Petrópolis liegt 60 Kilometer nördlich der Stadt Rio de Janeiro in der Serra dos Órgãos (Orgelgebirge) auf einer Höhe von 838 m über dem Meeresspiegel. Das Gemeindegebiet umfasst rund 791,1 km² (2019), die Bevölkerung wurde im Jahr 2021 auf 307.144 Einwohner, die Petropolitanos genannt werden, geschätzt.[1]
Petrópolis wurde 1825 als Ort von deutschsprachigen, insbesondere Tiroler Einwanderern, gegründet. 1843 wünschte der brasilianische KaiserDom Pedro II dort die Errichtung einer kaiserlichen Sommerresidenz.[2] Der gebürtige Mainzer Julius Friedrich Koeler wurde mit der Planung und dem Aufbau beauftragt.[3] Einwanderer, denen es gelang, ihr Grundstück in acht Jahren abzuzahlen, durften bleiben, die anderen mussten gehen. Koeler und seine Beamten wurde von zeitgenössischen Chronisten, darunter einem Pfarrer, beschuldigt, die Bauarbeiter in einen Zustand der Verelendung zu treiben und korrupt zu sein. Gegen Koeler erhob der Pfarrer den Vorwurf, Frauen und Mädchen sexuell zu missbrauchen. Berühmt wurde eine gewisse Frau Welter, die sich den Begierden des übergriffigen Stadtbaumeisters mit Gewalt widersetzte. Koeler starb 1847 bei einem Anschlag mit unbekannter Täterschaft.[4]
Die benötigten Handwerker und Straßenarbeiter wurden größtenteils in Deutschland als Kolonisten angeworben. Anhand eines historischen Stadtplans vom September 1846 lässt sich die regionale deutsche Herkunft der Kolonisten durch die Namensgebung der zwölf Koloniequartiere erkennen: Bingen, Ingelheim, Mosel, Nassau, Unter-Rheingau, Mittel-Rheingau, Simmern, Unter-Pfalz, Ober-Pfalz, Westfalen, Castellania und Petropolis. Ebenso an den Plätzen: St. Goar, Wiesbaden und Kreuznach. Bis Dezember 1846 kamen weitere Quartiere hinzu, unter anderem Darmstadt und Worms.
Im September 1846 besuchte Ida Pfeiffer auf ihrer ersten Weltreise als eine der ersten ausländischen Gäste die junge Kolonie, da deren schnelle Entwicklung in Rio Aufsehen erregte. Sie berichtet, dass die Kolonisten „verschiedene Gattungen europäischer Gemüse und Früchte, die in den tropischen Ländern nur auf einer bedeutenden Höhe gedeihen, für den Bedarf der Hauptstadt“ anbauen.[5] Damals lebten schon 2101 Siedler in Petrópolis, darunter 1921 Deutsche, und Ende Dezember 1846 belief sich die Einwohnerzahl bereits auf nahezu 2300 Personen.[3]
1857 wurde der Ort Petrópolis von Kaiser Dom Pedro II zur Stadt erhoben. Zwischen 1894 und 1902 war Petrópolis Hauptstadt des Bundesstaates Rio de Janeiro.[2]
Infolge starken Niederschlags und der daraus resultierenden Überschwemmungen ereignete sich am 15. Februar 2022 in Petrópolis ein Murgang, durch den mindestens 152 Menschen ums Leben kamen.[7]
Bevölkerungsentwicklung
Jahr
Einwohner
Stadt
Land
1872
7.219*
?
?
1900
39.695
?
?
1920
67.574
?
?
1940
84.875
55.006
29.869
1950
108.307
75.957
32.350
1960
150.300
120.113
30.187
1970
189.140
154.545
34.595
1980
242.017
202.213
39.804
1991
255.468
249.080
6.388
2000
286.537
270.671
15.866
2010
296.044
281.356
14.688
2021
307.144
?
?
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* 1872: 7.219 Einwohner inklusive 433 Sklaven
Quelle: IBGE (2011)[8]
Wirtschaft
In Petrópolis betreibt der global operierende Konzern General Electric ein Werk zur Überholung und Neuteilfertigung von Flugzeugantrieben. So wird dort zum Beispiel für das CFM56-7Triebwerk das Verdichtergehäuse gefertigt. Außerdem ist Petropolis ein Zentrum der Textilindustrie mit vielen Geschäften und Fabrikverkaufsstellen. Die Grupo Petrópolis betreibt hier eine Großbrauerei. Deren bekannteste Marke ist Itapaiva, benannt nach einem 15 km weiter nördlich auf der Hauptstraße von Rio liegenden Ort im Município.
Ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist auch die 1953 gegründete Universidade Católica de Petrópolis, an der mehr als 5000 Studenten eingeschrieben sind.
Allgegenwärtig erscheint die Tourismusindustrie mit ihren vielen Andenkenläden, die unter anderem in China hergestellte Schneekugeln mit dem kaiserlichen Sommerpalast kostengünstig einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Von einer letzten glamourösen Zeit kündet das im Süden des Municípios, nunmehr in Appartements umgewandelte Hotel Quitandinha, wo sich von den 1950er bis in die 1960er Jahre unter der künstlerischen Leitung des ehemaligen ungarischen Fußballtrainers Nicolas Ladanyi Weltstars wie Errol Flynn, Greta Garbo und das Hollywood-BusenwunderJayne Mansfield einfanden.
