Methionin ist chiral, da es ein Stereozentrum enthält. Es gibt somit zwei Enantiomere, die (S)-Form [(−)-L-Methionin] und die (R)-Form [(+)-D-Methionin]. Wenn Methionin ohne Deskriptor erwähnt wird, ist immer L-Methionin gemeint.
Dem D-Methionin kommt momentan (Stand: 2022) praktisch keinerlei Bedeutung zu. Allerdings gibt es Hinweise, dass D-Methionin Gehörschäden infolge Lärmeinwirkung verhindern kann.[7]
Der amerikanische Bakteriologe und Immunologe John Howard Mueller musste 1922 feststellen, dass der Zusatz einer Mischung der bis dahin bekannten Aminosäuren zu Kolonien von Streptokokken (Streptococcus hemolyticus) nicht für deren Wachstum ausreichte.[8] Dies gelang hingegen unter Zusatz von Casein. Daher nahm Mueller an, dass Casein noch mindestens eine weitere Aminosäure enthalten müsse. Bei der sich anschließenden Untersuchung von Casein konnte Mueller dann erstmals Methionin isolieren.[9] Mueller gab auch die korrekte Summenformel an.[10] Die Aufklärung der Strukturformel und die Synthese gelangen 1926 George Barger und seinem Assistenten Frederick Philip Coine,[11] 1931 veröffentlichte Barger in Zusammenarbeit mit Weichselbaum eine verbesserte Synthese.[12] Der Name Methionin, als Abkürzung für „γ-Methylthiol-α-amino-butyric acid“, stammt von Satoru Odake (1925).[13]
Ein Syntheseverfahren im industriellen Maßstab für racemisches Methionin aus Acrolein, Methylmercaptan und Blausäure wurde ab 1946 von Werner Schwarze, Hans Wagner und Hermann Schulz bei der Degussa AG in den nach Konstanz ausgelagerten Forschungslaboratorien entwickelt. Mit der Synthese der Aminosäure wollte man einen Beitrag zum nach dem Zweiten Weltkrieg besonders bei Kriegsheimkehrern vorhandenen Eiweißmangel leisten (Hungerödeme). Die Ausgangsstoffe Blausäure und Acrolein wurden bei der Degussa produziert, und der Aufbau einer Versuchsanlage mit einer Produktion von 30 Tonnen pro Jahr dauerte nur ein Jahr. Das zur Degussa gehörige Chemiewerk Homburg brachte bald darauf das Methionin-haltige Medikament Thiomedon auf den Markt,[14] und ab 1953 folgte die Anwendung als Futterzusatzmittel in der Landwirtschaft (Legehennen).
Vorkommen
Methionin kommt in den Proteinen aller Lebewesen vor. Da der menschliche Organismus diese Aminosäure nicht selbst herstellen kann, ist er auf die Zufuhr mit der Nahrung angewiesen. Die folgenden Beispiele für den Gehalt an Methionin beziehen sich jeweils auf 100 g des Lebensmittels, zusätzlich ist der prozentuale Anteil am Gesamtprotein angegeben:[15]
Alle diese Nahrungsmittel enthalten praktisch ausschließlich chemisch gebundenes L-Methionin als Proteinbestandteil, jedoch kein freies L-Methionin. Im Zuge der Verdauung wird es durch Verdauungsenzyme freigesetzt.
Eigenschaften
Neben Cystein ist Methionin die einzige schwefelhaltige proteinogene Aminosäure. Durch die Thioethergruppe ist es weniger reaktiv als Cystein, dessen Schwefelatom Teil einer Thiolgruppe (Mercaptogruppe) ist. Methionin liegt überwiegend als inneres Salz bzw. Zwitterion vor, dessen Bildung dadurch zu erklären ist, dass das Proton der Carboxygruppe an das freie Elektronenpaar des Stickstoffatoms der Aminogruppe wandert:
Im elektrischen Feld wandert Methionin am isoelektrischen Punkt, der bei pH 5,74 liegt, nicht, da es dann als Ganzes ungeladen ist. Bei diesem pH-Wert hat Methionin auch seine geringste Löslichkeit in Wasser.
