Der Ausdruck „Geheimarchiv“ als Übersetzung der bis 2019 offiziellen lateinischen Bezeichnung archivium secretum war missverständlich, denn der Terminus verweist auf das persönliche Archiv des Papstes in Abgrenzung von Archiven kirchlicher Behörden. Mit dem Motu ProprioL’esperienza storica (Die geschichtliche Erfahrung) vom 28. Oktober 2019 wurde das Vatikanische Geheimarchiv umbenannt in „Vatikanisches Apostolisches Archiv“;[2] die umgangssprachliche Bezeichnung „Geheimarchiv“ hat sich aber darüber hinaus erhalten.
Die vereinzelten mittelalterlichen Nachrichten über päpstliche Archivalien lassen noch keine systematische Organisation erkennen, die von weltlichen Herrschern für die Päpste ausgestellten Urkunden wurden in Verbindung mit dem päpstlichen Schatz aufbewahrt.[4] Diese Privilegien und andere für die Rechte und Ansprüche des Heiligen Stuhls bedeutenden Dokumente ließ Sixtus IV., der auch als Gründer der Bibliothek gelten kann, im Engelsburgarchiv zusammenfassen (Archivum Arcis, auch als Archivum vetus bezeichnet).[5] Zwar hatte bereits Pius IV. Pläne für ein zentrales Archiv der Kurie, aber erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde das Archiv unter Paul V. aus der Vatikanischen Bibliothek als eigene Organisationseinheit herausgelöst und mit Beständen aus dem Archiv der Apostolischen Kammer, damals das umfangreichste einer päpstlichen Behörde, und aus dem Engelsburgarchiv erweitert. Die Leitung übertrug der Papst seinem Kardinalnepoten Scipione Borghese Caffarelli, die organisatorische Arbeit erledigte Michele Lonigo. 1798 wurde das Engelsburgarchiv mit dem Vatikanischen Archiv vereinigt, nachdem es schon seit Jahrzehnten in Personalunion vom Archivpräfekten geleitet worden war.[6]
1810 ordnete Napoleon die Überführung des Archivs nach Paris an, nach dem Rücktransport 1815–1817 wurden schwerwiegende Verluste festgestellt. Die Römische Republik von 1849 dagegen beeinträchtigte das Archiv kaum.[7]
Bis ins späte 19. Jahrhundert wurden die Bestände weitestgehend unter Verschluss gehalten, was wiederholt wilden Spekulationen über die dort eingelagerten Dokumente Vorschub leistete. Allerdings konnten auf Antrag schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts Wissenschaftler aus aller Welt einzelne Archivalien einsehen.
Eine umfassende Einsicht in die Bestände des Archivs wurde als erstem dem deutschen Historiker Ludwig von Pastor gewährt. Er war für seine Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters darauf angewiesen, das Vatikanische Geheimarchiv zu konsultieren. Zwar hat schon unter Pius IX. der Kardinal Jean-Baptiste Pitra einen Plan vorgelegt, das Archiv für die Wissenschaft zu öffnen, die Liberalisierung des Zugangs ist aber das Verdienst Leos XIII., der 1879 Josef Hergenröther zum Präfekten und Archivar des Apostolischen Stuhls (praeses Vaticani tabularii sive archivista apostolicae sedis) ernannte. Damit war die traditionelle Verbindung von Bibliothek und Archiv unterbrochen, erst mit Kardinal Gasquet, der 1917 zum Archivista della Santa Sede, 1919 zum Bibliotecario di Santa Romana Chiesa und 1920 nochmals zum Archivista di S.R.C. ernannt wurde, wurden diese Ämter wiedervereinigt und auch künftig beibehalten. Im Januar 1881 erfolgte die Öffnung des Archivs für die Benutzer, 1884 wurde die Benutzungsordnung (regolamento) weiter liberalisiert.[8] Wissenschaftlern wird heute bei Vorlage eines Empfehlungsschreibens von einer Forschungseinrichtung (z. B. Universität oder wissenschaftliches Institut) der Zugang unbürokratisch ermöglicht.
Das Archiv legt ohne Einschränkung seine Akten bis 1922, dem Ende des PontifikatsBenedikts XV., vor. Am 20. Februar 2002 gab Papst Johannes Paul II. die Dokumente des Staatssekretariats aus der Zeit von 1922 bis 1939 – allerdings nur, soweit sie das Deutsche Reich betreffen – für die Forschung frei. Auf Beschluss Papst Benedikts XVI. sind seit dem 18. September 2006 schließlich alle Dokumente des Pontifikates von Papst Pius XI. bis zu seinem Tod 1939 für Wissenschaftler einsehbar.[9][10] Im März 2019 kündigte Papst Franziskus an, dass ab 2020 alle Archivalien des Pontifikats Pius XII. (1939–1958) für Wissenschaftler einsehbar gemacht werden sollen.[11] Die Öffnung dieser Bestände erfolgte am 2. März 2020.[12]
Karl August Fink: Das vatikanische Archiv: Einführung in die Bestände und ihre Erforschung Regenberg. Rom 1943; 2. vermehrte Auflage 1951.
Maria Luisa Ambrosini: Die geheimen Archive des Vatikans. Kösel, München 1974, ISBN 3-466-10012-7.
Francis X. Blouin: Vatican Archives – an inventory and guide to historical documents of the Holy See. Oxford Univ. Pr., New York 1998, ISBN 0-19-509552-9.
Michael Matheus, Hubert Wolf (Hrsg.): Bleibt im Vatikanischen Geheimarchiv vieles zu geheim? Historische Grundlagenforschung in Mittelalter und Neuzeit. Beiträge zur Sektion des Deutschen Historischen Instituts (DHI) Rom, organisiert in Verbindung mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Seminar für Mittlere und Neue Kirchengeschichte. 47. Deutscher Historikertag, Dresden 30. September – 3. Oktober 2008, Rom 2009. PDF (793 kb)
↑Grobe Übersicht über die Bestände im Webauftritt des Geheimarchivs, derzeit allerdings ohne quantitative Angaben. Auch das dort verlinkte PDF-Dokument mit den vollständigen Beständen, auch den noch nicht zugänglichen, enthält nur Bibliographie und archivische Hilfsmittel, keine Zahlen.
↑Franz Ehrle: Zur Geschichte des Schatzes, der Bibliothek und des Archivs der Päpste im vierzehnten Jahrhundert- In: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 1, 1885, S. 1–48, 228 – 364, hier vor allem S. 41–48, 286–364.