Reform (gebildet aus lat. re: zurück und formare: bilden, gestalten; zusammengesetzt etwa: Wiederherstellung), auch Reformierung und Reformation, bezeichnet eine planvolle Umgestaltung bestehender Verhältnisse, Systeme, Ideologien oder Glaubenslehren in Politik, Religion, Wirtschaft oder Gesellschaft. Sie wird häufig als Gegenwort zur Revolution eingesetzt, die für schneller ablaufende Entwicklungen beziehungsweise für Änderungen mit radikalerem Wandel steht.
Das Wort erscheint schon in den Paulus-Briefen der Bibel, später auch in dem Zusammenhang mit der kirchlichen evangelischen Reformation zur Zeit Martin Luthers.
Eine religiöse Reform richtet sich auf die Reform der Glaubenslehre. Zu unterscheiden davon ist eine Reform der Organisation einer Religionsgemeinschaft, die allerdings oft die Folge einer Reform der Glaubenslehre ist. Schon früh gab es in der Kirchengeschichte Bewegungen der steten Erneuerung festgefahrener Formen, etwa was das einhalten von Ordensregeln in den Ordensgemeinschaften betraf. Ein beispielhaftes Reformkloster war etwa die Abtei Cluny.
Einschneidende gesellschaftliche Veränderungen bezeichnet man schon für die Zeit der Römischen Republik als Reformen. Die Gracchische Landreform scheiterte in zwei Anläufen 133 und 121 v. Chr., Marius war hingegen mit seiner Marianischen Heeresreform 107 v. Chr. erfolgreich.
Bekannte historische Beispiele für Reformen in Deutschland sind die Preußischen Reformen, die Lebensreform-Bewegung, die aus Reformbewegungen[1] hervorgegangene Sexualreform, Reformen an Universitäten[2] und Schulen (Bildungsreformen), die Bismarckschen Sozialreformen (damit teilweise zusammenhängend die Medizinische Reform[3][4]), die verschiedenen Währungsreformen in Deutschland, die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 und die Arbeitsmarkt-Reformen im Rahmen der Agenda 2010.
In autoritären Regimen fordern Dissidenten häufig Reformen, bevor diese von den Regierungen angestrebt werden. Glasnost und Perestroika standen als Begriffe für Michail Gorbatschows Reformen in der Sowjetunion vor dem Umbruch von 1989 und nach den Reformen der Entstalinisierung unter Nikita Chruschtschow. In der Volksrepublik China bedeuteten die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen und Privateigentum nach dem Tod Mao Zedongs wirtschaftliche Reformen (→ Geschichte Chinas: Wirtschaftliche Modernisierung (seit 1978)).
In der politischen Diskussion in Deutschland sprechen die politischen Parteien oft von Reformen. Damit drücken sie aus, dass sie die bestehenden Verhältnisse gemäß ihren Parteiprogrammen umzugestalten wünschen. Beispiele für Reformbestrebungen der jüngsten Vergangenheit betreffen etwa die Arbeitsmarktpolitik (→ Hartz-Konzept) und die Steuerpolitik (→ Ökologische Steuerreform der rot-grünen Koalition der Regierung Schröder), oder die Gesundheitspolitik (→ Gesundheitsreform 2007 der Großen Koalition mit dem Kabinett Merkel I).
Kontrovers diskutiert wird die These, dass die Politik in Deutschland an Immobilismus oder Reformstau leide.[5] Der frühere Bundespräsident Roman Herzog rief in seiner Berliner Rede 1997 dazu auf, dass ein „Ruck durch Deutschland“ gehen müsse und warb so für Reformbereitschaft bei der deutschen Gesellschaft und Politik. Thomas Straubhaar und andere erklären das Ausbleiben als notwendig erachteter Reformen mit den damit verbundenen Risiken und Kosten, denen offene Ergebnisse und häufig unerkannt bleibende positive Wirkungen gegenüber stünden.[6]
Siehe auch
Literatur
- Ralph Bollmann: Reform. Ein deutscher Mythos. wjs, Berlin 2008, ISBN 3-937989-43-9.
- Yvonne Heiniger, Thomas Straubhaar, Hans Rentsch u. a.: Ökonomik der Reform. Wege zu mehr Wachstum in Deutschland. Orell Füssli, Zürich 2004, ISBN 3-280-05046-4.
- Hans Peter Grüner: Der Preis der Arbeitsmarktreform. Wirtschaftsdienst, März 2002, 141–144.
- Hans Peter Grüner: Demokratie, Reform und Wissenschaft. Wirtschaftsdienst, 2007, 87, 567–570.
- Diethart Kerbs, Jürgen Reulecke (Hrsg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933. Wuppertal 1998.
- Susan Richter/ Thomas Maissen/ Manuela Albertone (Hg.): Languages of Reform in the Eighteenth Century. When Europe lost its fear of change. London 2019 (Routledge Research in Early Modern History). ISBN 978-1-032-08759-7
- Ulrich Schödlbauer: Was geht. Anmerkungen zur Reformgesellschaft. In: Ders. (Hrsg.): Warum Reformen scheitern. Die Kultur der Gesellschaft. Manutius-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-934877-61-0.
- Doreen Spörer: Regierungssysteme und Reformen. Studien zur neuen politischen Ökonomie. VS, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-15034-0 (zugl. Dissertation, Universität Konstanz 2005).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Ulrich Linse: Sexualreform und Sexualberatung. In: Diethart Kerbs, Jürgen Reulecke (Hrsg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933. Wuppertal 1998, S. 211–226.
- ↑ A. Thorbecke: Statuten und Reformationen der Universität Heidelberg vom 16. bis 18. Jahrhundert. Heidelberg 1891.
- ↑ Wilfried Witte: Medizinische Reform (1848/49). In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1221 f.
- ↑ Erwin Heinz Ackerknecht: Beiträge zur Geschichte der Medizinalreform von 1848. Dissertation Leipzig 1931; auch in: (Sudhoffs) Archiv für Geschichte der Medizin. Band 25, 1932, S. 61–109 und 113–182.
- ↑ Manfred G. Schmidt: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. S. 112 f.
- ↑ Josef Schmid: Wirtschaftspolitik für Politologen. S. 101.