Das Seminar bietet ein vierjähriges Studium, das von etwa 40 Lehrenden, darunter vielen bekannten Schauspielern und Regisseuren, geleitet wird. Nach dem zweiten Semester erfolgt die Aufteilung in die Studienzweige Schauspiel und Regie. Während des Studiums wird auch das Schönbrunner Schlosstheater bespielt.
Am 13. November 1928 wurde im Schlosstheater Schönbrunn von UnterrichtsministerRichard Schmitz (1885–1954) die von Regisseur und Theaterdirektor Max Reinhardt (1873–1943) initiierte Schauspiel- und Regieschule der Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst eröffnet.[1] Sitz des unter der Leitung von Reinhardt stehenden Instituts (Reinhardt-Schule), das eine zweijährige Ausbildung anbot, war zunächst das Schlosstheater Schönbrunn, in dem auch Aufführungen stattfanden und das bis heute eine wesentliche Spielstätte geblieben ist.[2]
Das Programm propagierte eine allumfassende Gesamtausbildung, die sich nicht nur auf die konventionelle Ausbildung zum Schauspieler beschränkte: „Auch der künftige Theaterleiter und Regisseur, der Dramaturg und Dramatiker hat im Seminar Gelegenheit, sich mit dem Wesen des Theaters von Heute von Grund auf vertraut zu machen und so in den immer dringender geforderten, lebendigen Zusammenhang mit der Bühne und ihren Notwendigkeiten zu treten. Zugleich werden die Hörer mit den Notwendigkeiten des Films und des Tonfilms vertraut gemacht und erfahren tänzerische, akrobatische und allgemein geisteskritische Ausbildung.“[3]
Die Statuten der Schule (bald offiziell Schauspiel- und Regieseminar genannt) zitierten die von Reinhardt aus Anlass der Aufnahme des Unterrichtsbetriebs am 23. April 1929 in dem (Monate ungenutzt gewesenen) Schönbrunner Schlosstheater gehaltenen Rede: „Raunzen Sie nicht über den Drill in der Kunst, über die Einschränkung der Genialität. Der wirklichen Natur kann nichts geschehen. Sie ist immer bereit und entschlossen, sie nimmt alles auf, was in ihr wachsen kann. Wer für seine Natur zittert, hat keine! Wir sind alle leidenschaftliche Naturliebhaber, Menschenfresser, Feueranbeter. Seien Sie wahr! Wenn Sie gute Komödianten werden wollen, dürfen Sie weder auf der Bühne noch im Leben Komödie spielen. Werden Sie wesentlich!“[Anm. 1]
Nach der Auflösung der Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst mit 1. September 1931[4] wurde das Seminar als Privatinstitut (Reinhardt-Akademie) weitergeführt; Sitz der Schule war weiterhin das Schlosstheater Schönbrunn.[5]
Unter den vielen Gasthörern an Max Reinhardts international orientierter Schule fanden sich neben Engländern und Schweizern auch Russen, Finnen, Schweden, Holländer und Japaner, deren Schulgeld für das Seminar überlebenswichtig war. Es fanden sogar englischsprachige Aufführungen statt, um die Schüler auf eine internationale Karriere vorzubereiten.[7]
Im Studienjahr 1934/1935 wurde unter der Leitung von Alfred Roller und Oskar Strnad eine Abteilung für Bühnengestaltung eingerichtet. Der Lehrplan umfasste Stilkunde in Bau-, Einrichtungs- und Bekleidungswesen, Psychologie der Bühnengestaltung, Beleuchtungswesen, Technik der Bühne, Grundriss- und Detailzeichnen, Modellarbeiten, Malen, Modellieren, Gießen sowie die „Ausführung der Entwürfe der Studierenden in den Werkstätten und Einrichtung auf der Bühne für öffentliche Aufführungen des Seminars“.[3]
Nach dem „Anschluss“ Österreichs mussten die meisten Lehrenden und auch viele Schüler und Absolventen vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ins Exil flüchten. Die Bezeichnung „Max Reinhardt Seminar“ wurde abgeschafft (der neue Name des Institutes lautete „Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn“) und das Seminar wurde an die Reichshochschule angeschlossen. Leiter des Seminars wurde das NSDAP-Mitglied Hans Niederführ, der 1938 auch für die „Entjudung“ des Seminars verantwortlich war.[6]
1940 übersiedelte das Schauspiel- und Regieseminar in das nahegelegene Palais Cumberland in Wien-Penzing. 1941/42 erhielt es den Namen „Schauspielschule des Burgtheaters“. 1942 wurde der Reinhardt-Schüler und Mitarbeiter Eugen Her(i)bert Kuchenbuch, nach seiner Rückkehr aus seinem Exil in der Türkei (dort Zusammenarbeit mit Paul Hindemith und Alfred Braun), als Professor berufen. Er stand dem Seminar in der Übergangszeit von 1945 als provisorischer Leiter vor. (Er war u. a. bis 1947 Direktor des Theaters „Die Stephansspieler“). 1945 erfolgte die Wiedereröffnung unter dem Namen „Max Reinhardt Seminar“.
