Dirac war ein Mitbegründer der Quantenmechanik. 1933 wurde er mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Eine seiner wichtigsten Entdeckungen ist in der Dirac-Gleichung von 1928 beschrieben, in der Einsteins Spezielle Relativitätstheorie und die Quantenmechanik erstmals zusammengebracht werden konnten. Damit legte er auch die Grundlagen für den späteren Nachweis von Antimaterie.
Dirac wurde in Bristol, Gloucestershire, England geboren. Sein Vater Charles Dirac war Schweizer mit Wurzeln im französischsprachigen Saint-Maurice im Wallis; er unterrichtete in Bristol an Diracs Schule das Fach Französisch. Seine Mutter, Florence Holten, war die Tochter eines Seemanns aus Cornwall. Seine Kindheit war infolge des strengen und autoritären Verhaltens des Vaters unglücklich – sein Bruder Felix nahm sich im März 1925 das Leben.[1]
1925 fand Paul Dirac in seiner Dissertation die klassische Entsprechung der neuen quantenmechanischen Kommutatoren von Heisenberg, Born und Jordan in Form der Poisson-Klammern der klassischen Mechanik. 1926 entwickelte er eine abstrakte Fassung der Quantenmechanik („Transformationstheorie“), die die Matrizenmechanik Heisenbergs und die WellenmechanikSchrödingers als Spezialfälle enthielt. Somit konnte er unabhängig von Schrödinger die Äquivalenz beider Theorien zeigen. Die klassische Mechanik ergibt sich in seiner Theorie als Spezialfall der Quantenmechanik. Von Dirac stammt auch die Einführung des Wechselwirkungsbilds, das für die Berechnung der zeitlichen Entwicklung zwischen dem Schrödinger- und dem Heisenberg-Bild liegt.
1928 stellte er auf Grundlage der Arbeit von Wolfgang Pauli über das Ausschließungsprinzip die nach ihm benannte Dirac-Gleichung auf,[2] bei der es sich um eine relativistische, also auf der speziellen Relativitätstheorie beruhende Wellengleichung 1. Ordnung zur Beschreibung des Elektrons handelt. Dirac fand sie, indem er von der relativistischen Wellengleichung 2. Ordnung von Charles Galton Darwin ausging (einer Weiterentwicklung der Klein-Gordon-Gleichung) und ein wenig mit „Gleichungen herumspielte“, das heißt, er suchte einen Ansatz für eine entsprechende Gleichung 1. Ordnung, die sich nur mit dem Einführen von Spinoren und Dirac-Matrizen gewinnen ließ und deren „Quadrat“ wieder die relativistische Wellengleichung ergibt. Sie lieferte z. B. eine theoretische Erklärung für den anomalen Zeeman-Effekt und die Feinstruktur in der Atomspektroskopie und erklärte den Spin, der bis dahin in der Quantenmechanik als grundlegendes, aber unverstandenes Phänomen bekannt war, als natürliche Folge seiner relativistischen Wellengleichung.
Seine Gleichung erlaubte es Dirac auch, die Löchertheorie zu formulieren und die Existenz des Positrons, des Antiteilchens des Elektrons, vorherzusagen (er scheute aber zunächst vor der öffentlichen Postulierung eines neuen Teilchens zurück und identifizierte das negative Antiteilchen des Elektrons mit dem Proton).[3] Das Positron wurde darauf 1932 von Carl David Anderson als neues Teilchen in kosmischer Strahlung nachgewiesen. Im Dirac-Bild der Quantenfeldtheorie besteht das Vakuum in Analogie zur Festkörperphysik aus einem bis zur Fermigrenze gefüllten Dirac-See von Elektronen. Paarerzeugung im Vakuum ist die Anregung eines Elektrons aus diesem Dirac-See über die Fermigrenze hinaus – das hinterlassene „Loch“ in dem Diracsee ist das Positron.
