Dieser Artikel beschäftigt sich mit „Strukturen“ als Sammelbegriff für verschiedene mathematische Objekte. Der Begriff der „Struktur“ wird auch in der mathematischen Logik verwendet. Siehe dafür Modelltheorie.
Eine mathematische Struktur ist eine Menge mit bestimmten Eigenschaften. Diese Eigenschaften ergeben sich durch eine oder mehrere Relationen zwischen den Elementen (Struktur erster Stufe) oder den Teilmengen der Menge (Struktur zweiter Stufe).[1] Diese Relationen und damit auch die Struktur, die sie definieren, können von sehr verschiedener Art sein. Eine solche Art lässt sich durch gewisse Axiome festlegen, die die definierenden Relationen zu erfüllen haben. Die wichtigsten großen Typen, in die sich Strukturen klassifizieren lassen, sind algebraische Strukturen, relationale Strukturen wie insbesondere Ordnungsstrukturen, sowie topologische Strukturen.[2] Viele wichtige Mengen besitzen sogar mehrfache Strukturen, das heißt Mischstrukturen aus diesen Grundstrukturen.[3] Zum Beispiel haben Zahlbereiche sowohl eine algebraische, eine Ordnungs- als auch eine topologische Struktur, die miteinander verbunden sind. Daneben gibt es auch noch geometrische Strukturen.
Eine algebraische Struktur oder kurz eine (allgemeine) Algebra ist eine Struktur (erster Stufe), die nur durch eine oder mehrere Verknüpfungen definiert ist (als Funktionen sind Verknüpfungen spezielle Relationen).
Strukturen mit einer inneren Verknüpfung: Gruppen und ähnliche
Die fundamentalen algebraischen Strukturen besitzen eine oder zwei zweistellige innere Verknüpfungen. Die Taxonomie, also die Klassifizierung dieser Strukturen, richtet sich danach, welche der folgenden Gruppenaxiome in der Menge bezüglich der Verknüpfung gelten:
Gleichzeitig ein Monoid und eine Quasigruppe. Gruppen wurden Anfang des 19. Jahrhunderts zur Beschreibung von Symmetrien eingeführt und haben sich als fundamental für den gesamten Aufbau der Algebra erwiesen. Beispiele für Zahlbereiche, die eine Gruppe bilden: , . Beispiele für Transformationsgruppen, die Symmetrien beschreiben: die Punktgruppen zur Beschreibung von Molekülsymmetrien, die symmetrischen Gruppen zur Beschreibung von Permutationen, die Lie-Gruppen zur Beschreibung kontinuierlicher Symmetrien.
Die folgenden Strukturen haben zwei innere Verknüpfungen, die gewöhnlich als Addition und Multiplikation geschrieben werden; diese Strukturen sind von den Zahlbereichen (wie , , ) abstrahiert, mit denen man gewöhnlich rechnet. Die Verträglichkeit der multiplikativen mit der additiven Verknüpfung wird durch folgende Axiome sichergestellt:
Weitere Axiome, die beide Verknüpfungen betreffen, sind:
(U) Die neutralen Elemente bezüglich der Addition und der Multiplikation, und , sind nicht gleich.
(T)Nullteilerfreiheit: Wenn das neutrale Element der additiven Verknüpfung bezeichnet, dann folgt aus für alle aus , dass oder gilt.
(I*) Für jedes Element, mit Ausnahme des neutralen Elements der additiven Verknüpfung, existiert das inverse Element bezüglich der multiplikativen Verknüpfung. Formal: .
Die jeweils gültigen Axiome sind im Folgenden in der Reihenfolge (additive Axiome | multiplikative Axiome | gemischte Axiome) gekennzeichnet.
Integritätsbereich: Axiome (EANIK|EANK|DTU): Kommutativer, unitärer, nullteilerfreier Ring mit .
Halbkörper: Axiome (EA|EANI*|D) Halbring mit multiplikativer Gruppe auf der Menge (ohne die falls diese existiert).
Alternativkörper: Axiome (EANIK|ENI*|DTU): Unitär, nullteilerfrei, und mit multiplikativem Inversen, außer für das Element . Anstelle des Assoziativgesetzes tritt die Alternativität der Multiplikation.
(Rechts-)Fastkörper: Axiome (EANI(k)|EANI*|DrTU) Fastring mit multiplikativer Gruppe auf der Menge ohne die . Die Addition jedes Fastkörpers ist kommutativ.
Schiefkörper: Axiome (EANIK|EANI*|DTU): Unitärer, nullteilerfreier Ring mit und mit multiplikativem Inversen, außer für das Element .
Körper: Axiome (EANIK|EANI*K|DTU): Kommutativer Schiefkörper, Integritätsbereich mit multiplikativem Inversen, außer für das Element . Jeder Körper ist auch ein Vektorraum (mit sich selbst als zugrunde liegendem Skalarkörper). Wenn man in dem Körper eine Norm oder ein Skalarprodukt definiert, erhält ein Körper dadurch die topologischen Eigenschaften eines normierten Raums oder eines Innenproduktraums. Siehe dazu unten. Beispiele: die Zahlbereiche , und .
