Dieser Artikel behandelt den Bautyp Kirche. Zu der Kirche mit diesem Namen, die sich in Ingelheim befindet, siehe Saalkirche (Ingelheim).
Eine Saalkirche ist eine in der Regel (aber nicht notwendigerweise) kleinere Kirche oder Kapelle, „deren Innenraum ein (...) nicht durch Stützen unterteilter Saal ist.“[1]
Die Begriffsdefinition einer Saalkirche nach Hans Koepf und Günther Binding[1] durch ihre Stützenfreiheit wird ausdrücklich durch die Ausnahme von Emporenpfeilern eingeschränkt. Die Anwendung dieser Definition hängt von der Interpretation des Begriffs ‚Emporenpfeiler‘ ab.
Viele Emporenkirchen, auch solche mit mehreren Emporen über einander, haben trotzdem eine freitragende Deckenkonstruktion von einer Seitenwand zu anderen, weil die Emporenpfeiler unter der (obersten) Empore enden. Daher sind sie Saalkirchen in der Sonderform der Emporensäle. Bei anderen Kirchen (oft mit durchaus gleichartiger Emporengestaltung) reichen die Stützen über die oberste Empore hinaus und stützen die Raumdecke. Solche Kirchen sind als Emporenhalle zu bezeichnen. Auch Wilfried Koch beschreibt die Emporenhalle, u. a. anhand von romanischen Beispielen.[2]
Mittelstützen bilden weder bei Wilfried Koch noch in den zitierten Werken von Hans Koepf und Günther Binding[3] eine Ausnahme, die der Bezeichnung ‚Saalkirche‘ nicht entgegenstehe. Vielmehr verweist Binding auf profane Holzbauten als Vorbilder gewölbter zweischiffiger Hallen.[4]
Grundrisse
Der Grundriss einer Saalkirche kann, muss aber nicht rechteckig sein, auch ein Querschiff ist möglich. Bei einem großen Teil der heutigen wie auch der archäologisch nachgewiesenen Saalkirchen ist der Altarraum leicht eingezogen, also etwas schmaler als der Gemeindesaal. Auch ein polygonaler, ein kreisrunder und ein ovaler Kirchenraum ohne freistehende Stützen ist eine Saalkirche. Je schmaler und länger der Innenraum ist, desto eher spricht man von einer einschiffigen Kirche. Kirchen ohne Säulen und Pfeiler, aber mit kreuzförmigem Grundriss werden sowohl als „kreuzförmige Saalkirchen“ wie auch als „einschiffige Kreuzkirchen“ bezeichnet.
Für den Fall der mittelalterlichen Dorfkirchen hat der KunsthistorikerErich Bachmann eine Saalkirchen-Typologie mit vier verschiedenen Grundrissen entwickelt, unter denen die rechteckige Saalkirche ohne ausgeschiedenes Altarhaus (Rechtecksaal) der einfachste und der dem Profanbau ähnlichste ist.[5] An der Ostseite erweiterte Grundrisstypen hat Bachmann Apsissaal, Chorquadratkirche und Vollständige Anlage genannt.[5]
Decken
Saalkirchen können eine Holzdecke oder einen zum Kirchenraum hin offenen Dachstuhl haben. Sie können aber auch gewölbt sein, wobei dies der Breite einer Kirche meist abträglich ist. Dabei finden sich außer Tonnengewölben oder den ganzen Raum überspannenden Zeltgewölben auch Gliederungen der Decke in mehrere Joche, die von Kreuzgrat- oder Kreuzrippengewölben überspannt werden. Das Rippengewölbe der Kirche St.-Maurice in der südfranzösischen Kleinstadt Mirepoix überspannt mit 21,40 m Breite das breiteste gotische Kirchenschiff des Mittelalters.
Abseitensaal mit Obergaden über den Seitenkapellen
Geschichte
Vielerorts waren die ersten, heute oft nur noch archäologisch nachweisbaren, Kirchen Saalkirchen (siehe z. B. die karolingischenDreiapsidenkirchen). Für lange Zeit waren dem Bau von Kirchen mit Raumbreiten, die ohne Stützen überdacht werden konnten, enge Grenzen gesetzt. Daher wurden viele ältere Saalkirchen bei Zunahme der Bevölkerung im Kirchspiel durch mehrschiffige Kirchen ersetzt, oder zu solchen Kirchen ausgebaut. In manchen Orten ersetzte man dann einfach eine Außenwand durch eine Arkade und baute ein zusätzliches neues Kirchenschiff. Damit entstand dann als neue Kirche eine zweischiffige Kirche.
Mit der Entwicklung neuer Techniken und besserer Baustoffe konnten nach der Spätgotik aber auch größere Räume überspannt werden. Außerdem wurde im Verlauf der Reformation die christliche Bescheidenheit wiederentdeckt. Daher wurden etliche im Dreißigjährigen Krieg oder z. B. im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstörten Hallenkirchen und Pseudobasiliken als Saalkirchen neu wiederaufgebaut. Dabei wurde die äußere Erscheinung des Kirchenschiffs oft kaum verändert. Hinzu kam, dass Säulen in der Kirche unbeliebt wurden, weil sie die Sicht auf den Altar verstellten und außerdem wollte man sich in der beginnenden neuen Zeit von der bisher vorherrschenden Gotik absetzen. Daher hatte ein sehr großer Anteil der in dieser Zeit entstehenden Kirchen-Neubauten die Form einer Saalkirche.
