Als Metamorpher Kernkomplex (englischmetamorphic core complex, MCC) wird in der Geologie ein Geländeabschnitt bezeichnet, in dem ursprünglich tief in der Erdkruste gelegene, hoch metamorpheGesteine inmitten von deutlich geringer oder nicht metamorphen Gesteinen zu Tage treten. Das Auftauchen dieser Bereiche beruht auf Dehnungstektonik und erfolgt weitestgehend ohne Magmenbildung.
Der Prozess, durch den mittlere und tiefere kontinentale Erdkruste an die Erdoberfläche gelangt, geht verhältnismäßig rasch vonstatten. Während des Dehnungsvorgangs entstehen flachliegende Abscherungen, die als mylonitische Scherzonen ausgebildet sind. Unterhalb dieser Abscherhorizonte liegen hochgradige Metamorphite aus der Eklogit-, Granulit- oder Amphibolit-Fazies, die duktil verformt wurden. Die Gesteine im Hangenden wurden während dieser Bewegungsvorgänge (synkinematisch) zu grünschieferfaziellen bzw. amphibolitfaziellen Metamorphiten umgewandelt, ihr Verformungsverhalten war duktil-spröde bis spröde.
„Der metamorphe Kernkomplex ist generell gekennzeichnet als ein heterogenes Grundgebirgsterran, das sich aus älteren metamorphen und plutonischen Gesteinen zusammensetzt und von einer jüngeren mylonitschen bzw. gneisartigen Textur mit flachliegender Lineation und Foliation überprägt wird. Das überdeckende Terran im Hangenden liegt im unmetamorphosierten Zustand vor und wird von einem System zahlloser relativ flachliegender Verwerfungen, deren jüngere Verwerfungsäste an den Älteren auslaufen, zerstückelt und folglich gedehnt. Zwischen dem Grundgebirgs- und dem Deckterran liegt ein Abscherhorizont und/oder ein steiler Anstieg im Metamorphosegrad. Einhergehende Brekziierung und andere kinematische wie strukturelle Indizien deuten auf gleitende oder abscherende Bewegungen hin.“[1]
Der Abscherhorizont wird im Französischen als décollement und im Englischen als detachment bezeichnet.
Lister und Davis (1989) geben folgende Definition:
„Die Bildung metamorpher Kernkomplexe resultiert aus der großangelegten Dehnung der kontinentalen Kruste. Die Mittel- und Unterkruste wird förmlich unterhalb der aufreißenden und sich dehnenden Oberkruste weggezogen. Die hierfür benötigten Bewegungshorizonte unterliegen einer räumlichen als auch einer zeitlichen Entwicklung. Die sich im Liegenden verformenden Gesteine erfahren eine allmähliche Aufwärtsbewegung, die sie durch unterschiedliche metamorphe und strukturelle Faziesbereiche passieren lässt und ihnen folglich eine charakteristische Abfolge an Meso- und Mikrostrukturen aufprägt.“[2]
Vorkommen
Das Konzept des metamorphen Kernkomplexes wurde zum ersten Mal in den Kordilleren des westlichen Nordamerika entwickelt, die zahlreiche Beispiele beherbergt:
Die Vorkommen in der nördlichen Kordillere stammen aus dem Eozän, wohingegen die im weiter südwärts gelegenen (z. B. in Arizona) jüngeren Datums sind.
Metamorphe Kernkomplexe sind aber nicht nur auf Nordamerika beschränkt, sie treten auch in Anatolien, im Iran, in Tibet oder in Neuseeland auf. Der geologisch jüngste metamorphe Kernkomplex liegt im östlichen Neuguinea (D’Entrecasteaux-Inseln).
Weitere Vorkommen von metamorphen Kernkomplexen finden sich ebenfalls in:
Metamorphe Kernkomplexe wurden selbst im ozeanischen Bereich ausfindig gemacht, zuerst im Atlantik.[14][15] Seitdem wurde eine weitere Anzahl dieser Strukturen in der ozeanischen Lithosphäre entdeckt, zumeist an Mittelozeanischen Rücken mit intermediärer, langsamer und ultralangsamer Spreizgeschwindigkeit, aber auch in Backarc-Becken,[16][17] so beispielsweise am Mittelatlantischen Rücken[18] und am Südwestindischen Rücken.[19] Einige dieser ozeanischen metamorphen Kernkomplexe wurden erbohrt und beprobt.[20] Die Arbeiten zeigen, dass sie im Liegenden primär aus mafischen und ultramafischen Gesteinen (Gabbro und Peridotit, aber auch Dolerit) aufgebaut sind. Der Abscherhorizont ist relativ dünn und besteht aus wasserhaltigen Phyllosilikaten. Ozeanische metamorphe Kernkomplexe stehen oft mit aktiven Hydrothermalfeldern in Verbindung.
