Seeberg besuchte von 1870 bis 1878 das klassische Gymnasium in Reval und studierte ab 1878 Theologie an der Kaiserlichen Universität Dorpat, wo er wie zuvor schon sein Bruder Alfred Seeberg Mitglied des Corps Neobaltia war, ab 1883 in Berlin, Leipzig und Erlangen. In Erlangen wurde sein Denken maßgeblich von Franz Hermann Reinhold Frank geprägt. 1884 wurde er Privatdozent für systematische Theologie in Dorpat, 1884 Religionslehrer an der dortigen Stadttöchterschule. 1889 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät und erhielt einen Ruf als ordentlicher Professor für neutestamentliche Exegese und Kirchengeschichte, ab 1894 für Systematische Theologie an die Universität Erlangen. 1898 wechselte er als ordentlicher Professor für Systematische Theologie an die Universität Berlin, an der er bis 1927 lehrte. Hier war er auch Doktorvater Dietrich Bonhoeffers. 1900/01 und 1905/06 war er Dekan der Theologischen Fakultät. 1908 wurde er Präsident des kirchlich-sozialen Bundes. 1910 wurde er zum Geheimen Konsistorialrat ernannt. 1903 wurde er Ehrenmitglied des Berliner und 1922 des Dorpater Wingolf.[1]
Während des Ersten Weltkrieges war Seeberg zur Abhaltung von Kursen für die Feldgeistlichen auf verschiedenen Kriegsschauplätzen eingesetzt. 1915 war er Initiator der Seeberg-Adresse, die als Kriegsziel einen Siegfrieden verlangte und die Unterschrift vieler deutscher Universitätsprofessoren erhielt. 1917 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[2] Nach dem Krieg schloss er sich der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an. 1918/1919 wurde er Rektor der Universität Berlin.[3] Am 9. November 1918 wurde die Universität von einem sozialistischen Studentenrat für geschlossen erklärt und Rektor Seeberg und andere Professoren kurzzeitig festgesetzt.[4] Als Rektor initiierte Seeberg u. a. das Gefallenendenkmal der Berliner Universität[5], dessen lateinische Inschrift Invictis victi victuri („Den Unbesiegten die Besiegten, die siegen werden“) eine kaum verhüllte Aufforderung zur Revanche für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg war.[6] Als Rektor trug er auch dazu bei, dass die Universität dem jüdischen Mediziner Georg Friedrich Nicolai die venia legendi aberkannte. Nicolai hatte ab 1914 kriegskritische Schriften publiziert.
Als Präsident leitete er 1923 bis 1931 den Central-Ausschuss für Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Er war Mitbegründer und erster Präsident des Internationalen Verbandes für Innere Mission und Diakonie.[7]
1927 wurde er altersbedingt von seinen Amtspflichten entbunden, setzte aber seine Lehrtätigkeit an der Universität fort und gründete 1927 das Institut für Sozialethik und Innere Mission an der Universität Berlin.
Neben der theologischen Ehrendoktorwürde der Universität Dorpat erhielt er auch den Titel eines Dr. phil. h. c. der Universität Erlangen (1910), Dr. jur. h. c. der Universität Breslau (1911) und Dr. med. h. c. der Universität Halle (1919).
Reinhold Seeberg heiratete am 30. Dezember 1886 Amanda (Alla) Schneider. Sie hatten drei Kinder: Erich (geb. 1888) sowie die Zwillinge Maria und Martha (geb. 1889).
Sein Bruder Alfred Seeberg (1863–1915) und sein Sohn Erich Seeberg (1888–1945) waren ebenfalls Theologen.
Die kirchlich-soziale Idee und die Aufgaben der Theologie in der Gegenwart, 1907
Offenbarung und Inspiration, 1908
Sinnlichkeit und Sittlichkeit, 1909
Kirche, Gnadenmittel und Gnadengaben, 1910
System der Ethik, 1911
Nähe und Allgegenwart Gottes, 1911;
Ursprung des Christusglaubens, 1914
„Seeberg-Adresse“, 20. Juni 1915
Was sollen wir denn tun?, 1915
Geschichte, Krieg und Seele, 1916
Volkserhaltung und Volksmehrung, Verlag von Karl Curtius, Berlin 1916.
