Ein Rittergut (lat. praedium nobilium sive equestrium) war ein Besitz, mit dem durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht seit dem Mittelalter bestimmte Vorrechte des Eigentümers, insbesondere die Rechte der Grundherrschaft über erbuntertänige und zinspflichtige Bauern (bis zur Bauernbefreiung) sowie die Landtagsfähigkeit verbunden waren. Hinzu kamen oft die Kanzleifähigkeit (als erste Instanz in Rechtsstreitigkeiten) sowie Steuerbefreiungen.
Das Lehenswesen war bereits im Fränkischen Reich entstanden, um dem Ritterstand die ihm obliegende Verpflichtung zu Ritterdiensten als Panzerreiter wirtschaftlich zu ermöglichen. Damit verbunden waren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation auch Befreiungen von den sonst auf ländlichem Grundbesitz haftenden Steuern und bäuerlichen Lasten (wie etwa der Einquartierung, Fronen etc.). Die Ritter waren dafür als Vasallen und Ministeriale dem Lehnsherren zum Kriegsdienst zu Pferde und später alternativ zu Geldleistungen („Ritterpferdgeldern“) verpflichtet, die teils noch im Dreißigjährigen Krieg und danach eingetrieben wurden. Weitere Rechte des Lehnsherrn waren vor allem das Öffnungsrecht sowie der Lehnsheimfall beim Aussterben des Mannesstammes der Lehnsnehmerfamilie.
Zur Verteidigung ihrer politischen Rechte organisierten sich die Besitzer von Lehens- oder Allodialgütern im Spätmittelalter in manchen Regionen in Verbänden, den sogenannten Ritterschaften. Diese übten politische Mitbestimmungsrechte in den Landtagen aus, wo die Rittergutsbesitzer die Ritterschaft innerhalb der Landstände bildeten. Die Landstandschaft stand ursprünglich allen Adligen der Region als Personalrecht zu[2], wurde mit der Zeit aber in Form eines Realrechts als Zubehör der Rittergüter selbst angesehen (nobilitas realis). In Preußen und auch in anderen Staaten wurden wegen ihrer Bedeutung für die ständischen und landschaftlichen Wahlen Verzeichnisse der Rittergüter geführt, die sogenannten Rittergutsmatrikel, als Verzeichnisse der jeweiligen Güter sowie ihrer aktuellen Gutsbesitzer. Nur den immatrikulierten Gutsbesitzern stand die Landstandschaft zu.
Während ursprünglich nur Adlige Rittergutsbesitzer sein durften, konnten ab dem 16. Jahrhundert Rittergüter auch von Bürgerlichen erworben werden, meist mit landesfürstlicher Ausnahmegenehmigung, wobei auch die Ritterschaften durch die Immatrikulierung mitwirken mussten. Meist suchten die neuen Rittergutsbesitzer dann beim Landesherrn um Nobilitierung nach und wurden oft auch geadelt. Im 17. Jahrhundert gab es zunehmend auch bürgerliche Rittergutsbesitzer, seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stieg ihre Zahl stark an. Mit dem Erwerb eines Rittergutes gingen auch die mit dem Gut verbundenen Realrechte auf den neuen Eigentümer über.
In den moderneren Verfassungen, so in der preußischen Verfassung von 1850, wurde dieses Recht einer besonderen Vertretung der Rittergutsbesitzer in den Landtagen oft vollständig aufgehoben. In Preußen kam den Rittergütern danach aber noch eine Bedeutung für die Kreis- und Provinzialversammlungen zu. Rittergüter in Preußen bildeten meist eigene kommunalrechtliche Gutsbezirke, die neben der meist gleichnamigen Landgemeinde bis etwa 1929 bestanden. In Mecklenburg bestand die allgemeine Landstandschaft der Rittergutsbesitzer noch bis 1918, in Niedersachsen existiert sie bis heute (siehe unten Gegenwart).
