Peter Rühmkorf wuchs als nichtehelicher Sohn der Lehrerin Elisabeth Rühmkorf (1895–1989), einer Otterndorfer Pastorentochter, in Warstade (heute Ortsteil der Stadt Hemmoor) bei Stade auf. Sein Vater war der Puppenspieler Hans Westhoff.[1] Peter Rühmkorf war ein Patenkind von Karl Barth. 1951 legte er am Athenaeum Stade sein Abitur ab. Von 1951 bis 1956/57 studierte er zunächst Pädagogik und Kunstgeschichte, später Germanistik und Psychologie in Hamburg. Sein ursprüngliches Studienziel, Volksschullehrer, gab Rühmkorf nach einigen Semestern auf und brach das Studium ab. Ein Konflikt mit seinen Professoren soll nach eigenen Angaben die Ursache gewesen sein.
Zusammen mit dem Lyriker und Essayisten Werner Riegel gab er von 1951 bis zu dessen Tod 1956 die hektografierte Literaturzeitschrift Zwischen den Kriegen im Eigenverlag heraus. Diese war zugleich lyrische und politische Plattform des „Finismus“ und in der Rückschau eine bedeutende Heftreihe jener Jahre. Rühmkorf war einer der Gründer und Hauptautor im Studentenkurier, der für die junge „widerständische“ Intelligenz der 1950er Jahre bedeutsam war. Später veröffentlichte er in der Folge-Zeitschrift konkret.
Von 1958 bis 1964 arbeitete Rühmkorf als Verlagslektor im Rowohlt Verlag. Seither war er in Hamburg freier Schriftsteller und Dichter. Oft trug Rühmkorf seine eigenen Gedichte öffentlich[2] vor, teilweise mit Jazz-Begleitung von Michael Naura und Wolfgang Schlüter.[3] 1966 nahm er an einer Veranstaltung Jazz und Lyrik auf dem Adolphsplatz in Hamburg teil.[4] Er erhielt zahlreiche literarische Preise und war häufig Gastdozent an deutschen und internationalen Universitäten. Er war 1969 bis 1970 in Austin (Texas), 1977 in Essen, 1978 in Warwick, 1980 in Frankfurt am Main und Hannover, 1983 in New Hampshire und 1985/86 in Paderborn. In den 1960er Jahren arbeitete Rühmkorf auch als Dramatiker, die drei damals entstandenen Theaterstücke waren jedoch – zumal wegen tagespolitischer Konstellationen in beiden Teilen Deutschlands – wenig erfolgreich.
1972 erschien seine AutobiografieDie Jahre die ihr kennt.
1964 heirateten er und die Psychologin Eva Titze (1935–2013), die als Leiterin einer Strafanstalt, Gender- und Kultuspolitikerin und als Ministerin in Schleswig-Holstein arbeitete. Sie lebten seit den frühen 1970er Jahren in Övelgönne im Hamburger Stadtteil Othmarschen.[5]
Peter Rühmkorf starb am 8. Juni 2008 im Alter von 78 Jahren im schleswig-holsteinischen Roseburg, wo er zuletzt gewohnt hatte, an Krebs. Sein Urnengrab befindet sich auf dem Hauptfriedhof Altona. Auf der Rückseite des Grabsteins befindet sich ein Zitat Rühmkorfs: „Romantiker: Die Aufklärung mag gegen uns sprechen, aber wir sind trotzdem für sie.“
Peter Rühmkorf hat seit den 1950er Jahren die Zeitgeschichte, den Kulturbetrieb und die Entwicklungen der Literatur, besonders der Lyrik, aufmerksam, kritisch, polemisch mit seinen scharfsichtigen und scharfzüngigen Anmerkungen begleitet. Seine Essays und Reden erweisen ihn als Erben der Aufklärung und als Kämpfer für den „Hochseil“-Akt, aufklärerisch-politische Ziele mit den Forderungen der Poesie und den Rechten des Individuums zu verbinden.
Was die kritischen Arbeiten fordern, versuchte er mit Gedichten einzulösen. Seine Sprache kommt der Artistik nahe: vieldeutiges Sprachspiel, Wortwitz, verblüffende Reime, Gedankenakrobatik, überraschende Bilder. Rühmkorfs Wandlungsfähigkeit kommt seinem literarischen Ahnherrn Heine gleich, es ist die „geistig-politische Schmuggelware“. Rühmkorf verbindet Brillanz mit Anleihen bei der Poesie des Volkes, die er in ihren Spielarten gesammelt und veröffentlicht hat. Er wird als „artistischer Volkssänger“, „witziger Aufklärer“, „subversiver Sprachvirtuose“ bezeichnet, der uns heutige „aufgeklärte Märchen“ erzählt. Er zeigte, was Dichtung heute sein kann: „ein utopischer Raum, in dem freier geatmet, inniger empfunden, radikaler gedacht und dennoch zusammenhängender gefühlt werden kann als in der sogenannten wirklichen Welt“.
