Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zu Personen mit dem Namen Dingelstädt siehe Dingelstädt (Familienname). Für den gleichlautenden Ortsteil der Gemeinde Huy siehe hier
Dingelstädt wurde erstmals im 9. Jahrhundert in einer undatierten Urkunde erwähnt und gehört damit zu den ältesten benannten Siedlungen des Eichsfelds. Der Name verweist auf eine alte germanische Thingstelle/-stätte (Gerichtsstätte). Forscher vermuten auf dem „Kerbschen“ Berg (= kirchbergischen Berg) eine ehemalige Königspfalz. Es gibt aber bis auf die Lage und einen nachgewiesenen Rundwall von 110 Meter Durchmesser keine konkreten Hinweise darauf. Eine Burg war sicher am Ort, denn 1134 wurde ein Ritter von Kirchberg genannt. Die Kirchberger waren Lehnsleute des Mainzer Erzbischofs. Als dieses Geschlecht ausstarb, wurde ein Heinrich von Bodungen belehnt. Berg und das nachgewiesene Dorf wurden 1546 als wüst angegeben, aber die Kirche St. Martin gab es noch. Sie war Erzpriestersitz und daher wohl sehr alt. Dorthin pilgerten noch im 19. Jahrhundert, jeweils am 1. Mai, die Leute der umliegenden Orte. 1700 wurde die Kirche neu errichtet. Es folgten Erweiterungsbauten, und seit 1994 wird das Kloster vom Ursulinen-Orden genutzt.[4]
Die erste Schule Dingelstädts, zunächst nur für Jungen, lässt sich im Jahr 1606 nachweisen. Damals wurde für die knapp 70 Schüler im Rathaus ein Klassenzimmer eingerichtet, wobei neben dem Unterricht im selbigen Gebäude dieses auch als Tanzsaal und Schenke fungierte. Ebenfalls befand sich im Rathaus die Gefängniszelle der Gemeinde.[5] Die erste Möglichkeit für die Dingelstädter Mädchen die Schule zu besuchen, ergab sich 1729. Knapp hundert Jahre später, 1833 baute man den Tanzsaal und die Schenke des Rathauses zu Unterrichtsräumen für Mädchen und Jungen um. Damals besuchten 118 Schüler die Knabenschule, 113 die Mädchenschule, sowie 256 die Knaben- und Mädchenschule. Als 1852–1855 die St.-Gertrudis-Kirche erbaut wurde, riss man das Rathaus ab; die Kirchengemeinde wies zur Entschädigung sieben Häuser, einschließlich deren Nebengebäude in der „Langen Nacht“, zur Nutzung zu. Im Oktober 1854 wurde das Schulgebäude gerichtet und ein Jahr später seiner Nutzung übergeben. Bis 1932 war es notwendig, wegen einer stetig steigenden Zahl an Schülern diverse Nebengebäude auszubauen und weitere zu errichten. 1959 kam die Polytechnische Oberschule (POS) „Käthe Kollwitz“ hinzu, die heute den Namen „St. Josef-Gymnasium“ trägt, 1981 wurde zudem der Grundstein für die POS „A. S. Makarenko“ gelegt, der heutigen Regelschule „Johann Wolf“.
Während des Zweiten Weltkrieges mussten polnische, ukrainische und russische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei unterschiedlichsten Bauernhöfen arbeiten. Die meisten ausländischen Zwangsarbeiter mussten im Henschel Flugmotorenwerk AG in der stillgelegten Zigarrenfabrik Neumann arbeiten sowie in der Strickwarenfabrik Schellhaas & Co.[6]
Am 7. April 1945 erfolgte die kampflose Besetzung des Ortes durch US-amerikanische Soldaten. Zwei Zivilisten wurden erschossen, durch vorausgehende Jagdbomberangriffe waren Gebäudeschäden entstanden. Nach Besetzung durch die Rote Armee Anfang Juli 1945 wurde Dingelstädt Bestandteil der SBZ und 1949 der DDR.
