Dieser Artikel behandelt das 1943 zerstörte Privattheater. Für den heutigen städtischen Theaterbetrieb und seine Spielstätte siehe Schauspiel Leipzig.
Das Leipziger Schauspielhaus war ein Privattheater in der südlichen Vorstadt Leipzigs, dem jetzigen Ortsteil Zentrum-Süd. Es befand sich in der Sophienstraße 17–19 (heute: Shakespearestraße). Das beim angloamerikanischen Luftangriff auf Leipzig am 4. Dezember1943 vollständig zerstörte Gebäude wurde nicht wieder aufgebaut.
Das Theatergebäude entstand in den Jahren 1873–1874 nach Plänen des Baumeisters Otto Stengel als ein Hofgebäude mit angebautem, der Straßenflucht folgendem Vorderhaus. Am 11. Oktober 1874 erfolgte die Eröffnung unter dem Namen Carl-Theater.
In den folgenden Jahren fanden verschiedene Um- und Erweiterungsbauten statt. 1914 erfolgte eine grundlegende Neugestaltung und Modernisierung des Zuschauerraumes und der Bühnentechnik. Das Theater besaß zwei Ränge und einen vertieften Orchestergraben für 22 Musiker. Bei der Eröffnung verfügte das Theater über 1844 Plätze, nach dem Umbau über 863 Plätze. Die Bühne war in eine Vor- und Hinterbühne sowie eine Unterbühne aufgeteilt. Sie verfügte über eine Drehscheibe, eine zerlegbare Schiebebühne, eine Versenkungsanlage und einen Bühnenhimmel.
Im Jahre 1887 pachtete der Direktor der städtischen Bühnen Max Staegemann das Haus und benannte es nach der damaligen Sächsischen KöniginCarola-Theater. Unter seiner Direktion wurde das Haus nur im Winterhalbjahr an Sonntagen bespielt und blieb weiterhin ein reines Vaudeville-Theater. In den Jahren 1895 bis 1898 überließ er die Spielstätte der Leipziger Literarischen Gesellschaft, die sich der Pflege moderner Dramen und Literatur verschrieben hatte. 1899 entschied die Stadtverwaltung gegen den Willen Staegemanns, den Pachtvertrag für das Carola-Theater aufzuheben.
Hartmann nannte die Spielstätte nun Leipziger Schauspielhaus und eröffnete es am 10. September 1902 mit einer Ouvertüre, einem Prolog und drei Bühnenwerken: Wallensteins Lager, Die Geschwister und BussonsRuhmlose Helden. Der Premierenabend wurde ein voller Erfolg. Allein im ersten Winterhalbjahr zogen neben Gastspielen von Agnes Sorma über sechzehn Bühnenwerke die Zuschauer in ihren Bann, unter anderem:
Unter Hartmanns Intendanz entwickelte sich das Leipziger Schauspielhaus mehr und mehr von einem Literatur-Theater zur Avantgarde-Bühne. Nach seinem Tod im Jahre 1912 übernahm der damalige Dramaturg des Theaters, Fritz Viehweg, die Leitung. Nun wurde das Leipziger Schauspielhaus endgültig zur Heimstätte der jungen Literatur und zur literarischen Experimentierbühne: Stücke von Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Max Dauthendey, Herbert Eulenberg, Lew Tolstoi und August Strindberg wurden bereits in der ersten Spielzeit aufgeführt.
Die schwierigen Jahre des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit bewältigten Viehweg und sein Verwaltungsdirektor Wilhelm Berthold 1920 durch die Gründung der Leipziger Theatergemeinde, „die mit der Ausgabe von Anteilscheinen den Fortbestand der Bühne sicherte.“[1] Zu wichtigen Einnahmequellen für das Privattheater wurden auch die von Bernhard Wildenhain alljährlich inszenierten Sommerschwänke und Weihnachtsmärchen, die stets für volle Häuser und Kassen sorgten.