Würdigung
In der Lyrik der 1980er und 1990er Jahre hat er seinen Werktitel aus dem Jahre 1979 „Haltbar bis Ende 1999“ widerlegt. In seinen Tagebüchern erschloss er sich nach der Wende eine neue Gattung zwischen Zeitkritik und Autobiographie.[8]
Zu seinem 75. Geburtstag (2004) zeigte das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung zu Werk und Leben Rühmkorf Revue – Ein Bilderbogen zum 75sten. Die etwa 850 Exponate gaben eine zeitgeschichtliche Einsicht in das umfangreiche Privatarchiv des Dichters.
Zum achtzigsten Geburtstag des Schriftstellers veranstaltete die Arno Schmidt Stiftung in Bargfeld in Verbindung mit dem Nordkolleg Rendsburg vom 22. bis 25. Oktober 2009 eine Tagung. Die Freie Akademie der Künste in Hamburg widmete ihrem langjährigen Mitglied zu diesem Anlass einen Gedächtnisabend: „Freunde lesen Rühmkorf“.
2019 richtete die Arno Schmidt Stiftung die Ausstellung „Laß leuchten! Peter Rühmkorf zum Neunzigsten“ aus, die vom 21. August 2019 bis zum 20. Juli 2020 im Altonaer Museum in Hamburg zu sehen war[9] und vom 25. Oktober 2020 bis 1. August 2021 im Schiller-Nationalmuseum in Marbach gezeigt wird. Im Juli 2019 wurde seinem Wunsch folgend eine Stufe der Ringelnatztreppe in Hamburg-Othmarschen mit Peter Rühmkorf markiert.[10]
In: Zwischen den Kriegen. Zs., 1952–1956: zahlreiche Beiträge, davon viele pseudonym.
Heiße Lyrik. Mit Werner Riegel. Limes, Wiesbaden 1956.
Irdisches Vergnügen in g. Fünfzig Gedichte. Rowohlt, Hamburg 1959.
Wolfgang Borchert. Biographie. Rowohlt, Reinbek 1961.
Kunststücke. Fünfzig Gedichte nebst einer Anleitung zum Widerspruch. Rowohlt, Reinbek 1962.
Über das Volksvermögen. Exkurse in den literarischen Untergrund. Rowohlt, Reinbek 1967. (Kinder- und Abzählverse, Trivialtravestien aus hundert Jahren).
Was heißt hier Volsinii? Bewegte Szenen aus dem klassischen Wirtschaftsleben. Rowohlt, Reinbek 1969. (Bühnenstück)
Die Jahre die ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen. Rowohlt, Reinbek 1972.
Lombard gibt den Letzten. Ein Schauspiel. Wagenbach, Berlin 1972.
Die Handwerker kommen. Ein Familiendrama. Wagenbach, Berlin 1974.
Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich. Rowohlt, Reinbek 1975.
Funken fliegen zwischen Hut und Schuh. Lichtblicke, Schweifsterne, Donnerkeile. Herausgegeben von Stefan Ulrich Meyer. Deutsche Verlagsanstalt, München 2003.
Tabu II. Tagebücher 1971–1972. Rowohlt, Reinbek 2004.
Wenn ich mal richtig ICH sag … . Ein Lese-Bilderbuch. Steidl, Göttingen 2004.
Aufwachen und Wiederfinden. Gedichte. Insel, Frankfurt am Main 2007.
Selbst III/88. Aus der Fassung. Neuausgabe. Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt 2009.
Briefwechsel mit Kurt Hiller 1953–1960, In: Rüdiger Schütt (Hrsg.): Zwischen den Kriegen. Werner Riegel, Klaus Rainer Röhl und Peter Rühmkorf: Briefwechsel mit Kurt Hiller 1953–1971. Edition text + kritik, München 2009, ISBN 978-3-88377-997-3.
Dirk von Petersdorff (Hrsg.): Der Kuss der Erkenntnis – Gedichte. Reclam, Stuttgart 2011.
