Die Ortschaften Reiskirchen, Bersrod und Burkhardsfelden gehörten zum Busecker Tal. Gießen liegt circa 8 Kilometer westlich von Reiskirchen. Ebenso befindet sich das Naturschutzgebiet Hohe Warte westlich des Ortes. Im Reiskirchener Ortsteil Saasen entspringt die Wieseck, die bei Gießen in die Lahn mündet.
Reiskirchen grenzt im Norden an die Gemeinde Rabenau, im Osten an die Stadt Grünberg, im Südosten an die Stadt Laubach, im Süden an die Stadt Lich, sowie im Westen an die Gemeinden Fernwald und Buseck. Im Nordosten zwischen Saasen und Grünberg steht die ehemalige Klosteranlage Wirberg.
Die älteste sicher zuzuordnende urkundliche Erwähnung als Ricolfiskirchen stammt aus dem Urkundenbuch des Klosters Arnsburg und ist mit 1305 datiert.[2] In späteren Urkunden erscheint der Ortsname als Richolskirchin (1319), Richelskyrchen (14. Jahrhundert) und Ryßkirchen (1501). (Urkundliche Erwähnungen von Richolueschiricha (975) und Richoluiskirchen (1238) beziehen sich wahrscheinlich auf Reiskirchen im Lahn-Dill-Kreis südlich von Wetzlar.[2])
Um 1300 entstand eine neue Kirche, deren Chorturm erhalten geblieben ist. Das heutige Kirchenschiff der Evangelischen Kirche wurde von 1769 bis 1771 im Übergangsstil zwischen Spätbarock und Klassizismus errichtet.
Die Statistisch-topographisch-historische Beschreibung des Großherzogtums Hessen berichtet 1830 über das Busecker Tal:
„Busecker Thal (L. Bez. Giessen) Landstrich. Das Busecker Thal besteht aus 9 Orten: Altenbuseck, Großenbuseck, Albach, Beuern, Bersrod, Burkhardsfelden, Oppenrod, Reißkirchen und Rödchen, die zusammen 5675 Einwohner haben. – Die Vierer und Ganerben von Buseck kamen 1332 unter landgräfliche Gerichtsbarkeit. Sie haben aber niemals als Landsassen, sondern als unmittelbare Reichssassen angesehen seyn wollen. Im Jahr 1547 entstanden darüber große Streitigkeiten, und in dem 1576 erfolgten Vergleich erkannten zwar die Einwohner die landesfürstliche Hoheit des Landgrafen an, aber von dem Landgrafen wurde die Gerichtsbarkeit der von Buseck als ein unbestrittenes kaiserliches Lehen anerkannt. Neue Steitigkeiten veranlaßten 1706 den kaiserlichen Reichshofrath, den Vergleich aufzuheben, und das Busecker Thal für ein unmittelbares kaiserliches Lehen zu erklären, die Andersgesinnten mit 50 Mark löthigen Geldes als Strafe zu belegen, und die Aufrechthaltung dieses Beschlusses mehreren benachbarten Reichsständen zu übertragen. Hierauf wandte sich der Landgraf an die Reichsversammlung zu Regensburg, worauf 1725 dem Hause Hessen-Darmstadt die Geichtsbarkeit, nebst der Lehensherrlichkeit, als eine beständige kaiserliche Commission aufgetragen, und der Vergleich von 1576 bestätigt wurde. Im Jahr 1827 hat die Freiherrliche Familie von Buseck die ihr zustehende Patrimonialgerichtsbarkeit im Busecker Thal an den Staat abgetreten.“[3]
sowie über Reiskirchen:
„Reißkirchen (L. Bez. Giessen) evangel. Pfarrdorf; liegt an der Chaussee von Giessen nach Alsfeld, 2 St. von ersterm Orte. Das Dorf gehört der Freiherrl. Familie von Buseck, hat 98 Häuser und 590 Einwohner, die außer 24 Juden evangelisch sind. Hier wird ziemlich viele Leinwand verfertigt. – Reißkirchen, früher Richoloiskirchen, hatte schon 1226 eine eigene Kirche. Im Jahr 1827 hat die Freiherrl. Familie von Buseck die ihr an diesem Dorfe zustehende Patrimonialgerichtsbarkeit an den Staat abgetreten.“[4]
Im Reiskirchener Ortsteil Saasen existiert noch immer ein Relikt aus den 1950er Jahren: Eine Gefriergemeinschaft, gegründet, als die Anschaffung von Tiefkühltruhen für Privathaushalte noch zu teuer war.