Sein 1930 veröffentlichtes Buch The Principles of Quantum Mechanics (deutsch Die Prinzipien der Quantenmechanik, 1930) war wegbereitend für den Gebrauch von linearen Operatoren als Verallgemeinerung der Theorien von Heisenberg und Schrödinger („Transformationstheorie“). Mit ihr wurde auch das Deltafunktional (eine spezielle Distribution, auch Diracfunktion oder Deltafunktion genannt) sowie die Bra-Ket-Notation verwendet, in der einen Zustandsvektor im Hilbertraum eines Systems bezeichnet und den zu ihm dualen Vektor. Das oben genannte Lehrbuch blieb bis heute ein Standardwerk und war in Diracs Augen so perfekt, dass er in seinen Vorlesungen einfach daraus vorlas.
1931 postulierte er als erster die Existenz eines magnetischen Monopols,[4] also eines Teilchens mit magnetischer Ladung, ähnlich der elektrischen Ladung z. B. beim Elektron. Die Existenz eines solchen Teilchens, das bisher nicht beobachtet wurde, würde die Quantisierung der elektrischen Ladung erklären. Dahinter stecken letztlich topologische Ideen, die hier erstmals in der Quantenmechanik auftauchen.
In seiner „Large number hypothesis“ versucht Dirac – plausibler als ähnliche Versuche Eddingtons – einen Zusammenhang zwischen der Größe der Fundamentalkonstanten und der gegenwärtigen Ausdehnung des Universums zu geben.[5] Daraus ergeben sich Spekulationen über die zeitliche Variation der Naturkonstanten, denen bis heute experimentell nachgegangen wird. Diracs großer Konkurrent auf dem Gebiet quantenmechanischer Formalismen, Pascual Jordan, griff diese Ideen in einer eigenen Theorie der Gravitation mit variabler Gravitationskonstante auf.
In seiner Untersuchung der klassischen Theorie strahlender Elektronen von 1938 tauchten neben „runaway solutions“ auch erstmals Renormierungsideen auf.[6] Das Auftreten divergenter Ausdrücke in der üblichen Renormierungstheorie der Quantenelektrodynamik, die dann in die Definition der „nackten“ Ladung und Masse zum Verschwinden gebracht werden, lehnte er aber zeitlebens ab.
Dirac ist auch der Erfinder vieler weiterer Formalismen der theoretischen Physik. Beispielsweise stammt von ihm die ursprüngliche Idee zu Pfadintegralen,[7] die als alternativer Zugang zur Quantenmechanik aber erst durch Richard Feynman „ernst genommen“ und ausgebaut wurden. In einer Arbeit aus dem Jahre 1949 erfand er die „light cone quantization“ (Lichtfrontformalismus) der Quantenfeldtheorie,[8] die in der Hochenergiephysik viel verwendet wird. In den 1950er Jahren versuchte Dirac dann, den von ihm postulierten Dirac-See als universellen Äther auszulegen.[9][10][11]
Er untersuchte auch ganz allgemein hamiltonsche Systeme mit „constraints“ (Zwangsbedingungen), speziell um einen Zugang zur Quantisierung der Gravitation zu finden. Diese Arbeiten gingen später in der BRST-Formulierung auf. Seine Untersuchung ausgedehnter Systeme in der Quantenfeldtheorie 1962[12] ist ein Vorläufer der p-branes und bag-Modelle späterer Jahre.
Persönlichkeit
Dirac war von zurückhaltender Natur. Es machte ihm nichts aus, in Gesellschaft zu schweigen und auf Fragen nur sehr wortkarge, einer strikten Wahrheitsliebe verpflichtete Antworten zu geben, wovon zahlreiche Anekdoten verbreitet waren.
