Wolfgang Mommsen entstammte der Gelehrtenfamilie Mommsen. Er wurde als Sohn des Historikers und Universitätsprofessors Wilhelm Mommsen (1892–1966) und seiner Frau Marie Therese, geb. Iken (1894–1974), in Marburg an der Lahn geboren. Der Althistoriker Theodor Mommsen (1817–1903), war sein Urgroßvater, der Zeithistoriker Hans Mommsen (1930–2015) sein Zwillingsbruder.[1] Seine Mutter stammte aus einer Bremer Bankiersfamilie.
Mommsens Forschungsinteresse konzentrierte sich zeitlich auf die zweite Hälfte des 19. und das frühe 20. Jahrhundert, inhaltlich auf drei Themenfelder dieser Epoche: Erstens publizierte er in internationaler Perspektive zur Geschichte des Imperialismus, seiner theoretischen Erfassung und der Geschichte Großbritanniens in dieser Epoche. Zweitens konzentrierte er sich auf die deutsche Geschichte mit dem Schwerpunkt Deutsches Kaiserreich, wozu er eine Vielzahl von Aufsätzen publizierte, deren wichtigste er in dem Band Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Kultur und Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich sammelte. Die große Synthese bot er in zwei Bänden der Propyläen Geschichte Deutschlands: Das Ringen um den nationalen Staat, 1993, und Bürgerstolz und Weltmachtstreben, 1995. Gegen Ende seines Lebens schrieb er schwerpunktmäßig über den Ersten Weltkrieg, besonders die Rolle der Intellektuellen im Krieg.[5] Drittens blieb er dem Dissertationsthema Max Weber zeitlebens treu. Nachdem seine Doktorarbeit, 1959 erstmals publiziert, zu heftigen Kontroversen geführt hatte, insbesondere auf dem Heidelberger Soziologentag 1964, gehörte Mommsen zu den Initiatoren der Max-Weber-Gesamtausgabe, deren Mitherausgeber er bis zu seinem Tod blieb. Neben seiner fachwissenschaftlichen Tätigkeit trat Mommsen als Public Intellectual hervor, „konfliktfreudig, ein animal politicum durch und durch“[6], wofür sein Beitrag Weder Leugnen noch Vergessen befreit von der Vergangenheit[7] im Historikerstreit exemplarisch steht. 1990 erhielt er den Premio Amalfi.
Mommsen war seit 1965 verheiratet und hatte vier Kinder. Er verstarb am 11. August 2004 beim Baden in der Ostsee.
Schriften (Auswahl)
Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920. Mohr, Tübingen 1959 (Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1958).
Die Politik des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg als Problem der politischen Führung. (Köln, Univ., Habil.-Schr., 1967).
Nation und Geschichte. Über die Deutschen und die deutsche Frage. München 1990, ISBN 3-492-11115-7.
Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Kultur und Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich. Frankfurt a. M. 1992, ISBN 3-596-10525-0.
Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Ausbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck 1850 bis 1890. Propyläen, Berlin 1993, ISBN 3-549-05817-9.
Großmachtstellung und Weltpolitik 1870–1914. Die Außenpolitik des Deutschen Reiches. Berlin 1993, ISBN 3-548-33169-6.
Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde 1870–1918. Kultur und Politik im deutschen Kaiserreich. Berlin 1994, ISBN 3-548-33168-8.
Die Herausforderung der bürgerlichen Kultur durch die künstlerische Avantgarde. Zum Verhältnis von Kultur und Politik im Wilhelminischen Deutschland (= Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge, 41). München 1994 (Digitalisat).
Bürgerstolz und Weltmachtstreben. Deutschland unter Wilhelm II. 1890 bis 1918. Berlin 1995, ISBN 3-549-05820-9.
Imperial Germany 1867–1918. Politics, Culture, and Society in an authoritarian State. London et al. 1995, ISBN 0-340-59360-1.
(Hrsg.): Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 34). München 1995, ISBN 978-3-486-56085-5 (Digitalisat).
1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830–1849. Frankfurt a. M. 1998, ISBN 3-10-050606-5.
Max Weber und die deutsche Revolution 1918/19. Heidelberg 1998, ISBN 3-928880-17-9.
als Herausgeber: Die ungleichen Partner. Deutsch-britische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1999, ISBN 3-421-05287-5.
Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830–1933. Frankfurt a. M. 2000, ISBN 3-596-14951-7.
Der große Krieg und die Historiker. Neue Wege der Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg. Essen 2002, ISBN 3-89861-098-5.
War der Kaiser an allem schuld? Wilhelm II. und die preußisch-deutschen Machteliten. Propyläen, München 2002, ISBN 3-549-07169-8.
Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920. 3. Aufl. Tübingen 2003, ISBN 3-16-148480-0.
Wolfgang J. Mommsen (Interview): Die Jungen wollen ganz unbefangen die alte Generation in die Pfanne hauen. In: Rüdiger Hohls, Konrad H. Jarausch (Hrsg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus. DVA, Stuttgart 2000, S. 191–217, ISBN 3-421-05341-3 (online).
↑Eintrag auf der Internetseite der Academia Europaea.
↑Netherlands Institute for Advanced Study: Mommsen, WJ. In: nias.knaw.nl. Abgerufen am 9. August 2019 (englisch).
↑Vgl. z. B. Wolfgang J. Mommsen: „Eine wunderbare Katastrophe“. Der so genannte große Krieg wurde von vielen Schriftstellern und Künstlern zunächst auch als Chance begriffen. Zu den kulturellen Ursprüngen des Ersten Weltkrieges. In: Frankfurter Rundschau, 31. Juli 2004. Mommsen vertritt hier folgende These: „Die zumindest bedingte Bejahung des Krieges nicht allein aus nationalen, sondern auch aus ästhetischen Gründen war in den Kreisen der Intellektuellen und mit ihnen der bildenden Künstler und Schriftsteller zunächst absolut vorherrschend.“ Die Überschrift des Artikels ist ein Zitat von Max Beckmann.
↑Gestorben Wolfgang J. Mommsen. In: Der Spiegel. Nr.34, 2004, S.150 (online).
↑Wolfgang J. Mommsen: Weder Leugnen noch Vergessen befreit von der Vergangenheit. In: Historikerstreit. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Piper, München 1989, S. 300–321.