Wilhelmine von Hillern durfte erst mit 12 Jahren zum ersten Mal das Theater besuchen.[3] Sie entschloss sich, vom Spiel Bogumil Dawisons und Rachels begeistert, gegen den Willen ihrer Mutter, selbst Schauspielerin zu werden. Unter dem Protektorat ihrer Freundin Alexandrine von Baden begann sie ihre Laufbahn am Gothaer Hoftheater 1853 in der Rolle der Julia.[4] In den folgenden Jahren führten sie Gastspiele unter anderem an Hoftheater in Braunschweig, Karlsruhe, Berlin und an Stadttheater in Hamburg und Frankfurt am Main. In Mannheim erhielt sie 1856 ein Engagement am Hof- und Nationaltheater, wurde also Großherzoglich Badische Hof- und Nationalschauspielerin, und trat unter anderem in der Uraufführung des dramatischen Gedichts Die Huldigung des Landes von Hermann von Hillern aus Karlsruhe auf. Sie begann eine heimliche Liebesbeziehung mit ihm und stand „schon im Begriffe […] eine deutsche Rachel zu werden“,[5] als sie von Hermann von Hillern schwanger wurde.
Im Jahr 1857 heiratete sie den badischen Hofgerichtsrat und späteren Präsidenten des Landgerichts Freiburg Hermann von Hillern und beendete ihre Bühnenlaufbahn. Der von Wilhelmine bald nach der Heirat geborene Sohn, dessen uneheliche Zeugung nach damaligen Maßstäben skandalös war und daher verschleiert werden sollte, starb 13 Tage nach der Geburt. Gerüchte, er sei an gezielter Unterernährung verstorben, führten zur zwangsweisen Versetzung Hermann von Hillerns nach Freiburg im Breisgau.[6] Aus der Ehe stammen drei Töchter, von denen die 1859 geborene Hermine Diemer ebenfalls Schriftstellerin wurde[7] und mit dem Maler Michael Zeno Diemer verheiratet war; deren Sohn war der Pilot Franz Zeno Diemer.
Im Jahr 1865 veröffentlichte Wilhelmine von Hillern ihren ersten Roman Doppelleben, der wie auch die folgende Veröffentlichung Ein Arzt der Seele (1869) vom Publikum positiv aufgenommen wurde. Ihr Roman Aus eigener Kraft wurde 1870 in die populäre Zeitschrift Die Gartenlaube aufgenommen und erschien 1872 in Buchform.
Die Geier-Wally (1875)
Wilhelmine von Hillerns größter Erfolg wurde 1875[8] ihr Roman Die Geier-Wally, der von einer Anekdote aus der Jugend der Anna Stainer-Knittel ausgeht, die Wilhelmine von Hillern 1870 in Innsbruck kennengelernt hatte. Mit 17 Jahren hatte Anna Stainer-Knittel an einem Seil hängend einen Adlerhorst an einer Felswand ausgenommen, was zum Schutz von Schafherden zwar üblich, jedoch eine Arbeit der Männer war. Wilhelmine von Hillern schuf aus dem tatsächlichen Ereignis einen dramatischen Heimatroman, in der die weibliche Hauptfigur Walburga sich den Konventionen der Weiblichkeit verweigert und als Wildfang in raue Natur verstoßen ihre Jugend verlebt.
Der Roman wurde schon kurz nach Erscheinen in Buchform in acht Sprachen übersetzt und war nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) der erste deutsche Roman, der in Frankreich in der Revue des Deux Mondes im Auszug und später bei Hachette übersetzt erschien (unter dem Titel La fille au Vautour). Wilhelmine von Hillern schrieb nach ihrem Roman 1880 ein gleichnamiges Theaterstück, das ab 1881 an zahlreichen deutschen Bühnen aufgeführt wurde. Im 20. Jahrhundert wurde der Stoff auf der Grundlage Wilhelmine von Hillerns Romans zudem mehrfach verfilmt. Wilhelmine von Hillern schätzte im Rückblick ihren Roman Die Geier-Wally als eher mittelmäßig im Vergleich zu ihren späteren Werken ein, die sie als „tiefere und psychologisch durchgearbeitetere Probleme“ empfand, die „nicht mit dem Impuls jugendlicher Schaffensfreude verglichen werden können“.[9]
Die Oberammergauer Jahre 1883–1911 und ihr Tod 1916
Kurz nach der Veröffentlichung der Geier-Wally unterbrach Wilhelmine von Hillern ihr Schreiben. Sie pflegte ihren schwerkranken Mann, der 1882 verstarb. Sie zog 1883 nach Oberammergau zu Hermine Diemer, bewegte sich in höchsten Adelskreisen und ließ sich das sogenannte Hillern-Schlößl erbauen. Mit Alfredo Catalani arbeitete sie am Libretto der Oper La Wally, die 1892 in Mailand uraufgeführt wurde. Ihr letztes Werk Ein Sklave der Freiheit entstand 1903. Ein Jahr später trat sie im Kloster Ettal zum katholischen Glauben über. Das Hillern-Schlößl verkaufte sie 1910 und zog 1911 nach Hohenaschau bei Prien, wo sie 1916 verstarb. Sie fand ihre letzte Ruhe auf dem Pfarrfriedhof in Oberammergau.
Literarische Entwicklung, Stil und Bedeutung
Die zeitigen Werke Wilhelmine von Hillerns sind Unterhaltungsromane und Theaterstücke des Biedermeiers. Um 1900 wandte sich ihr Schreiben eher dem Heimat- und Bergroman zu, bei dem sich Wilhelmine von Hillern unter anderem von Werken Felix Dahns und Berthold Auerbachs beeinflussen ließ. Nach 1900 weisen ihre Werke zudem deutlich religiöse Bezüge auf.
„Die Sprache ihrer Romane hat einen Hang zu starken Effekten und zur Dramatik; es gelingt ihr aber selten, über Klischeevorstellungen hinauszukommen. Der Mythos von Blut und Boden durchzieht das Geschehen.“
Zu ihrer Zeit waren auch ihre Lustspiele große Publikumserfolge. Ein Autographensammler und Die Augen der Liebe erlebten vor allem an den Hoftheatern in Dresden und Berlin mehrere hundert Vorstellungen.[11]
Wenn überall im Deutschen Reich mitleidig-bedauernd auf Ostpreußen herabgeschaut werde, so lag dies für Fritz Milkau vor allem an den entstellenden Äußerungen über Masuren in Wilhelmine von Hillerns Roman „Aus eigener Kraft“.[12]
Fritz Abshoff: Bildende Geister. Unsere bedeutendsten Dichter und Schriftsteller der Gegenwart und Vergangenheit in charakteristischen Selbstbiographien. Oestergaard, Berlin 1905, S. 48.
Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Reclam, Leipzig 1913, S. 214.
↑Wilhelm Güde: Vom Freiburger Oberhof zum Landgericht Freiburg. In: Festschrift 200 Jahre Badisches Oberhofgericht Oberlandesgericht Karlsruhe. Karlsruhe 2003, S. 329.
↑Diemer, Hermine, in: Gudrun Wedel: Autobiographien von Frauen : ein Lexikon. Köln : Böhlau, 2010, S. 181f.
↑Die Geier-Wally erschien zuerst als Fortsetzungsroman 1873 und wurde 1875 als Roman in zwei Bänden veröffentlicht.
↑Erfinder von Fernleihe und Verbundkatalog. Fritz Milkau war als Bibliothekar ein Pionier – Engagierter Streiter für das Ansehen seiner Heimat Ostpreußen. In: Preußische Allgemeine Zeitung. Nr. 39, 26. September 2009.