Der wirtschaftliche Betrieb des meist weit ausgedehnten Grundbesitzes eines solchen Gutes erforderte bestimmte Gebäude. Diese bestanden aus einem Herrenhaus, oft auch einem Verwaltergebäude, aus Stallungen verschiedener Art und Größe, Scheunen, Molkereigebäuden, manchmal einer Brennerei oder Brauerei, sowie den nötigen Wohnungen für die Arbeiter. Bei der Anlage der Güter herrschte der Grundsatz, dass Aufbau und Unterhaltung aus den Erträgen des Gutes zu beschaffen waren und die Ertragsgrenzen demnach nicht überschritten werden durften.
Vorbedingungen
Mit den Rittergütern waren Verpflichtungen und Privilegien verbundenen. An das Gut waren staatsrechtliche Befugnisse in Form von Realrechten gebunden – Rechte, die nur dem jeweiligen Rittergutsbesitzer zustanden. Die staatsrechtlichen Befugnisse waren also unmittelbar mit dem Betrieb verbunden und gingen bei Übertragung auf den neuen Eigentümer über. Dieser musste sich dann in der jeweiligen Ritterschaft gegen Zahlung einer Aufnahmegebühr immatrikulieren lassen.
In einigen Ländern mussten Rittergüter eine Mindestgröße besitzen, um dem in der Regel adligen Eigentümer eine unabhängige und damit standesgemäße Existenz zu ermöglichen; die mögliche zusätzliche Ausübung eines bürgerlichen Berufs war hierbei irrelevant. In Preußen betrug dieses Mindestmaß am Ende des 18. Jahrhunderts zwischen 40 und 80 Morgen (10 bis 20 Hektar), jeweils abhängig von der Bodenqualität und den Rechtsvorschriften der einzelnen Landesprovinzen. Weitere Voraussetzung war ein sogenanntes castrum nobile, also die Existenz eines Herrenhauses. In Brandenburg zählte um das Jahr 1900 ein Rittergut ab einem Grundsteuerreinertrag von 1500 Mark jährlich zum Großgrundbesitz; abhängig von der Bodenqualität war dazu ein Grundeigentum von 100 bis 200 Hektar Voraussetzung. Die Regelung wurde jedoch nicht starr gehandhabt.[3] Teilweise waren die Gutsrechte jedoch nicht an Land gebunden, sondern basierten auf grundherrschaftlichen Rechten oder auf Kapitalbesitz.[4] In den Ritterschaften des Königreich Hannovers existierten zudem viele alte Burgmannshöfe, die in den Matrikeln der Ritterschaften gelistet waren, jedoch nie über größeren Landbesitz verfügt hatten und oft nur aus einem kleinen Wohnhaus bestanden.[5]
Bis heute existieren noch verschiedene privatrechtliche Vereine sowie öffentlich-rechtliche Körperschaften unter der Bezeichnung Ritterschaft. Die Vorsitzenden führen die traditionsreiche Amtsbezeichnung Landmarschall (oder, wenn das Amt in einer Familie erblich ist, Erblandmarschall).
In Schleswig-Holstein blieben die Gutsbesitzer, wie auch in anderen preußischen Provinzen, bis zur Auflösung der Gutsbezirke 1928 „Obrigkeit der untersten Verwaltungsebene“, also praktisch Bürgermeister, legitimiert aus dem Grundeigentum für den Gutsbezirk. Die Schleswig-Holsteinische Ritterschaft ist heute eine private Vereinigung, in der die adligen Familien, welche im Lande ein historisches Rittergut besitzen, zusammengeschlossen sind.[6] Sie unterscheiden sich in die Equites Originarii (die „ursprünglichen Ritter“) und die Equites Recepti (die „aufgenommenen Ritter“). Ferner gehören zu ihnen die Adelsfamilien aus der Lauenburgischen Ritterschaft, welcher selbst auch die bürgerlichen Gutsbesitzer im Kreis Herzogtum Lauenburg angehören. Die schleswig-holsteinischen Rittergüter führen die Bezeichnung Adliges Gut, unabhängig von der Zuordnung ihres jeweiligen Besitzers zum historischen Adels- oder Bürgerstand. Mitglieder der Ritterschaft sind jedoch nur die adligen Familien.