Der heutige Name lautet „Max Reinhardt Seminar“, Institut für Schauspiel- und Schauspielregie. Mit dem 1979/1980 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums umgebauten und 2007 auch technisch erneuerten Schlosstheater Schönbrunn, einer neuen Studiobühne (eröffnet 1992), der 2003 neu gestalteten alten Studiobühne im Palais sowie der Arena verfügt das Seminar heute über insgesamt vier Spielstätten.
Leiter
1945 leitete Hans Thimig das Seminar, danach Oscar Deléglise (1946–1948), Heinz Schulbaur (1948), von 1948 bis 1954 wurde es von Max Reinhardts Witwe Helene Thimig geleitet. Spätere Direktoren waren Hans Niederführ (erneut 1954–1959) und Hans Thimig (erneut 1959–1960), Hans Jaray (1960), Helmut Schwarz (1960–1977), Bruno Dallansky (1977), Walter von Hoesslin (1977–1983), Hermann Kutscher (1983–1989), Nikolaus Windisch-Spoerk (1989–1999), Hubertus Petroll (1999–2002 und erneut 2004–2012), Günther Einbrodt (2002–2004), Hans Hoffer (2012–2014).
Ab Oktober 2014 wurde das Max Reinhardt Seminar erstmals von einem Team geleitet, dem Tamara Metelka,[8]Anna Maria Krassnigg, Peter Roessler und Grazyna Dylag angehörten. Nach dem Rücktritt von Anna Maria Krassnigg kam es 2017 zu einer Neuformierung des Leitungsteams, das nunmehr aus Tamara Metelka, Peter Roessler, Florian Reiners und Grazyna Dylag bestand.
Anfang 2020 trat das Leitungsteam zurück. Ab 1. März 2020 teilten sich Ulrike Sych (geschäftlich) und Maria Happel (künstlerisch) die Leitungsfunktion interimistisch.[9][10] Im Mai 2020 wurde Maria Happel zur Leiterin des Reinhardt-Seminars ernannt, ihre Stellvertreterin wurde Annette Matzke, seit 2004 Professorin für Sprachgestaltung.[11] Im Juni 2023 trat Happel nach Vorwürfen von Studierenden als Leiterin des Max-Reinhardt-Seminars zurück, interimistisch übernahm bis September 2023 Gerda Müller[12] und ab Oktober 2023 Tamara Metelka die Leitung.[13] Von Rektorin Ulrike Sych wurde ein Team zur Klärung der Vorwürfe eingesetzt, in dem Bericht dieses Teams wurde Happel in weiten Teilen entlastet.[14]
Peter Roessler, Günther Einbrodt, Susanne Gföller (Hrsg.): Die vergessenen Jahre. Zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt Seminars. Max Reinhardt Seminar. Wien 2004.
Peter Roessler, Susanne Gföller (Hrsg.): Erinnerung. Beiträge zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt Seminars. Eine Dokumentation. Max Reinhardt Seminar, Wien 2005.
Peter Roessler: Paul Kalbeck – Der Regisseur als Lehrer. In: Judith Pór-Kalbeck (Hrsg.): Paul Kalbeck – ein Poet der Regie. Lehner, Wien 2005, S. 173–212.
Peter Roessler: Über Vertreibung und Exil von Lehrern und Schülern des Reinhardt-Seminars. In: Vom Weggehen. Zum Exil von Kunst und Wissenschaft. Hrsg. v. Sandra Wiesinger-Stock, Erika Weinzierl, Konstantin Kaiser. Mandelbaum, Wien 2006, S. 397–411.
Peter Roessler: Rundgang im Gegenwärtigen. Aspekte des Regiestudiums am Max Reinhardt Seminar. In: Nicole Gronemeyer und Bernd Stegemann (Hrsg.): Regie. Lektionen 2. Theater der Zeit, Berlin 2009, S. 81–89.
Peter Roessler: Im annektierten Garten. Das Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn in der Theaterlandschaft des NS-Regimes. In: Brigitte Dalinger und Veronika Zangl (Hrsg.): Theater unter NS-Herrschaft. Theatre under Pressure. Vienna University Press, Wien 2018, S. 129–147.
Achim Benning: In den Spiegel greifen. Texte zum Theater 1976–2023. Hrsg. und mit einem Essay von Peter Roessler. 2. überarbeitete und stark erweiterte Neuauflage. Hollitzer, Wien 2024.
↑Wien: Max Reinhardt Seminar. In: Bernd Stegemann (Hrsg.): Schauspielen: Ausbildung (= Lektionen). Nr.4. Verl. Theater der Zeit, Berlin 2010, ISBN 978-3-940737-96-0, S.314–317.
↑ abPaulus Manker: Spurensuche Vater. Bühnenbildner, Regisseur, Prinzipal. Bilder aus einem Theaterleben, Band 6, ZDB-ID 2208861-1. Amalthea, Wien 2010, ISBN 978-3-85002-738-0 (Verlagstitel auch: Der Theatermann Gustav Manker. Eine Spurensuche).
↑ abPeter Roessler, Günther Einbrodt, Susanne Gföller (Hrsg.): Die vergessenen Jahre. Zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt Seminars. Max Reinhardt Seminar, Wien 2004, OBV.
↑Friedrich Langer (Red.): 50 Jahre Max Reinhardt-Seminar. Eine Festschrift. Woiczik, Wien 1979, OBV.