Psychologisches Kapital ist ein Führungskonzept, mit dem folgender Anspruch verbunden ist: Die Steuerung bzw. Gestaltung des „Psychologischen Kapitals“ hilft Führungskräften, relevante Geschäftsergebnisse effektiver und effizienter zu erreichen als durch „herkömmliche“ Führungskonzepte.[1] Es liegt inzwischen eine Vielzahl von Belegen für die Bestätigung dieses Anspruches vor.[2]
Der Begriff „Psychologisches Kapital“ wurde vom US-amerikanischen Managementwissenschaftler und -berater Fred Luthans geprägt und erstmals im Jahr 2004 mit dem Artikel „Human, Social, and Now Positive Psychological Capital Management: Investing in People for Competitive Advantage“ einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt.[3]
Das Psychologische Kapital besteht laut Luthans et al. aus vier Komponenten – aus Ressourcen, die dem Individuum im Berufs- wie auch im Privatleben zur Verfügung stehen:[4]
Unter „Positive Psychology Movement“ wird eine Bewegung innerhalb der akademischen Psychologie bezeichnet, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Konzepte zu erforschen, welche die positiven Seiten, Stärken und Fähigkeiten von Individuen und Gruppen beschreiben:[5] Inzwischen wurde begonnen, diese Überlegungen in organisationale Kontexte – auf verschiedenen Emergenzebenen – zu übertragen. Hieraus entstanden dann unterschiedliche Begriffe in Abhängigkeit von der betrachteten Ebene[6] „positive organizational behavior“ (meist individuelle oder auch Teamebene), „positive organizational scholarship“ (meist Organisationsebene) oder aber auch Konzepte wie „positive management“ oder „positive leadership“.
Die zentrale Annahme hierbei ist, dass solche positiven Konzepte als organisationale Ressource aufgefasst werden können, deren Berücksichtigung bzw. Gestaltung einerseits zu höherer Effektivität und Effizienz beitragen und andererseits einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Humanziele einer Organisation leisten. Von besonderer Bedeutung sind die Kriterien, denen ein solches positives Konzept genügen muss:[7]
Die Anwendung dieser Kriterien stellt somit sicher, dass solche Konzepte sowohl wissenschaftlichen (Objektivität, Reliabilität und Validität) wie auch praxisbezogenen Anforderungen (Veränderbarkeit bzw. Gestaltbarkeit sowie Nutzenorientierung) genügen. Das Führungskonzept des „Psychologischen Kapitals“ erfüllt diese Kriterien.
Möglicherweise ist es ungewohnt, den Begriff „Kapital“ in einem engen Zusammenhang mit „Psychologie“ zu sehen. Daher soll dies etwas näher erläutert werden.
Grundsätzlich ist bekannt, dass der Kapital-Begriff in der Bilanz die Summe aller von den Kapitalgebern zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel darstellt. Hiermit wird angezeigt, woher die Mittel für die Vermögensgüter gekommen sind (Mittelherkunft). Zudem wird es seiner Herkunft entsprechend in Eigenkapital und Fremdkapital gegliedert. Diese Idee der Mittelherkunft steckt auch in dem Begriff „Psychologisches Kapital“. Luthans ging es unter anderem darum, die „Herkunft“ von Motivation, Engagement, Leistung und Gesundheit – also deren Ursprünge – aus psychologischer Perspektive besser verstehen und somit gestalten zu können. Der Begriff „Kapital“ – im Sinne von Herkunft – bezieht sich somit einerseits auf die individuellen Voraussetzungen auf Mitarbeiter- und Führungskräfteseite, andererseits auf deren Veränderbarkeit bzw. Förderbarkeit und letztlich auf die hierfür günstigen organisationalen Rahmenbedingungen. Verlässt man diese rechnungslegungsbezogene Perspektive dieser Betrachtung, so bietet es sich an, von „psychischen Ressourcen“ zu sprechen.
Der Begriff „Kapital“ hat – über die Ökonomie hinaus – weiterführende Interpretationen erhalten. Der Soziologe Pierre Bourdieu bezeichnet als Kapital allgemein die Ressourcen, die den Menschen für die Durchsetzung ihrer Ziele zur Verfügung stehen, also die Voraussetzungen, die sie mitbringen, um ihre Position im sozialen Leben zu verbessern.[8] Er diskutiert folgende Formen von Kapital: ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital und symbolisches Kapital. Der Begriff „Psychologisches Kapital“ lässt sich somit auch als Erweiterung dieser Überlegungen auffassen: Selbstwirksamkeit, Hoffnung, Optimismus und Resilienz sind Ressourcen, die dem Individuum im Privat- wie auch im Berufsleben zur Verfügung stehen.