Im Gegensatz zu den niedersächsischen und bremischen Körperschaften sind die traditionsreiche Althessische Ritterschaft sowie die Rheinische Ritterschaft heute privatrechtlich organisierte Adelsvereine, denen im ersten Fall die immatrikulierten landsässigen Adelsfamilien in ihrer Gesamtheit und im zweiten Fall die dem historischen Adel zuzurechnenden Besitzer der Rittergüter in der früheren preußischen Rheinprovinz angehören. Die Baltischen Ritterschaften sind ebenfalls Traditionsvereinigungen ehemals landgesessener Adelsfamilien aus dem Baltikum.
Die bis 1945 bestehende Mecklenburgische Ritterschaft war bis 1918 eine Abteilung des Mecklenburgischen Landtags. Das Ritterschaftliche Gebiet (also die Gesamtheit der Rittergüter) umfasste ca. 46 % der Gesamtfläche Mecklenburgs. Um die Tradition wiederzubeleben, haben sich nach 1990 einige Wiedereinrichter historischer Gutsbetriebe zur Landschaft Mecklenburg-Vorpommern, einem privaten Verein, zusammengeschlossen.[9]
Manfred Wilde: Die Ritter- und Freigüter in Nordsachsen. Ihre verfassungsrechtliche Stellung, ihre Siedlungsgeschichte und ihre Inhaber (= Aus dem Deutschen Adelsarchiv. Bd. 12). C. A. Starke, Limburg/Lahn 1997, ISBN 3-7980-0687-3 (zugleich: Chemnitz, Technische Universität, Dissertation, 1996).
Axel Flügel: Bürgerliche Rittergüter. Sozialer Wandel und politische Reform in Kursachsen (1680–1844) (= Bürgertum. Bd. 16). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-35681-1 (Digitalisat).
René Schiller: Vom Rittergut zum Grossgrundbesitz. Ökonomische und soziale Transformationsprozesse der ländlichen Eliten in Brandenburg im 19. Jahrhundert (= Elitenwandel in der Moderne. Bd. 3). Akademie-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-05-003449-1 (Digitalisat).
Sabine Bock: Gutsanlagen und Herrenhäuser. Betrachtungen zu den historischen Kulturlandschaften Mecklenburg und Vorpommern. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern. Thomas Helms Verlag Schwerin 1996, 2. erweiterte und überarbeitete Auflage 2001, 3. überarbeitete Auflage 2007.
Wolf Reinecke: Landstände im Verfassungsstaat, Göttingen 1975, ISBN 3-509-00610-0.
Karl Friedrich Rauer: Alphabetischer Nachweis (Adressbuch) des in den Preussischen Staaten mit Rittergütern angesessenen Adels. Berlin 1857 (Google Books).
Karl Friedrich Rauer: Hand-Matrikel der in sämmtlichen Kreisen des Preussischen Staats auf Kreis- und Landtagen vertretenen Rittergüter. Berlin 1857 (Google Books).
↑René Schiller: Vom Rittergut zum Grossgrundbesitz. Berlin 2003, S. 183f.
↑So zum Beispiel das Stillhorner Lehnskapital im Fürstentum Lüneburg. Siehe hierzu: Ulrike Hindersmann: Rittergüter der Lüneburger Landschaft: Die Rittergüter der Landschaft des vormaligen Fürstentums Lüneburg, 2015, ISBN 978-3-8353-1680-5.
↑Ulrike Hindersmann: Der ritterschaftliche Adel im Königreich Hannover. Hahn, Hannover 2001, ISBN 978-3-7752-6003-9, zugl. Diss. Univ. Münster, 1999.
↑Stimmberechtigte Mitglieder sind die Eigentümer der 43 Rittergüter in dem Gebiet des ehemaligen Landes Braunschweig. Siehe: Gesine Schwarz: Die Rittergüter des alten Landes Braunschweig, MatrixMedia, Göttingen 2009, ISBN 978-3-932313-27-1
↑Der Braunschweigische ritterschaftliche Kreditverein von 1862 geriet um 1990 in wirtschaftliche Schwierigkeiten und ging zunächst an die Vereins- und Westbank AG, später dann die Deutsche Genossenschafts-Hypothekenbank AG über.