Peter Rühmkorf: Auf Wiedersehen in Kenilworth Ein Katzen–Märchen, Insel Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-458-35355-3.
In meinen Kopf passen viele Widersprüche. Über Kollegen, hrsg. von Susanne Fischer und Stephan Opitz. Wallstein Verlag, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-1171-8.
Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf: Der Briefwechsel. Hrsg. von Christoph Hilse und Stephan Opitz. Wallstein Verlag, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1620-1.
Sämtliche Gedichte. Hrsg. von Bernd Rauschenbach. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016, ISBN 978-3-498-05802-9.
Des Reiches genialste Schandschnauze. Texte und Briefe zu Walther von der Vogelweide. Hrsg. von Stephan Opitz. Wallstein Verlag, Göttingen 2017, ISBN 978-3-8353-3039-9.
Herausgabe
Werner Riegel: Gedichte und Prosa. Limes, Wiesbaden 1961.
Wolfgang Borchert: Die traurigen Geranien und andere Geschichten aus dem Nachlass. Rowohlt, Reinbek 1962.
Primanerlyrik, Primanerprosa. Eine Anthologie. Rowohlt, Reinbek 1965.
131 expressionistische Gedichte. Wagenbach, Berlin 1976.
Das Mädchen aus der Volkskommune. Chinesische Comics. Rowohlt, Reinbek 1976.
mit Theo Rommerskirchen: Ein Buch der Freundschaft. Remagen-Rolandseck: Rommerskirchen. 1996.
Arno Schmidt: Lesen ist schrecklich! Das Arno-Schmidt-Lesebuch. Haffmans, Zürich 1997.
Die Geschichte vom Lastkran, der eine Schiffssirene sein wollte. Prosa, Lyrik, Szene & Essays. Swiridoff, Künzelsau 2002.
Phönix voran! Schallplatte (mit Michael Naura, Wolfgang Schlüter, Leszek Zadlo). 1978 [ECM 2305802 SP]
Außer der Liebe nichts. Liebesgedichte. Gelesen von Peter Rühmkorf. Der Hörverlag, München 1999. 1 CD. (Audio Books.)
Robert Gernhardt & Peter Rühmkorf lesen: In gemeinsamer Sache. Raben-Records im Heyne Hörbuch, München 2000. 1 MC.
Peter Rühmkorf liest Lyrik und Prosa. Hrsg. von Harro Zimmermann und Walter Weber. Wallstein-Verlag, Göttingen / Radio Bremen, Bremen 1999. 2 CDs.
Rühmkorf, Enzensberger: Jahrgang 1929: Zwei Lyriker im Doppelbild. Hoffmann und Campe Hörbücher, NDR Audio, Hamburg: 2002. 2 CDs.
Günter Grass und Peter Rühmkorf lesen: Komm, Trost der Nacht. Barocklyrik. Der Hörverlag, München 2004. 1 CD.
Peter Rühmkorf, mit Dietmar Bonnen und Andreas Schilling: Früher, als wir die großen Ströme noch …, Rühmkorf-Gedichte mit Musik. Random House 2006. 1 CD.
Paradiesvogelschiß. Gedichte. Von, für und mit Peter Rühmkorf. Regie: Charlotte Drews-Bernstein. Hoffmann und Campe Hörbücher, Hamburg 2008. 1 CD.
Für und mit Peter Rühmkorf – Zwischen Freund Hein und Freund Heine – Eine Einführung in Leben und Werk von Charlotte Drews-Bernstein. Eine Produktion der Arno-Schmidt-Stiftung. Hoffmann und Campe, Hamburg, Hörbücher. 2009 3CDs, ISBN 978-3-455-30667-5.
Jazz & Lyrik. Aufnahmen 1976–2006. 3 CDs mit Beibuch. Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung (Hrsg.). Hoffmann & Campe, Hamburg 2009
Literatur
Theodor Verweyen: Eine Theorie der Parodie. Am Beispiel Peter Rühmkorfs. Fink, München 1973.
Peter Bekes, Michael Bielefeld: Peter Rühmkorf. Beck edition text + kritik, München 1982.
Edith Ihekweazu: Peter Rühmkorf – Bibliografie. Essay zur Poetik. Frankfurt/Bern/New York 1984.
Herbert Uerlings: Die Gedichte Peter Rühmkorfs. Subjektivität und Wirklichkeitserfahrung in der Lyrik. Bouvier, Bonn 1984.