Ausgehend von einem Dingelstädter Betrieb kam es im Dezember 1974 und Anfang 1975 durch Erfrischungsgetränke zu einer Hepatitis-A-Epidemie mit 594 Erkrankten in den Nordkreisen des Bezirks Erfurt. Der Betrieb hatte nach Starkregen mit Fäkalien verunreinigtes Quellwasser zur Produktion der Getränke (Vita-Cola) verwendet.[7]
Eingemeindungen
Am 1. Januar 2019 wurde Dingelstädt mit den Gemeinden Helmsdorf, Kefferhausen, Kreuzebra und Silberhausen zur neuen Landgemeinde und Stadt Dingelstädt zusammengeschlossen, woraufhin die Verwaltungsgemeinschaft Dingelstädt, der alle Gemeinden angehörten, aufgelöst wurde.[8]
Nach Auflösung der Gemeinden Anrode und Dünwald im Unstrut-Hainich-Kreis wurden die Ortsteile Bickenriede, Zella von der Gemeinde Anrode sowie die Ortsteile Beberstedt und Hüpstedt von der Gemeinde Dünwald am 1. Januar 2023 nach Dingelstädt im Landkreis Eichsfeld eingemeindet.[9]
Am 1. Januar 2024 folgte der Ortsteil Struth der Gemeinde Rodeberg aus dem Unstrut-Hainich-Kreis.[10] Den Vergrößerungen Dingelstädts 2023 und 2024 waren Bürgerbefragungen vorausgegangen.
Adelsgeschlecht von Dingelstedt
Neben den Edelherren von Kirchberg, die bei Dingelstädt begütert waren, gab es ab etwa 1300 das Adelsgeschlecht derer von Dingelstedt, die sich nach dem Ort benannten. Im 14. Jahrhundert waren einige Mitglieder der Familie in Heiligenstadt ansässig:[11]
Rudolf von Dingelstädt (1253 bis 1260) Erzbischof in Magdeburg (ev. nicht ganz sicher, von welchem Dingelstedt abstammend)
Albrecht von Dingelstädt (1311), Bürger in Heiligenstadt mit seinen Söhnen Albrecht und Heinrich
Heinrich von Dingelstädt (1316), Ratsherr in Heiligenstadt[12]
Dietrich von Dingelstädt (1344) im St. Martinstift zu Heiligenstadt
1356 kaufte Albrecht denen von Worbis ihr Gut in Heiligenstadt ab
Martin von Dingelstädt (1364) im St. Martinstift zu Heiligenstadt
Theodor von Dingelstädt (1389) im St. Martinstift zu Heiligenstadt (in der Liboriuskapelle gab es eine Inschrift: „Anno domini MCCCXLIIII Dnus Theod. de Dingelstede Canonocus eccl. Heiligenstadiensis ista fecit fieri“)
Heinrich von Dingelstädt (1363), Vogt zu Bischofstein[14]
Heinrich von Dingelstädt (möglicherweise der gleiche?) (1390) Bürgermeister und (1397) Ratsherr in Heiligenstadt
Wappen
Blasonierung: „In Silber ein bewurzelter grüner Eichenbaum mit einem freischwebenden goldenen Ring um den Stamm.“
Einwohnerentwicklung
Entwicklung der Einwohnerzahl (31. Dezember):
1994: 5.073
1995: 5.101
1996: 5.105
1997: 5.092
1998: 5.070
1999: 5.082
2000: 5.059
2001: 5.024
2002: 4.965
2003: 4.922
2004: 4.860
2005: 4.798
2006: 4.766
2007: 4.713
2008: 4.676
2009: 4.698
2010: 4.665
2011: 4.381*
2012: 4.338
2013: 4.324
2014: 4.322
2015: 4.372
2016: 4.324
2017: 4.349
2018: 4.335
2019: 6.887**
2020: 6.834
2021: 6.847
2022: 6.935
Datenquelle: Thüringer Landesamt für Statistik
* ab 2011: Fortschreibung Zensus 2011
** ab 2019: neugebildete Stadt Dingelstädt
Wirtschaft und Verkehr
Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Dingelstädt einer der wenigen Orte im Eichsfeld, in dem sich größere Industrieunternehmen ansiedelten. Neben den traditionellen Wollkämmereien und Kammgarnspinnereien waren es vor allem Zigarrenfabriken, Webereien, Strickereien, Spinnereien, Feilenhauereien, Mühlenbaufirmen und Maschinenfabriken, die zum guten Ruf der Stadt beitrugen. Bis 1989 arbeiteten viele Dingelstädter in der Textilindustrie (Eichsfelder Obertrikotagenwerk), der Zigarrenfabrikation (Zigarrenfabrik Dingelstädt, heute Teil von Joh. Wilh. von Eicken) oder der Polstermöbelherstellung. Es existierten über 80 private Handwerks- und Gewerbebetriebe, was für die Verhältnisse in der DDR enorm viele waren. Heute sind in Dingelstädt über 300 Handwerks- und Gewerbebetriebe ansässig. Im industriellen Bereich gab es nach der Umgestaltung der Wirtschaft zahlreiche Neuansiedlungen und Neugründungen. Das 1991 erschlossene Gewerbegebiet ist voll ausgelastet und im Südwesten der Stadt entstand ein 100 ha großes Industriegebiet. Der Schwerpunkt liegt heute in der metallverarbeitenden Industrie.
