISBN 3-934610-30-7, S. 74.
↑Siehe Three-hours service. In: J.G. Davies (Hrsg.): A Dictionary of Liturgy and Worship. London: SCM Press 1972, S. 355f.
↑Vgl. den „Beschluss des Kantonsrates [des Kantons Zürich] betreffend die Erhebung des Karfreitags zum hohen Feiertag“ vom 28. Juni 1858, in Kraft seit dem 20. August 1859, wonach „der Karfreitag […] an der Stelle des hohen Donnerstags zum Hauptfeste mit Abendmahlsgenuss zu erheben [ist], insofern sich die sämtlichen evangelischen und paritätischen Stände [= Kantone] der Eidgenossenschaft oder doch die große Mehrzahl, namentlich der deutschen Stände, gleichfalls dafür aussprechen.“
↑Michael Bachner, Marie North: Fragen zum Karfreitag: „Persönlicher Feiertag“ erregt Gemüter. In: Kurier.at. 27. Februar 2019, abgerufen am 18. November 2022 (Abschnitte „Zu dem Themenkomplex die wichtigsten Fragen: Bleibt bei den Beamten alles beim Alten?“ und „Gibt es Sonderregelungen?“).