Der Gemeinde wurde vom Hessischen Minister des Innern am 8. November 1974 die Genehmigung zur Führung des vom Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt entwickelten Wappens erteilt, dessen Beschreibung „in einem schwarzen von goldenen Streifen netzartig geteilten Wappenschild eine mit einem roten Kirchturm belegte silberne Spitze“ lautet.
Einen Überblick über die Geschichte der Gemeinde Reiskirchen bietet eine Ausstellung im Hirtenhaus, das als Heimatmuseum genutzt und von der Heimatgeschichtlichen Vereinigung Reiskirchen betrieben wird.
Verwaltungsgeschichte im Überblick
Die folgende Liste zeigt die Staaten, in denen Reiskirchen lag, sowie deren Verwaltungseinheiten, denen es unterstand:[2][9][10]
vor 1567: Heiliges Römisches Reich, Landgrafschaft Hessen, Gericht Busecker Tal (die gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Landeshoheit endeten erst 1726)
In der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt wurde mit Ausführungsverordnung vom 9. Dezember 1803 das Gerichtswesen neu organisiert. Für die Provinz Oberhessen wurde das „Hofgericht Gießen“ eingerichtet. Es war für normale bürgerliche Streitsachen Gericht der zweiten Instanz, für standesherrliche Familienrechtssachen und Kriminalfälle die erste Instanz.
Die Rechtsprechung der ersten Instanz wurde durch die Ämter beziehungsweise Standesherren vorgenommen und somit war für Reiskirchen das „Patrimonialgericht der Freiherren zu Buseck“ in Großen-Buseck zuständig. Nach der Gründung des Großherzogtums Hessen 1806 wurden die Aufgaben der ersten Instanz 1821 im Rahmen der Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung auf die neu geschaffenen Land- beziehungsweise Stadtgerichte übertragen, aber erst ab 1827 wurde die Patrimonialgerichtsbarkeit durch das „Landgericht Gießen“ im Namen der Freiherren ausgeübt. Infolge der Märzrevolution 1848 wurden mit dem „Gesetz über die Verhältnisse der Standesherren und adeligen Gerichtsherren“ vom 15. April 1848 die standesherrlichen Sonderrechte endgültig aufgehoben.[17]
Anlässlich der Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes am 1. Oktober 1879 wurden die bisherigen Land- und Stadtgerichte im Großherzogtum Hessen aufgehoben und durch Amtsgerichte an gleicher Stelle ersetzt, ebenso verfuhr man mit den als Obergerichten fungierenden Hofgerichten, deren Funktion nun die neu errichteten Landgerichte übernahmen. Die Bezirke des Stadt- und des Landgerichts Gießen wurden zusammengelegt und bildeten nun zusammen mit den vorher zum Landgericht Grünberg gehörigen Orten Allertshausen und Climbach den Bezirk des neu geschaffenen Amtsgerichts Gießen, welches seitdem zum Bezirk des als Obergericht neu errichteten Landgerichts Gießen gehört.[18] Zwischen dem 1. Januar 1977 und 1. August 1979 trug das Gericht den Namen „Amtsgericht Lahn-Gießen“, der mit der Auflösung der Stadt Lahn wieder in „Amtsgericht Gießen“ umbenannt wurde.
