Der Einbuchstabencode Y für Tyrosin wurde in alphabetischer Sequenz zugeordnet: T war dem strukturell einfacheren Threonin zugeordnet, U wurde vermieden aufgrund der Ähnlichkeit zum V des Valin, W war Tryptophan zugeordnet, während X für unbestimmte oder atypische Aminosäuren reserviert war.[7] Es wurde zudem die Merkhilfe tYrosine vorgeschlagen.[8]
Tyrosin besitzt ein Stereozentrum, somit existieren zwei Enantiomere. Wenn in diesem Text oder in der wissenschaftlichen Literatur „Tyrosin“ ohne weiteren Namenszusatz (Präfix) erwähnt wird, ist das natürlich vorkommende L-Tyrosin gemeint.
L-Tyrosin wurde von Justus von Liebig 1846[9] erstmals als Proteinbestandteil von Käse (altgriechisch τύρος týros ‚Käse‘) charakterisiert, daher leitet sich auch der Name ab. Es kommt in großen Mengen im Casein vor.
Die folgenden Beispiele geben einen Überblick über Tyrosingehalte und beziehen sich jeweils auf 100 g des Lebensmittels, zusätzlich ist der prozentuale Anteil von Tyrosin am Gesamtprotein angegeben:[10]
Lebensmittel je 100 g
Protein
Tyrosin
Anteil
Schweinefleisch, roh
20,95 g
0 797 mg
3,8 %
Hähnchenbrustfilet, roh
21,23 g
0 765 mg
3,6 %
Lachs, roh
20,42 g
0 759 mg
3,7 %
Hühnerei
12,56 g
0 499 mg
4,0 %
Kuhmilch, 3,7 % Fett
0 3,28 g
0 158 mg
4,8 %
Kürbiskerne
30,23 g
1093 mg
3,6 %
Walnüsse
15,23 g
0 406 mg
2,7 %
Weizenmehl
10,33 g
0 312 mg
3,0 %
Mais-Vollkornmehl
0 6,93 g
0 282 mg
4,1 %
Reis, ungeschält
0 7,94 g
0 298 mg
3,8 %
Sojabohnen, getrocknet
36,49 g
1539 mg
4,2 %
Erbsen, getrocknet
24,55 g
0 711 mg
2,9 %
Alle diese Nahrungsmittel enthalten praktisch ausschließlich chemisch gebundenes L-Tyrosin als Proteinbestandteil, jedoch kein freies L-Tyrosin.
Eigenschaften
Als Monomer
Abhängig vom pH-Wert kann Tyrosin als „inneres Salz“ bzw. Zwitterion vorliegen. Das Proton der Carboxygruppe lagert sich hierbei an das freie Elektronenpaar des Stickstoffatoms der Aminogruppe an:
Die Zwitterionen wandern nicht im elektrischen Feld, da sie nach außen hin ungeladen sind. Der isoelektrische Punkt liegt bei pH = 5,66 für Tyrosin; es hat bei diesem pH-Wert seine geringste Löslichkeit in Wasser.
Eine wichtige Rolle spielt L-Tyrosin auch bei der Photosynthese, indem es im Photosystem II als Elektronendonor das oxidierte Chlorophyll reduziert. Es verliert hierbei zunächst das Proton seiner phenolischen OH-Gruppe, wird zu einem neutralen Radikal, und wird dann vom im Photosystem II befindlichen vierkernigen Mangancluster wieder reduziert.
Metabolismus
Biogenese
Pflanzen und die meisten Mikroorganismen synthetisieren Tyrosin im Shikimisäureweg über Chorisminsäure. Nach der Umlagerung von Chorismat in Prephenat entsteht mittels einer Prephenatdehydrogenase das 4-Hydroxyphenylpyruvat, aus dem durch Transaminierung unter Wirkung einer Transaminase dann Tyrosin gebildet wird.
Im tierischen Organismus entsteht Tyrosin durch Biopterin-abhängige 4-Hydroxylierung am Phenylring von L-Phenylalanin. Das diese Reaktion katalysierendeEnzym ist die Phenylalaninhydroxylase (EC1.14.16.1), eine Monooxygenase. Dabei wird ein Sauerstoffmolekül (O2) benötigt und bei dieser Reaktion entsteht ein Wassermolekül (H2O).[12] Das Vorprodukt, die essentielle Aminosäure L-Phenylalanin, wird mit der Nahrung aufgenommen.