Sabine Brunner: Rühmkorfs Engagement für die Kunst. Die Blaue Eule, Essen 1985.
Dieter Lamping, Stephan Speicher (Hrsg.): Peter Rühmkorf. Seine Lyrik im Urteil der Kritik. Bouvier, Bonn 1987.
Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 97. Peter Rühmkorf. edition text + kritik, München 1988.
Manfred Durzak, Hartmut Steinecke (Hrsg.): Zwischen Freund Hein und Freund Heine: Peter Rühmkorf. Studien zu seinem Werk. Rowohlt, Reinbek 1989.
Lars Clausen: Die Finisten. In: Mittelweg 36. 1992.
Frédérique Colombat-Didier: La situation poétique de Peter Rühmkorf. Lang, Bern 2000.
Wolfgang Rasch: Blumen-, Frucht- und Dornenstücke aus dem Archiv von Peter Rühmkorf in Hamburg. In: Roland Berbig, Martina Lauster, Rolf Parr (Hrsg.): Zeitdiskurse. Reflexionen zum 19. und 20. Jahrhunderts als Festschrift für Wulf Wülfing. Synchron Verlag, Heidelberg 2004, ISBN 3-935025-55-6, S. 425–442. (Darin über Rühmkorfs Studienzeit in Hamburg.)
Wolfgang Rasch: Bibliographie Peter Rühmkorf. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2004, 2 Bände, (Band 1: Primärliteratur; Band 2: Sekundärliteratur), Bibliographien zur deutschen Literaturgeschichte Band 13, ISBN 3-89528-476-9.
Theo Breuer: Wenn – aber dann. In: Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000. Edition YE, Sistig/Eifel 2005, S. 410–411; überarbeitete Fassung: Peter Rühmkorfs Gedichtbuch Wenn – aber dann von 1999 – haltbar bis heute (und darüber hinaus). In: Matrix. Zeitschrift für Literatur und Kunst, 56. Ausgabe, Pop Verlag, Ludwigsburg 2019.
Theo Rommerskirchen: Peter Rühmkorf. In: viva signatur si! Remagen-Rolandseck 2005, ISBN 3-926943-85-8.
Frank Möbus: Peter Rühmkorf. In: Ursula Heuenkamp, Peter Geist (Hrsg.): Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2007, S. 460–470.
Rüdiger Schütt (Hrsg.): Zwischen den Kriegen. Werner Riegel, Klaus Rainer Röhl und Peter Rühmkorf: Briefwechsel mit Kurt Hiller 1953–1971. Edition text + kritik, München 2009, ISBN 978-3-88377-997-3.
Verena Paul: „Schreiben mit gespaltener Feder“: Peter Rühmkorfs ästhetisch-politisches Doppelengagement. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2012, ISBN 978-3-86110-518-3.
Wolfgang Rasch: Bibliographie Peter Rühmkorf (2004-2016). Aisthesis Verlag, Bielefeld 2019, (Bibliographien zur deutschen Literaturgeschichte Band 25), ISBN 978-3-8498-1396-3 (führt das 2004 erschienene zweibändige Grundwerk bis 2016 fort).
Anne Uhrmacher: Peter Rühmkorfs Sammlung "Über das Volksvermögen" (1967). In: Nicole Mattern u. Stefan Neuhaus (Hrsg.): Handbuch Literatur und Kultur der Wirtschaftswunderzeit. Berlin/Boston 2024, S. 459–473, ISBN 978-3-11-067959-5.
Filme
Kleine Anweisung zum glücklichen Leben. 1963.
Schwarz-Weiß-Rot. 1964.
Abends wenn der Mond scheint. 1964.
Zurück zur Kultur. 1968.
Ein Mann ohne Ufer. Auf den Spuren von Hans Henny Jahnn. 1980, zusammen mit Paul Kersten
↑In der Autobiografie „Die Jahre die ihr kennt“ (1972) weist Rühmkorf gleich am Anfang auf die Vaterschaft hin; vgl. Willi Winkler: Der Dichter als Messie. Abgerufen am 14. Dezember 2019.
Doletzki, Leo (Pseudonym); Meier, Leslie (Pseudonym); Fontara, Johannes (Pseudonym); Lyng (Pseudonym); Frieder, John (Pseudonym); Weber, Hans-Werner (Pseudonym); Flieder, Harry (Pseudonym); Hingst, Hans (Pseudonym)
KURZBESCHREIBUNG
deutscher Lyriker, Schriftsteller, Essayist und Pamphletist