Als im Jahre 1884 der regierende Herzog Wilhelm von Braunschweig-Bevern, ein entfernter Cousin, ohne Nachkommen und mit ihm die ältere Linie der Welfen (Neues Haus Braunschweig) starb, meldete der 3. Herzog von Cumberland, Ernst Augusts Vater, als Haupt der jüngeren Linie des Welfenhauses seine Ansprüche auf das Herzogtum Braunschweig an. Da der ehemalige Kronprinz aber seinen Erbanspruch auf das 1866 von Preußen annektierte Königreich Hannover nicht aufgeben wollte, schloss ihn der deutsche Bundesrat auf Betreiben Reichskanzler Bismarcks von der Nachfolge in Braunschweig aus. Stattdessen wurde Prinz Albrecht von Preußen (1837–1906) Regent in Braunschweig. Nach dessen Tod 1907 bot Kronprinz Ernst August an, dass er und sein ältester Sohn Georg Wilhelm zugunsten Ernst Augusts (III.) auf die Thronfolge in Braunschweig verzichten würden. Da die Reichsregierung und der Bundesrat aber weiterhin einen Verzicht aller Angehöriger des Hauses Braunschweig-Lüneburg auf das Königreich Hannover forderten, ehe ein Welfe den Braunschweiger Thron besteigen könne, wurde abermals ein Regent bestimmt, nun Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg (1857–1920).[1]
Nach dem Tod seines älteren Bruders Georg Wilhelm bei einem Autounfall am 20. Mai 1912 bei Nackel in der Mark Brandenburg, veranlasste Kaiser Wilhelm II. nicht nur eine militärische Ehrenwache, sondern ließ auch seine beiden ältesten Söhne Kronprinz Wilhelm und Prinz Eitel Friedrich in der dortigen DorfkircheTotenwache halten. Um den persönlichen Dank des Welfenhauses für diese demonstrative Anteilnahme abzustatten, kam Ernst August als letzter lebender Sohn seines Vaters an den preußischen Hof in Potsdam, den seit 1866 kein Welfe mehr betreten hatte. Dabei verliebten sich Ernst August und die einzige Tochter des Kaisers, Prinzessin Viktoria Luise.[3]
Heirat, Regierungszeit
Am 24. Mai 1913 heiratete Ernst August Prinzessin Viktoria Luise, die einzige Tochter des preußischen Königs und Deutschen KaisersWilhelm II. Die Hochzeit kittete den jahrzehntealten Riss zwischen den Häusern Hohenzollern und Hannover. Sie war zugleich das letzte große Zusammentreffen europäischer Souveräne (von denen viele von Königin Viktoria oder König Christian IX. abstammten) vor dem Ausbruch des Weltkrieges. Außer dem Herzog und der Herzogin von Cumberland folgten u. a. auch König Georg V. von Großbritannien und Irland (Cousin des Bräutigams und des Brautvaters) mit Königin Mary und Zar Nikolaus II. (Cousin des Bräutigams) und Zarin Alexandra Fjodorowna von Russland der Einladung zur Hochzeit. Bei der Bekanntgabe der Verlobung zwischen Ernst August und Viktoria Luise schwor Ernst August dem Kaiser einen Treueid und wurde durch A.K.O. vom 24. Mai 1913 unter Beförderung zum Rittmeister zum Chef der 4. Eskadron im Husaren-Regiment „von Zieten“ (Brandenburgisches) Nr. 3 ernannt, einem preußischen Regiment, in dem schon sein Großvater Georg V. und sein Urgroßvater Ernst August I. Oberste gewesen waren.
Am 27. Oktober 1913 verzichtete der 3. Herzog von Cumberland zugunsten seines Sohnes förmlich auf seine Ansprüche auf das Herzogtum Braunschweig und am folgenden Tag beschloss der Bundesrat, dass der Prinz von Cumberland regierender Herzog zu Braunschweig und Lüneburg werden sollte. Der neue Herzog nahm sein Herzogtum Braunschweig formell am 1. November 1913 in Besitz, zog am 3. November feierlich in Braunschweig an und bezog das Braunschweiger Schloss.
Während des Ersten Weltkriegs wurde er zum Generalmajor befördert und diente im Generalkommando des X. Armee-Korps. Die Regentschaft über das Herzogtum übertrug er für die Zeit seiner Abwesenheit seiner Gemahlin, was jedoch kaum zum Tragen kam, da sich der Herzog seit Anfang 1915 nur noch sporadisch an der Front aufhielt, um dort die braunschweigischen Truppen zu besuchen.[4]
Die Abdankungsurkunde des Herzogs wurde im Jahr 1920 dem Herzoglichen Haus in Gmunden vom früheren Präsidenten des Freistaats Braunschweig zum Kauf angeboten.[5]
Restitutionsprozesse
1924 erhielt er vom Land Braunschweig im Wege der Fürstenabfindung das Schloss Blankenburg und die Domäne Calenberg, die Domänen Hessen und Heimburg (bei Blankenburg), das Rittergut Westdorf sowie das ehemalige Gut Kloster Michaelstein (insgesamt ca. 10.000 Hektar) zurückerstattet. Zudem gehörten ihm Schloss und Großer Garten Herrenhausen in Hannover sowie Schloss Marienburg. 1924–1933 klagte er auf Rückgabe des sogenannten Welfenfonds (auch als „Reptilienfonds“ bezeichnet). Das Gericht entschied auf eine Erstattung von acht Millionen Reichsmark. 1930 verkaufte er den bei Banken verpfändeten Welfenschatz an ein Konsortium von Kunsthändlern. Im gleichen Jahr siedelte der frühere Bundesfürst mit seiner Familie von Gmunden in Österreich auf das Schloss Blankenburg im Harz über.