Infolge einer Phenylketonurie (PKU) kann es zu einem Mangel an L-Tyrosin kommen. Über Nahrung aufgenommenes L-Phenylalanin kann dabei nicht korrekt in der para-Stellung hydroxyliert werden, sodass kein L-Tyrosin aus Phenylalanin gebildet werden kann. In diesem Fall muss L-Tyrosin dem Körper zugeführt werden.
Präkursor
Tyrosin dient als Ausgangsstoff (Präkursor) für die Biosynthese verschiedener anderer Stoffe.
DOPA ist wiederum Präkursor für verschiedene Neurotransmitter sowie für Melanin. Im Nebennierenmark ermöglicht die Decarboxylase die Produktion der KatecholamineAdrenalin und Noradrenalin, die als Botenstoffe an das Blut abgegeben werden. Die Produktion von Dopamin aus DOPA erfolgt membranständig in Nervenzellen. Melanin aus DOPA wird insbesondere von Melanocyten der Haut produziert und abgegeben sowie in den Pigmentzellen der Augen, wo es eingelagert bleibt.
Mit der Maleylacetacetat-cis-trans-Isomerase (EC5.2.1.2) entsteht in diesem Fall Fumarylacetat durch Rotation der durch Oxidation (aus der Hydroxygruppe) entstandenen Carboxygruppe. Diese cis-trans-Isomerase enthält Glutathion als Koenzym. Fumarylacetacetat kann schließlich durch die Fumarylacetacetat-Hydrolase durch Wassereinlagerung gespalten werden.
Tyrosin ist ein Vorläufer von Neurotransmittern, insbesondere Dopamin und Noradrenalin. Durch vermehrte Zufuhr von Tyrosin kann deren Synthese vorübergehend deutlich gesteigert werden, für etwa eine halbe Stunde.[14] Auf die Stimmungslage hat dies aber nur geringen Einfluss.[15][16][17][18][19][20] Der für die Umwandlung im Stoffwechsel geschwindigkeitsbestimmende Schritt wird durch die Tyrosinhydroxylase katalysiert und limitiert, weshalb die Effekte geringer als bei Zufuhr von L-DOPA ausfallen. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass deren Enzymaktivität bei hohen Dosen von Tyrosin durch Substratüberschusshemmung stark abnimmt, sodass der Dopaminspiegel absinkt.[21][22]
Einige Studien fanden einen Nutzen unter Stressbelastung, Kälte oder Übermüdung.[23][24][25][26][23][16][27][28] Eine Steigerung des Leistungsvermögens im Ausdauersport (anderthalbstündiges Radfahren) durch Tyrosinaufnahme konnte nicht festgestellt werden, hingegen durch Kohlenhydrataufnahme.[18]
Daneben wird L-Tyrosin aufgrund seiner Protein-adsorbierenden Eigenschaften seit Jahren als adjuvanter Depotträger bei der spezifischen Subkutanen Immuntherapie (SCIT) eingesetzt. L-Tyrosin zeichnet sich gegenüber anderen Depotträgern wie Aluminiumhydroxid oder Calciumphosphat dabei unter anderem durch den Vorteil der vollständigen Metabolisierbarkeit und eine geringere Halbwertszeit von 48 Stunden an der Injektionsstelle aus.[29]
Im Schulunterricht kann Tyrosin als Ersatzstoff für giftige Amine gemäß RiSU zur Herstellung von Azofarbstoffen verwendet werden.[11]
Herstellung
Die saure Hydrolysekeratinhaltiger Proteine (Haare, Klauen/Nägel, Federn) ergibt nach der Neutralisation ein Proteinhydrolysat, das aus den etwa 20 proteinogenen α-Aminosäuren besteht. Daraus lässt sich eine L-Cystin- und L-Tyrosin-reiche Fraktion einfach durch Abtrennung der gut wasserlöslichen Aminosäuren gewinnen, da L-Cystin- und L-Tyrosin sich nur wenig in Wasser lösen. L-Tyrosin wird nach dieser einfachen Trennmethode kommerziell gewonnen.[30]
Literatur
Jeremy M. Berg, John L. Tymoczko, Lubert Stryer: Biochemie. 5. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2003, ISBN 3-8274-1303-6.
Weblinks
Commons: Tyrosin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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↑J. M. Berg, J. L. Tymoczko, L. Stryer: Biochemie. 6. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, München 2007, ISBN 978-3-8274-1800-5, S. 747f, 773ff.
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