Archäologische Funde aus der Mitte des 20. Jahrhunderts belegen, dass in der jüngeren Steinzeit, etwa 3000 bis 1800 v. Chr. Menschen in dieser Gegend lebten. Eine dauerhafte Besiedlung ist für die Zeit um Christi Geburt nachgewiesen,[1] als dieses Gebiet zum Kernland des germanischen Stammes der Brukterer gehörte. Im 7. Jahrhundert geriet die Region unter sächsischen Einfluss und bildete kurze Zeit das Grenzland zu den wenig später dominierenden Franken.[2] Etwa seit 1000 n. Chr. breitete sich das kultivierte Land über das reine Acker- und Saatland hinaus in die sogenannten Kämpen und Breden aus. Sie bildeten die Vorläufer der daraus entstandenen Parklandschaft des Münsterlandes.[3]
Vorläufersiedlung
Die Gemeinde Neubeckum wurde am 1. April 1899 am Beckumer Haltepunkt der Köln-Mindener Eisenbahn durch Ausgliederung aus der Gemeinde Ennigerloh neu gebildet.[4] Bis dahin bildete das Gebiet die Bauerschaft Werl. Diese wurde erstmals wahrscheinlich im 11. Jahrhundert in den Urkunden des Frauenstiftes Freckenhorst,[5] sicher aber im Jahre 1534 als Teil des fürstbischöflichenAmtes Stromberg erwähnt.[6] Durch seine exponierte Lage direkt an dem Hauptverbindungsweg zwischen Warendorf und Beckum waren die Bewohner der Bauerschaft in allen Jahrhunderten von der Soester Fehde (1444–1449) bis zu den Napoleonischen Kriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder äußerst schwer betroffen. Während der Reformation fasste nicht so sehr die Lehre Martin Luthers Fuß als die des Calvinismus. Die Täufer hatten im Kirchspiel Ennigerloh eine Hochburg.[1] Seit dem Wiener Kongress (1815) gehörte die Region zu Preußen.
Eine Gründungslegende dieser noch recht jungen Ortschaft besagt, dass den Beckumer Bauern das funkenstiebende Dampfross nicht geheuer war und dass man daher den Landvermessern der Eisenbahn manche Schwierigkeiten in den Weg legte, die sie zum nördlichen Ausweichen brachten. Der tatsächliche Hintergrund ist, dass die neue Eisenbahnstreckenführung das hügelige südliche Grenzland der Münsterländer Bucht wegen der erwarteten hohen Kosten des Baus einer Trasse in dieser schwierigen Topographie ohnehin hätte meiden müssen.
27./28. Mai 1940: erster Bombenabwurf des Krieges im Kreis Beckum: Gehöft Degener
22. Februar 1944: Luftangriff, St.-Josephs-Kirche schwer beschädigt
23. März 1944: Luftangriff durch die 379th Bomb Group der U.S. Air Force mit 19 B-17, Alarm 11:30 Uhr; es fielen 150 Bomben im Gebiet Friedrichshorst: Wiethagen, Südstraße, Wickingstraße, Dyckerhoffstraße; es gab 8 Tote, 1 Haus wurde völlig zerstört. Diese Einheit hatte u. a. im Sommer des Vorjahres an der Operation Gomorrha teilgenommen.
21. Oktober 1944: Luftangriff (Bahnanlagen nahe Hotel Hüttemann, Hauptstraße: Kellermann und Hegenkötter, Bahnhofstraße: Moll)
Am 1. Januar 1975 verlor Neubeckum nach 75 Jahren seine Selbstständigkeit[9] und wurde im Rahmen der Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen in die Stadt Beckum eingegliedert.[10]
Militärgeschichte im Kalten Krieg
20. Mai 1976: Bei der damals geheimen Operation „Incoming Red“ der Alliierten diente der Luftraum in der Umgebung Neubeckums für fast zwei Wochen der britischen Royal Air Force (RAF) und der deutschen Luftwaffe als Trainingsgebiet. Dort wurde das Abfangen von tief ins Feindesland eingedrungenen sowjetischen Tiefflugbombern trainiert. Als Aggressor dienten deutsche F-4 Phantom Jäger, die – von aus Gütersloh stammenden Harriern der RAF simuliert – abgeschossen werden sollten. Gleichzeitig gab es eine größere Landung von etwa 300 Fallschirmjägern bei Nacht. Aufgrund der diskreten Durchführung erregte die Operation keine große Aufmerksamkeit bei den Bürgern.
