Nach wissenschaftlichen Anstellungen am Institut für Weltwirtschaft in Kiel und an der Universität Berlin wurde er 1936 Wirtschaftsreferent beim Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD). Bereits im Folgejahr wurde ihm die Leitung der HA II / (Deutsche Lebensgebiete), die bisher in der Verantwortung von Reinhard Höhn lag, übertragen. In dem dann ab September 1939 neu strukturierten Reichssicherheitshauptamt war er Leiter des Amtes III (Deutsche Lebensgebiete), das er bis 1945 führte. Hier war er verantwortlich für die Erstellung der Meldungen aus dem Reich. In diesen Berichten wurde versucht, die Staatsführung über die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung zu informieren.
Nach der deutschen Invasion der Sowjetunion 1941 befehligte er auf Anweisung von Heinrich Himmler zusätzlich bis Juni 1942 die Einsatzgruppe D, die in der Südukraine und im Kaukasus operierte. Die SS-Einsatzgruppen hatten die Aufgabe, die in den eroberten Gebieten lebenden Juden und Roma und Sinti sowie Führungskader der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zu vernichten.[1] Ohlendorf war damit verantwortlich für die Ermordung von ungefähr 90.000 Menschen. Ausdrücklich erteilte Himmler den Einsatzgruppen-Chefs den Befehl und bestätigte ihnen am 1. August 1941, „dass in Zukunft alle erfassten Juden aus rassischen Gründen zu erschießen seien“.[2]
Ende 1943 wurde Ohlendorf zusätzlich stellvertretender Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium. Dort koordinierte er die Planungen für die Wirtschaft nach dem Krieg – eigentlich verbotenerweise, aber Himmler lehnte die vorgegebene, nach seiner Auffassung jedoch „total bolschewistische“ Wirtschaftslenkung Albert Speers ab und schützte die Nachkriegsplanungen. Ohlendorf arbeitete in diesem Sinne auch mit Ludwig Erhard und vielen anderen Wirtschaftsfachleuten zusammen. An die Stelle des bürokratischen Lenkungsapparates müsse im Frieden ein „aktives und wagemutiges Unternehmertum“ treten, so Ohlendorf.[3]
Ohlendorf beim Einsatzgruppen-Prozess am 9. Oktober 1947Otto Ohlendorf (links) und Heinz Jost (rechts hinten) am 9. Februar 1948 in Nürnberg als Angeklagte im Einsatzgruppen-Prozess
Im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg war Ohlendorf einer der Hauptzeugen der Anklage. Er schilderte emotionslos im Detail die Massenmorde seiner Einsatzgruppe. Zugleich erregte er damit auch Unwillen bei den Angeklagten, insbesondere bei Hermann Göring, der ihm vorwarf, mit seinen wahrheitsgemäßen Schilderungen sich und die anderen Täter unnötig zu belasten.[5]
Im Nürnberger OKW-Prozess sagte er als Zeuge der Anklage aus, dass die Wehrmacht regelmäßig über alle Aufträge der Einsatzgruppen informiert gewesen sei und dass Wehrmacht und Einsatzgruppen häufig bei Exekutionen zusammengearbeitet hätten. Die angeklagten Generäle bestritten dies vehement.[6]
Er wurde 1948 im Einsatzgruppen-Prozesszum Tode verurteilt.[7] Im Verfahren versuchte die Verteidigung vergeblich und entgegen den Fakten, Ohlendorf als tendenziell oppositionellen Mittäter darzustellen, der keine Morde begangen habe, sondern nur Befehlsempfänger gewesen sei.[8] Auch sein Stellvertreter Willi Seibert und sein Adjutant Heinz Schubert standen mit ihm vor Gericht. Ohlendorfs Darstellung etablierte die Version einer „Endlösung“, die klar von hierarchischen Strukturen und vorsätzlichem Handeln mit Hitler, Himmler und Heydrich als Zentrum der Entscheidungsfindung geprägt war. Dieses Narrativ wurde durch Mitangeklagte gestützt, die sich ebenfalls als kleine befehlsgebundene Rädchen in der Vernichtungsmaschinerie darstellten. Nachkriegshistoriker wie Helmut Krausnick, Martin Broszat, Leon Poliakov und Raul Hilberg wurden von dieser intentionalistischen Sichtweise beeinflusst.[9]
Der Leichnam wurde in seinem Heimatort Hoheneggelsen beigesetzt. Briefe von Ohlendorf an einen Hildesheimer Schulfreund, seine Frau sowie an andere während seiner Haftzeit 1947 bis 1950 werden im Stadtarchiv Hildesheim aufbewahrt.[12]
Martin Holler[14]: Extending the Genocidal Program: Did Otto Ohlendorf Initiate the Systematic Extermination of Soviet "Gypsies" ? in: Alex J. Kay, Jeff Rutherford, David Stahel (Hrsg.): Nazi Policy on the Eastern Front, 1941: Total War, Genocide, and Radicalization. University of Rochester Press 2012 (ISBN 978-1-58046-488-8), S. 267–288.
