Friedrich Gernsheim entstammte als Sohn eines Arztes einer angesehenen jüdischen Familie in Worms, die dort über einige Jahrhunderte nachweisbar ist. Erste musikalische Unterweisung erfuhr er in Worms durch seine Mutter, die Pianistin war. Später erhielt er Unterricht beim Spohr-Schüler Louis Liebe (1819–1900). Wegen der Unruhen im Revolutionsjahr 1848 übersiedelte er nach Mainz, wo er Klavierunterricht von Ernst Pauer erhielt.
Ab 1849 erhielt Gernsheim in Frankfurt am Main geregelten und systematischen Unterricht in Klavier bei Eduard Rosenhain und Violine.[1] Mit elf Jahren trat er dort erstmals öffentlich als Pianist, Geiger und als Komponist einer Konzert-Ouvertüre auf. Ab 1852 studierte Gernsheim in Leipzig bei Ignaz Moscheles und Ferdinand David. Von 1855 bis 1860 hielt er sich in Paris auf, wo er die Bekanntschaft Theodor Gouvys, Édouard Lalos und Camille Saint-Saëns’ machte. Seine erste Anstellung fand er in Saarbrücken als Musikdirektor.
Ab 1865 war er Lehrer am Konservatorium in Köln und Leiter des städtischen Gesangvereins und der Musikgesellschaft. Zudem hatte er die Stelle des Kapellmeisters am Stadttheater inne. Einer seiner Schüler war Engelbert Humperdinck. Im Jahr 1874 erfolgte die Berufung nach Rotterdam als Direktor der „Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst“ (Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst). Mit Johannes Brahms verband ihn eine enge Freundschaft. Eine Berufung an das Stern’sche Konservatorium in Berlin erhielt Gernsheim im Jahr 1890. Im Oktober 1910 wurde sein Vortrag dreier eigener Kompositionen für Welte-Mignon aufgenommen.
Gernsheim heiratete am 1. Mai 1877 in Worms Helene Herrnsheim (* 1851 in Karlsruhe; † 26. Oktober 1927 in Berlin); das Paar hatte zwei Töchter. Nachfahren leben heute im Ausland.
Er war Mitglied der Akademie der Künste. Die Stadt Dortmund ehrte den 75-jährigen Komponisten im Jahr 1914 mit einem zwei Tage andauernden „Gernsheimfest“, bei dem er als Dirigent und Pianist zu erleben war.
Zwischen einer kammermusikalischen Komposition Gernsheims und Martin BöttchersWinnetou-Melodie aus den Karl-May-Verfilmungen der 1960er Jahre besteht eine kurze aber auffällige Übereinstimmung.[5][6] Der Filmmusik-Spezialist und Martin-Böttcher-Kenner Volker Rippe hat hierzu Stellung bezogen: Wenn „die Idee für das Winnetou-Thema gar nicht auf Böttchers Mist gewachsen ist“, hätte Martin Böttcher das betreffende Stück kennen müssen, was aber aufgrund des Unbekanntheitsgrades des Komponisten bzw. des Werkes (Notenmaterial in den 1960er Jahren gar nicht zugänglich) auszuschließen ist.[7]
2020 spielten der Pianist Ernst Breidenbach und der Geiger Christoph Schickedanz Gernsheims sämtliche Werke für Klavier und Violine auf Tonträger ein.[8]
Vier Tanzstücke op. 30 (publ. 1873) I Alla Mazurka. Energico. Molto moderato g-Moll II All'Ongarese. Andantino quasi Allegretto D-Dur III Walzer. Grazioso A-Dur IV All'Ongarese. Sostenuto d-Moll
Stimmungsbilder op. 36 (publ. 1877)
Zwei Klavierstücke op. 39 (publ. 1879) I Lied II Gavotte
Legende für Klavier op. 43 (1883)
Symbole, fünf Klavierstücke op. 59 (publ. 1894)
Vier Klavierstücke op. 61 (publ. 1895) I Idyll, Lento e sostenuto, F -Dur II Capriccio, Allegro agitato, f-Moll III Legende, Andante molto espressivo C-Dur IV Impromptu, Allegretto grazioso e giocoso As-Dur
Fünf Tongedichte für Klavier zu vier Händen op. 67, (publ. 1900)
Auf der Piazetta für Klavier zu zwei Händen op. 68, übertragen aus op. 67
Weihe der Nacht für Klavier zu zwei Händen op. 69, übertragen aus op. 67
Walzer für Klavier zu zwei Händen op. 70, übertragen aus op. 67
Auf der Lagune, Phantasiestück für Klavier zu zwei Händen op. 71, (publ. 1902)
Tondichtung für Klavier zu zwei Händen op. 72, (publ. 1902)
Salamis: Siegesgesang der Griechen für Männerchor und Orchester C-Dur op. 10, Max Bruch gewidmet, Text: Hermann Lingg, Incipit: Schmücket, schmücket die Schiffe mit Persertrophä'n! (publ. 1867, uraufgeführt: 1868)
