Das Theresienstadt-Konvolut ist ein zeitgeschichtliches Dokument der jüdischen Selbstverwaltung im Ghetto Theresienstadt. Es enthält zwei Alben mit Biographien und teilweise Fotos, 64 Aquarelle und Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt, eine von der Lagerleitung so genannte Prominentenliste-A und eine im Untergrund erstellte, vom Judenrat mit beeinflusste Prominentenliste-B, sowie den Rechenschaftsbericht der Zentralbücherei des Ghettos.[1] Die aus Hamburg stammende Hilfskraft der Ghettozentralbücherei, Käthe Starke-Goldschmidt, nahm die heute Theresienstadt-Konvolut genannten Unterlagen nach ihrer Befreiung im Mai 1945 an sich.[2] Das Konvolut wurde von ihrem Sohn Pit Goldschmidt (* 1935) als Leihgabe dem Altonaer Museum in Hamburg zur Verfügung gestellt.[2] Ausgestellt wurde das Konvolut zur Eröffnung des Heine-Hauses als Außenstelle des Altonaer Museums 2002 im Heine-Park an der Elbchaussee.[3]
Die zwei Prominenten-Listen des Ghettos Theresienstadt
Bei den Alben mit Prominentenbiografien handelt sich um zwei fast identische Mappen in blauem Pappeinband und Schraubheftung. Eine der Mappen enthält maschinengeschriebene Lebensläufe und Fotos von 92 Prominenten, die andere ist unvollständig.[1] Die Mappen umfassen sowohl die Lebensläufe so genannter „Prominenter der Kategorie A“ als auch der „Kategorie B“. Das Prominenten-Album der Jüdischen Selbstverwaltung wurde am 1. Januar 1944 angelegt und danach weitergeführt. Aufgeführt waren jüdische Persönlichkeiten, darunter Kulturschaffende, hochrangige Militärangehörige, Politiker, Wissenschaftler, Adlige, Bankiers sowie Industrielle und teils auch deren Familienangehörige. Der Prominentenstatus berechtigte in der Regel zu einer bevorzugten Behandlung seitens der Lagerkommandantur, d. h. Wohnrecht in eigenen Prominentenhäusern mit besseren Wohnbedingungen, größere Lebensmittelrationen, keine Arbeitspflicht sowie zunächst Deportationsschutz für die „Prominenten der Kategorie A“.[4]
Die „Prominenten der Kategorie A“ verfügten über diesen Status bereits bei ihrer Deportation nach Theresienstadt, beispielsweise aufgrund ihrer im Ersten Weltkrieg erworbenen Auszeichnungen und Verdienste.[4] Eine Abschrift der Lagerliste A (Liste Raumwirtschaft der Lagerkommandantur vom Herbst 1943) nahm der Däne Ralph Oppenhejm im Zuge seiner Freilassung am 15. April 1945 durch die Rettungsaktion der Weißen Busse mit sich und veröffentlichte diese noch 1945 mit seinem Tagebuch über die Haftzeit in Theresienstadt.[5] Der Judenrat schlug der Lagerkommandantur auch weitere Personen für den Prominentenstatus vor, die bei Bestätigung durch die Lagerkommandantur als B-Prominente geführt wurden.[4]Ruth Bondy, die ebenfalls Theresienstadt überlebte, veröffentlichte später Unterlagen des Judenrates und der SS-Dienststelle, in denen 148 Häftlinge um den Prominentenstatus, ihre Entlassung oder bessere Wohnbedingungen nachsuchten.[6] Die Prominentenlisten der SS-Dienststelle und die des Judenrates sind also nicht deckungsgleich. Viele der in den nachstehenden Listen aufgeführten Prominenten mussten unter Regisseur Kurt Gerron in dem Propagandafilm Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet mitwirken.[7]
Aquarelle und Zeichnungen
Die 64 Aquarelle und Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt, die der Häftling und Oberbibliothekar der Ghettobibliothek Hugo Friedmann mit Wissen des Bibliotheksleiters Emil Utitz heimlich gesammelt hatte, übergab er Käthe Starke Ende September 1944 vor seiner Deportation über Auschwitz nach Dachau.[8] Darunter befand sich auch ein Selbstporträt von Julie Wolfthorn mit dem Titel Rekonvaleszentin. Diese Sammlung beinhaltet nur einen kleinen Teil der in Theresienstadt konspirativ entstandenen Zeichnungen und Aquarelle des Lageralltags. Viele der bildenden Künstler im Ghetto waren im Zeichenbüro der Technischen Abteilung im Ghetto eingesetzt. Da einige Bilder in die Schweiz gelangten, wovon die Lagerkommandantur Kenntnis erhielt, wurden mehrere Maler, teilweise samt ihren Familien, nach Auschwitz wegen Greuelpropaganda deportiert. Darunter befanden sich Bedřich (Friedrich) Fritta, Leo Haas, Peter Kien und Otto Ungar; Felix Bloch hingegen wurde direkt in Theresienstadt ermordet[9]. Die Bilder dieser Künstler sind teils im Konvolut enthalten.[10]