NS-Zeit
In der NDR-Dokumentation Adel ohne Skrupel wurde 2014 auf Grundlage von Recherchen der Wiener Historikerinnen Ulrike Felber und Sabine Loitfellner zum ersten Mal über die Aktivitäten der Welfen in der Zeit des Nationalsozialismus berichtet.[6] Demnach eignete sich Ernst August durch „Arisierung“ mehrere jüdische Unternehmen an.[7] Auch die Verbindung der Welfen mit dem Rüstungsbetrieb Flugzeug- und Metallbauwerke Wels (FMW) konnte durch diese Recherchen nachgewiesen werden. Ernst August machte die FMW im August 1939 zum Rüstungsunternehmen, das in den Kriegsjahren durch Ausbeutung von Zwangsarbeitern hohe Gewinne erwirtschaftete. Der Betrieb unterhielt Wartungs- und Reparaturwerkstätten für die Luftwaffe. Für die geheime Produktion des Düsenjägers Messerschmitt Me 262 wurde ein ganzes Bergmassiv von Zwangsarbeitern ausgehöhlt.
Kriegsende und Tod
Ernst August erlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs auf Schloss Blankenburg. Der Harz wurde zunächst von britischen Truppen besetzt, die ihm und seiner Familie die Flucht vor den sowjetischen Besatzungstruppen ermöglichten, da Ernst August nicht nur durch seine Abstammung von Georg III. britischer Prinz, sondern auch mütterlicherseits Cousin Georgs V. war und zur erweiterten britischen Königsfamilie gezählt wurde. Der Umzug wurde von der britischen Armee durchgeführt. Etwa 30 Lastkraftwagen transportierten das Inventar der Schlösser in Blankenburg ab. Das Umzugsgut ging größtenteils zum Schloss Marienburg, wo die Welfenfamilie fortan lebte. Am 30. Januar 1953 starb Ernst August auf Schloss Marienburg.
Ernst Augusts gleichnamiger Enkel klagte nach der Wiedervereinigung auf Rückgabe der Güter nebst Schlösser in den ostdeutschen Ländern (Wert 2005: ca. 100–150 Millionen Euro), er verlor diese Prozesse. Sein ebenfalls gleichnamiger Urenkel ließ 2005 große Teile des 1945 geretteten Inventars vom Auktionshaus Sotheby’s versteigern und erzielte damit ca. 25 Millionen Euro.
Durch Royal Warrant vom 17. Juni 1914 gewährte König Georg V. von Großbritannien und Irland dem ältesten Sohn von Ernst August, Herzog von Braunschweig, und allen seinen Kindern den Titel Prinz (Prinzessin) von Großbritannien und Irland und die Anrede „Hoheit“. Diese Bestimmung wurde durch das Letters Patent vom 30. November 1917 wieder aufgehoben und die hannoverschen Prinzen und Prinzessinnen, die nach diesem Datum geboren wurden, haben kein Anrecht auf den Titel mehr. Trotzdem erklärte der ehemalige Herzog Ernst August als Haupt des Hauses Hannover und ältester männlicher Nachkomme König Georgs III., dass die Mitglieder des früheren königlichen Hauses Hannover weiterhin den Titel Prinz (Prinzessin) von Großbritannien und Irland und die Anrede „Königliche Hoheit“ führen würden. Diese Erklärung hat in Großbritannien keinerlei rechtliche Auswirkungen, obwohl andererseits bisher kein britischer Souverän versucht hat, diese Praxis zu unterbinden. Auch suchen die Mitglieder des Hauses Hannover bei Heiratsabsichten die Zustimmung des britischen Monarchen nach, wie es gemäß dem Royal Marriages Act, dem Königlichen Heiratsgesetz von 1772, die Pflicht der Nachkommen König Georgs III. ist.
Christian Oskar Ernst August Wilhelm Viktor Georg (* 1. September 1919; † 10. Dezember 1981);
Welf Heinrich Ernst August Georg Christian Berthold Friedrich Wilhelm Louis Ferdinand (* 11. März 1923; † 12. Juli 1997), ⚭ Alexandra Prinzessin zu Ysenburg und Büdingen (1937–2015).
Literatur
Ernst August in: Internationales Biographisches Archiv 15/1953 vom 30. März 1953, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
Peter Steckhan: Herzog und Kaisertochter – Ernst August von Hannover und Victoria Luise von Preußen. MatrixMedia Verlag, Göttingen 2019, ISBN 978-3-932313-52-3.