Havel entstammte einer einflussreichen Prager Großbürgerfamilie. Sein Vater Václav Maria Havel war Bauunternehmer, seine Mutter Božena Havlová, geborene Vavrečková, war Kunsthistorikerin und Malerin.[1] Sein Großvater Vácslav Havel ließ unter anderem den berühmten Lucerna-Vergnügungskomplex am Prager Wenzelsplatz, sein Onkel die Prager Filmstudios Barrandov erbauen. Der Großvater mütterlicherseits Hugo Vavrečka war Botschafter in Budapest und Wien.[2] Václav Havel hatte einen jüngeren Bruder namens Ivan (1938–2021), der Wissenschaftler im Bereich der Informatik und Kybernetik wurde, später Dissident und 1989 einer der Mitgründer des Bürgerforums. Sie wuchsen in Prag und auf dem Familien-Sommersitz Havlov auf.[1]
Nach dem Februarumsturz im Jahr 1948 und der Machtübernahme durch eine kommunistische Regierung wurde der Besitz der Familie Havel wie sämtliches Privateigentum enteignet und damit in Staatsbesitz überführt. Der Vater arbeitete in der Folge als Büroangestellter, die Mutter als Fremdenführerin. Wegen seiner bürgerlichen Herkunft wurde die Ausbildung des jungen Václav behindert.[2] Er durfte nach Beendigung der Schulpflicht 1951 keine weiterführende Schule besuchen, arbeitete als Assistent in einem Chemielabor und schloss eine sekundäre Ausbildung in einer Abendschule ab. Nebenbei arbeitete er als Taxifahrer, um den Besuch der Abendschule zu finanzieren. Aus politischen Gründen an keiner geisteswissenschaftlichen Fakultät zugelassen, begann er 1954 ein Ökonomiestudium an der Technischen Hochschule Prag, das er nach zwei Jahren abbrach.
Václav Havel (1965)
Nach weiteren zwei Jahren, in denen er in der tschechoslowakischen Volksarmee Militärdienst leistete, fand er 1959 Arbeit als Bühnentechniker in zwei kleinen Prager Theatern, dem Divadlo ABC und dem Theater am Geländer, wo er dann nacheinander Beleuchter, Sekretär, Lektor, Dramaturg und schließlich „Hausautor“ wurde. 1963 entstand als erstes selbstständiges Bühnenwerk Das Gartenfest, dessen deutsche Erstaufführung im Oktober 1964 in der Werkstatt des Berliner Schillertheaters stattfand. Die Uraufführung im Jahr davor hatte, wie Arno Widmann schreibt, Havel zu einem jener gemacht, „die mithalfen, Prag zu einem der künstlerisch interessantesten Orte der kommunistischen Welt zu machen.“[3]
Im Jahr 1965 folgte Die Benachrichtigung, wiederum im Schillertheater uraufgeführt. Seit seinem 20. Lebensjahr hatte Havel Artikel auch für Literatur- und Theaterzeitschriften geschrieben. Seine in der Tradition des absurden Theaters stehenden Stücke und seine Artikel prägten und zeigen die Atmosphäre, die 1968 zum Prager Frühling führte.
Berühmte Theaterstücke Havels aus dieser Zeit sind auch Das Memorandum (1965) und die Erschwerte Möglichkeit der Konzentration (1968), das aus der Abschlussarbeit seines Fernstudiums an der Theaterfakultät in den Jahren 1962 bis 1966 hervorgegangen ist. 1967 auf dem IV. Schriftstellerkongress in Prag erregte Havel erstmals politisch Aufsehen, als er die Zensur und die Absurdität des Machtapparates der kommunistischen Partei öffentlich kritisierte.
Während des Prager Frühlings 1968 war er Vorsitzender des „Klubs unabhängiger Schriftsteller“ und entwickelte sich zum prominentesten und konsequentesten Wortführer der nichtkommunistischen Intellektuellen, die den von Alexander Dubček eingeleiteten Reformprozess unterstützten.
Während der sogenannten „Normalisierung“ nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Vertrags trat Havel immer wieder öffentlich gegen das Regime unter Präsident Gustáv Husák auf und war 1977 einer der drei Hauptinitiatoren der Charta 77, einer Bürgerrechtsbewegung, die Ende der 1970er und in den 1980er Jahren zum Zentrum der Opposition wurde.
In dieser Zeit wurde Havel dreimal verhaftet und verbrachte insgesamt etwa fünf Jahre im Gefängnis. Literarisches Zeugnis dieser Zeit sind die Briefe an Olga, seine Frau Olga Havlová, geborene Šplíchalová (1933–1996)[4], die er 1956 kennengelernt und 1964 geheiratet hatte und die bis zu ihrem Tod seine Lebensgefährtin war. Havels Gefängnisstrafen wurden erst 1983 nach internationalen Protesten ausgesetzt, als Havel erkrankte und daraufhin in ein öffentliches Krankenhaus entlassen wurde.