Ghettozentralbibliothek
Die Ghettozentralbücherei wurde im November 1942 nach dem Auftrag des Lagerkommandanten Siegfried Seidl eröffnet und bestand bis zu ihrer Auflösung im Juli 1945. Zunächst umfasste der Bücherbestand etwa 4.000 Bände, der bis zum Kriegsende auf 180.000 Bücher anstieg. Der Bücherbestand umfasste neben Hebraica, Judaica, Belletristik und Klassikern auch philosophische, historische, sprach- und naturwissenschaftliche Literatur.[11] Die Bücher waren aus dem Bestand der jüdischen Kultusgemeinden und im Protektorat Böhmen und Mähren, tschechisch-jüdischen sowie deutsch-jüdischen Bibliotheken sowie aus jüdischem Privatbesitz konfisziert worden. Dreiviertel der Bücher stammten aus der Tschechoslowakei und der Rest aus dem Deutschen Reich. Leiter der Bibliothek war durchgehend Emil Utitz. Einzelentleihungen konnten nur auf Sonderantrag vorgenommen werden, so beispielsweise bei Nachweis besonderer wissenschaftlicher Interessen.[11] Hauptsächlich erfolgten die Entleihungen über eine Wanderbibliothek, indem Bücher kistenweise über die so genannten Hausältesten häuserweise abgegeben wurden. Neben der Zentralbücherei bestanden im Ghetto auch weitere Bibliotheken. Die Zentralbücherei musste im Zuge der 1943/1944 durchgeführten Verschönerungsaktionen anlässlich des Besuchs des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz innerhalb des Ghettos umziehen. Im Herbst 1944 wurde der Großteil des Bibliothekspersonals nach Auschwitz deportiert. Nach der Befreiung Theresienstadts am 8. Mai 1945 durch die Rote Armee wurde die Zentralbücherei aufgelöst und ihre Bestände zum Großteil in das Jüdische Museum in Prag und etwa 40.000 Bände in die Jerusalemer Nationalbibliothek überführt.[12] Neben dem Rechenschaftsbericht der Ghettozentralbücherei besteht auch noch ein eindrucksvoller Bericht des Oberbibliothekars Friedmann mit dem Titel Ein Gang durch die Ghetto-Zentralbücherei in Theresienstadt.[11]
Liste der 92 Prominenten im Theresienstadt-Konvolut
Name
Lebensdaten
Ankunft
Liste A / B
Anmerkungen z. B. Familie, Beruf, Titel, Auszeichnungen, Tätigkeit in Theresienstadt
Tochter des Dirigenten Heinrich Porges, Witwe des Rechtsanwaltes und Geheimrats Max Bernstein. Schriftstellerisch war Elsa Bernstein unter dem Pseudonym „Ernst Rosmer“ tätig.
Witwe eines Wiener Droschkenkutschers. Der Sohn fiel als Soldat der deutschen Wehrmacht am 18. September 1939 in Polen. Mutter (?) von Karoline Bololanik, siehe nachfolgende Liste.
IV/14 – 932
Boschan, Julius
1896–1944
29. Januar 1943
B
Bankbeamter aus Wien und dekorierter Weltkriegsteilnehmer. Arbeitete in der Finanzverwaltung des Lagers. Wurde am 28. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert.
Busse, Paula
1876–1960
11. Januar 1944
B
Aus Hamburg stammende Witwe des im Ersten Weltkrieg mit dem EK II ausgezeichneten Literaturhistorikers Carl Hermann Busse.
Dr. jur., Kammergerichtsrat und dekorierter Frontkämpfer. Autor juristischer Werke, Mitarbeiter einer Kommentierung des Handelsgesetzbuches gemeinsam mit Albert Mosse. Seine Ehefrau Else Cohn nur auf Liste-A.
10723 – I/87
Dalpas, Irma
1892–
21. März 1944
B
Witwe eines Bauunternehmers und Lokalpolitikers in Karwin. 1945 befreit.
Die geborene Baronin von Hirsch wurde für ihren Lazaretteinsatz auf dem familieneigenen Schloss Planegg im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet. Witwe eines adligen Frontkämpfers. Der gemeinsame Sohn Otto Freiherr von Feury wurde in der Nachkriegszeit ein bekannter CSU-Politiker und Agrarlobbyist. Sie war die Schwester von Karl und Rudolf von Hirsch
Geboren in Westpreußen und zuletzt tätig als Textilkaufmann in den Niederlanden. Er vertrat das Deutsche Reich bei den ersten und bei den zweiten Olympischen Spielen im Geräteturnen und wurde 1896 mit der Mannschaft Olympiasieger am Barren und am Reck.
Königlich dänischer Oberrabbiner in Kopenhagen. Am 15. April 1945 mit einem Konvoi durch Deutschland im Rahmen der Rettungsaktion der Weißen Busse nach Schweden evakuiert.
Feldmarschallleutnant des österreichischen Bundesheeres. Wurde am 16. Oktober 1944 nach dem Tod seiner Frau Leona (siehe nachstehende Liste) nach Birkenau zum Arbeitseinsatz deportiert und 1945 auf dem Marsch von Auschwitz nach Pless von den Wachmannschaften erschossen.