Salve Regina für Sopran, Frauenchor (Sopran, Sopran, Alt) und Orchester op. 11 (publ. 1867)
Sechs Lieder op. 14 (publ. 1869) I Im Frühling, Text: Eduard Mörike II Es fällt ein Stern herunter, Text: Heinrich Heine III Jetzt ist er hinaus, Text: Joseph Victor von Scheffel IV Es war ein alter König, Text: Heinrich Heine V Mein Herz schmückt sich mit dir, Text: Friedrich Bodenstedt, nach Mirzə Şəfi Vazeh VI An den Sturmwind, Text: Friedrich Rückert
Römische Leichenfeier für Männerchor und Orchester C-Dur op. 17, Text: Hermann Lingg, (publ. 1869)
Fünf Lieder op. 19 (publ. 1871) I Ich fühle deinen Odem, Text: Friedrich Bodenstedt, nach Mirzə Şəfi Vazeh II Komm' Geliebte, Text: Georg Friedrich Daumer III Was weckte den Ton, Text: Felicia Hemans, in einer Übersetzung von Ferdinand Freiligrath IV Sie sah den Liebsten schweigend an, Text: Friedrich Rückert V Wie der Vollmond aus den Wolken, Text: Friedrich Rückert
Nordische Sommernacht für Soli, gemischten Chor und Orchester op. 21, Text: Hermann Lingg, (uraufgeführt am 26. November 1871 in Wiesbaden)
Sechs Lieder op. 29 (publ. 1874) I Die Blicke deiner Augen, Text: Georg Friedrich Daumer, nach Hafis II Die ihr mit dem Odem linde, Text: Friedrich Rückert III Mit einem gemalten Bande (Kleine Blumen, kleine Blätter), Text: Johann Wolfgang von Goethe IV An den Mond (Füllet wieder Busch u. Thal), Text: Johann Wolfgang von Goethe V Gieb ihr, Ost, die Kunde meiner Leiden, Text: Georg Friedrich Daumer, nach Hafis VI Ich möchte dir so gern die Seele, Text: Georg Friedrich Daumer, nach Hafis
Vier Lieder und Gesänge op. 34 (publ. 1877) I Bitte: Weil’ auf mir, du dunkles Auge II Ich schlage dich, mein Tamburin, Text: Georg Friedrich Daumer, nach Hafis III Komm. Mädchen, an dein Fenster IV Geistliches Wiegenlied „Die ihr schwebt um diese Palmen“
Gesänge für Männerchor op. 40 (publ. 1879)
Zwei Lieder für vier Männerstiimen op. 41 (publ. 1885)
Lied der Städte für Männerchor op. 42 (1880), Text: Hermann Lingg
Agrippina, Szene für Solo, Chor und Orchester op. 44, Text: Hermann Lingg (publ. 1881, uraufgeführt am 20. Januar 1882 in Rotterdam mit de Altistin Amalie Joachim)
Odins Meeresritt für Bariton, Männerchor und Orchester op. 48 (publ. 1884), Text: Aloys Schreiber
Festgruß für Männerchor op. 49 (publ. 1884), Text: J. Oswald
Das Grab im Busento für Männerchor und Orchester op. 52 (publ. 1887), Text: August von Platen
Der Zaubermantel für Soli, gemischten Chor und Klavier op. 55 (publ. 1889), Text: Felix Dahn
Hafis, Liederreihe für Solostimmen und gemischten Chor mit Klavierbegleitung op. 56, (publ. 1890)
Fünf Lieder op. 57 (publ. 1891)
Ein Preislied für Soli, Chor und Orchester op. 58, Text: Die Heilige Schrift (publ. 1893)
Phöbos Apollon für Männerchor, Solostimmen und Orchester op. 60, Text: Hermann Allmers (publ. 1894)
Der Nornen Wiegenlied für Chor und Orchester op. 65, Text: Albert Matthäi, (publ. 1899)
Der Nibelungen Überfahrt für Soli (Sopran und Bariton), gemischten Chor und Orchester op. 73, Text: Albert Matthäi, (publ. 1902)
Fünf Gedichte für eine Singstimme mit Klavierbegleitung op. 74, Text: Otto Julius Bierbaum (publ. 1903)
Agrippina, Szene für Mezzosopran oder Alt und Orchester op. 77, unter freier Benutzung der ersten Bearbeitung op. 45, Text: Hermann Lingg (publ. 1906)
Kurt Becker: Friedrich Gernsheim. In: Carl Villinger (Red.): Wormser Profile. Lebensbilder zehn Wormser Persönlichkeiten. Altertumsverein Worms, Worms 1966, S. 11–16.
Karl Holl: Friedrich Gernsheim. Leben, Erscheinung, Werk. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1928.
↑Friedrich Gernsheim - Zu seinem 70. [sic! recte: 75.] Geburtstag. In: Berliner Volkszeitung. Abendausgabe. Berlin 14. Juli 1914, S.2 (staatsbibliothek-berlin.de [PDF]).
↑Bernstein-Sawersky: Unsere Bilder. In: Berliner Leben. Nr.7, 1906, S.4, 5 (zlb.de – Foto).