Der Stadtfriedhof Tübingen ist einer von elf städtischen Friedhöfen und befindet sich im Stadtteil Universität der Universitätsstadt Tübingen. Der ungefähr drei Hektar umfassende Friedhof wurde 1829 nach den Vorstellungen des damaligen Oberamtsarztes Gotthold Immanuel Jakob Uhland, einem Onkel des Dichters Ludwig Uhland, angelegt und bis ins Jahr 1968 belegt. Die gesamte Anlage (Einfriedung, Tore, Wegenetz, Grabfelder, Kriegerdenkmale, Gedenkstätte Gräberfeld X und Friedhofskapelle) steht unter Denkmalschutz. Seit dem Jahre 2002 ist der Bestattungsplatz wieder eröffnet und die insgesamt 3100 Grabstellen können im Rahmen eines Denkmalschutzkonzeptes u. a. über Grabpatenschaften neu belegt werden. Der flächenmäßig kleine Friedhof zählt mit den Grabmälern für 170 Professoren und 112 Pfarrer zu einem der bemerkenswertesten Friedhöfe in Deutschland.
Im Jahre 1829 wurde der Friedhof auf den damaligen Spitaläckern im Käsenbachtal angelegt, als der ursprüngliche Gottesacker der Tübinger Bürger an der Ammer zu klein wurde. Von diesem Friedhof ist nur noch ein Stück seiner früheren Umfassungsmauer im alten botanischen Garten erhalten. Die alten Grabsteine an der Kapelle des Stadtfriedhofs stammen von dort.
Am 30. November 1829 wurde als erste Person ein Schmied namens Jakob Engelfried auf dem Friedhof bestattet. Der Friedhof hieß beim einfachen Volk von nun an Engelfriedshof.[1] Sein Grab ist heute nicht mehr erhalten. Das älteste noch erhaltene Grab ist das des Kaufmanns und Konditors Jacob Conrad Schweickhardt aus dem Jahre 1830.
Der Friedhof hat drei Eingänge und ein sogenanntes Aufsehergebäude.[2] Nach den Ideen von Oberamtsarzt Uhland sollte der neue Friedhof in gebührendem Abstand zur Stadt liegen und sich durch regelmäßige Grabfelder, Bäume und wohlriechende Sträucher auszeichnen. Die geplante Kapelle konnte erst 1894 eingeweiht werden. Noch 1843 glich das Musterprojekt eher einem schwäbischen Nutzgarten oder einer Streuobstwiese mit Obstbäumen und Futterwiesen, die gegen geringe Pacht Aufsehern und Totengräbern zur Verfügung gestellt wurden. Ein Verschönerungsverein sorgte aber dafür, dass aus dem unscheinbaren Gottesacker ein parkanlagenähnlicher Friedhof wurde. 1849 wurde der Friedhof um die Grabfelder S, T, X, Z nach Osten erweitert. Das Gräberfeld X war fortan bis ins Jahr 1963 ein Bestattungsplatz des anatomischen Instituts der Eberhard-Karls-Universität.[3]
1872 erfolgte eine Norderweiterung um die Grabfelder L, Q. Schließlich wurden im Jahre 1920 in westlicher Richtung die Grabfelder U, V, W angelegt. Der Friedhof wurde mit der Zeit zu klein, eine Erweiterung war vom Gelände her unmöglich, sodass 1950 der Bergfriedhof auf dem Galgenberg eröffnet wurde. Er wurde nun zum Hauptfriedhof der Stadt. Im Jahre 1968 wurde der Stadtfriedhof für Neubelegungen geschlossen. Zu dieser Zeit wurde am Stadtfriedhof geplant, eine Stadtautobahn zu bauen, später sollte der Friedhof in einen Park umgewandelt werden.[4] Im Mai 2000 beschloss der Gemeinderat der Stadt Tübingen, den Friedhof im Rahmen eines ausgeklügelten Denkmalschutzkonzeptes wieder zu eröffnen.
Bestattete Personen
Moritz von Aberle (* 1819 Rottum bei Biberach; † 1875 Tübingen), katholischer Theologe.