Im Organismus dient Methionin unter anderem zur Herstellung der nichtessentiellen, ebenfalls schwefelhaltigen proteinogenen Aminosäure Cystein. Bei Abwesenheit von Cystein in der Nahrung liegt der mittlere Methionin-Bedarf von gesunden Erwachsenen bei täglich ungefähr 13 bis 16 mg pro Kilogramm Körpermasse. Die Tagesmenge, die für nahezu jeden gesunden Erwachsenen ausreicht (RDA), wird mit 21 mg pro Kilogramm Körpermasse abgeschätzt. Manchmal wird dieser Betrag auch als der Gesamtbedarf an schwefelhaltigen Aminosäuren bezeichnet. (Korrekterweise muss dann aber als Maßeinheit nicht Gramm, sondern Mol gewählt werden, da sich die Molare Masse von Methionin und Cystein merklich unterscheiden.) In welchem Umfang Cystein Methionin ersetzen kann, ist beim Menschen noch nicht ausreichend geklärt und scheint versuchsabhängig zu sein. Die Angaben für den mittleren Bedarf an Methionin, wenn die Nahrung einen Überschuss an Cystein enthält, schwanken für gesunde Erwachsene zwischen 5 und 13 mg pro Kilogramm Körpermasse.[16][17]
Biochemie
Biosynthese
In Bakterien, Pflanzen und Hefen entsteht aus Cystein über Cystathionin (via Cystathionin-β-Lyase) das Homocystein, aus dem Methionin erzeugt wird.
Methionin kann vom Menschen und vielen Tieren nicht synthetisiert werden, sondern muss mit der Nahrung aufgenommen werden.
Funktionen, Rückgewinnung
Im Rahmen der Translation wird die Proteinbiosynthese mit Methionin gestartet. Die Initiator-tRNA ist bei Archaeen und Eukaryoten eine mit Methionin beladene tRNAiMet, bei Bakterien eine tRNAifMet, die N-Formylmethionin (fMet) überträgt. Gewöhnlich binden diese tRNAs über ihr Anticodon an das StartcodonAUG. Die erste Aminosäure am N-Terminus der entstehenden Polypeptidkette ist in allen lebenden Zellen damit das (formylierte) Methionin. Doch wird bei dem entstandenen Protein später das erste Methionin häufig abgetrennt oder modifiziert, z. B. durch Acetylierung der Aminogruppe.
Nicht für die Proteinbiosynthese benötigtes Methionin kann durch Verknüpfung mit ATP zu S-Adenosylmethionin (SAM) umgesetzt werden, einem wichtigen Methylgruppen-Donor in den meisten Organismen. Nach Abgabe der Methylgruppe entsteht S-Adenosylhomocystein (SAH), das zu Homocystein umgewandelt wird. Hieraus kann Methionin wieder zurückgewonnen werden.
SAM und damit auch Methionin ist weiterhin Ausgangsmaterial für die Synthese der Polyamine, aus dem dabei entstehenden Nebenprodukt Methylthioadenosin kann Methionin zurückgewonnen werden – der sogenannte Methionin-Salvage-Stoffwechselweg.[18]
Abbau überschüssigen Methionins
Methionin wird nur dann unwiderruflich abgebaut, wenn ein Überschuss besteht. In diesem Fall können zwei mögliche Stoffwechselwege aktiviert werden:
Umbau zu Cystein über SAM und Homocystein – der Abbau überschüssigen Cysteins zu Sulfat und Taurin ist gut untersucht;
Abbau auch über Transaminierung – dabei kehrt sich das Gleichgewicht in der letzten Reaktion des Methionin-Salvage-Wegs um und aus Methionin entsteht 5′-Methylthio-3-ketobutanoat (MOB), das mithilfe der Enzymkomplexe Verzweigte-Ketosäuren-Dehydrogenase und Kurzketten-Acyl-CoA-Dehydrogenase zu Methylthiopropionyl-CoA weiterverarbeitet wird, woraus Methanthiol entsteht, das teilweise als CO2 und Sulfat ausgeschieden, teilweise in der Leber im THF-Zyklus verwendet wird.[18]
Dieses Sicherheitsventil bei Schwefelüberschuss kann natürlich nur bis zu einer gewissen Grenze ohne Nebenwirkungen funktionieren. Ältere Studien zeigten Azidose bei frisch entwöhnten Ratten (600 mg Methionin/Tag); hepatisches Koma bei Hunden, bei denen gleichzeitig erhöhte Ammoniumwerte vorlagen; und sogar Tod bei Schafen, die große Mengen des Racemats in ihren Pansen erhielten (24 g/Tag).[19][20][21]
