„Am Plan“ in Oberlangenau in der Grafschaft Glatz in Schlesien stand sein Elternhaus, das „Hoecker-Haus“, in dem zahlreiche Wappenschilder und Ahnenbilder auf eine lange, wohlhabende Geschlechterreihe hinwiesen. „Zur bildenden Kunst erhielt er im Elternhause keine weitere Anregung, wohl aber hatte er ein reiches musikalisches Talent von der Mutter geerbt. Seine Neigung zur Kunst musste sich allmählich während der Schulzeit entwickelt haben. In der Zeit, da er das Gymnasium zu Neustadt in Schlesien besuchte, war er wenigstens wegen seiner humoristischen Zeichnungen, Karikaturen seiner Lehrer, bekannt“.[1]
1882 ging er nach Paris, später nach Holland, nach Holstein und zu den deutschen Seehäfen und dann wieder nach München. In München hatte sich Hoecker mit Fritz von Uhde, Bruno Piglhein und Max Liebermann befreundet. 1883 trat er mit Genrebildern aus Holland und Interieurs auf der Münchner internationalen Kunstausstellung auf, in welchen sich Feinheit der Charakteristik mit einer großen koloristischen Fertigkeit in der Behandlung des Helldunkels verband.[5]
Um 1883 reiste er erneut nach Paris und Holland.
Von Januar bis Herbst 1884 war er wieder in München tätig, siedelte dann aber nach Berlin über. 1888 begab er sich nach München zurück und schloss sich der modernen naturalistischen Malrichtung an, indem er das Hauptgewicht auf die Wiedergabe starker Lichtwirkungen legte.
Hoecker war „der erste Moderne an der Akademie“.[3] Er vermittelte seinen Schülern die Kunst der Schule von Barbizon, der Impressionisten und Neo-Impressionisten sowie der neuen Strömungen aus Schreiberhau, Dachau und Worpswede.[7][8]
Der Naturlyrismus wurde die geistige Grundlage der Künstlervereinigung Scholle und zog über die Arbeit der Gruppe auch in die Zeitschrift Die Jugend ein. „Es ging um die individuelle Erfahrung des Wesentlichen und um die allgemeingültige Umsetzung mit bildnerischen Mitteln. Das dem menschlichen Auge Verborgene sollte aus der Tiefe des Kosmischen ins Bild geholt, aus der Reflexion der wechselseitigen Durchdringung von Mensch und Natur die großen Zusammenhänge hergestellt werden.“ Der Ruf, der Hoecker-Schule zu entstammen, war im München der 1890er Jahre eine Empfehlung.[9]
Höcker hielt zu Anfang der 1890er Jahre an der Münchner Akademie ein stark besuchtes Atelier, wo er junge Talente um sich scharte.
Durch den starken Einfluss Franz von Lenbachs im Münchener Ausstellungsbetrieb war für moderne Kunstströmungen nur wenig Platz. Am 4. April 1892 kam es zu der von Hoecker mitbetriebenen Gründung der Secession, zu deren Vorstand er als Schriftführer gehörte. Die Münchener Secession war die erste in Deutschland, die neue Mal- und Ausstellungsformen ermöglichen wollte. In anderen Städten (wie z. B. Berlin) folgten später ähnliche Abspaltungen.
1897 geriet Hoecker durch ein Madonnenbild in einen Skandal, nach dem er es vorzog, seine Lehrtätigkeit an der Akademie aufzugeben. Ihm wurde nachgesagt, einen Strichjungen als Modell genommen zu haben, zu welchem er auch private Kontakte pflegte.[10]
Aufenthalte in Italien und Oberlangenau
In Italien kam Paul Höcker in Kontakt mit dem Dichter Jacques d’Adelswärd-Fersen, der sich gleichfalls nach einem Skandal in Paris nach Capri in seine Villa Lysis zurückgezogen hatte. In den nächsten Jahren porträtierte Paul Hoecker mehrfach dessen Liebhaber Nino Cesarini. Guglielmo Plüschow hat wiederholt das Innere der Villa Lysis festgehalten, auf einer Fotografie sieht man links an der Wand das Gemälde Nino mit grünem Tuch, das erst in den letzten Lebensjahren Höckers entstand. Bereits vor 1904 hatte er Nino mit blauem Tuch unter Bäumen gemalt. Zu diesem Zeitpunkt scheint sein Skandal in München in Vergessenheit geraten zu sein, zumindest wagte die Zeitschrift ‚Jugend‘ eine andere Version des Gemäldes (Nino bekleidet) in ihrer Nummer 26 als Titelblatt zu drucken.