Im Historismus wurden wieder einige Hallenkirchen und Basiliken gebaut. Von den zahlreichen im Zweiten Weltkrieg zerstörten mehrschiffigen Kirchen wurden wiederum einige beim Wiederaufbau zu Saalkirchen umgebaut.
Besondere Formen
Wandpfeilerkirche und Abseitensaal
Um die seitlichen Kräfte abzufangen, die bei der Überwölbung breiter Räume auftreten, verwendete man in der Renaissance und im Barock vorzugsweise Wandverstärkungen auf der Innenseite der Außenmauern. Stehen diese Wandverstärkungen nur wenig vor, so spricht man von einer Wandpfeilerkirche. Auch einige Hallenkirchen sind Wandpfeilerkirchen, so die Frauenkirche in München. Stehen die Mauerrippen weiter vor, so entstehen Nischen, die man als Abseiten bezeichnet. Bei katholischen Bauten waren diese Abseiten zur Einrichtung von Kapellen beliebt. Daher wurden Abseitensäle vor allem in katholischen Kirchen errichtet. Diese Nischen können bis zur Saaldecke reichen, aber auch so niedrig enden, dass sich darüber auf die Vorderenden der Trennwände ein Obergaden mit Fenstern stützt. So ähnelt der Raumeindruck dem einer Basilika, obwohl es keine Seitenschiffe gibt.
Wie die meisten anderen Kirchen sind auch die meisten Saalkirchen der Länge nach ausgerichtet, Altar und Chor befinden sich an einer der schmaleren Seiten und sind im Mittelalter üblicherweise nach Osten ausgerichtet (geostet). Seit der Reformation gibt es unter den Predigtkirchen auch querschiffige Kirchen, kurz Querkirchen, deren Kanzel und vermehrt dann auch der Altarbereich die Längsseite einnimmt. Mehrere aber durchaus nicht alle Querkirchen haben freitragende Decken und sind somit Saalkirchen.
Saalkirchen (Auswahl)
Da viele berühmte Kirchen mehrschiffig sind, geht in der kunstgeschichtlichen Wahrnehmung leicht unter, dass die einschiffigen Kirchen, also Saalkirchen, mit Abstand zahlreicher sind als jede mehrschiffige Bauform.
Stiftskirche in Stuttgart, bis zum Zweiten Weltkrieg eine gotische Staffelhalle, seit dem Wiederaufbau ein Abseitensaal, jedoch ohne Obergaden.
Bayern
Dreieinigkeitskirche in Regensburg, ursprünglicher Name Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit, eine protestantische, frühbarocke, säulenlose Saalkirche in der Gesandtenstraße in der Altstadt. Die Kirche wurde im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges von 1627 bis 1631 nach Plänen von Hanns Carl erbaut und war gegen Ende der Kämpfe um Regensburg (1632–1634) bis auf den noch heute fehlenden Südturm fast fertig gestellt.
Die Kirche war eine der ersten evangelisch-lutherischen Kirchen-Neubauten in Bayern. Der Verzicht auf tragende Säulen im Kirchraum auch für die umlaufenden Emporen hatte zur Folge, dass das Tonnengewölbe, das das Kirchenschiff überwölbte, im Dachstuhl rückverankert werden musste. Das Tonnengewölbe musste im Dachstuhl so aufgehängt werden, dass die Dachlast von Tonne und Dach nur von den Außenmauern der Kirche getragen wird. Es war der Zimmermeister Lorenz Friedrich, dessen handwerkliches Können dieses bauliche Kunststück, das noch heute im Dachstuhl von Fachleuten bewundert wird, ermöglichte. Auch die Wölbung der Decke des Chores wurde mit der gleichen Bautechnik ermöglicht.
Mitte des 18. Jahrhunderts wurde für die protestantische Fürstin Therese von Thurn und Taxis, die sich ausbedungen hatte, nach ihrer Heirat protestantisch bleiben zu können unterhalb der Orgelempore eine Loge errichtet, die von einer hölzernen Säule getragen werden musste. Diese sogenannte Fürsten-Loge und die zugehörige tragende Säule sind heute im sonst säulenlosen Kirchraum eine auffällige Sehenswürdigkeit.
Saalkirche. In: Archipendium. Abgerufen am 17. Juni 2022
Einzelnachweise
↑ abHans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 8. Februar 2024), S. 399.
↑Baustilkunde. Europäische Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. Mosaik-Verlag, München 1982, ISBN 3-570-06234-1 (35. Auflage: Prestel, München/London/New York 2018, ISBN 978-3-7913-4997-8), S. 121, 155 und 408.
↑Günther Binding: Architektonische Formenlehre. wbg Academic, Darmstadt 2019, 8. Auflage, ISBN 978-3-534-27143-6, S. 7.
↑Günther Binding: Architektonische Formenlehre. wbg Academic, Darmstadt 2019, 8. Auflage, ISBN 978-3-534-27143-6, S. 13.