Anatas kristallisiert im tetragonalen Kristallsystem und entwickelt meist dipyramidale und tafelige Kristalle von wenigen Millimetern bis mehreren Zentimetern Größe, deren Farben zwischen schwarzgrau, braun, rötlich-braun und blau variieren. Die Farben beruhen auf Verunreinigungen mit Fremdatomen; reiner Anatas ist farblos, kommt aber nur sehr selten natürlich vor.
Benannt wurde Anatas nach dem griechischen Wort ἀνάτασιςanátasis für Ausdehnung, Streckung oder auch das Emporstrecken, da die meisten der gefundenen, dipyramidalen Kristalle im Gegensatz zu anderen tetragonal orientierten Mineralen eine überdurchschnittliche Längenausdehnung in Richtung der Z-Achse zeigen.
Erstmals wurde blauer Anatas 1783 von Jacques Louis de Bournon in einem Brief an Jean-Baptiste Romé de L’Isle als indigoblauer Schörl erwähnt. Im Weiteren wurden von verschiedenen Wissenschaftlern Anatas-Varietäten beschrieben und unterschiedlich benannt. So beschrieb Horace-Bénédict de SaussureOctaèdrit, Jean-Claude DelamétherieOisanit. 1801 untersuchte René-Just Haüy erstmals farblosen Anatas, der bei Le Bourg-d’Oisans im französischen Département Isère gefunden wurde, und erkannte dabei auch, dass es sich bei den verschiedenen bislang bekannten Mineralen um Varietäten des gleichen Minerals handelt, das er Anatas nannte.[9]
Anatas war bereits lange vor der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) bekannt und als eigenständige Mineralart anerkannt. Damit hätte Anatas theoretisch den Status eines grandfathered Mineral. In der 1962 erfolgten Publikation der IMA: Commission on new minerals and mineral names wurde einstimmig beschlossen, dass die Bezeichnung Anatas und nicht Oktaedrit als offizieller Mineralname gilt.[10] Da dies automatisch eine nachträgliche Ankerkennung für das Mineral bedeutete, wird es seitdem in der „Liste der Minerale und Mineralnamen“ der IMA unter der Summenanerkennung „IMA 1962 s.p.“ (special procedure) geführt.[1] Die seit 2021 ebenfalls von der IMA/CNMNC anerkannte Kurzbezeichnung (auch Mineral-Symbol) von MineralName lautet „Ant“.[2]
Klassifikation
In der veralteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Anatas zur Mineralklasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort zur Abteilung „MO2- und verwandte Verbindungen“, wo er zusammen mit dem inzwischen diskreditierten Selenolith die „Selenolith-Anatas-Gruppe“ mit der Systemnummer IV/D.05 bildete.
In der vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchlichen Systematik der Minerale nach Dana hat Anatas die System- und Mineralnummer 04.04.04.01. Dies entspricht ebenfalls der Klasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort der Abteilung der „Oxidminerale“. Hier ist er als einziges Mitglied in einer unbenannten Gruppe mit der Systemnummer 04.04.04 innerhalb der Unterabteilung „Einfache Oxide mit einer Kationenladung von 4+(AO2)“ zu finden.
Anatas als tetragonaler Kristall wird in Übereinstimmung mit dem Neumannschen Prinzip in der Regel als optisch einachsiges Material beschrieben. Einige Quellen[6] beschreiben für stark gefärbte Kristalle ein biaxiales optisches Verhalten, das nicht im Einklang mit der Kristallstruktur steht. Dafür sind verschiedene Ursachen denkbar:
Die Verbindung TiO2 ist trimorph und kommt neben dem tetragonalen Anatas noch als orthorhombisch kristallisierender Brookit und als ebenfalls tetragonal, aber in einer anderen Raumgruppe kristallisierender Rutil vor. Ab 915 °C geht Anatas monotrop in Rutil über.[13]
Anatas dient als weißes Pigment in der Farbmittelindustrie. Es wird nach dem Sulfatverfahren hergestellt. Durch die zum Rutil höhere photokatalytische Aktivität, die zur Zersetzung von organischen Komponenten, z. B. Polymeren, führt, ist der Einsatzbereich eingeschränkt. Typische Einsatzgebiete sind dabei Photokatalysatoren, synthetische Fasern, Lebensmittel- und Kosmetikfarben E171 und als Rohstoff für die Industrie, z. B. Sonderkeramiken oder Gläser.[16][17] Nanoteiliger Anatas wird teilweise in Sonnenschutzcremes eingesetzt. UV-Strahlung mit einer Wellenlänge kleiner als etwa 380 nm wird absorbiert.
Als Schmuckstein
Anatas wird nur selten als Schmuckstein verwendet, da er sehr spröde ist und aufgrund seiner guten Spaltbarkeit beim Fassen und Löten zu Brüchen neigt. Geschliffen hat er aber unter Sammlern einen gewissen Wert.
Jean-Claude Delamétherie: Theorie de la Terre. Band2. Maradan, Paris 1797, S.269–271, De l’oisanite (französisch, rruff.info [PDF; 168kB; abgerufen am 10. August 2024]).
René-Just Haüy: Traité de Minéralogie. Band3, 1801, S.129–136, XXVI. Espèce. Anatase (französisch, rruff.info [PDF; 518kB; abgerufen am 10. August 2024]).
M. Horn, C. F. Schwerdtfeger, E. P. Meagher: Refinement of the structure of anatase at several temperatures. In: Zeitschrift für Kristallographie. Band136, 1972, S.273–281 (englisch, rruff.info [PDF; 425kB; abgerufen am 10. August 2024]).
Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie (= Dörfler Natur). Edition Dörfler im Nebel-Verlag, Eggolsheim 2002, ISBN 978-3-89555-076-8, S.104.
Walter Schumann: Edelsteine und Schmucksteine. Alle Arten und Varietäten. 1900 Einzelstücke. 16., überarbeitete Auflage. BLV Verlag, München 2014, ISBN 978-3-8354-1171-5, S.228.
Roland Hengerer: Single crystal anatase TiO2 : growth and surface investigations. EPFL, Lausanne 2000, doi:10.5075/epfl-thesis-2272 (englisch).
Anatase search results. In: rruff.info. Database of Raman spectroscopy, X-ray diffraction and chemistry of minerals (RRUFF); abgerufen am 10. August 2024 (englisch).
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Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
↑David Barthelmy: Anatase Mineral Data. In: webmineral.com. Abgerufen am 11. September 2022 (englisch).
↑ abcHugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S.214 (englisch).
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↑Hans Jürgen Rösler: Lehrbuch der Mineralogie. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie (VEB), Leipzig 1987, ISBN 3-342-00288-3, S.399.
↑Localities for Anatase. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 14. April 2023 (englisch).
↑
Fundortliste für Anatas beim Mineralienatlas (deutsch) und bei Mindat (englisch), abgerufen am 14. April 2023.