Ewiges Leben, 1920
Christentum und Idealismus, 1921
Zum Verständnis der gegenwärtigen Krisis in der europäischen Geisteskultur, 1923
Christliche Dogmatik, 2 Bände 1924/1925
mit Martin Faßbender und Wilhelm Kahl: Der Weg zur Volksgesundung : Reichstagskundgebung der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung am 2. Mai 1926, Berlin, Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung, 1926
Die Geschichte und Gott, 1928
Ist christliche Sozialethik wissenschaftlich möglich?, 1930
Literatur
Günter Brakelmann: Protestantische Kriegstheologie im Ersten Weltkrieg: Reinhold Seeberg als Theologe des deutschen Imperialismus. Luther-Verlag, Bielefeld 1974, ISBN 3-7858-0189-0.
Stefan Dietzel: Reinhold Seeberg als Ethiker des Sozialprotestantismus. Die "Christliche Ethik" im Kontext ihrer Zeit, Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2013, ISBN 978-3-86395-146-7 (online).
Friedrich Wilhelm Graf: Reinhold Seeberg, in: Profile des Luthertums. Biographien zum 20. Jahrhundert (Hg. Wolf-Dieter Hauschild), Gütersloh 1998, Seiten 617–676.
Thomas Kaufmann: Die Harnacks und die Seebergs. „Nationalprotestantische Mentalitäten“ im Spiegel zweiter Theologenfamilien. In: Nationalprotestantische Mentalitäten. Konturen, Entwicklungen und Umbrüche eines Weltbildes. Hrsg. von Manfred Gailus und Hartmut Lehmann, Göttingen 2005, S. 165–222.
Bruno von Lingen, Georg von Rieder: Album Neobaltorum 1879-1956, o. O. 1956, S. 38f.
Christian Nottmeier: Theologie und Politik in der ersten deutschen Demokratie: Adolf von Harnack und Reinhold Seeberg. In: Hans-Rosenberg-Gedächtnispreis 2006 der Heinrich-August-Winkler-und-Dörte-Winkler-Stiftung in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hrsg. von Dieter Dowe, Bonn 2006, S. 19–57.
Richard Cumming: Dietrich Bonhoeffer's concept of the cor curvum in se: a critique of Bonhoeffer's polemic with Reinhold Seeberg in Act and Being. In: Union Seminary Quarterly Review, Journal of Union Theological Seminary in the City of New York 62 (2010), Nr. 3–4, S. 116–133.
↑ Wingolfsblätter 2015, S. 251: Gesamtverzeichnis des Wingolf Lichtenberg 1991
↑Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 222.
↑Reinhold Seeberg. Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1918/19. Abgerufen am 5. Juli 2017.
↑Norman Rönz: In Zeiten politischer Grabenkämpfe. Die Berliner Universität in der Weimarer Republik. In: Berliner Geschichte. Zeitschrift für Geschichte und Kultur. Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins e. V. 112. Jahrgang, Januar. Berlin 2016, ISBN 978-3-944594-42-2, S.23–27.
↑Michael Grüttner u. a., Die Berliner Universität zwischen den Weltkriegen 1918–1945, Berlin 2012 (Geschichte der Universität Unter den Linden, Bd. 2), S. 51 ff. und 152 ff.
↑Martin Leutzsch: Der Mythos vom arischen Jesus (Abstract des Referats auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung II. Französischer Katholizismus – deutscher Protestantismus 1930-1950“ vom 12. bis 14. Januar 2007).
↑Jan Rohls: Protestantische Theologie der Neuzeit: Das 20. Jahrhundert, Mohr Siebeck, 1997, ISBN 3-16-146644-6, S. 106.