Seine Plattform war der Raiffeisen-Bewegung in Deutschland und Österreich nicht unähnlich, und er versuchte, die Interessen der kleinen Bauern gegenüber den mächtigen Eisenbahnbaronen und den Industriekartellen zu verteidigen. Im Wahlkampf um die Präsidentschaft 1896 kämpfte er gegen die Einführung des Goldstandards, es sollte beim Bimetallismus (Gold und Silber) bleiben.[1] Seine Nominierung verdankte er einer begeistert aufgenommenen Parteitagsrede, in welcher er davor warnte, „die Menschheit an einem Kreuz aus Gold zu kreuzigen“. Damit spielte er auf die in der populistischen Bewegung verbreitete Verschwörungstheorie an, der Goldstandard gehe auf ein Komplott von Big Business und der New Yorker Großbanken gegen das einfache Volk zurück.[2] Er schuf damit eine breite Grundlage für die Demokratische Partei, die sich als „Partei des kleinen Mannes“ und der Sozialreformen gegen Großkapital und imperialistische US-Außenpolitik präsentierte und vor allem im ländlichen Mittleren Westen viele Wählerstimmen errang.
Sein Engagement für die kleinen Farmer konzentrierte sich aber vor allem auf arme Weiße. Gegen Afroamerikaner hegte er ähnliche Vorurteile wie fast alle weißen Politiker seiner Zeit. Seine Missachtung zeigte sich in einer Bemerkung, die er anlässlich der Militärintervention der USA in Haiti im Jahr 1916 fallen ließ: „Denken Sie nur – Nigger, die Französisch sprechen!“[3] Auch gelang es ihm nicht, städtische Wähler (z. B. Industriearbeiter) und Einwanderer zu überzeugen, die die Basis beim Wahlsieg des Demokraten Woodrow Wilson in der Präsidentschaftswahl 1912 bilden sollten.
Vom 5. März 1913 bis zum 9. Juni 1915 war er US-Außenminister im Kabinett Wilson. Als der US-Präsident in zwei Noten von Deutschland verlangte, die Versenkung der Lusitania als Verbrechen zu verurteilen, trat er als amerikanischer Außenminister zurück, weil die Note Wilsons den Charakter eines Ultimatums hatte und die Vereinigten Staaten in einen Krieg mit Deutschland verwickeln konnte. Nach Bryans Meinung hatte Deutschland ein Recht zu verhindern, dass seinen Feinden Kriegsmaterial geliefert wird. Wenn solche Schiffe Passagiere in der Hoffnung an Bord nähmen, nicht angegriffen zu werden, so sei das kein legitimer Schutz vor einer Zerstörung.
Der Populismus Bryans beruhte wesentlich auf seiner grundsätzlichen Ablehnung des SozialdarwinismusHerbert Spencers, der die Politik der Republikanischen Partei um 1900 wesentlich prägte. Er setzte den Sozialdarwinismus mit dem Darwinismus gleich, dem er als evangelikaler Christ ebenso fundamental widersprach. Aus diesem Grund trat er 1925 als Mitankläger des Staatsanwaltes im so genannten „Affenprozess“ gegen den Lehrer Thomas Scopes auf. Dieser hatte DarwinsEvolutionstheorie an einer öffentlichen Schule gelehrt, obwohl das Parlament von Tennessee dies kurz zuvor verboten hatte. Bryan argumentierte, dass die Wissenschaftler nur ihre Theorie verträten, es in diesem Fall aber nicht auf die unterschiedlichen Theorien, sondern ausschließlich auf das Gesetz ankomme. Fünf Tage nach Beendigung des Prozesses, in dem Scopes zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, starb Bryan im Schlaf. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Nationalfriedhof Arlington.
Gerard N. Magliocca: The Tragedy of William Jennings Bryan. Constitutional Law and the Politics of Backlash. Yale University Press, New Haven CT u. a. 2011, ISBN 978-0-300-15314-9.
Michael Kazin: A Godly Hero. The Life of William Jennings Bryan. Alfred A. Knopf u. a., New York NY 2006, ISBN 0-375-41135-6.
Stephen Jay Gould: William Jennings Bryans letzter Feldzug. In: Stephen Jay Gould: Bravo, Brontosaurus. Die verschlungenen Wege der Naturgeschichte. Hoffmann und Campe, Hamburg 1994, ISBN 3-455-08555-5, S. 481–499.
Richard Hofstadter: William Jennings Bryan: The Democrat as Revivalist. In: Richard Hofstadter: The American Political Tradition and the Men Who Made it. (1948). Vintage Books, New York NY 1989, ISBN 0-679-72315-3, S. 239–264.
Film
Der Film Inherit the Wind (1960, Bryans Part wird gespielt von Fredric March) und einige Remakes (1965, 1988 und 1999) trugen bzw. tragen dazu bei, dass der Scopes-Prozess (Affenprozess) bis heute vielen bekannt ist. Bryans Name wurde in Brady geändert.
↑„… to crucify mankind upon a cross of gold“. Larry Schweikart: Populism. In: Peter Knight (Hrsg.): Conspiracy Theories in American History. An Encyclopedia. Band 2: M – Z. ABC Clio, Santa Barbara CA u. a. 2003, ISBN 1-57607-812-4, S. 589 f.; Joseph E. Uscinski, Joseph M. Parent: American Conspiracy Theories. Oxford University Press, Oxford u. a. 2014, ISBN 978-0-19-935180-0, S. 111.
↑“Imagine! Niggers speaking French!”Andrian Kreye: Napoleons Schmach. Die Wurzeln des Elends: Haiti bezahlt immer noch für seine Befreiung. In: Süddeutsche Zeitung, vom 19. Januar 2010.