Viele vermögendere Bewohner der Stadt Rio de Janeiro, insbesondere mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen befasste Politiker und Unternehmer die öffentliche Aufträge ausführen, haben in Petrópolis Zweitwohnsitze, wo man der oft erdrückenden Sommerhitze der Baixada Fluminense entfliehen kann. Besonders beliebt sind Häuser in sogenannten Condomínios, neudeutsch „Gated Communities“, in Itaipava, um so mehr, wenn diese einen Ausblick auf die Berge der Serra dos Órgãos mit ihren bis zu mehr als 2000 Metern hohen Gipfeln ermöglichen.
Kultur
Petrópolis ist der Sitz des bedeutendsten brasilianischen Knabenchores Canarinhos. Vom deutschen Franziskaner-Pater Laetus 1942 gegründet, ist der Chor an vielen Sonntagen in den Gottesdiensten der örtlichen Franziskanerkirche zu hören. Konzerttourneen im In- und Ausland sowie zahlreiche Tonträgerproduktionen zeugen vom künstlerischen Niveau.
Seit 1983 findet jedes Jahr, meist Ende Juni, in Petrópolis das Bauernfest statt, ein Festival, das die Ankunft deutscher Einwanderer in Petrópolis im 19. Jahrhundert feiert.
In der bis heute von Einwanderern aus verschiedenen europäischen Ländern geprägten Stadt sind neben der dominierenden römisch-katholischen zahlreiche andere christliche Kirchen vertreten. Die bekannteste Kathedrale ist die Bischofskirche der katholischen Diözese Petrópolis.
Kriminalität
Die Mordrate 2016/2017 betrug knapp unter 10 Opfer pro 100.000 Einwohner, was etwa ein Drittel der brasilianischen betrug und hinter Teresópolis die zweitniedrigste unter den Großstädten des Staates Rio de Janeiro war.[9]
Der 1912 gegründete EC Cascatinha war 1943 Halbfinalist der Staatsmeisterschaft und in den 1990er Jahren kurzfristig in der dritten Klasse der Staatsliga. Der Kaiserburg FC, der in deutschen Nationalfarben und mit Bundesadler auf der Brust antrat, hatte gegen Ende der 2000er Jahre eine kurzlebige Existenz im unterklassigen Staatsfußball. Der 2004 gegründete Estácio de Sá FC aus dem Norden der Stadt Rio siedelte 2011 nach Petrópolis um und hatte seither als Imperial FC einige Episoden im unterklassigen Staatsfußball.
Sehenswürdigkeiten
Der Mitte des 19. Jahrhunderts für Pedro II. erbaute Palast ist eine Hauptattraktion der Stadt. Seit 1940 beherbergt er das Museu Imperial, das in seinen weitläufigen Räumen Teile des kaiserlichen Mobiliars, die prächtigen Staatsgewänder, Zepter und Krone des letzten brasilianischen Kaisers ausstellt.
In Petrópolis ist das Haus des Flugpioniers Santos Dumont zu besichtigen.
Die Casa Stefan Zweig ist ein 2012 eröffnetes Schriftstellermuseum, eingerichtet in dem Haus, in dem sich der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig 1942 das Leben nahm.[10] Das Projekt Casa Stefan Zweig wurde von Alberto Dines initiiert und wird vom Österreichischen Gedenkdienst unterstützt. Auf dem Cemitério Municipal, dem städtischen Friedhof, befindet sich das Grab von Stefan Zweig.
Stefan Zweig (1881–1942), österreichischer Schriftsteller, ab 1941 in Petrópolis, Tod im Exil durch Suizid am 22. Februar 1942
Paulo Evaristo Arns (1921–2016), emeritierter Erzbischof von São Paulo und Kardinal deutscher Abstammung, Franziskaner, Befreiungstheologe; 1944–1947 Studium der Theologie in Petrópolis, nach 1950 Seelsorger und Professor an der Katholischen Universität von Petrópolis.
Leonardo Boff (* 1938), brasilianischer Theologe, studierte in Petrópolis
Kevin Kurányi (* 1982), deutscher Fußballprofi, aufgewachsen in Petrópolis
↑ abBjörn Effgen: Petrópolis. Ein brasilianisches „Versailles“. In: Auswanderungen aus den Regionen des heutigen Rheinland-Pfalz. Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz, abgerufen am 14. Januar 2019.
↑Ruedi Leuthold: Brasilien – Der Traum vom Aufstieg. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2013, ISBN 978-3-312-00579-6, S.106.
↑Ida Pfeiffer: Eine Frauenfahrt um die Welt. Verlag Carl Gerold, Wien 1850, Bd. 1, S. 73. (Digitalisat).
↑Evolução da divisão territorial do Brasil 1872–2010 (= IBGE [Hrsg.]: Documentos para disseminação. Memória institucional. Nr.17). 2011, ISBN 978-85-240-4208-9, ISSN0103-6459, Evolução da população, segundo os municípios – 1872/2010, S.216 (brasilianisches Portugiesisch, ibge.gov.br [PDF; 122,3MB; abgerufen am 15. Februar 2022]).