14. Juni 1978: Nach einer Beinahe-Kollision mit dem ADAC-Rettungshubschrauber Christoph 8 stürzte ein Bomber Buccaneer mit der Kennung XN975 der RAF um circa 14:30 Uhr auf einem Übungsflug im Hohen Hagen in ein Kornfeld und brannte aus. Die beiden Besatzungsmitglieder S. Lt. Adcock und Flt. Lt. Hammond retteten sich mit dem Schleudersitz.
Wirtschaft
Die ortsansässige Industrie besteht hauptsächlich aus einigen Schlosserei- und Maschinenbaubetrieben. Der vormals unter Polysius AG firmierende Zementanlagenbauer, heute Teil des ThyssenKrupp-Konzerns, hat hier seinen Standort. Am Ort bestehen außerdem Werke des Faserzementherstellers Eternit AG und des Maschinenbauunternehmens Balcke-Dürr GmbH.
Das Zementwerk Dyckerhoff II des Zementkonzerns Dyckerhoff AG wurde 2007 endgültig stillgelegt.
Seit 1925 befindet sich das Stammhaus der Bauunternehmensgruppe Pollmann (Westfalen und Sachsen), die Karl Pollmann GmbH, in Neubeckum.
Seit 1935 befindet sich das Stammhaus des Pianohauses Micke in Neubeckum.
In Neubeckum kreuzen sich die Bahnstrecken Hamm–Minden und Münster–Warstein. Bis 1975 wurde auf der letztgenannten Verbindung auch Personenverkehr betrieben, u. a. nach Münster, Warendorf und Lippstadt. Diese Strecke dient heute, neben dem regulären Güterverkehr, für Museumsfahrten mit Dampflok-Zügen von Münster über Beckum-Neubeckum nach Lippstadt, Erwitte, Anröchte im Möhnetal und Warstein.[13] Die Bedeutung der Bahn ist auch im Wappen erkennbar.
Die Autobahn A2 (Oberhausen–Hannover–Berlin) führt südlich an Neubeckum vorbei. Die Ausfahrt Beckum (Nr. 20) befindet sich 2 km entfernt. Durch Beckum-Neubeckum verläuft die B 475 (Rheine–Soest). Münster ist 33 km (Luftlinie) nordöstlich entfernt.
Schulen
Am Ort befinden sich zwei Grundschulen (Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule, Roncalli-Schule) und das Kopernikus-Gymnasium. Aus der bis 2012 bestehenden Käthe-Kollwitz-Hauptschule wurde ein Standort der ortsübergreifenden Gesamtschule Ennigerloh-Neubeckum.
Söhne und Töchter Neubeckums
Aloys Gödde (1933–2013), mit 30 Jahren zum damalig jüngsten Bürgermeister (CDU) von Neubeckum und Nordrhein-Westfalen ernannt; ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande.[14]
Anja Höfer (* 1971), Journalistin und Fernsehmoderatorin
Paul Rakow, kommunistischer Revolutionär und Bruder von Felix Wolf (eigentlich Werner Rakow), dem Mitbegründer der KPD. Paul Rakow wurde am 21. März 1901 in Neubeckum geboren, 1937 in der Sowjetunion erschossen.
