Der Tigris ist ein 1900 Kilometer langer Fluss in Vorderasien. Er entsteht am Zusammenfluss von Maden Çayı und Dibni Çayı, die von der Dicle-Talsperre aufgestaut werden. Die Quellflüsse entspringen im Südost-Taurus im Osten der Türkei. Der Tigris verläuft in südlicher und später in östlicher Richtung durch die Provinz Diyarbakır. Später bildet er auf einer kurzen Strecke die Grenze zu Syrien. Danach durchfließt der Tigris den Irak und vereinigt sich dort mit dem Euphrat zum Schatt al-Arab, der in den Persischen Golf mündet. Zusammen mit dem Euphrat bildet der Tigris, dessen Einzugsgebiet 375.000 km² umfasst, das Zweistromland, in dem sich einige der ersten Hochkulturen entwickelten.
In den Sprachen der Region hat der Fluss folgende Namen: sumerischidigna, akkadischidiglat,aramäisch: deqlath, didschla,altpersisch: tigrā,arabisch دجلة didschla, DMGdiǧla, Hebräisch: חידקל, ḥiddæqæl oder, vereinfacht chiddekel,armenischՏիգրիսTigris,türkischDicle und im KurdischenDîcle. In vielen Ländern im Nahen Osten verwendet man den Namen Ditjle. Auch die Namen Tigris oder Tikrit sind gebräuchlich.
Im Sumerischen bedeutet id „Fluss“, sodass der Name als id-igna zu zerlegen ist. Da einerseits ein ähnlich lautendes sumerisches Wort igira, „Reiher“, belegt ist und anderseits das Keilschriftzeichen für idigna in seiner ältesten Form als Abbild eines Reihers gedeutet werden könnte, ist der Name laut J. Keetman (2016) möglicherweise als „Reiherfluss“ zu übersetzen.[1]
Im Altpersischen wurde der Flussname laut Rüder Schmitt (2014) aus dem Babylonischen entlehnt und „wegen seiner schnellen Strömung“ als „pfeilschnell“ gedeutet.[2] Der Wechsel von L > R ist typisch für das Altpersische (vgl. bābiru- für Babylon). Damit dürften die Namensformen, die ein R aufweisen, auf persische Vermittlung zurückzuführen sein.
Als der Quellfluss des Tigris gilt heute der Maden, der südlich von Elazığ entspringt und durch den Hazar Gölü (auch Gölcük-See) fließt.
Die Assyrer hielten dagegen den südlich von Bingöl entspringenden Berkilin Çay, der bei Eğil in den Tigris mündet (bzw. sich mit dem Maden zum Tigris vereinigt), für den Quellfluss. Am Ausfluss des Berkilin Çay aus einem Tunnel und auf der Felswand nordöstlich davon befinden sich vier Inschriften von Salmanasser III. mit einem Bild des Königs und eine Inschrift von Tiglat-Pileser I. Die Inschrift Salmanassers verkündet: „Ich schrieb meinen Namen an die Quelle des Tigris“ (ina SAG IGI e-ni ÍD.IDIGNA MU al-ṭu-ur).
Der Schwarze Obelisk berichtet, wie diese Inschrift auf dem 7. Feldzug Salmanassers angebracht wurde: Ich ging zu der Quelle des Tigris. Ich wusch die Waffen Aššurs, dort, wo das Wasser heraustritt. Ich opferte meinen Göttern und feierte ein Freudenfest. Ich errichtete ein großes Denkmal für Meine Majestät. Ich schrieb darauf die Herrlichkeit von Assur, meinem Herren, und über meine heldenhaften Feldzüge und über alles, was ich in den Ländern vollbracht hatte. Ich setze es hier ein.[3]
Furten und Brücken
In assyrischer Zeit wurden vor allem folgende Tigrisübergänge benutzt:
Nördlich von Mosul (Irak) staut die Mosul-Talsperre den Tigris zu einem bis zu 371 km² großen See auf.