Er liegt in Tallahassee begraben, es erinnert aber seit November 1995 ein Stein im Fußboden der Westminster Abbey nahe Newtons Grab an ihn, auf dem auch die Dirac-Gleichung eingemeißelt ist.[14] Der Dean von Westminster Abbey Michael Mayne hatte sich dem lange widersetzt, da Dirac bekennender Atheist war.[15]
General Theory of Relativity, Princeton: Landmarks in Physics, 1996, ISBN 0-691-01146-X (zuerst 1975)
Directions in physics, 1978 (Vorlesungen Australien 1975)
Dalitz (Hrsg.) Collected Works of P.A.M.Dirac (1924–1938), Cambridge 1996
Einige Aufsätze:
The fundamental equations of quantum mechanics, Proceedings Royal Society, Band 109, 1925, S. 642. doi:10.1098/rspa.1925.0150 (Zusammenhang klassischer Poisson-Brackett mit quantenmechanischer Kommutator)
Physical interpretation of quantum dynamics, Proceedings of the Royal Society, Band 113, 1927, S. 621 (Transformationstheorie, seine allgemeine Formulierung der Quantenmechanik)
On the theory of quantum mechanics, Proceedings of the Royal Society Band 112, 1926, 661 (Fermi-Dirac und Bose-Statistik)
Proceedings Cambridge Philosophical Society, Band 35, 1939, S. 416 (erstmals bra-ket Notation)
Proceedings Cambridge Philosophical Society, Band 25, 1929, S. 62 (Dichtematrix, weniger abstrakt als bei John von Neumann)
Literatur
Richard Dalitz, Rudolf Peierls: Paul Adrien Maurice Dirac, 8 August 1902–20 October 1984. In: Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society of London 32. 1986, S. 137–185
Abdus Salam, Eugene Wigner (Hrsg.): Aspects of quantum theory. Cambridge University Press, Cambridge 1972, ISBN 0-521-08600-0. (darin u. a.: Eden, John Polkinghorne: Dirac in Cambridge. Van Vleck: Travels with Dirac in the Rockies. Jagdish Mehra The golden age of theoretical physics: Dirac’s scientific work from 1924–1933)
John Gerald Taylor: Tributes to Paul Dirac. A. Hilger, Bristol 1987, ISBN 0-85274-480-3.
Graham Farmelo: The Strangest Man: The Hidden Life of Paul Dirac, Quantum Genius. Faber and Faber, London 2009, ISBN 978-0-571-22278-0 (vor allem für seine Dirac Biografie erhielt er 2012 die Kelvin Medal des Institute of Physics)
Howard Baer, Alexander Belyaev (Herausgeber): Proceedings of the Dirac Centennial Symposium. University of Florida, Tallahassee 6.–7. Dezember 2002, World Scientific 2003 (unter anderem Monica Dirac über ihren Vater)
↑Graham Farmelo: Der seltsamste Mensch – Das verborgene Leben des Quantengenies Paul Dirac. 2. Auflage. Springer, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-662-56578-0, S.79, doi:10.1007/978-3-662-56579-7 (englisch: The Strangest Man: The Hidden Life of Paul Dirac, Quantum Genius. Übersetzt von Reimara Rössler).
↑P.A.M. Dirac: The quantum theory of the electron. In: Proceedings or the Royal Society, Band 117, 1928, S. 610, Band 118, S. 351
↑Dirac. In: Proc. Roy. Soc., A, 126, 1929, S. 360. Nature, Band 126, 1930, S. 605. Dirac meinte später, damals ging man allgemein davon aus, Elektron und Proton wären die einzigen Elementarteilchen. Robert Oppenheimer, Igor Tamm und Hermann Weyl kritisierten die Identifikation schon 1930 und auch Dirac wandte sich 1931 davon ab und postulierte ein neues Teilchen (Proc. Roy. Soc. A 133, 1931, S. 60). Der Name Positron taucht zuerst 1933 in einer Arbeit von Carl Anderson auf (Physical Review, Band 43, S. 491). Abraham Pais Paul Dirac. Aspects of his life and work, S. 15f, in Pais u. a. Paul Dirac, Cambridge University Press 1998
↑Proceedings or the Royal Society, A, Band 133, S. 60. Physical Review, Band 74, 1948, S. 817