1901 kehrte er in sein geliebtes Heimatdorf Oberlangenau zurück, wo er von nun ab seinem Schaffen und seinen Neigungen lebte. Mit erlesenen Kunstschätzen stattete er sein Vaterhaus aus. Das ‚Hoeckerhaus‘, sein Künstlerdomizil, wurde zu einer Sehenswürdigkeit.[10]
1910 starb er in einem Münchner Krankenhaus an Malaria. Das Langenauer Hoecker-Haus mit dem Atelier übernahm Hoeckers Nichte Vally Walter.
Rezeption
„Höcker vertrat die für München typische Linie einer die Tradition behutsam in neuere Bahnen lenkenden Malerei, die aber allzu Gewagtes mied. Er traf mit seinen lyrisch-sentimentalen, meist religiösen Themen (Nonnen in Laubengängen oder vor Christusbildern betend und meditierend), aber auch mit Karnevalszenen den süddeutschen Geschmack des Jahrhundertendes. In seiner pleinairistischen Malweise zeigte er mit einem lockeren Farbauftrag einen erstaunlichen ‚Detail-Impressionismus‘, … Durch Laub und Geäst gefilterte Sonnenflecken wusste er meisterlich darzustellen. Darin äußerte sich seine Nähe zu Max Liebermann und Fritz von Uhde, mit denen er befreundet war.“[11]
Im Oktober 2019 bildete sich eine Forschungsgruppe am Forum Queeres Archiv München zu Paul Hoecker. Sie möchte das Leben und das Werk von Paul Hoecker erforschen. Die Forschungsgruppe möchte die „Reintegration des Künstlers in das kulturelle Bewusstsein der Münchner Stadtgeschichte“ vorantreiben und „weitere Informationen zum Skandal um das Madonnenbildnis von 1898“ sammeln.[12] In der Ausstellung TO BE SEEN. queer lives 1900–1950 des NS-Dokuzentrums in München konnten sie ihre Ergebnisse erstmals öffentlich präsentieren (7. Oktober 2022 bis 21. Mai 2023).[13]
Fritz v. Ostini: Paul Hoecker und seine Schule. In: Velhagen & Klasing’s Monatshefte, 1912/1913, XXVII. Jahrgang, Heft 6. Februar 1913, S. 161 ff., m. Abb.
↑ abBirgit Jooss: „… der erste Moderne in der alten Akademie“: der Lehrer Paul Höcker. In: Siegfried Unterberger; Felix Billeter; Ute Strimmer (Hrsg.): Die Scholle: eine Künstlergruppe zwischen Secession und Blauer Reiter. München 2008, S.28–43.
↑Brigitte Langer: Das Münchner Künstleratelier des Historismus. Dachau 1992, ISBN 3-89251-135-7.
↑ abcFritz von Ostini: Paul Hoecker und seine Schule. In: Velhagen & Klasings Monatshefte, Februar 1913, Heft 6.
↑J. Schmidt: Paul Höcker. In: Die Grafschaft Glatz, Glatz, 1. September 1918.
↑Andrea Jedelsky: Leo Putz und Die Scholle. Katalog zur Ausstellung 1999 in der Galerie Schüller.
↑Hartfrid Neunzert (Hrsg.): Adolf Münzer. Gemälde 1899–1919. Landsberg 1996 (= Kunstgeschichtliches aus Landsberg, Heft 14).
↑Bernd Dürr: Leo Putz, Max Feldbauer und der Kreis der „Scholle“ und „Jugend“ in Dachau um 1900. Dachau 1989.