Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zum Flughafen in Peru mit ICAO-Code SPUR siehe Flughafen Piura, zu Bedeutungen des Wortes Spur.
SPUR, auch S. P. U. R., war eine avantgardistische Gruppe bildender Künstler, die 1957 in München gegründet wurde und bis 1965 bestand. Sie leistete einen wichtigen künstlerischen und mit ihrem Manifest auch theoretischen Beitrag zur deutschen Avantgarde nach 1945. Ihr gelang zeitweise der Anschluss an die europäische situationistische Internationale.
Die SPUR-Künstler lernten sich an der Akademie der Bildenden Künste in München kennen. 1957 formierten sie sich zur Gruppe[1], die bis 1965 bestand. Mitglieder der Gruppe SPUR waren zusammen mit der Gruppe CoBrA, Vertretern der Gruppe um Guy Debord und anderen Künstlern, Literaten und Theoretikern die Situationistische Internationale. Die Künstler beschäftigten sich sowohl mit Malerei als auch mit gesellschaftspolitischen Fragen, was für sie kein Widerspruch, sondern programmatischer Bestandteil war.
Die Gruppe gab 1960 und 1961 sieben Hefte unter dem Namen SPUR heraus. Das berühmteste Heft mit einer Auflage von 1500 Stück und zahlreichen Abbildungen ist die Nummer 6, Spur im Exil, das einzige farbig gedruckte Heft[2].
Am Ende der dritten Konferenz der Situationistischen Internationalen verteilte die Gruppe am 21. April 1959 in München ihr Manifest, das Flugblatt Ein kultureller Putsch während Ihr schlaft!. Unterzeichner waren Heimrad Prem, HP Zimmer, Helmut Sturm, Gretel Stadler, Lothar Fischer, Asger Jorn, Dieter Rempt, Erwin Eisch und G. Britt. In dem Flugblatt setzt sich die Gruppe mit markigen Worten vom Kunstbetrieb ab und fordert: „Wer Kultur schaffen will, muß Kultur zerstören.“. Die Künstler sprechen der Kunst jeden Bezug zur Wahrheit ab und nennen die abstrakte Malerei einen „hundertfach abgelutschte[n] Kaugummi“. Sie fordern „den Kitsch, den Dreck, den Urschlamm, die Wüste“, „den Irrtum, einen ehrlichen Nihilismus“ und prophezeien die Malerei der Zukunft als „polydimensional“. Als jeweils „dritte Welle“ setzten sie sich in die Tradition des Tachismus, des Dada, des Futurismus und des Surrealismus. Das Manifest schließt mit beschwörungsartigen Formeln: „WIR SIND DIE DRITTE WELLE. Wir sind ein Meer von Wellen (SITUATIONISMUS). WIR SIND DIE MALER DER ZUKUNFT!“
Gegen die Gruppe fand u. a. einer der spektakulärsten Gotteslästerungsprozesse der BRD statt. Heimrad Prem, Helmut Sturm, HP Zimmer und Dieter Kunzelmann wurden in der ersten Instanz wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften zu Haftstrafen von fünf Monaten bzw. fünf Monaten und zwei Wochen verurteilt, die aber in zweiter Instanz zur Bewährung ausgesetzt wurden. Eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht wurde allerdings 1975 endgültig abgelehnt.
1965 schlossen sich die Mitglieder von SPUR mit den Kollegen der seit 1959 bestehenden Gruppe WIR zusammen und arbeiteten seitdem unter dem Namen Geflecht.[3]
Gegen 1960 stieß Dieter Kunzelmann (1939–2018) zu der Gruppe und wurde ihr Theoretiker und Mitherausgeber der Zeitschrift SPUR. Er war hier Autor mehrerer Artikel und Verfasser und Unterzeichnender diverser Flugblätter und Manifeste, wie z. B. des Januar-Manifests. Er verließ die Gruppe aber schon 1962 wieder, als er nach Berlin ging.