Verbleibt man bei der betriebswirtschaftlichen Optik und geht der Frage nach, von welchen Einflussfaktoren die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens abhängt, so findet man – in historischer Betrachtung – folgende Perspektiven:
Somit war der Begriff des Psychologischen Kapitals geboren.
Die Frage nach der Nachhaltigkeit des Unternehmenserfolges wurde vergleichsweise spät beantwortet: Beginnend mit dem marktorientierten Ansatz von Porter, in dessen Mittelpunkt die „richtige“ Branchenauswahl steht,[12] über die ressourcenorientierten Ansätze, von denen das Konzept der Kernkompetenzen sich auch in der Praxis durchgesetzt hat,[13] besteht heute Konsens darüber, dass eine Ressource folgenden Kriterien genügen muss, wenn sie einen Beitrag zu einem nachhaltigen Unternehmenserfolg leisten können soll: Einzigartigkeit, Knappheit, mangelnde Substituierbarkeit bzw. Imitierbarkeit, Kumulierbarkeit, Verknüpfbarkeit mit anderen Ressourcen, Erneuerbarkeit.[14] Eine entsprechende Analyse verdeutlicht, dass es gerade die vier Komponenten des Psychologischen Kapitals sind, die am stärksten die Kriterien einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit erfüllen.[15]
Selbstwirksamkeit kann zusammenfassend als Fähigkeit definiert werden, eine bestimmte Aufgabe meistern zu können, ohne sich hierbei mit anderen vergleichen zu müssen. Diese Fähigkeit basiert auf der Überzeugung,
um innerhalb eines spezifischen Kontextes erfolgreich handeln zu können.[16]
Personen mit hoher Selbstwirksamkeit unterscheiden sich von anderen Personen in Bezug auf die folgenden Merkmale:[17][18]
Deutlich wird Hoffnung dann, wenn die Eintreffenswahrscheinlichkeit der „besseren Zukunft“ gering ist, ihre Realisierung also sehr große Anstrengungen oder Hilfe von außen erfordert – und trotzdem zu realisieren versucht wird.[19][20] Hoffnung lässt sich anhand von drei Dimensionen beschreiben:
Hoffnung ist eng mit dem Bewusstsein der Kontinuität der eigenen Person in der Zukunft verknüpft. Sie dient als Puffer gegen Resignation und Verzweiflung und ist eine Ressource für aktive Bewältigungsversuche bei Belastungen. Hoffnung hat also nichts mit Wunschdenken, positiven Einstellungen, emotionalen Höhepunkten oder Illusionen zu tun. Vielmehr steht Hoffnung in engem Zusammenhang damit, dass man an seinen gesteckten Zielen festhält – auch wenn Widerstände auftauchen.
Man hat herausgefunden, dass sich Menschen mit hohem Hoffnungsniveau anhand folgender Merkmale beschreiben lassen:[21][22]
Optimismus ist hier wie folgt zu verstehen: Es geht nicht nur um die Überzeugung, dass sich in Zukunft positive Dinge einstellen werden, sondern insbesondere darum, wie diese Erwartung begründet, also attribuiert wird.[23] Man kann beispielsweise sehr viel Zeit mit dem Ausmalen einer positiven Zukunft – einer Karriere – verbringen, doch kann das Zustandekommen dieser Karriere in optimistischer – oder eben auch in pessimistischer – Art und Weise erklärt werden: „Ich bin für das Zustandekommen der angestrebten positiven Zukunft maßgeblich selbst verantwortlich“ – im Gegensatz zu: „Ich kann nichts tun, um das Zustandekommen einer negativen Zukunft zu vermeiden“.
