Der vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete Begriff „Sommerfrische“ wird im Wörterbuch der Brüder Grimm definiert als „Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerzeit“ oder „Landlust der Städter im Sommer“.[1]
Das Übersiedeln vom Quartier in der Stadt auf den Landsitz ist schon beim Adel in der Antike üblich gewesen. Die Gründe sind anfangs primär wirtschaftlich, der Adel hatte im Sommer den landwirtschaftlichen Betrieb zu betreuen, der die wirtschaftliche Basis seiner Herrschaft bildete. Im Winter, wenn die Landwirtschaft ruht, ging man zurück in die Stadt und nahm am gesellschaftlichen Leben teil. Daneben schätzte man aber auch, den im Sommer bedenklichen hygienischen Bedingungen der Stadt entkommen zu können.
Während der mittelalterliche Adel Europas eher aus politischer Notwendigkeit heraus zwischen verschiedenen befestigten Ansitzen wechselte, wurde in Kreisen der Aristokratie mit dem Aufblühen der Städte seit der beginnenden Neuzeit (Renaissance) der saisonelle Wechsel von Stadtpalais (Winterschloss) in die Sommerresidenz wieder üblich.
Diese kultivierte Form der Wiederbelebung der als 'Sommerfrische' übersetzbaren villeggiatura ist humanistischen Ursprungs. Schon Petrarca sah im, der Antike entlehnten, Ideal des einfachen, sittlich unverfälschten Landlebens eine Alternative zur Umtriebigkeit und Dekadenz der Stadt, einen Ort der Muse und Inspiration für Bildung und Studium. Guarino da Verona beschrieb 1419 dann als einer der ersten in emphatischen Briefen vom Land (nahe Valpolicella) die Schönheit der Landschaft und ihren klimatischen Vorzügen, der Fruchtbarkeit des Bodens, der erfrischenden Luft und dem Wasserreichtum, den drei lebensspendenden Elementen. Die empfundene Bedürfnislosigkeit bekam im locus amoenus seinen idealen Ausdruck, der „aus einem Baum (oder mehreren Bäumen), einer Wiese und einem Quell oder Bach |besteht|. Hinzutreten können Vogelsang und Blumen. Die reichste Ausführung fügt noch Windhauch hinzu.“[2]
Das Wort selbst soll dem Italienischen entstammen, venetianisch spricht man davon, dass „der einzige zweck des spaziergangs zu sein scheint, frische und kühlung zu suchen. sie sagen nicht ‚spazieren gehen‘, sondern ‚prendere il fresco‘ (kühlung nehmen)“.[1] Für das Deutsche ist frühe Verwendung aus dem Bozener Raum überliefert, wo die Bürger aus dem heißen Talkessel in die kühlen Sommerwohnungen des Mittelgebirges auf dem Ritten und nach St. Konstantin bei Völs am Schlern zogen:[3]
„frisch(e), f. ebenda, das in diesem sinne schon aus dem 17. jahrh. bezeugt ist: wo die statt Bozen ire refrigeria oder frischen halten.“[1]
Ab dem 19. Jahrhundert wurde Europa durch die Eisenbahn erschlossen, und das früher aufwändige, unbequeme und auch gefährliche Übersiedeln des gesamten Hausstandes zur Erholungsreise entfiel damit teilweise. Damit war ab Mitte des 19. Jh. die Sommerfrische fester Bestandteil des Sommerlebens der Aristokratie und des wohlhabenden Bürgertums, welches meist in dafür errichteten Saisonvillen verbracht wurde. Diese häufig unbeheizbaren Sommervillen waren oft von namhaften Architekten im sog. Heimatstil entworfen worden.
Wer sich keinen eigenen Sommersitz leisten konnte, quartierte sich in Gasthäusern und dann zunehmend Privatquartieren ein. So sind Sommerfrische und der beginnende Tourismus eng miteinander verbunden, zur Unterkunft kommen dann auch die örtlichen Unterhaltungsangebote für die Sommerfrischler (Sommergäste), wie das vorher unbekannte Freibaden an Seen, Wandern oder Bergsteigen.
Ludwig Steub, der „Entdecker“ Tirols für den deutschen Norden, verwendete den Ausdruck in seinen Büchern und förderte so seine Popularisierung.
In der jüngeren Literatur wird Sommerfrische nicht im Sinne von „Urlaub auf dem Lande“, sondern als vorübergehende Verlegung des Wohn- und Arbeitsortes auf das Land verstanden.[4]
Sommerfrischen in Österreich
In Österreich hatte die Sommerfrische lange Tradition und war vor allem in gehobenen Gesellschaftsschichten auch ein Statussymbol.
Sogar der Kaiser ging seinerzeit auf Sommerfrische – nach Bad Ischl ins Salzkammergut. Hofstaat, Würdenträger, Künstler, Industrielle und der Adel folgten ihm. Diejenigen Wiener Gesellschaftsschichten, welche sich keinen Aufenthalt in einem der noblen Badeorte leisten konnten oder wollten, bevorzugten einfachere, aber dennoch erholsame Sommerfrischen im Wienerwald, Weinviertel und Waldviertel. Orte wie Mönichkirchen, Bad Fischau, Gutenstein, St. Andrä-Wördern, Gars am Kamp, Wolkersdorf im Weinviertel, oder Drosendorf an der Thaya erlangten so überregionale Bekanntheit. Zahlreiche Ansichtskarten zeigten damals durch das einem Prädikat gleichkommenden Wort „Sommerfrische“ vor dem Ortsnamen deren Beliebtheit bei den Städtern an. Viele kleinere Orte gaben eigene Prospekte mit genauem Verzeichnis der Unterkünfte heraus. Ein eigener Illustrierter Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen erschien von 1908 bis 1914 jährlich in verschiedenen, nach den Kronländern geordneten Ausgaben. Hier war jeder Sommerfrische-Ort mit Kurzdarstellung, Anzahl der Unterkünfte und Versorgung etc. vertreten. Manche Orte hatten auch reich bebilderte, mehrseitige Inserate geschaltet.