Karl Borromäus Adam (* 1876 Pursruck, Oberpfalz; † 1966 Tübingen), katholischer Theologe, der sich für eine Vereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus aussprach.[5]
Erich Adickes (* 1866 Lesum; † 1928 Tübingen), Philosoph.
Ferdinand Christian Baur (* 1792 Schmiden bei Fellbach; † 1860 Tübingen), Kirchen- und Dogmenhistoriker, der die historisch-kritische Methode in die neutestamentliche Forschung einführte.
Ernst Bengel (* 1735 Denkendorf; † 1793 Tübingen), Superintendent. Sein Grabstein an der Südmauer der Kapelle gilt als der älteste erhaltene Grabstein des Friedhofes.[6]
Otto Betz (* 1917 Herrentierbach, Landkreis Schwäbisch Hall; † 2005 Tübingen), evangelischer Theologe und Neutestamentler.[7]
Georg Dehio (* 1850 Reval; † 1932 Tübingen), Kunsthistoriker.
Johann Sebastian von Drey (* 1777 Röhlingen-Killingen; † 1853 Tübingen), katholischer Theologe mit Fokus auf theologische Apologetik bzw. Fundamentaltheologie.
Gerhard Elwert (* 1912 Hohengehren bei Esslingen; † 1998), Astrophysiker an der Universität Tübingen.
Walter Erbe (* 1909 Reutlingen; † 1967 Tübingen), Politiker der FDP/DVP und Rechtsprofessor.
Hermann von Fischer (* 1851 Stuttgart; † 1920 Tübingen), Germanist und Dialektforscher mit dem Vorhaben der Sammlung des schwäbischen Sprachschatzes.[8]
Franz Xaver von Funk (* 1840 Abtsgmünd bei Aalen; † 1907 Tübingen), römisch-katholischer Priester und Professor für Patrologie.
Hans Gmelin (* 1911 Tübingen; † 1991 Tübingen), Jurist, Gesandtschaftsrat an der deutschen Gesandtschaft in der Slowakei und Oberbürgermeister von Tübingen.
Julius Gös (* 1830 Aalen; † 1897 Tübingen), Oberbürgermeister von Tübingen.
Johannes Gottschick (* 1847 Rochau; † 1907 Tübingen), evangelischer Theologe.
Robert Gradmann (* 1865 Lauffen am Neckar; † 1950 Sindelfingen), Pfarrer, Geograph, Botaniker und Landeskundler.
Theodor Haering (* 1884 Stuttgart; † 1964 Tübingen), Professor für Philosophie.
Johannes Haller (* 1865 Keinis, Gouvernement Estland, Russisches Kaiserreich; † 1947 Tübingen), Historiker
Adolf Hartmeyer (* 1886 Tübingen; † 1953 ebenda), Oberbürgermeister von Tübingen.
Carl Friedrich Haug (* 1795 Stuttgart; † 1869 Tübingen), evangelischer Theologe, Professor für Universalgeschichte an der Eberhard Karls Universität.
Hermann Haußer (* 1867 Ludwigsburg; † 1927 Tübingen), Oberbürgermeister von Tübingen.
Carl Heinrich Ludwig Hoffmann (* 1807 Nürtingen; † 1881 Esslingen), Professor des Finanz-, Polizei- und Verwaltungsrechts.
Friedrich Hölderlin (* 1770 Lauffen am Neckar; † 1843 Tübingen), Lyriker aus der Zeit von Weimarer Klassik und Romantik. Friedrich Hölderlins Halbbruder Karl Gok hat auf dem hellgrauen, 1,90 Meter hohen Sandstein Namen, Geburtsdatum und Todestag des Dichters einmeißeln lassen. Doch das Geburtsdatum ist nicht ganz korrekt: Es müsste 20. statt 29. März heißen. Am Kreuz auf dem Grabstein gibt es einen Haken, an dem ein kupferner Lorbeerkranz aufgehängt werden kann. Der letzte Kranz wird seit mehr als 20 Jahren sicherheitshalber im Tübinger Kulturamt verwahrt, damit er nicht abhandenkommt.[9]
Karl von Hügel (* 1805 Stuttgart; † 1870 ebenda), Landgerichtsdirektor und königlicher Kammerherr.
Inge Jens (* 1927 Hamburg; † 2021 Tübingen), deutsche Literaturwissenschaftlerin und Publizistin.