Bevölkerung
Einwohnerstruktur 2011
Nach den Erhebungen des Zensus 2011 lebten am Stichtag, dem 9. Mai 2011, in Reiskirchen 10.250 Einwohner. Darunter waren 312 (3,0 %) Ausländer, von denen 115 aus dem EU-Ausland, 114 aus anderen Europäischen Ländern und 83 aus anderen Staaten kamen.[19] Von den deutschen Einwohnern hatten 21,3 % einen Migrationshintergrund.[20] Bis zum Jahr 2020 erhöhte sich die Ausländerquote auf 7,6 %.[21] Nach dem Lebensalter waren 1.767 Einwohner unter 18 Jahren, 4.239 zwischen 18 und 49, 2.316 zwischen 50 und 64 und 1.929 Einwohner waren älter.[22] Die Einwohner lebten in 4.305 Haushalten. Davon waren 1.172 Singlehaushalte, 1.360 Paare ohne Kinder und 1.370 Paare mit Kindern, sowie 348 Alleinerziehende und 108 Wohngemeinschaften.[23]
Datenquelle: Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen: Die Bevölkerung der Gemeinden 1834 bis 1967. Wiesbaden: Hessisches Statistisches Landesamt, 1968. Weitere Quellen: [2]; 1972:[25]; ab 1975:[21]; Zensus 2011[19] Ab 1972 einschließlich der im Zuge der Gebietsreform in Hessen eingegliederten Orte.
Nach der hessischen Kommunalverfassung wird der Bürgermeister für eine sechsjährige Amtszeit gewählt, seit dem Jahr 1993 in einer Direktwahl, und ist Vorsitzender des Gemeindevorstands, dem in der Gemeinde Reiskirchen neben dem Bürgermeister ehrenamtlich ein Erster Beigeordneter und sieben weitere Beigeordnete angehören.[34] Bürgermeister ist ab 15. März 2025 Tobias Breidenbach (CDU).[35] Er wurde als Nachfolger von Dietmar Kromm, der nach zwei Amtszeiten nicht wieder kandidiert hatte,[36] am 22. September 2024 im ersten Wahlgang bei 43,51 Prozent Wahlbeteiligung mit 68,21 Prozent der Stimmen gewählt.[37]
Einen hohen Bekanntheitsgrad hat das Blasorchester der Freiwilligen Feuerwehr Reiskirchen unter der musikalischen Leitung von Christoph Aßmann. Der ehemalige Dirigent Otmar Scheld erhielt für seine Verdienste am 23. Dezember 2007 vom damaligen hessischen Innenminister Volker Bouffier das Bundesverdienstkreuz am Bande.[41]
Erwähnenswert sind die Sportvereine TSG Reiskirchen, der Tennisverein Reiskirchener TC mit vier Tennisplätzen, der Kegelklub M85 Mittelhessen sowie der Kunstrasen-Sportplatz.
Wirtschaft und Infrastruktur
Flächennutzung
Das Gemeindegebiet umfasst eine Gesamtfläche von 4499 Hektar, davon entfallen in ha auf:[21]
Nutzungsart
2011
2015
Gebäude- und Freifläche
347
347
davon
Wohnen
235
232
Gewerbe
27
28
Betriebsfläche
29
29
davon
Abbauland
0
0
Erholungsfläche
131
135
davon
Grünanlage
20
21
Verkehrsfläche
351
353
Landwirtschaftsfläche
2192
2183
davon
Moor
0
0
Heide
0
0
Waldfläche
1389
1403
Wasserfläche
37
38
Sonstige Nutzung
13
12
Verkehr
Reiskirchen ist verkehrsgünstig an den Autobahnen5 und 480 (Reiskirchener Dreieck) und an der Bundesstraße 49 gelegen. Für die B 49 ist eine Ortsumgehung südlich von Reiskirchen geplant. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist die Umgehung in der Kategorie Vordringlicher Bedarf eingeordnet, als Kosten werden ungefähr 12 Millionen Euro angegeben.[42]
Am 22. März 2009 haben die wahlberechtigten Bürger Reiskirchens in einem Bürgerentscheid darüber abgestimmt, ob ein Beschluss der Gemeindevertretung für die Südumgehung aufgehoben wird. 66 Prozent der Abstimmenden votierten gegen diesen Vorschlag bei einer Wahlbeteiligung von 56,6 Prozent.[43]
Literatur
Katharine Alexander: Geschichten aus dem alten Reiskirchen. Heimatgeschichtliche Vereinigung, Reiskirchen 1999
Karl Glaser: Zur Geschichte des Klosters Wirberg. In: Einladung zu den am 12., 13., und 14. März stattfindenden Schulfeierlichkeiten in dem Großherzogl. Gymnasium in Gießen. Gießen 1856, S. 3–16 urn:nbn:de:hebis:30-1035522
Gustav Ernst Köhler: Die Geschichte von Reiskirchen. Teil 1. Von den Anfängen bis zum Westfälischen Frieden. Heimatgeschichtliche Vereinigung, Reiskirchen 1993
Gustav Ernst Köhler: Wirberg. Burg, Kloster, Pfarre. Heimatgeschichtliche Vereinigung, Reiskirchen 1998
Reiskirchen. Bilder aus vergangenen Tagen. Geiger, Horb am Neckar 1990, ISBN 3-89264-440-3 (alte Ansichten)
↑Zusammenschluss von Gemeinden zur Gemeinde „Reiskirchen“, Landkreis Gießen vom 6. Januar 1971. In: Der Hessische Minister des Inneren (Hrsg.): Staatsanzeiger für das Land Hessen. 1971 Nr.4, S.140, Punkt 166 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 6,3MB]).