Mitarbeiter der Jüdischen Kultusgemeinde Prag. Im Mai 1944 nach Birkenau deportiert und dort am 22. Mai 1944 bei einem von der SS angetäuschten Fluchtversuch erschossen.
Fuhrmann, August
1865–1945
Januar 1944
B
Verwitweter Lehrer aus der Bukowina stammend. Gründer mehrerer Gesangs- und Turnvereine.
Rechtsanwalt und Notar, Frontkämpfer. Letzter Vorsitzender der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Leitete das Postamt und später die Freizeitabteilung des Ghettos.
Jurist und Ministerialrat, Referent im Ministerium für Volksaufklärung. Verfasser zahlreicher Schriften zu religiösen Themen von Christen- und Judentum.
Aan 648
Ledwoch, Martha
1884–
15. Oktober 1943
A
Witwe eines Polizeikommissars und späteren Gastwirts in Strausberg. 1945 befreit.
Deutscher Seeoffizier des Ersten Weltkrieges im Umfeld des Kronprinzen. Bankier in Berlin. Gehörte der Bekennenden Kirche an und wurde dieserhalb im November 1941 von der Gestapo in das Ghetto Minsk deportiert. Im Mai 1942 auf Intervention von Generalkommissar Wilhelm Kube über Wien nach Theresienstadt. Dort nach anfänglicher Inhaftierung ab September 1942 Sicherheitschef des Ghettos und damit zweithöchster Mann in der Selbstverwaltung des Ghettos. Überlebte den Holocaust entgegen dem anderslautenden Vermerk in der Yad-Vashem-Datenbank.
Kaufmann, Berater des griechischen Wirtschaftsministeriums in Athen, Vertrauensmann der päpstlichen Hilfsorganisationen für Griechenland. Inhaftiert mit seiner nachstehenden Familie.
EZ 240
Cierer, Elsa
1906–
18. Dezember 1943
A
Ehefrau von Alfred Cierer.
EZ 241
Cierer, Ahni
1931–1944
18. Dezember 1943
A
Tochter von Alfred und Elsa Cierer.
EZ 242
Cierer, Katharine
1927–
18. Dezember 1943
A
Tochter von Alfred und Elsa Cierer.
EZ 243
Cierer, Kurt
1925–
18. Dezember 1943
A
Sohn von Alfred und Elsa Cierer.
EZ 244
Cohn, Else
1885–
28. Januar 1943
A
Ehefrau von Alexander Cohn, siehe vorgehende Liste.
10723 – I/87
Dauber, Jetti
1889–
1942 (?)
A
Ehefrau von Lucian Dauber, siehe vorgehende Liste.
Dr., Soziologe und bekannter Interessenvertreter des deutschen Judentums auf Reichsebene. Er wurde gleich nach seiner Ankunft Vorsitzender des Ältestenrates im Ghetto und am 28. September 1944 in der Kleinen Festung von Theresienstadt erschossen.
Bankier und Sohn des Gründers der Dresdner BankEugen Gutmann. Gilt als extravaganter Sonderfall. Weil er sein Vermögen nicht dem Deutschen Reich überschreiben wollte, kam er in die Jüdische Zelle des Gestapo-Gefängnisses der Kleinen Festung, wo er starb.
296–XIX/1
Gutmann, Louise
1892–1944
A
Ehefrau von Friedrich Gutmann, siehe vor. Kam nach dem Tod ihres Mannes in das Vernichtungslager Auschwitz
Gattin des Generalstabsarztes Dr. Adolf Wongtschowski
8207–I/71
Literatur
Elsa Bernstein: Das Leben als Drama. Erinnerungen an Theresienstadt. Edition Ebersbach, Dortmund 1999, ISBN 978-3-931782-54-2 (Hrsg. Rita Bake Birgit Kiupel).
Axel Feuß: Das Theresienstadt-Konvolut.Altonaer Museum in Hamburg, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg/München 2002, ISBN 3-935549-22-9.
Ralph Oppenhejm: An der Grenze des Lebens – ein Theresienstädter Tagebuch. Kopenhagen 1945, Hamburg 1961.
Käthe Starke: Der Führer schenkt den Juden eine Stadt. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1975, ISBN 3-7759-0174-4.
Ruth Bondy: Prominent auf Widerruf. In: Miroslav Karny, Raimund Kemper, Margita Karna (Hrsg.): Theresienstädter Studien und Dokumente. Prag 1995, S. 136–154.
↑ abcAxel Feuß: Das Theresienstadt-Konvolut. Hamburg/München 2002, S. 13 f.
↑Ralph Oppenhejm: An der Grenze des Lebens – ein Theresienstädter Tagebuch. Hamburg 1961, S. 182 f.
↑Ruth Bondy: Prominent auf Widerruf. In: Miroslav Karny, Raimund Kemper, Margita Karna (Hrsg.): Theresienstädter Studien und Dokumente. Prag 1995, S. 136 f.
↑Käthe Starke: Der Führer schenkt den Juden eine Stadt. Berlin 1975, S. 131 f.
↑Käthe Starke: Der Führer schenkt den Juden eine Stadt. Berlin 1975, S. 144.