Walter Jens (* 1923 Hamburg; † 2013 Tübingen), Altphilologe, Literaturhistoriker, Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer.[10]
Erich Kamke (* 1890 Marienburg, Westpreußen; † 1961 Rottenburg am Neckar), Mathematiker.
Emil Kauffmann (* 1836 Ludwigsburg; † 1909 Tübingen), Universitätsmusikdirektor.
Kurt Georg Kiesinger (* 1904 Ebingen; † 1988 Tübingen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (CDU).
Ferdinand Kittel (* 1832 Resterhafe, Ostfriesland; † 1903 Tübingen), Missionar der Basler Mission, der die südindische Sprache Kannada erforscht hat.
Gerhard Kittel (* 1888 Breslau; † 1948 Tübingen), evangelischer Theologe (Neutestamentler) und aktiver Antisemit.
Norbert Kloten (* 1926 Sinzig; † 2006 Tübingen), Wirtschaftswissenschaftler, Präsident der Landeszentralbank Baden-Württemberg und Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Paul Kluckhohn (* 1886 Göttingen; † 1957 Tübingen), Germanist und Literaturhistoriker.
Karl August Klüpfel (* 1810 Darmsheim; † 1894 Tübingen), Historiker sowie Schwiegersohn, Biograf und posthumer Herausgeber der Werke Gustav Schwabs.
Ludwig von Köhler (* 1868 Elberfeld; 1953 Ludwigsburg), letzter Innenminister des Königreichs Württemberg.
Karl Kommerell (* 1871 Achern; † 1962 Tübingen), Mathematiker.
Christian Reinhold Köstlin (* 1813 Tübingen; † 1856 Tübingen), Rechtswissenschaftler für Strafrecht und Dichterjurist.
Karl Wilhelm Gottlieb von Köstlin (* 1785 Nürtingen; † 1854 Tübingen), evangelischer Theologe, Professor und Ephorus am Evangelisch-theologischen Seminar in Bad Urach (Grabstein in der Friedhofskapelle).
Karl Reinhold Köstlin (* 1819 Bad Urach; 1894 Tübingen), evangelischer Theologe, Professor für Ästhetik an der Universität Tübingen (Grabstein in der Friedhofskapelle).
Hugo von Mohl (* 1805 Stuttgart; † 1872 Tübingen), Botaniker, Arzt und Universitätsprofessor.
Eugen Nägele (* 1856 Murrhardt; † 1937 Tübingen), Naturschützer, Pädagoge und Heimatforscher. Gründungsmitglied des Schwäbischen Albvereins und des Schwäbischen Jugendherbergswerks.
Felix von Niemeyer (* 1820 Magdeburg; † 1871 Tübingen), Mediziner und königlich württembergischer Leibarzt.
Paul Achatius Pfizer (* 1801 Stuttgart; † 1867 Tübingen), württembergischer Politiker, Journalist, Jurist und Philosoph.
Friedrich August von Quenstedt (* 1809 Eisleben; † 1889 Tübingen), Geologe, Paläontologe, Mineraloge und Kristallograph. Weil niemand für die Grabpflege aufkam, wurde dessen Grabstein 1978 abgeräumt. Seit der Ausweisung des Stadtfriedhofs als Kulturdenkmal im Jahr 1987 wurden auf dem Stadtfriedhof nur auf Wunsch der Angehörigen Gräber abgeräumt.[9]
Gustav von Rümelin (* 1815 Ravensburg; † 1889 Tübingen), Pädagoge, Politiker und Statistiker.
Adolf Scheef (* 1874 Nürtingen; † 1944 Tübingen), Oberbürgermeister von Tübingen.
Anna Schieber (* 1867 Esslingen; † 1945 Tübingen), Schriftstellerin.
Adolf Schlatter (* 1852 St. Gallen; † 1938 Tübingen), Schweizer evangelischer Theologe und Professor für Neues Testament und Systematik in Bern, Greifswald, Berlin und Tübingen.
Carlo Schmid (* 1896 Perpignan, Frankreich; † 1979 Bad Honnef), Politiker (SPD) und Staatsrechtler.