Straßenverkehr
Östlich der Stadt verläuft die als Umgehungsstraße neu gebaute Bundesstraße 247, die das Stadtzentrum vom Durchgangsverkehr zwischen Mühlhausen und Bundesautobahn 38 entlasten soll. Dingelstädt ist Kreuzungspunkt der Landesstraßen 1005 (Richtung Heilbad Heiligenstadt), 1008 (Küllstedt), 2032 (Wachstedt) und 2041 (Silberhausen).
Schienenverkehr
Mit dem Bau und der Inbetriebnahme der Bahnstrecke Leinefelde–Treysa wurde 1880 auch der Bahnhof Dingelstädt (Eichsfeld) eröffnet. Der Bahnhof verfügte über ein Empfangsgebäude mit Güterabfertigung, zwei Bahnsteiggleise und ein Durchgangsgleis. 1994 wurde der Bahnverkehr auf dem Streckenabschnitt zwischen Küllstedt und Dingelstädt eingestellt und der Bahnhof zum Endbahnhof. Bereits 1996 wurde auch der restliche Abschnitt von Dingelstädt nach Silberhausen/Trennung stillgelegt und der Bahnhof danach endgültig geschlossen. Heute wird das Bahnhofsgelände als Endpunkt der Draisinenstrecke auf dem verbliebenen Gleis von Lengenfeld unterm Stein genutzt. Auf dem zweiten Schienenbett wurde im Oktober 2019 der Kanonenbahn-Radweg fertiggestellt. Er verbindet mit knapp 1 % Steigung den Unstrut-Radweg mit dem Werratal-Radweg. Der Streckenabschnitt in Richtung Silberhausen/Trennung endet jetzt östlich des Bahnhofes wegen des Neubaus der Umgehungsstraße der B 247.
Carl Duval: „Dingelstedt“. In: Das Eichsfeld. (Reprint). Harro von Hirschheydt Verlag, Hannover-Dören 1979, ISBN 3-7777-0002-9, S.540–551.
Heinrich Koch: Chronik der Stadt Dingelstädt. Hrsg.: Norbert Günther. Teil 1, Teil 2. Dingelstädt 2004, S.204.
Heinrich Koch: Dingelstädter Heimatgeschichte für Schülerinnen und Schüler der katholischen Volksschule. Hrsg.: Norbert Günther. Dingelstädt 2004, S.92.
Annelie Günther, Anni Raub, Vinzenz Weinrich: Bi uns do wärt gelacht. Eichsfelder Schnurren. Hrsg.: Dingelstädter Verein für Heimatpflege. Mecke, Duderstadt 2005, ISBN 3-936617-43-0, S.144.
Aloys Schäfer: Geschichte der Stadt Dingelstädt. Verlag Heinevetter, Dingelstädt 1926.
↑Thomas Bienert: Mittelalterliche Burgen in Thüringen. Wartberg Verlag, 2000, ISBN 3-86134-631-1, S. 32/33.
↑Winfried Körner u. Rolf Barthel: Zur Geschichte des Schulwesens in Dingelstädt. In: Eichsfelder Heimathefte. Band2, 1982, S.181–183.
↑Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und Studienkreis deutscher Widerstand 1933–1945 (Hrsg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu den Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933–1945. Bd. 8, Thüringen. VAS – Verlag für Akademische Schriften, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-88864-343-0, S. 32f.
↑Bernd Schulze: Eine durch Trinkwasserverunreinigung verursachte massive Hepatitis-Epidemie 1974/75 im Eichsfeld. Ärzteblatt Thüringen 25 (2014), 115–117.