In einer bürgerlichen Familie blieb zumeist nur die Mutter mit den Kindern den ganzen Sommer über in der Sommerfrische, während die arbeitenden Väter nur am Wochenende und für ein bis drei Wochen Urlaub nachkamen. Der sonntägliche Abendzug zurück nach Wien der Kamptalbahn, mit dem die Väter wieder nach Hause bzw. in die Arbeit fuhren, wurde wegen der vielen sich verabschiedenden Familien auch Busserlzug genannt. In Arthur SchnitzlersDas weite Land spielt der Hauptteil der Handlung in einer Sommerfrische-Villa in Baden bei Wien, von der der Fabrikant Friedrich Hofreiter ins Büro nach Wien pendelt.
Zahlreiche prachtvolle Sommerfrische-Villen, gepflegte Spazierwege, Kaiserdenkmäler, Musikpavillons, Flussbäder und Aussichtspunkte zeugen auch heute noch von so mancher beliebter Sommerfrische von einst. In den letzten Jahren erlebt die Sommerfrische (in modernisierter Form von Kurzurlauben auf dem Land) wieder eine Art Renaissance in Österreich, zahlreiche Regionen werben wieder aktiv mit dem einst als altmodisch und verstaubt abgelehnten Wort Sommerfrische.[8]
SommerfrischeRosenburg am Kamp um 1910, typische Postkarte einer österreichischen Sommerfrische mit Ansicht des Ortes und Erwähnung wichtiger Bauten
Sommerfrische-Villen in Rosenburg am Kamp, Niederösterreich, um 1910
Erich Bernard u. a. (Hrsg.): Der Attersee. Die Kultur der Sommerfrische – Kultur- und Naturlandschaft. Brandstätter, Wien 2008, ISBN 978-3-85033-022-0.
Silke Götsch: „Sommerfrische“. Zur Etablierung einer Gegenwelt am Ende des 19. Jahrhunderts. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde. Band 98 (2002), S. 9–15.
Hanns Haas: Die Sommerfrische – Ort der Bürgerlichkeit. In: Hannes Stekl u. a. (Hrsg.): „Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit“. Zur Geschichte des Bürgertums der Habsburgermonarchie. Band 2, Böhlau, Wien 1992, ISBN 3-205-05562-4, S. 364–377.
Susanne Hawlik: Sommerfrische im Kamptal. Der Zauber einer Flusslandschaft. Böhlau, Wien / Köln / Weimar 1995, ISBN 3-205-98315-7 (= Reisen durch Landschaft und Geschichte im Kulturpark Kamptal, Band 1).
Hans R. Klecatsky: Region und Landschaft. In: Aus Österreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Ernst C. Hellbling zum 80. Geburtstag, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Redaktion: Dorothea Mayer-Maly. Duncker & Humblot, Berlin 1981, ISBN 3-428-04823-7, S. 241–250.
Monika Oberhammer: Sommervillen im Salzkammergut. Die spezifische Sommerfrischenarchitektur des Salzkammergutes in der Zeit von 1830 bis 1918. Galerie Welz, Salzburg 1983, ISBN 3-85349-098-0.
Karlheinz Pfaffen (Hrsg.): Das Wesen der Landschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, ISBN 978-3-534-24066-1.
Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.): Sommerfrische. Bilder, Orte, Praktiken. Institut für Europäische Ethnologie, Wien 2014.
Andreas Weigel: Die Sommerfrische im Wandel der Zeiten. In: Bettina Marchart, Markus Holzweber (Hrsg.): Garser Geschichte(n). Gars am Kamp 2014, ISBN 978-3-9503541-3-3, S. 521–588.
Andreas Weigel: Stars in Gars. Schaffen und Genießen. Reich bebilderte Geschichte der Sommerfrische Gars-Thunau von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. In: Stars in Gars. Schaffen und Genießen. Künstler in der Sommerfrische. Hrsg.: Museumsverein Gars, Zeitbrücke-Museum Gars, Gars 2017, ISBN 978-3-9504427-0-0, S. 9–174.
Lisa Fischer: Liebe im Grünen. Kreative Sommerfrischen im Schwarzatal und am Semmering. Edition Mokka, Wien 2017, ISBN 978-3-902693-47-1.
↑Ernst Robert Curtius (1954), zitiert (wie vorhergehendes) nach Ulrich Pfisterer: Donatello und die Entdeckung der Stile. Römische Studien der Bibliotheca Hertziana, Bd. 17. Hirmer, München 2002, S. 171ff, "Villenkultur und Goldenes Zeitalter", hier S. 174. (Volltext online der Universität München).
↑Otto Stolz: Das Wort „Sommerfrische“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen. Band 159, 1931, S. 176–179.
↑Lisa Fischer: Liebe im Grünen. Kreative Sommerfrischen im Schwarzatal und am Semmering. Edition Mokka, Wien 2017.