Personen mit hohem Ausmaß an Optimismus unterscheiden sich von anderen Personen in Bezug auf die folgenden Merkmale:[24][25][26][27]
Der Begriff Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, sich in bedrohlichen Situationen anzupassen und sie bewältigen zu können.[28][29] Resilienz ist nicht als starres, fixiertes Persönlichkeitsmerkmal des Individuums zu sehen, sondern als flexible Widerstandsfähigkeit, die den jeweiligen Umständen angepasst ist. Somit bedeutet Resilienz die Fähigkeit bzw. die Ressource eines Individuums, trotz Risiken oder Traumata die normale Entwicklung und Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder wiederherstellen zu können. Demnach kann ein Individuum, das als Charaktereigenschaft eine hohe Resilienz aufweist, Not und Elend standhalten oder sich nach einschneidenden Erlebnissen von diesen schnell wieder erholen.[30]
Personen mit hoher Resilienz unterscheiden sich von anderen Personen in Bezug auf die folgenden Merkmale:[31]
Der Nutzen von Psychologischem Kapital lässt sich anhand einer Vielzahl von empirischen Studien belegen.[32][33][34][35][36][37][38][39][40][41] und ist entsprechend auch Gegenstand der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur.[42][43][44] Daneben wird das Psychologische Kapital auch im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements aufgegriffen.[45][46]
Eine Erhöhung des Psychologischen Kapitals hat positive Auswirkungen auf
Die Entwicklung des Psychologischen Kapitals trägt zudem dazu bei, eine Reihe unterschiedlicher Leistungshürden zu beseitigen. Insbesondere sind hier die
zu benennen.
Eine Erhöhung des Psychologischen Kapitals hat zusammengefasst positive Auswirkungen auf
Neben einer Vielzahl von Einzelfallstudien, Querschnitts- und Längsschnittsstudien (siehe oben) ist die Meta-Analyse von Avey et al. von besonderer Bedeutung.[47] Diese Meta-Analyse basiert auf 51 unabhängigen Studien, an denen insgesamt 12.567 Personen beteiligt waren. Die Zielsetzung bestand darin herauszufinden, welche generalisierbaren Effekte das Psychologische Kapital aufweist. Insgesamt wurde Folgendes deutlich: Das Psychologische Kapital trägt dazu bei,
Walumbwa et al. haben 79 Dienstgruppen- und Dienststellenleiter der Polizei und ihre 264 Mitarbeiter nach ihrem Psychologischen Kapital, dem allgemeinen Serviceklima der Dienststelle und nach der Arbeitsleistung befragt. Beim Serviceklima wurde geprüft, welchen Stellenwert Arbeits- und Servicequalität in der täglichen Arbeit haben. Die Arbeitsleistung der Mitarbeiter wurde von deren direkten Vorgesetzten beurteilt. Hier wurde Folgendes deutlich:[48]
Die Autoren kommen zu folgenden Schlussfolgerungen für die Führungspraxis:[49]
Betrachtet man diese Ergebnisübersicht, so kann festgehalten werden, dass die Erwartungen, die mit der Entwicklung des Konzepts des „Psychologischen Kapitals“ verbunden waren, als erfüllt betrachtet werden können: Es steht mit einer Vielzahl von individuellen und organisationalen Leistungskriterien in Verbindung und kann somit als wichtiger Treiber für den Unternehmenserfolg aufgefasst werden.
Es macht dann Sinn, von einer übergeordneten Variablen „Psychologisches Kapital“ zu sprechen, wenn es gelingt zu zeigen, dass diese Variable einen höheren Nutzen mit sich bringt als die Verwendung seiner Komponenten. Dies kann durch entsprechende statistische Analysen gezeigt werden: Die Variable „Psychologisches Kapital“ ist besser in der Lage, relevante Größen wie Leistung, Zufriedenheit oder Gesundheit besser vorherzusagen als seine Komponenten. Dies konnte Luthans anhand einer Vielzahl von Studien eindrücklich nachweisen.[50]
In der Persönlichkeitspsychologie wird zwischen zwei „Typen“ von Variablen unterschieden: Unter „trait“ versteht man stabile, nur schwer veränderbare Persönlichkeitsmerkmale, wohingegen „state“ Merkmale bezeichnet, deren Ausprägung in Abhängigkeit von der Situation variiert:[51] Luthans et al. schlagen hierfür ein Kontinuums-Modell vor. Auf den Extremen sind jeweils State und Trait positioniert. Kriterien der Unterscheidung sind die relative Stabilität gemessen an ihrer „Offenheit für Veränderung und Entwicklung“. Auf diesem Kontinuum würden sich, in ihrer Argumentation, die verschiedenen Variablen unterschiedlichen Niveaus zuordnen lassen. Somit wäre die Einordnung des Psychologischen Kapitals klar und eindeutig abgrenzbar[52]
Da sich das Psychologische Kapital in der Forschung als state-ähnlich herausgestellt hatte, konnten nun auch die Entwicklung und Umsetzung von Interventionsmaßnahmen und Trainingsprogrammen zu seiner Entwicklung in den Fokus des Interesses rücken.