Edwin Klebs verschaffte ihm eine Assistentenstelle am Physiologischen Institut der Universität Königsberg. Hier wurde Waldeyer, der sich schon in Greifswald umfassende Kenntnisse der Pathologischen Anatomie erworben hatte, mit der Untersuchung pathologischer Objekte betraut und führte bald auch die klinischen Obduktionen an den Königsberger Krankenanstalten durch. Daneben unterrichtete er praktische Ärzte in Pathologischer Anatomie.
An der streng protestantischen Fakultät wurde es dem Katholiken Waldeyer allerdings verwehrt, sich zu habilitieren. So wechselte er 1862 an die Universität Breslau in das Physiologische Institut Rudolf Heidenhains, wo ihm sogleich die Betreuung des pathologischen Arbeitsgebietes überlassen wurde. Ebenso wie in Königsberg führte er klinische Obduktionen durch und betätigte sich im Unterricht. 1864 habilitierte sich Waldeyer in Breslau für Anatomie und Physiologie. Dort widmete er sich auch der Diagnostik von Tumoren. Sein berühmtester Patient war Kaiser Friedrich III., bei dem er Kehlkopfkrebs diagnostizierte.
Durch den Einfluss Rudolf Virchows auf die deutsche Unterrichtsverwaltung entstanden in jenen Jahren erste eigene Lehrstühle für Pathologische Anatomie. So wurde Waldeyer 1865 zum außerordentlichen Professor für Pathologische Anatomie in Breslau ernannt. Als Extraordinarius hatte er weder einen Lehrstuhl noch ein eigenes Institut, sondern musste sich mit fünf Zimmern eines Privathauses für seine Demonstrationen begnügen. Die Vorlesungen hielt er im Hörsaal der Zoologen ab, und seine Forschungsarbeiten betrieb er im Physiologischen Institut. Nach anfänglichen Schwierigkeiten betreute Waldeyer schließlich alle Obduktionen der vier großen Krankenanstalten Breslaus. 1867 wurde das Extraordinariat in ein Ordinariat umgewandelt, 1871 fanden sich dann auch passendere Räumlichkeiten.
1872 nahm Waldeyer einen Ruf an die neugegründete Universität Straßburg an und bekam einen Lehrstuhl für Anatomie. Elf Jahre später verließ Waldeyer Straßburg wieder, um das Berliner Anatomische Institut zu übernehmen. Dort widmete er sich vorwiegend der anatomischen Ausbildung, 33 Jahre lang als Vorstand der Abteilung für systematische und topographische Anatomie. 1917 trat er, bereits 80 Jahre alt, von diesem Amt zurück, wurde in den erblichen Adelsstand erhoben[2] und legte sich den Namen seiner mütterlichen Familie Hartz zu. Im Jahr 1879 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.
Die Liste seiner Arbeiten ist lang und sehr vielseitig. Unter anderem geht die Benennung Neuron für eine Nervenzelle auf ihn zurück; er vermutete bereits 1881 die Nervenzelle als funktionelle Grundeinheit des Nervensystems. Im Anschluss an Santiago Ramón y Cajals Studien zum Zentralnervensystem hatte Waldeyer 1891 seine Neuronentheorie formuliert.[5] Im Jahr 1888 empfahl er den Ausdruck Chromosom als Fachwort für die anfärbbaren (chromatischen) Strukturen im Zellkern, und damit für die Träger der Erbmasse. Auch die funktionelle Deutung und Aufklärung der embryonalen Herkunft des lymphatischen Rachenrings ist Waldeyer zu verdanken, nach dem diese Struktur dann auch benannt wurde.
Als Pathologe klassifizierte er Krebszellen und schlug die Entstehung von Krebs in einer Zelle und die Ausbreitung über das Blut- und Lymphsystem vor.
Schriften
Hörnerv und Schnecke. 1872.
Das Becken: topographisch-anatomisch mit besonderer Berücksichtigung der Chirurgie und Gynäkologie. Friedrich Cohen, Bonn 1899. Digitalisat
mit Johann Georg Joessel: Lehrbuch der topographisch-chirurgischen Anatomie mit Einschluss der Operationsübungen an der Leiche für Studirende und Ärzte. Zweiter Teil. Die Brust – Der Bauch – Das Becken. Friedrich Cohen, Bonn 1899. Digitalisat
Zur Geschichte des anatomischen Unterrichts in Berlin. Rede auf der Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhelm III in der Aula derselben am 3. August 1899 gehalten von Wilhelm Waldeyer. August Hirschwald, Berlin 1899 Archive
Die Geschlechtszellen. In: Oscar Hertwig: Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwickelungsgeschichte der Wirbeltiere. Erster Band, Erster Teil, Erste Hälfte, S. 86–476, erschienen 1901–1903, Gustav Fischer, Jena 1906 Digitalisat
Darwins Lehre, ihr heutiger Stand und ihre wissenschaftliche und kulturelle Bedeutung. Berlin [u. a.] 1909 (aus: Deutsche Medizinische Wochenschrift. 1909, Nr. 8. 15 S.) in: Sammelband Wa 40 635. Darwins Lehre. 1909.
Lebenserinnerungen. Friedrich Cohen, Bonn 1920.
Lebenserinnerungen. 2. Auflage, Friedrich Cohen, Bonn 1921. Digitalisat
↑Erhoben in den erblichen Adelsstand, mit Namensteil nach der Familie seiner Mutter Wilhelmine Waldeyer, geb. von Hartz, siehe Wilhelm von Waldeyer-Hartz: Lebenserinnerungen. Verlag Friedrich Cohen, Bonn 1921, ISBN 3-8460-9889-2, S. 1; siehe auch Familienverband Peine.
↑A. Freiherr von Houwald: Brandenburg-Preußische Standeserhebungen und Gnadenakte für die Zeit 1873-1918. Görlitz 1939, S. 217.
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 47.