27. September bis 10. Dezember 2018: „The Most Dangerous Game“, Ausstellung über die Situationistische Internationale im Haus der Kulturen der Welt, Berlin mit Werken der Gruppe SPUR.
Literatur
Gruppe SPUR, die spur. eine münchener künstlergruppe, Mappe mit 12 Radierungen (Heimrad Prem, HP Zimmer, Helmut Sturm, Dieter Rempt Lothar Fischer Erwin Eisch) und Texten (Franz Roh, Asger Jorn, Conrad Westpfahl und Hans Platschek), München, 1958.
Galerie van de Loo (Hrsg.), Gruppe SPUR, Bilder und Plastiken (Ausstellungskatalog), München, 1959
Galerie Birch (Hrsg.), Gruppe SPUR, Ausst.-Kat., Kopenhagen, 1961
Gruppe SPUR (Sturm, Zimmer, Prem, Fischer, Kunzelmann), SPUR-Buch, die SPUR-Hefte 1-7 und die Manifeste, München, 1962
Gruppe SPUR und Gruppe WIR, Zeitschrift, Nr. 1, München, 1965
Goeschel, Albrecht (Hrsg.), Anschläge und Richtlinien, Materialien zur Kritik der repressiven Gesellschaft, Hanser, München, 1968 (= Reihe Hanser 9), S. 8–26.
Böckelmann, Frank u. Nagel, Herbert (Hrsg.): Subversive Aktion – Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern, Neue Kritik, Frankfurt, 1976, ISBN 3-8015-0142-6
Galerie van de Loo (Hrsg.), Gruppe SPUR 1958- 1965, Eine Dokumentation (Ausstellungskatalog), München, 1979, 2. Aufl. 1988.
Ohrt, Roberto (Hrsg.), Ein kultureller Putsch: Manifeste, Pamphlete und Provokationen der Gruppe SPUR, Edition Nautilus, Hamburg, 1991.
Dreßen, Wolfgang u. a. (Hrsg.), Nilpferd des höllischen Urwalds, Spuren in eine unbekannte Stadt, Situationisten, Gruppe SPUR, Kommune 1 (Ausstellungskatalog des Werkbund-Archivs, Berlin), Anabas, Gießen, 1991.
Kunzelmann, Dieter, Leisten sie keinen Widerstand, Transit, Berlin-Kreuzberg, 1998, ISBN 3-88747-132-6.
Henning, Markus; Raasch, Rolf: Neo-Anarchismus in Deutschland. Entstehung, Verlauf, Konfliktlinien. OPPO-Verlag, Berlin, 2005, ISBN 3-926880-13-9
Danzker, Jo-Anne Birnie u. Dornacher, Pia (Hrsg.): Gruppe SPUR (Ausstellungskatalog, Villa Stuck, München u. a.), Hatje Cantz, Ostfildern, 2006, ISBN 978-3-7757-1799-1
Heil, Axel (Hg.): Gruppe SPUR. Vagabundierende Unruhe (Ausstellungskatalog, Museum für Aktuelle Kunst – Sammlung Hurrle Durbach), Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg, 2014, ISBN 978-3-88423-466-2
Huttenlauch, Eva: Gruppe SPUR, Manifeste (Edition Lenbachhaus), Köln 2015, ISBN 978-3-88645-184-5
Galimberti, Jacopo: Redefining the Individual in West Germany: Spur’s and Geflecht’s Authorship (1957–67), Art History, Taylor & Francis, n° 1, vol. 98, 2016, ISSN1467-8365.
Galimberti, Jacopo: The Spur Group, Détournement and the Politics of Time in the Adenauer Era, The Oxford Art Journal, Volume 39, issue 3, 2016, ISSN1741-7287 – Print ISSN0142-6540.
Jacopo Galimberti (2017), Individuals against Individualism: Art Collectivesin Western Europe (1956-1969)
↑Irene Netta, Ursula Keltz: 75 Jahre Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München. Hrsg.: Helmut Friedel. Eigenverlag der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München 2004, ISBN 3-88645-157-7, S.235.