Johannes Vollmer kam als zweites Kind des Hamburger Marinemalers und Grafikers Adolph Friedrich Vollmer (1806–1875) und dessen Ehefrau Auguste Amale Behrmann (1815–1855) zur Welt. Im Alter von zehn Jahren verlor er seine Mutter; Julie de la Camp (1829–1896) wurde seine und seiner vier Geschwister Stiefmutter.[1]
Nach einer Maurerlehre in Hamburg studierte Vollmer an der Technischen Hochschule Hannover insbesondere mittelalterliche Bauformen unter Conrad Wilhelm Hase (1818–1902), dem Gründer der Hannoverschen Architekturschule, die sich durch eine Hinwendung zur Neugotik auszeichnete. 1869 folgte Vollmer Johannes Otzen, den er in Hannover kennenlernte und sich mit ihm anfreundete, nach Berlin als Mitarbeiter in dessen Baugesellschaft und später als sein Assistent für das Fach des Backsteinbaus an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Nach Otzens Rücktritt 1885 wurden Vollmer dessen Vorlesungen übertragen. Vollmer gehörte dem Lehrkörper bis zu seinem Ausscheiden 1904 an.[2]
Als Mitarbeiter in Otzens Architekturbüro bis Ende der 1870er Jahre führte Vollmer mit der Reformierten Kirche Bremen-Blumenthal seinen ersten selbständigen Bau aus.[3] Danach folgten zahlreiche Kirchenbauten in Deutschland, in der Schweiz und Südtirol, sowie die Berliner Bahnhöfe Friedrichstraße und Hackescher Markt (ursprünglich Börse genannt). Im Zentrum seiner Tätigkeit blieb jedoch der evangelische Kirchenbau, zu dessen Berliner Hauptvertretern er neben Otzen und Max Spitta gehörte.[4] In diese Schaffensphase fiel auch die 1892–1895 erbaute Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche am Berliner Tiergarten, die als sein „wohl bestgelungenes Werk“ gerühmt wurde.[5]
Im Jahr 1896 verband sich Vollmer mit seinem Assistenten an der Technischen Hochschule, Heinrich Jassoy, zur Architektengemeinschaft Vollmer & Jassoy, nachdem beide bereits 1891/1892 die Kapelle auf dem Luisenfriedhof gemeinsam ausgeführt hatten. In die Zeit ihrer neunjährigen Zusammenarbeit fallen unter anderen die Trinitatiskirche in Berlin-Charlottenburg, das Kurhaus in Westerland (Sylt) und das Bauensemble der Christuskirche mit dem angrenzenden Kreishaus in Koblenz. 1899 erhielten beide auf der Großen Berliner Kunstausstellung eine kleine Goldmedaille. Die Sozietät wurde im Dezember 1904 aufgelöst, nachdem Jassoy eine Berufung als Professor an die Technische Hochschule Stuttgart erhalten hatte. Vollmer zog 1905 nach Lübeck, beteiligte sich aber weiterhin an Wettbewerben und führte den Bau der Heiligen-Geist-Kirche in Rostock aus.[6]
Das Eisenacher Regulativ von 1861 forderte den Anschluss an mittelalterliche Bauformen zur Gestaltung protestantischer Kirchenbauten in Deutschland. Im Rahmen dieser Vorschriften bevorzugte Vollmer in seinen Backsteinbauten die strengen Formen der „Frühgotik“ (Bremen-Blumenthal, Trinitatis), die den Grundsatz der Einfachheit der protestantischen Kirchen bewahren. Die Heilbronner Friedenskirche charakterisiert ein „Übergangsstil“ mit romanisierenden Radfenstern und gelängten gotisierenden Rundbogenfenstern. Nach der Überwindung des Regulativs durch das Wiesbadener Programm knüpften Vollmers Hausteinbauten um die Jahrhundertwende an Formen der Profanbaukunst der deutschen Renaissance des 16. Jahrhunderts an, so etwa die Kirchen in Zürich und Grottau an dessen frühe Phase, die Lutherkirche in Bonn an die „entwickelte Phase“ der deutschen Hochrenaissance, während die Kölner Lutherkirche sich an deren zum Barocken neigenden Spätphase anlehnt.[8]
Werkverzeichnis
Chronologische Übersicht der ausgeführten Bauten.[9]