Herbert Benedikt (1925–1987), österreichischer Maler, Grafiker und Mosaizist, lebte und arbeitete von 1959 bis zu seinem Tod am 23. Juli 1987 in Neubeckum und ist dort begraben;
Ludwig Dinnendahl (1941–2014), Steinbildhauer, lebte von 1974 bis 2006 in Neubeckum;
Josef Jakob (1896–1953), Regionalpolitiker und NS-Widerstandskämpfer, lebte von 1912 bis 1922 in Neubeckum;
Fritz Kampers (1891–1950), Filmschauspieler und Ehemann von Lieselotte (gest. 1952), einer Enkelin Gustav Molls. Kampers ist in Neubeckum begraben;
Gustav Moll (1844–1901), Unternehmer (s. auch Geschichte der Balcke-Dürr GmbH) und entscheidender Mitgründer Neubeckums, starb am 8. Mai 1901 in Neubeckum und ist dort begraben;
Curt Prüssing (1896–1988), Unternehmer (s. Polysius), 1961 Ehrenbürger der Gemeinde Neubeckum, starb 1988 in München.
Wilhelm Rincklake (1851–1927), Architekt, baute 1892 die römisch-katholische St. Joseph-Kirche in Neubeckum;
Heinz Hessberger: Die Industrielandschaft des Beckumer Zementreviers. Im Selbstverlag des Geographischen Instituts der Universität Münster und der Geographischen Kommission für Westfalen, Münster 1957.
Egon Ahlmer, Gemeinde Beckum (Hrsg.): Gemeinde Neubeckum 1899–1974. Daten und Ereignisse aus 75 Jahren. Neubeckum 1974.
Günter Buchwald, Josef Schumacher: Neubeckum auf alten Postkarten. Sutton Verlag, 1998, ISBN 3-89702-056-4.
Heimatverein Neubeckum e. V. (Hrsg.): Neubeckum 1899–1999, Stationen und Entwicklung in 100 Jahren. Neubeckum 1999.
↑ abKäthe Hartmeyer: Geschichte der Bauerschaft Werl. In: Heimatverein Neubeckum e. V. (Hrsg.): Neubeckum 1899–1999, Stationen und Entwicklung in 100 Jahren. Neubeckum 1999, S. 16–27.
↑Vera Brieske: Sachse oder Franke? 50 Jahre Forschung zum Fürstengrab von Beckum. In: Archäologie in Westfalen-Lippe, Jg. 2009, S. 189–192.
↑Siegfried Schmieder, Friedrich Helmert: Ennigerloh. Chronik einer münsterländischen Gemeinde. Ennigerloh 1983, S. 23.
↑Stephanie Reekers: Die Gebietsentwicklung der Kreise und Gemeinden Westfalens 1817–1967. Aschendorff, Münster Westfalen 1977, ISBN 3-402-05875-8, S.264.
↑August Clewing: Aus Neubeckums Vergangenheit, 1924, Manuskript im Archiv des Heimatvereins Neubeckums.
↑Jörg Wunschhofer: Die Höfe der Bauerschaft Werl im Jahre 1534. In: Heimatverein Neubeckum e. V. (Hrsg.): Neubeckum 1899–1999, Stationen und Entwicklung in 100 Jahren. Neubeckum 1999, S. 41–46.
↑Wolfgang Leesch: Verwaltung in Westfalen 1815–1945. In: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Band38. Aschendorff, Münster 1992, ISBN 3-402-06845-1.
↑Insgesamt klagten beim Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen mehr als 70 Gemeinden, Städte und Kreise gegen die Neugliederungsentscheidung des Landtages. Fünf Verfassungsbeschwerden, die sieben Gemeinden betrafen, waren erfolgreich. Die Beschwerde Neubeckums wurde durch das sogenannte Neubeckum-Urteil vom 12. Juli 1975 – VerfGH 21/74 – abgewiesen, s. Bernhard Stüer: Verfassungsfragen der Gebietsreform. In: Die öffentliche Verwaltung, Heft 3, Februar 1978, S. 78–90, hier S. 78.