Nach der Okkupation durch die Truppen des Warschauer Vertrags im August 1968 widersetzte sich Havel der kommunistischen Gleichschaltung und erhielt in der Tschechoslowakei Aufführungs- und Publikationsverbot. Seine Werke wurden in dieser Zeit aber fast vollständig im Rowohlt Verlag in Deutschland publiziert. Am 16. Januar 1989, dem 20. Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach am Wenzelsplatz in Prag, wollte Havel an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen, wurde verhaftet und am 21. Februar wegen „Rowdytums“ als Wiederholungstäter zu neun Monaten verschärfter Haft verurteilt. Als er dann den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main entgegennehmen wollte, durfte er nicht ausreisen. Der Schauspieler Maximilian Schell verlas seine vorbereitete Rede.
Demonstration am Wenzelsplatz
Havel war eine der tragenden Persönlichkeiten in der zunächst von Studenten und Künstlern getragenen Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei. Vorher hatte er in den 1980er Jahren, als das politische Klima etwas liberaler wurde, die Petition Einige Sätze („Několik vět“) mitinitiiert. Nun wurde er zum führenden Vertreter des während der Revolution (am 19. November 1989) gegründeten Bürgerforums Občanské fórum (OF). Der Umbruch in der politischen Situation in der Tschechoslowakei war praktisch besiegelt, als Havel als Kandidat des Bürgerforums am 29. Dezember 1989 von den – bis dahin kommunistischen – Vertretern der Föderalversammlung zum Staatspräsidenten gewählt wurde. In dieser Funktion führte er das Land am 5. Juli 1990 zu freien Wahlen. Das neue Parlament bestätigte ihn als parteilosen Präsidenten.
Während seiner Amtsperiode als Staatsoberhaupt der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik – so der neue Name des Staates – nahmen jedoch die Auseinandersetzungen und Kontroversen zwischen den Tschechen und den Slowaken zu. Havels Versuche, die Föderation zu erhalten, waren erfolglos.[5]
Bei den nächsten Präsidentenwahlen am 3. Juli 1992 bekam Havel von den Abgeordneten keine ausreichende Stimmenzahl und trat zurück, obwohl er nach damaliger Verfassung das Regierungsamt noch drei Monate nach dem Ende seiner Amtszeit hätte ausüben können. Der Grund für die Abstimmungsniederlage war vor allem, dass er sich für eine Beibehaltung eines gemeinsamen Staates der Tschechen und Slowaken ausgesprochen hatte und nationale Sonderbestrebungen verurteilte. Bei der Abstimmung fehlten ihm daher Stimmen der slowakischen Abgeordneten.
Nach der friedlichen Trennung von Tschechien und der Slowakei zum 1. Januar 1993 wurde Havel am 26. Januar 1993 mit großer Mehrheit zum Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt. Am 20. Januar 1998 wurde er in seinem Amt bestätigt; seine zweite Amtszeit endete am 2. Februar 2003. Laut Verfassung konnte er nicht nochmals für das höchste Amt im Staat kandidieren.
Václav Havel war ein überzeugter Europäer, der auf die europäische Integration setzte. Der im Dezember 2002 abgehaltene EU-Gipfel von Kopenhagen legte als Havels Verdienst den Grundstein zur Eingliederung Tschechiens in die Europäische Union.[6]
Seit 1997 war er in zweiter Ehe mit der Schauspielerin Dagmar Veškrnová verheiratet.
Havel starb im Alter von 75 Jahren am 18. Dezember 2011 auf seinem Landsitz im nordböhmischen Ort Hrádeček (Gemeinde Vlčice) bei Trutnov im Riesengebirge an den Folgen einer Atemwegserkrankung, die er durch seine zahlreichen Gefängnisaufenthalte erlitten hatte. Zudem war ihm wegen eines diagnostizierten Lungenkrebses 1996 ein Tumor und ein Teil des rechten Lungenflügels entfernt worden.
Er wurde mit einem Staatsakt geehrt und die Urne mit seiner Asche auf dem Vinohrady-Friedhof in Prag beigesetzt.[7]
Weltsicht
Václav Havel (2009)
Václav Havel ist ein Vertreter des absurden Theaters, und seine Erzählwerke stehen in dessen Tradition.