Ein Verband ist eine algebraische Struktur, deren zwei innere Verknüpfungen im allgemeinen Fall nicht als Addition und Multiplikation aufgefasst werden können:
(V) Verschmelzungsgesetze (auch Absorptionsgesetze genannt): und .
In einem distributiven Verband muss man nur eines der beiden Verschmelzungsgesetze fordern; das andere folgt dann aus dem Distributivgesetz.
Eine Boolesche Algebra ist ein Verband, in dem die beiden Verknüpfungen je ein neutrales Element haben, und , und in dem jedes Element ein bezüglich beider Verknüpfungen übereinstimmendes Komplement hat,
(C) Existenz eines Komplements: zu jedem gibt es ein , für das gilt und .
Beachte, dass das Komplement nicht inverses Element ist, da es das neutrale Element der jeweils anderen Verknüpfung liefert.
Mengenalgebra: eine Boolesche Algebra, deren Elemente Mengen sind, nämlich Teilmengen einer Grundmenge , mit den Mengenoperatoren und als Verknüpfungen, mit dem Nullelement und dem Einselement .
σ-Algebra: eine bezüglich abzählbar-unendlicher Verknüpfungen abgeschlossene Mengenalgebra.
Strukturen mit innerer und äußerer Verknüpfung: Vektorräume und ähnliche
Diese Strukturen bestehen aus einem additiv geschriebenen Magma (zumeist einer abelschen Gruppe) und einem Zahlbereich (einer Struktur mit zwei inneren Verknüpfungen, zumeist einem Körper) , dessen Gruppenaktion auf als Linksmultiplikation oder als Rechtsmultiplikation geschrieben und (von aus gesehen) als äußere Verknüpfung aufgefasst wird. Die Elemente von heißen Skalare, die äußere Verknüpfung dementsprechend auch Skalarmultiplikation. Sie genügt den folgenden Verträglichkeitsaxiomen (in Notation für Linksmultiplikation):
(AL) Assoziativgesetz: für aus und aus gilt .
(DL) Distributivgesetze: für aus und aus gilt und .
Damit erhalten wir folgende Strukturen in der Notation ( | | Verträglichkeitsaxiome):
Rechtsvektorraum: (Abelsche Gruppe | Schiefkörper | AR,DR) mit Skalarmultiplikation von rechts statt von links.
Vektorraum: (Abelsche Gruppe | Körper | ALR,DLR) mit austauschbarer Links- oder Rechtsmultiplikation.
Zusätzliche algebraische Struktur auf Vektorräumen
K-Algebra: Algebra über einem Körper (veraltet auch: Lineare Algebra (Struktur)): Vektorraum mit zusätzlicher bilinearer Verknüpfung, .
Lie-Algebra: Vektorraum mit der Lie-Klammer als zusätzlicher antisymmetrischer bilinearen Verknüpfung, .
assoziative Algebra: Vektorraum mit einer assoziativen bilinearen Verknüpfung, .
Die im Folgenden eingeführten inneren Verknüpfungen Skalarprodukt und Norm verhelfen einem Vektorraum (das kann insbesondere auch ein als Vektorraum aufzufassender Körper sein) zu einer topologischen Struktur.
Ein Bilinearraum ist fast ein Innenproduktraum (siehe unten) – außer dass das innere Produkt nicht positiv definit sein muss. Wichtiges Beispiel ist der Minkowski-Raum der speziellen Relativitätstheorie.
Nach unten und nach rechts nimmt die Spezialisierung der Vektorräume zu. Die in der Tabelle unten stehenden Vektorräume weisen die Eigenschaften der darüberstehenden auf, da ein Skalarprodukt eine Norm induziert und eine Norm einen Abstand .
Ordnungsstrukturen
Eine Ordnungsstruktur ist eine Struktur (erster Stufe), die mit einer Ordnungsrelation ausgestattet ist, d. h., sie ist eine relationale Struktur oder kurz ein Relativ.[4]
strenge Halbordnung: irreflexiv und transitiv. Beispiele: Die Relation „Echte Teilmenge“ in einer Potenzmenge; die Relation „komponentenweise kleinergleich, aber nicht gleich“ auf dem Vektorraum.
totale Ordnung (lineare Ordnung): totale Halbordnung. Beispiel: „Kleinergleich“ auf .
strenge Totalordnung: total, irreflexiv und transitiv. Beispiel: „Kleiner“ auf .
fundierte Ordnung: eine Halbordnung, bei der jede nichtleere Teilmenge ein minimales Element besitzt. Beispiel: Die Relation „Gleich oder Element von“ in einer Menge von Mengen.
Wohlordnung: totale Ordnung, bei der jede nichtleere Teilmenge ein minimales Element besitzt. Beispiel: „Kleiner“ auf .