Klaus Scholder (* 1930 Erlangen; † 1985 Tübingen), Professor für evangelische Kirchengeschichte.
Gustav von Schönberg (* 1839 Stettin; † 1908 Tübingen), Nationalökonom, Universitätskanzler und Tübinger Ehrenbürger.
Wilhelm Schussen (* 1874 Kleinwinnaden bei Bad Schussenried; † 1956 Tübingen), Schriftsteller.
Ludwig Schwabe (* 1835 Gießen; † 1908 Tübingen), Philologe und Archäologe sowie Professor für Klassische Philologie und Klassische Archäologie.
Albert Schwegler (* 1819 Michelbach an der Bilz; † 1857 Tübingen), Theologe, Philosoph und Historiker.
Jacob Conrad Schweickhardt (* 3. Juli 1772 vermutlich Tübingen; † 2. Dezember 1830 Tübingen), Tübinger Kaufmann und Konditor. Seine sterblichen Überreste liegen im ältesten noch erhaltenen Grab auf dem Tübinger Stadtfriedhof.
Walter Schwenninger (* 1942 München; † 2010 Tübingen), Lehrer und Politiker.
Ludwig Uhland (* 1787 Tübingen; † 1862 Tübingen), Dichter, Literaturwissenschaftler, Jurist und Politiker. Neben Uhland liegt seine Frau Emilie begraben. Ihrem Wunsch gemäß soll das Grab lediglich von Efeu und Immergrün bewachsen sein. Uhlands Grabstein ist so schlicht ausgefallen und nach Osten ausgerichtet, weil der Dichter schon im März 1812 verfügt hatte:[9]
„Setzt mir nur einen blanken Stein,
Nicht Bilder drauf, noch Worte drein,
Doch sollt ihr ihn nach Osten kehren,
So wird ihn Morgenrot verklären.“
Karl von Vierordt (* 1818 Lahr, Baden; † 1884 Tübingen), Physiologe.
Der Stadtfriedhof mit den auf ihm bestatteten Personen ist ein Mikrokosmos der Stadt und Geschichte Tübingens und seiner Bürger. Wer durch das bescheidene schmiedeeiserne Tor von der Gmelinstraße herkommend den Stadtfriedhof betritt, darf vor sich keine bedeutenden Kunstwerke erwarten. Die Grabstätten sollten im damals vom Pietismus geprägten Tübingen sehr einfach sein. Wichtiger war die Nennung eines akademischen Titels, der beruflichen Position oder des Dienstgrades des Verstorbenen auf dem Grabstein.
1 ehemaliger Bundeskanzler
170 Professoren
112 Pfarrer
83 Doktoren
82 Postbeamte
54 Gerichtsräte
42 Gastwirte
30 Buchhändler
27 weitere promovierte Herren
12 Bibliothekare
19 Buchdrucker
19 Buchbinder
13 Fotografen
7 Missionare
7 Gerichtsdirektoren
5 Verleger
Tübingen, eine Stadt ohne nennenswerte Industrie, lebte nicht nur mit, sondern auch von seiner Universität. Das Post- und Gastwirtschaftswesen fand seinen Niederschlag auf dem Friedhof in der Form einer ungewöhnlichen Häufung von 42 Gastwirts- und 82 Postbeamtengräbern.
Albert Füger: 1829 angelegt, 1968 geschlossen, 2002 wiedereröffnet. Der Tübinger Stadtfriedhof. In: Schwäbische Heimat. Bd. 74 (2023), Heft 1, S. 70–75.
Helmut Hornbogen: Der Tübinger Stadtfriedhof. Wege durch den Garten der Erinnerung. Verlag Schwäbisches Tagblatt, Tübingen 1995, ISBN 3-928011-16-2.
Barbara Happe: Die Entwicklung der deutschen Friedhöfe von der Reformation bis 1870. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1991, ISBN 3-925340-69-6 (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen. Bd. 77), (Zugleich: Tübingen, Univ., Diss., 1988).
Benigna Schönhagen: Das Gräberfeld X. Eine Dokumentation über NS-Opfer auf dem Tübinger Stadtfriedhof. Kulturamt, Tübingen 1987 (Kleine Tübinger Schriften. Heft 11, ZDB-ID 1103345-9).
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