↑Karl-Heinz Gerstemeier, Karl Reinhard Hinkel: Hessen. Gemeinden und Landkreise nach der Gebietsreform. Eine Dokumentation. Hrsg.: Hessischer Minister des Inneren. Bernecker, Melsungen 1977, OCLC180532844, S.309.
↑Hauptsatzung. (PDF; 143 kB) § 5. In: Webauftritt. Gemeinde Reiskirchen, abgerufen im August 2020.
↑Michael Rademacher: Land Hessen. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 1. Januar 1900
↑Grossherzogliche Centralstelle für die Landesstatistik (Hrsg.): Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Band13. G. Jonghause’s Hofbuchhandlung, Darmstadt 1872, OCLC162730471, S.12ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑
Wilhelm von der Nahmer: Handbuch des Rheinischen Particular-Rechts: Entwickelung der Territorial- und Verfassungsverhältnisse der deutschen Staaten an beiden Ufern des Rheins : vom ersten Beginnen der französischen Revolution bis in die neueste Zeit. Band3. Sauerländer, Frankfurt am Main 1832, OCLC165696316, S.6 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑
Neuste Länder und Völkerkunde. Ein geographisches Lesebuch für alle Stände. Kur-Hessen, Hessen-Darmstadt und die freien Städte. Band22. Weimar 1821, S.414 (online bei Google Books).
↑
Gesetz über die Aufhebung der Provinzen Starkenburg, Oberhessen und Rheinhessen vom 1. April 1937. In: Der Reichsstatthalter in Hessen Sprengler (Hrsg.): Hessisches Regierungsblatt. 1937 Nr.8, S.121ff. (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 11,2MB]).
↑Gesetz über die Verhältnisse der Standesherren und adeligen Gerichtsherren vom 7. August 1848. In: Großherzog von Hessen (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1848 Nr.40, S.237–241 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 42,9MB]).
↑Verordnung zur Ausführung des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes und des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze vom 14. Mai 1879. In: Großherzog von Hessen und bei Rhein (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1879 Nr.15, S.197–211 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 17,8MB]).
↑
Kommunalwahlen 1972; Maßgebliche Einwohnerzahlen der Gemeinden vom 4. August 1972. In: Der Hessische Minister des Inneren (Hrsg.): Staatsanzeiger für das Land Hessen. 1972 Nr.33, S.1424, Punkt 1025 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 5,9MB]).
↑Gießener Allgemeine, 2013: Klage gegen Ex-Bürgermeister: „Er stellte im Oktober 2012 den Antrag auf Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand, den das Parlament einstimmig beschloss.“ - Parlament für Sehrts vorzeitigen Ruhestand - Gießener Allgemeine, Juli 2013: Karl Kräter hört nach 20 Jahren als Erster Beigeordneter auf: „Durch den faktischen Rücktritt von Bürgermeister Holger Sehrt musste der ehrenamtliche Beigeordnete Kräter die Amtsgeschäfte in der Verwaltung übernehmen. Am 15. März konnte er diese Aufgaben an den neu gewählten Bürgermeister Dietmar Kromm übergeben.“
↑Gießener Allgemeine, 4. Juni 2021: Ein Mann voller Tatendrang: „Ehrenbürgermeister Klaus Döring … wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag, ist er plötzlich gestorben. 18 Jahre lang, von 1984 bis zum 31. Dezember 2001, hat der Mann aus Bersrod die Geschicke der Gemeinde gelenkt “