Topologische Strukturen
Der geometrische Begriff des Abstands (der Metrik) ermöglicht es, in metrischen Räumen das grundlegende Konzept der modernen Analysis, die Konvergenz, zu handhaben. Topologische Räume sind aus dem Bemühen hervorgegangen, die Konvergenz in einem allgemeinen Sinne zu behandeln (jeder metrische Raum ist ein topologischer Raum mit der Topologie, die durch die Metrik induziert wird). Die verschiedenen topologischen Räume, sie lassen sich durch ihre möglichen lokalen Strukturen klassifizieren, erhalten ihre Struktur durch die Auszeichnung bestimmter Teilmengen als offen oder, äquivalent dazu, als abgeschlossen (Strukturen zweiter Stufe).
Absolute Geometrie: Jede Geometrie, in der die ersten vier der fünf Euklidischen Postulate gelten (genauer: die Hilbertschen Axiome mit Ausnahme des Parallelenaxioms).
Nichteuklidische Geometrie: Absolute Geometrie, in der das Parallelenpostulat nicht gilt. Oder auch: Geometrie, in der die Hilbertschen Axiome der Gruppen I, II, III und V sowie die Negation des Parallelenaxioms gelten.
Zahlbereiche sind die Mengen, mit denen man gewöhnlich rechnet. Grundlage ist die Menge der natürlichen Zahlen. Als algebraische Verknüpfung dienen Addition und Multiplikation. Indem man fordert, dass auch die Umkehroperationen Subtraktion und Division stets möglich sein sollen, erweitert man die Menge der natürlichen Zahlen zur Menge der ganzen Zahlen und zur Menge aller Brüche. Die reellen Zahlen werden als Grenzwerte von Zahlenfolgen eingeführt; sie ermöglichen (unter anderem) das Wurzelziehen aus beliebigen positiven Zahlen. Die Wurzeln aus negativen Zahlen führen auf die komplexen Zahlen.
Die Menge der natürlichen Zahlen dient dem Abzählen und steht ganz am Anfang des axiomatischen Aufbaus der Mathematik. Im Folgenden soll die Null nicht in enthalten sein, die entgegengesetzte Konvention ist aber auch üblich. und sind kommutativeHalbgruppen. Addition und Multiplikation sind, wie auch bei allen anderen Zahlbereichen, distributiv.
Die Menge der ganzen Zahlen entsteht aus , indem man die Null als neutrales Element sowie negative Zahlen als Inverse bezüglich der Addition konstruiert. ist eine abelscheGruppe mit dem neutralen Element und ist ein kommutatives Monoid mit dem neutralen Element . ist ein kommutativer Ring mit Eins.
Die Menge der positiven Brüche entsteht aus , indem man Bruchzahlen als Inverse bezüglich der Multiplikation konstruiert. ist daher eine Gruppe und ist eine Halbgruppe (beide kommutativ).
Die Menge der Brüche oder rationalen Zahlen entsteht aus durch Hinzunahme des neutralen Elements und der Inversen bezüglich der Addition oder aus durch Hinzunahme der Inversen bezüglich der Multiplikation. und sind abelsche Gruppen, Addition und Multiplikation sind distributiv. ist ein Körper.
Die Menge der komplexen Zahlen besteht aus Paaren reeller Zahlen , die in der Schreibweise mit den üblichen Rechengesetzen genügen. In ist jede algebraische Gleichung auflösbar. ist ein Körper.
Quaternionen, Cayley-Zahlen und darüber hinaus erweiterte Zahlenbereiche sind nicht mehr kommutativ bezüglich der Multiplikation.
Wichtig sind ferner einige eingeschränkte Zahlbereiche:
Der Restklassenring ist die Einschränkung der ganzen Zahlen auf die Menge . Alle Rechenoperationen werden modulo ausgeführt. ist ein Ring; wenn eine Primzahl ist, sogar ein Körper. In maschinennahen Programmiersprachen werden vorzeichenlose ganze Zahlen als Restklassenringe zum Beispiel mit oder dargestellt.
Literatur
Nicolas Bourbaki: Die Architektur der Mathematik I. In: Physikalische Blätter. Band17, Nr.4, 1961, S.161–166, doi:10.1002/phbl.19610170403. Die Architektur der Mathematik II. In: Physikalische Blätter. Band17, Nr.5, 1961, S.212–218, doi:10.1002/phbl.19610170503 (französisch: Les grands courants de la pensée mathématique. Marseille 1948. Übersetzt von Karl Strubecker, Helga Wünsch).
Fritz Reinhardt, Heinrich Soeder: dtv-Atlas Mathematik. 11. Auflage. Band1: Grundlagen, Algebra und Geometrie. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1998, ISBN 3-423-03007-0, S.36–37.
↑Eng verwandt mit dem Begriff der relationalen Struktur ist der des Graphen im graphentheoretischen Sinn. Die Trägermenge wird dort als Knotenmenge bezeichnet, die Stelle der Relation nimmt die Kantenmenge ein. Graphen sind, wenn nicht anders gesagt, finit.