Aufgrund der Vermutung, ein erhöhter Spiegel von SAM könnte eine erhöhte Rate der DNA-Methylierung verursachen, untersuchten Amaral und andere, ob Ratten bei erhöhter Methioninzufuhr (2 % in der Diät über sechs Wochen) eine weniger stabile DNA oder eine Methylierung des p53-Gens aufwiesen, fanden jedoch keinen dieser Effekte. Auf der anderen Seite füllte die Diät einen erniedrigten Level an Glutathion in den Nieren wieder auf, der zuvor künstlich verursacht worden war. Dies zeigt, dass überschüssiges Methionin zunächst dem Cysteinpool zugutekommt, bevor Sulfat ausgeschieden wird.[22]
Die industrielle Synthese von racemischem Methionin (Gemisch aus je 50 % L-Methionin und D-Methionin) geht von petrochemischen Rohstoffen aus, insbesondere Propen, Schwefel, Methan und Ammoniak. Nach gängigen Verfahren werden so die Zwischenprodukte Methylmercaptan1, Acrolein2 und Blausäure dargestellt. Die Michael-Addition von Methylmercaptan 1 an die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung des Acroleins 2 liefert dann das Zwischenprodukt 3-Methylmercaptopropionaldehyd3.[23] Anschließend wird dieser Aldehyd3 mit Ammoniak, Kohlendioxid und Blausäure (oder Hirschhornsalz und Natriumcyanid) in ein Hydantoin-Derivat 4 umgewandelt, dessen basische Hydrolyse zu einem Alkalisalz des Methionins führt. Durch Neutralisation mit einer Säure (Kohlendioxid oder Schwefelsäure) erhält man racemisches Methionin 5:[24][25]
Zur Racematspaltung wird racemisches Methionin am Stickstoffatom acetyliert. Das racemische N-Acetyl-methionin [1:1-Gemisch aus (S)-6 und (R)-6] wird mit dem enantioselektivenEnzym L-Acylase behandelt, dabei wird das natürliche L-Methionin [(S)-5] unter Abspaltung von Essigsäure/Acetat gebildet, während die D-Form des N-Acetyl-methionins [(R)-6] unverändert bleibt:[24]
Anschließend wird L-Methionin abgetrennt. Das D-N-Acetyl-methionin [(R)-6] wird mit Essigsäureanhydrid racemisiert und recycliert.
Medizinische Verwendung
Bei der Verstoffwechselung von überschüssigem Methionin wird der in der Substanz enthaltene Schwefel zu Schwefelsäure oxidiert und über die Nieren ausgeschieden, wodurch der Harn angesäuert wird. Der Mechanismus der Harnansäuerung kann bei einigen Erkrankungen die Heilung unterstützen. Therapeutisch wird L-Methionin verwendet zur:
DL-Methionin (also das Racemat) wird zur Supplementierung (Ergänzung) von Futtermitteln eingesetzt. Dabei wird der Nährwert von Futtermitteln für Hühner durch geringe Zusätze von DL-Methionin gesteigert. Dies ist dann von besonderem wirtschaftlichen Nutzen, wenn die natürlichen Futtermittel-Bestandteile einen mangelhaften Gehalt an schwefelhaltigen Aminosäuren (Cystein/Cystin und Methionin) besitzen. Die mit weitem Abstand größten Mengen des synthetisch gewonnenen Methionins (> 400.000 t pro Jahr) werden für diesen Zweck eingesetzt.[27] Größter Hersteller ist Evonik (früher Degussa) mit einer Kapazität von 580.000 t pro Jahr.
Anwendung in der Chemie
Durch Erhitzen von Methionin mit wässriger Iodwasserstoffsäure wird die Methylgruppe des Methionins abgespalten. Beim Eindampfen entsteht unter Wasserabspaltung als Cyclisierungsprodukt das Hydroiodid von Homocystein-Thiolacton.[28]
Handelsnamen
Acimethin (D), Acimol (D), sowie verschiedene Generika
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↑R. O. Ball, G. Courtney-Martin, P. B. Pencharz: The in vivo sparing of methionine by cysteine in sulfur amino acid requirements in animal models and adult humans. In: J. Nutr. Band 136, 6 Suppl, Juni 2006, S. 1682S–1693S. PMID 16702340.
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↑C. L. Amaral, R. d. Bueno u. a.: The effects of dietary supplementation of methionine on genomic stability and p53 gene promoter methylation in rats. In: Mutation Research. Band 722, Nummer 1, Mai 2011, S. 78–83, doi:10.1016/j.mrgentox.2011.03.006. PMID 21447402.
↑Hans-Dieter Jakubke, Hans Jeschkeit: Aminosäuren, Peptide, Proteine. Verlag Chemie, Weinheim 1982, ISBN 3-527-25892-2, S. 53.
↑H. S. Baernstein: A modification of the method for determining methionine in proteins. In: Journal of Biological Chemistry. Band 106, Nr. 2, 1934, S. 451.