Bestimmendes Grundthema in Havels dramatischem wie essayistischem Werk – als Ursache der Absurdität – war die Entfremdung des heutigen Menschen von der von ihm genannten Lebenswelt, einer Idealvorstellung der Menschen auf Erden. Diese werde dadurch hervorgerufen, dass in der aufgeklärten Fortschritts-Gesellschaft die Wissenschaft die Position der obersten Instanz, die zuvor dem unbekannten Höheren (Gott oder ähnlichem) vorbehalten war, eingenommen hat. Diese Entfremdung sah Havel als Ursache der Probleme der heutigen Menschheit mit der Umweltzerstörung, die durch eine von der Wissenschaft ermöglichte Technisierung der Ökonomie hervorgerufen wurde; aber auch in den ehemaligen Diktaturen des Kommunismus und deren Vorstellung einer wissenschaftlich zu organisierenden, gleichberechtigten Lebenserwerbs-Gesellschaft (wissenschaftlicher Sozialismus), eine Extremform der Entfremdung. Davon zeugt nach Meinung von Havel eine auf Lügen aufgebaute Gesellschaft, in denen Worte ihren Sinn verlieren, so etwa das im Ostblock inflationär gebrauchte Wort Frieden,[8] das in diesem Regierungssystem eigentlich nur die Bewahrung des Status quo und somit die Aufrechterhaltung der Macht des Bündnisses bedeutete. In seinen Theaterstücken zeigte Havel die Absurdität dieser Situation. In seinen Essays ist durchgängig das Thema der Entfremdung in der von der Wissenschaft beherrschten Welt erkennbar. Beeinflusst wurde Havel in dieser Vorstellung dem eigenen Bekunden nach von dem tschechischen Philosophen Václav Bělohradský.
Großflächiges Zitat von Václav Havel über Hoffnung, gefunden an der Giebelwand eines Wohnblocks in Weimar in der Ettersburger Straße (stadtauswärts rechts)
Havels literarisches und dramatisches Werk sowie sein lebenslanges Streben nach der Erhaltung der Menschenrechte wurde mit einer Reihe von literarischen Auszeichnungen, internationalen Preisen und Ehrendoktortiteln gewürdigt.
Die Gauneroper. Das Berghotel. Erschwerte Möglichkeit der Konzentration. Der Fehler. Theaterstücke. Rowohlt, Reinbek, 1990, ISBN 3-499-12880-2
Angst vor der Freiheit: Reden des Staatspräsidenten. Hrsg.: Vilém Precan (= rororo. Nr. 13018). 1. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1991, ISBN 3-499-13018-1.
Moral in Zeiten der Globalisierung. Aus dem Tschechischen von Joachim Bruss und Eva Profousová. Rowohlt, Reinbek 1998. ISBN 3-499-22382-1
Fassen Sie sich bitte kurz. Gedanken und Erinnerungen zu Fragen von Karel Hvízd'ala. Rowohlt, Reinbek 2007, ISBN 3-498-02990-8 (Autobiografie 1990–2003)
Fünfzehn Stimmungen. Briefe aus dem Gefängnis mit Photographien des Magnum Reporters Erich Lessing. Verlag Thomas Reche, Neumarkt i. d. Opf. 2011, ISBN 978-3-929566-99-4
Walter Falk: Václav Havels Briefe aus dem Gefängnis. Wo der Mensch zu Hause ist – ein Dialog. Werner Imhof, Taunusstein 1994, ISBN 3-930573-00-8.
Jiří Gruša, Václav Havel: Die Macht der Mächtigen oder Die Macht der Machtlosen? / Moc mocných aneb Moc bezmocných? Wieser, Klagenfurt 2006, ISBN 3-85129-601-X (deutsch, tschechisch: Moc mocných aneb Moc bezmocných? Übersetzt von Christa Rothmeier).
Václav Havel: Angst vor der Freiheit: Reden des Staatspräsidenten. Hrsg.: Vilém Precan (= rororo. Nr.13018). 1. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1991, ISBN 3-499-13018-1.
Václav Havel, Karel Hvížďala: Fassen Sie sich bitte kurz. Gedanken und Erinnerungen zu Fragen von Karel Hvížďala. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2007, ISBN 978-3-498-02990-6 (Originaltitel: Prosím stručně. Übersetzt von Joachim Bruss).
Daniel Kaiser: Václav Havel. Der Präsident (1990–2003). Böhlau-Verlag, Köln 2017, ISBN 978-3-205-20246-2.
Matthias Wanitschke, Guido Erbrich: „… auf die innere Stimme hören“. Die Frage nach Gott und dem Sinn des Lebens im Werk von Václav Havel (= Erfurter Theologische Schriften, Bd. 23). Benno, Leipzig 1994, ISBN 3-7462-1056-9.
↑Václav Havel: Anatomie einer Zurückhaltung. (1985, aus dem Tschechischen von Joachim Bruss) In: Dazwischen. Ostmitteleuropäische Reflexionen. Hrsg. F. Herterich/C. Semler, edition suhrkamp, 1989, Seiten 34–64, bes. Abschnitt II
↑Havel verurteilt Vertreibung – Abschiedsbesuch in Berlin, Český rozhlas (Tschechischer Rundfunk) 21. Januar 2003, online auf: www.radio.cz/de/rubrik, abgerufen am 20. Dezember 2011
↑Václav Havel, Schriftsteller und Politiker, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, online auf: www.hdg.de/lemo/html/biografien/HavelVaclav, abgerufen am 20. Dezember 2011