Nach dem plötzlichen Tod Viehwegs im Jahre 1929 übernahm Wilhelm Berthold allein die Leitung des Theaters, zwischenzeitlich unterstützt durch Direktor Otto Werther. Die Spielzeiten 1928/29 und 1929/30 waren geprägt von Aufsehen erregenden Inszenierungen und Theaterskandalen wie die Aufführungen von BrucknersKrankheit der Jugend, LangersPeripherie oder LampelsRevolte im Erziehungshaus. 1929/30 gastierte das Moskauer Kammertheater unter der Leitung von Alexander Jakowlewitsch Tairow und brachte die umstrittenen Inszenierungen von OstrowskisGewitter und O’NeillGier unter Ulmen zur Aufführung.
Die von Gertrude Langfelder inszenierte Uraufführung des Dramas Ritter Nérestan, das später unter dem Titel Mädchen in Uniform 1931 und 1958 verfilmt wurde, brachte den Durchbruch für die noch unbekannte Autorin Christa Winsloe, ebenso für die junge Schauspielerin Hertha Thiele in der Rolle der Manuela von Meinhardis.
Die Gesangsgruppe Comedian Harmonists erlebte mit ihrem ersten abendfüllenden Konzertprogramm Tempo Varieté im Januar 1930 den Durchbruch zu ihrer internationalen Karriere auf dieser Theaterbühne, nachdem sie dort bereits 1929 an der Aufführung der Revue Zwei Krawatten von Mischa Spoliansky mit Annemarie de Bruyn und Rudolf Schaffganz mitgewirkt hatten.[2]
Ein Ereignis ganz anderer Art war der Auftritt des Münchner Kabaretts Die Nachrichter: „Wenn sie sich ankündigten, setzte ein Sturm auf die Theaterkassen ein, das geistige Leipzig war in diesen Tagen in der Sophienstraße. In den Spielzeiten 1931/33 erzielten die prächtigen Münchner Kabarettisten allein mit Hier irrte Goethe sechzehn und mit Der Esel ist los dreißig ausverkaufte Häuser.“[3]
Den Nationalsozialisten war diese Bühne, auf der bis 1933 Werke von Walter Hasenclever, Georg Kaiser, Stefan Zweig, Leonhard Frank, Bertolt Brecht und Friedrich Wolf aufgeführt wurden, von Beginn an verdächtig. Die politische Einflussnahme auf die Spielpläne wirkte sich verheerend für die Kassenerträge des Privattheaters aus. Der unerwartete Riesenerfolg des Lustspiels Krach im Hinterhaus von Maximilian Böttcher konnte die Ausschaltung des Hauses nicht abwenden. Anfang 1938 gelangten der Vorstand und der Aufsichtsrat des Theaters zu der Auffassung, dass das Haus nicht mehr lebensfähig sei, sie sorgten für seine Eingliederung in den Verband der Städtischen Bühnen.
Die Abschiedsvorstellung ging am 15. Mai 1938 mit Kabale und Liebe über die Bühne. Raimund Schelcher spielte den Ferdinand, Lore Hansen die Luise. Der Schauspieler Reinhold Balqué sprach einen von Gustav Herrmann verfassten Epilog. – Am 4. Dezember 1943 wurde das Gebäude durch Brand- und Sprengbomben ein Raub der Flammen.
1932/33: Walter Hasenclever und Peter PantherChristoph Columbus oder Die Entdeckung Amerikas; Viktor Werner und Max BrodGlorius, der Wunderkomödiant; Ödön von HorváthKasimir und Karoline (Gastspiel der Berliner Bühnen)
Literatur
Hans Rothe (Hrsg.): 25 Jahre Leipziger Schauspielhaus. Leipzig 1927.
Horst Riedel: Stadtlexikon Leipzig von A bis Z. Verlag Pro Leipzig, Leipzig 2005
Bernhard Wildenhain: Schauspieler sein..., hrsg. von Friedrich und Käthe May, Henschel Verlag, Berlin 1958