Der (Stand 2015) im Bau befindliche Ilisu-Staudamm soll unter anderem die historische Stadt Hasankeyf überfluten.
Nach dem alten Testament ist der Tigris einer der vier Flüsse, die das Paradies bewässern (Genesis 2.14). Nach Epiphanius von Salamis (Ancoratus) entspringt der Tigris im Paradies, das er unterirdisch verlässt, um in Armenien wieder zu Tage zu treten.[4] Nach der Kirchengeschichte des Philostorgius entspringt der Tigris im Hyrkanischen See, den G. R. Driver 1921 mit Vorbehalten mit dem Vansee (in Urartu) identifizierte.[5] In Cordiaea, gegenüber von Syrien, münden zahlreiche Nebenflüsse.
Tigris im 21. Jahrhundert
Aufgrund der Staudämme in der Türkei führt der Tigris weit weniger Wasser im Irak als noch zu Zeiten, als es diese noch nicht gab. Dies sowie der Umstand, dass die Türkei in unregelmäßigen Abständen ihre Staudämme öffnet, hat zur Folge, dass sich im Irak laut einer Reportage kaum planbar Landwirtschaft am Tigris betreiben lässt. Klimatische Veränderungen trugen demnach außerdem dazu bei, dass der zusammengeschrumpfte Fluss weniger Fische beinhaltet. Die Menge der Anwohner, die einst als Selbstversorger vom Fluss lebten, nahm in den ersten zwei Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts ab. 30 Millionen Menschen lebten bis dahin eigentlich am und vom Tigris. Wo Euphrat und Tigris zusammenfließen, bei Basra, ist das Wasser aufgrund der unkontrolliert abgegebenen Abwässer sowohl von Privathaushalten als auch von privaten und öffentlichen Betrieben verseucht. Es finden sich Rückstände von Chemikalien, Dünger, Schwermetallen, Schadstoffen, E. coli-Bakterien und zu vielen Salzen im Wasser. An manchen Stellen im Tigris ist die Schadstoffbelastung, deren Konzentration bei geringer Wasserquantität noch zunimmt, krebserregend. Dennoch ernährten sich Anwohner von den im Tigris gefangenen Fischen.[6][7]
Literatur
H. F. Russell, Shalmaneser’s campaign to Urartu in 856 B.C. and the historical geography of Eastern Anatolia according to the Assyrian sources. Anatolian Studies 34, 1984, S. 171–201.
Alessandro Scafi, Mapping Paradise, a history of heaven on earth (London, British Library 2006).
Karl Holl (Hrsg.), Epiphanius von Salamis, Ancoratus und Panárion. Bd 1 u 2 (Leipzig, Hinrichs 1915–1922); Bd. 3, hrsg. v. Hans Lietzmann (Leipzig, Hinrichs 1933).
O. Aytuǧ Taşyürek, Some New Assyrian rock-reliefs in Turkey. Anatolian Studies 25, 1975, S. 169–180.
Karlheinz Kessler: Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens. Nach keilschriftlichen Quellen des 1. Jahrtausends vor Christus. Reichert, Wiesbaden 1980, ISBN 3-88226-023-8, S. 138.
David Oates: Studies in the Ancient history of Northern Iraq.
Weblinks
Commons: Tigris – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
↑Alessandro Scafi, Mapping Paradise, A history of Heaven on earth (London, British Library 2006), 40
↑G. R. Driver: The dispersion of the Kurds in Ancient Times. In: Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland. 4, 1921, S. 564.
↑Reise entlang des Tigris im Irak: Wie Anwohner den austrocknenden Fluss retten wollen. In: Der Spiegel. 5. September 2023, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 5. September 2023]).
↑Monika Bolliger, Susanne Götze: (S+) Irak: Wie das Land vergiftet wird. In: Der Spiegel. 12. Juni 2024, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 14. Juni 2024]).