Extraterrestrische Vorkommen
Eine Struktur im Zentrum der Artemis Corona auf der Venus wurde von Spencer (2001) als ein metamorpher Kernkomplex interpretiert.[21] Es könnte sich hier durchaus um den größten metamorphen Kernkomplex im Sonnensystem handeln.
↑P. J. Coney: Cordilleran metamorphic core complex: an overview. In: M. A. Crittenden, P. J. Coney, G. H. Davis: Cordilleran Metamorphic Core Complex. Geological Society of America Memoir. 153, Boulder 1980, S. 7–34.
↑G. S. Lister, G.A. Davis: The origin of metamorphic core complexes and detachment faults formed during Tertiary continental extension in the northern Colorado River region, U.S.A. In: Journal of Structural Geology, Band 11, 1989, S. 65–94, doi:10.1016/0191-8141(89)90036-9.
↑Herfried Grassl, Franz Weber: Eine Tiefenreflexionsseismik im Penninikum des Alpenostrandes. In: Mitteilungen der Österreichischen Geologischen Gesellschaft, Band 93, S. 129–138, Wien 2003 (zobodat.at [PDF; 1,7 MB]).
↑Dan-Ping Yan et al.: Mesozoic extensional structures of the Fangshan tectonic dome and their subsequent reworking during collisional accretion of the North China Block. In: Journal of the Geological Society, Januar 2006; findarticles.com
↑W. Franke: The Saxonian granulites: a metamorphic core complex. In: Geologische Rundschau, Band 82, S. 505–515, Stuttgart 1993
↑H. Echtler, J. Malavieille: Extensional tectonics, basement uplift and Stephano-Permian collapse basin in a late Variscan metamorphic core complex (Montagne Noire, Southern Massif Central). In: Tectonophysics, Band 177, S. 125–138, 1990
↑Hubert Engelbrecht: Zur känozoischen tektonischen Deformation des Monticiano-Roccastrada – metamorphen – Kernkomplexes; Südtoskana, Italien. Berichte der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft, S. 80, Stuttgart 1998.
↑Jens Paquin: Spurenelementverteilungen in orogenen Granat-Peridotiten und Granat-Olivin-Websteriten als Indikator ihrer geochemischen und metamorphen Entwicklung Dissertation der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Gesamtfakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 2001; DNB (PDF; 5,3 MB)
↑Donna K. Blackman, Johnson R. Cann, Bob Janssen, Deborah K. Smith: Origin of extensional core complexes: Evidence from the Mid-Atlantic Ridge at Atlantis Fracture Zone. In: Journal of Geophysical Research. Band103, B9, 1998, S.21315–21333, doi:10.1029/98JB01756.
↑B.E. Tucholke, J. Lin und M.C. Kleinrock: Megamullions and mullion structure defining oceanic metamorphic core complexes on the Mid-Atlantic Ridge. Journal of Geophysical Research 103, B5, 1998, S. 9857–9866, doi:10.1029/98JB00167
↑Fujimoto et al.: First submersible investigations of mid-ocean ridges in the Indian Ocean. In: InterRidge News, Band 8, Nr. 1, 1999, S. 22–24; interridge.org (PDF; 10,5 MB)
↑Y. Ohara, Y. Kato, S. Kasuga: Giant Megamullion in the Parece Vela Backarc Basin. In: Marine Geophysical Researches, Band 22, Nr. 1, 2001, S. 47–61, doi:10.1023/A:1004818225642.
↑D. K. Smith, J. R. Cann, J. Escartin: Widespread active detachment faulting and core complex formation near 13 degrees N on the Mid-Atlantic Ridge. In: Nature, Band 442, 2006, S. 440–443, doi:10.1038/nature04950.
↑Mathilde Cannat u. a.: Modes of Seafloor Generation at a Melt-Poor Ultraslow-Spreading Ridge. In: Geology. Band34, Nr.7, 7. Januar 2006, S.605–608, doi:10.1130/G22486.1.
↑B. Ildefonse, D. K Blackman, B. E John, Y. Ohara, D. J Miller, C. J MacLeod: Oceanic Core Complexes and Crustal Accretion at Slow-Spreading Ridges. In: Geology. Band35, Nr.7, 7. Januar 2007, S.623–626, doi:10.1130/G23531A.1 (iodp.org [PDF; 416kB]).
↑Jon E Spencer: Possible Giant Metamorphic Core Complex at the Center of Artemis Corona, Venus. In: Geological Society of America Bulletin. Band113, Nr.3, 3. Januar 2001, S.333–345, doi:10.1130/0016-7606(2001)113<0333:PGMCCA>2.0.CO;2.
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