um 1885[12]|1889: Kaiser-Karl-Brunnen auf dem Alten Hamburger Fischmarkt (mit Bildhauer Engelbert Peiffer, Statue Karls des Großen im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen, 1926 durch Kopie ersetzt, Brunnen 1940 oder 1941 abgebaut, Statue Karls des Großen später vor der St.-Ansgar-Kirche in der Hamburger Neustadt neu aufgestellt)[13]
1895 | 1899–1905: Stuttgarter Rathaus (Vollmer & Jassoy, 1944 zerstört, 1956 Neubau, Teile der alten Fassade unter moderner Verkleidung erhalten[14])[15]
1896 | 1896–1898: Kurhaus in Westerland (Sylt) (Vollmer & Jassoy,[16] spätere Veränderungen am äußeren Bau: Vergrößerung der Fenster, Beseitigung der Galerie etc.)[17]
um 1897: Restaurierung des Alten Rathauses in Heilbronn (Vollmer & Jassoy, 1944 zerstört, nur Außenarchitektur des Hauptbaus wiederhergestellt, angrenzende Flügel durch Neubau ersetzt)[18]
1901–1905: Kreishaus in Koblenz (Vollmer & Jassoy, zusammen mit der Christuskirche als architektonische Gruppe entworfen; 1978 abgerissen und durch modernen Neubau ersetzt); Abbildung: Ansicht 1905:
1884 | 1885–1887: St.-Leonhards-Kirche in St. Gallen (Entwurf von Vollmer, Ausführungsplanung und Bauleitung durch den St. Galler Architekten Ferdinand Wachter, mit geringfügigen Veränderungen erhalten)
1885 | 1886: Martinskirche in Hamburg-Horn (im Krieg unbeschädigt, 1954 Erneuerungsarbeiten nach Brand)
1887 | 1889–1890: Evangelische Kirche in Bad Ragaz (Entwurf von Vollmer, Bauleitung durch den St. Galler Architekten Ferdinand Wachter, äußerlich unverändert erhalten)
1890/1891 | 1895–1899: evangelische Friedenskirche in Heilbronn (1944 zerstört, 1952 Sprengung der Ruine; kein Neubau)
1892 | 1893–1895: Johanneskirche in Dortmund (1943 zerstört, Rest des Turms mit modernem Neubau des Kirchenschiffes verbunden); Abbildung: Alte Kirche / Neubau[19]
1900 | 1900–1903: Evangelisch-unierte Lutherkirche in Bonn-Poppelsdorf (Vollmer & Jassoy, im Krieg fast unbeschädigt, in nahezu ursprünglichem Zustand erhalten); Abbildung: Ansicht um 1905[21]
1901 | 1901–1904: Evangelische Christuskirche in Koblenz (Vollmer & Jassoy, zusammen mit dem angrenzenden Kreishaus als architektonische Gruppe entworfen; 1944 zerstört, 1951–1957 verändert wieder aufgebaut); Abbildung: Alte Kirche (1933/1944) / Ruine (1950):
1901 | 1904–1906: Evangelische Lutherkirche in Köln (Vollmer & Jassoy, 1944 zerstört, aufbaufähiges Kirchenschiff 1958 abgerissen, Turm bis auf Sockelgeschoss abgetragen und darüber ein schlichter kubischer flachgedeckter Turm errichtet, neues Kirchenschiff einige Meter versetzt 1964 neu entstanden); Abbildung: Ansicht 1907: von Südosten / von Nordosten
1905 | 1905–1908: Heiligen-Geist-Kirche in Rostock (im Krieg unbeschädigt, Dachreiter 1967 abgebrochen, innen 1980 neu gestaltet)
Literatur
Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 1990.
↑Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 1990, S. 10
↑Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 1990, S. 12f, 22f
↑Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 1990, S. 13
↑Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 1990, S. 12–18.
↑Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 1990, S. 184–185.
↑soweit nicht anders angegeben nach Dieter Krampf (Dissertation 1990, vgl. Literatur), dort auch Beschreibungen der nicht ausgeführten Kirchenentwürfe.
↑Berlin auf der Deutschen Bauausstellung 1900. In: Berliner Architekturwelt. Nr.5, August 1900, S.161–164, 179 (zlb.de – Abb. 233–239: Außenansicht, Grundrisse, Innenansichten).
↑Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 1990, S. 11.
↑Dieter Krampf: Johannes Vollmer (1845–1920). Ein Architekt des deutschen protestantischen Kirchenbaues im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 1990, S. 14.
↑Bernhard Lattner mit Texten von Joachim Hennze: Stille Zeitzeugen. 500 Jahre Heilbronner Architektur. Edition Lattner, Heilbronn 2005, ISBN 3-9807729-6-9, S. 11.