Ilka Richter: SS-Elite vor Gericht. Die Todesurteile gegen Oswald Pohl und Otto Ohlendorf. Tectum, Marburg 2011, ISBN 978-3-8288-2563-5.
Hilary Earl: The Nuremberg SS-Einsatzgruppen Trial, 1945–1958: Atrocity, Law, and History. Cambridge University Press, Cambridge 2009, ISBN 978-0-521-45608-1.
Jason Weber: Normalität und Massenmord. Das Beispiel des Einsatzgruppenleiters Otto Ohlendorf. In: Joachim Perels, Rolf Pohl (Hrsg.): NS-Täter in der deutschen Gesellschaft Offizin-Verlag, Hannover 2002, ISBN 3-930345-37-4, S. 41–68.
David Kittermann: Otto Ohlendorf – „Gralshüter des Nationalsozialismus“. In: Ronald Smelser, Enrico Syring (Hrsg.): Die SS: Elite unter dem Totenkopf. Paderborn : Schöningh, 2000, ISBN 3-506-78562-1, S. 379–393
Hanno Sowade: O.O. – Nonkonformist, SS-Führer und Wirtschaftsfunktionär. In: Ronald Smelser, Enrico Syring & Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die braune Elite. Band 1: 22 biographische Skizzen. 4. aktualisierte Auflage. WBG, Darmstadt 1999, ISBN 3-534-14460-0, S. 188–220.
Arfst Wagner: Anthroposophen und Nationalsozialismus. In: Flensburger Hefte. Nr. 32. Flensburg 1991, ISBN 3-926841-32-X.
↑Stephan Link: „Rattenlinie Nord“. Kriegsverbrecher in Flensburg und Umgebung im Mai 1945. In: Gerhard Paul, Broder Schwensen (Hrsg.): Mai ’45. Kriegsende in Flensburg. Flensburg 2015, S. 21.
↑Valerie Geneviève Hébert: Befehlsempfänger und Helden oder Verschwörer und Verbrecher? In: NMT: die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung. Hrsg.: Priemel und Stiller, Hamburger Edition 2013, ISBN 978-3-86854-278-3, S. 119 f.
↑Ilka Richter: SS-Elite vor Gericht. Die Todesurteile gegen Oswald Pohl und Otto Ohlendorf. Tectum, Marburg 2011, S. 84 ff.
↑Hilary Earl: Beweise, Zeugen, Narrative: Der Einsatzgruppen-Prozess und die historische Forschung und Genese der „Endlösung“. In: NMT: Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung. Hrsg.: Kim C. Priemel und Alexa Stiller, Hamburger Edition HIS 2013, ISBN 978-3-86854-260-8, S. 128.
↑Michael Brackmann Erhards doppelter Coup in General-Anzeiger, S. 10f, 18. Juni 2018