Karl Friedrich Stäudlin, auch Carl Friedrich Stäudlin (* 25. Juli 1761 in Stuttgart; † 5. Juli 1826 in Göttingen) war ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe und jüngerer Bruder des Dichters Gotthold Friedrich Stäudlin.
Der Sohn eines Regierungsrates hatte den ersten Unterricht am Gymnasium seiner Vaterstadt absolviert. Durch die in der Familie üblichen Erbauungsstunden, durch die Vorbereitung zur Konfirmation und durch das Lesen der Schriften von Christian Fürchtegott Gellert, Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Caspar Lavater, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem und Johann Andreas Cramer entwickelte sich sein religiöses Gefühl. Ohne früher Neigung zur Theologie empfunden zu haben, wählte er mit Zustimmung seines Vaters dieses Studium. Er empfing Unterricht im Hebräischen und entwickelte in dieser Sprache einen großen Fleiß.
1779 war Stäudlin in das Evangelische Stift Tübingen aufgenommen worden, wo er fünf Jahre hindurch die gewöhnlichen Übungen und Prüfungen durchlief. Von den philosophischen Studien, die er anfangs verfolgt hatte, wandte er sich ab und ging zur Theologie über. In den orientalischen Sprachen, der biblischen Exegese und Kritik wurden Gottlob Christian Storr und Christian Friedrich Schnurrer seine Hauptlehrer. Die Lektüre von Christoph Meiners Schriften weckte in ihm den Drang, sich näher mit der Philosophie zu beschäftigen. Jedoch wirkte dieses Studium sich negativ auf seinen Gemütszustand aus. Er versank in bange Zweifel und war irritiert von seinen wichtigsten religiösen Überzeugungen.
Schon damals beschäftigte ihn die in späten Jahren realisierte Idee, eine Geschichte des Skeptizismus zu schreiben. Durch Verteidigung einer von Christian Friedrich Rösler verfassten Dissertation de originibus philosophiae ecclesiasticae erlangte Stäudlin 1781 die Magisterwürde der Philosophie. Nachdem er unter Ludwig Josef Uhlands Vorsitz über dessen 1784 verfasste Dissertation in vaticinium Haggaei 2, 1–9 disputiert hatte, bestand er sein theologisches Examen im Konsistorium in Stuttgart. Dort übte Stäudlin im elterlichen Hause untergebracht das Predigen.
Auch sein erster schriftstellerischer Versuch fällt in jene Zeit. Er übersetzte das Buch Hosea mit Einleitung und Kommentar. Während der Ausarbeitung erweiterte er seine Arbeiten. So entstanden 1785 die mit seinem Freund Karl Philipp Conz herausgegebenen „Beiträge zur Erläuterung der biblischen Propheten und zur Geschichte ihrer Auslegung“. Außer dem Hosea lieferte Stäudlin in dieser Schrift, auf deren ersten Teil kein zweiter folgte, noch Abhandlungen über die Allegationen des Hosea im Neuen Testament, über die dogmatischen Beweisstellen in den Propheten und über die Grundsätze des Clemens von Alexandria über die Weissagungen, besonders die hebräischen.
Diese literarischen Arbeiten wurden durch eine in den Jahren 1786 bis 1790 unternommene Reise durch Deutschland, die Schweiz, Frankreich und England unterbrochen. In England besuchte er London, Oxford, Bristol und Bath. Am längsten hielt er sich in London auf, wo ihn 1790 ein Ruf an die Universität Göttingen überraschte. Er wurde schließlich in Göttingen, als Nachfolger für den verstorbenen Johann Peter Miller, ordentlicher Professor der Theologie. Jedoch traf ihn dort das Schicksal, beneidet, verleumdet, verfolgt zu werden. Dennoch verlor er darüber nicht das Ziel aus den Augen, mit möglichster Anstrengung seines Verstandes an der fortschreitenden Bildung seiner selbst und der in Göttingen studierenden Jugend zu arbeiten.
Seine Liebe für Religion und Christentum hob seinen sinkenden Mut bei den Stürmen und Erschütterungen, von denen die Theologie und Kirche immer mehr bedrängt wurden. Nachdem er in die dritte und zweite Stelle in der theologischen Fakultät aufgerückt war, erhielt er 1792 den akademischen Grad eines Doktors der Theologie und 1797 von der Königlichen Hannoverschen Regierung den Auftrag, gelegentlich in der Universitätskirche zu predigen. 1803 erhielt Stäudlin den Charakter eines Konsistorialrats und 1804, bei Ablehnung eines Rufs an die Universität Jena zum zweiten Professor der Theologie, eine bedeutende Gehaltszulage.
Seitdem wirkte er einige Jahre lang als akademischer Dozent und als theologischer Schriftsteller. Durch wiederholte Reisen, die er in den Ferien zu unternehmen pflegte, hatte er seine Gesundheit gestärkt. Erst im höheren Alter spürte er die Abnahme seiner Kräfte. In den letzten Tagen seines Lebens beschäftigte er sich mit einer Geschichte der hebräischen Poesie, bei welcher er ähnliche Arbeiten seiner Vorgänger, wie Robert Lowts (1710–1787) und Johann Gottfried Herder, gern verwendete. Diese Arbeit unterbrach sein Tod, dessen Ursache eine Verengung des Magenmundes war.
Stäudlin gehörte zu den Männern, die es nie vergessen, dass alles menschliche Wissen nur Stückwerk ist. Nie suchte er sich hervorzutun, wo es um die Mitteilung seiner eigenen Ansichten ging, in seinen Vorlesungen über Dogmatik, Dogmengeschichte, Moral und Kirchengeschichte. In früheren Jahren hatte Stäudlin auch über das gesamte Neue Testament, über die Hauptbücher des Alten Testaments und die Einleitung in die kanonischen und apokryphischen Bücher des Alten und Neuen Testaments gelesen.
In rastloser Tätigkeit hatte er wenige seines Gleichen. Er arbeitete leicht und schnell, und sein heller Blick wies ihm bald das Rechte. Ohne sich genau auf seinen Vortrag vorbereitet zu haben, betrat er nicht das Katheder. Der Würde seiner Wissenschaft vergab er nie etwas und hütete sich, die große ernste Sache Gottes und des Heilandes durch Witz oder Scherz zu entheiligen. Sein Vortrag erleuchtete und erwärmte zugleich. Stäudlins religiöses Denken fühlte den Drang nach neuen Aufschlüssen, neuen Erfahrungen, neuen Beweisen für die Göttlichkeit des Christentums. Sein ganzes Leben zeugte von seinem christlichen Sinn. Mit Schonung und Milde behandelte er selbst seine heftigsten Gegner, und Gelassenheit sowie Geduld, die ihn stets begleitet hatten, verließen ihn auch nicht in seinen letzten Leiden, die er mit stiller Resignation ertrug.
Groß und vielseitig waren die Verdienste, welche sich Stäudlin als Schriftsteller um die theologische Literatur erwarb. Manche schätzbare Abhandlungen exegetischen, kirchenhistorischen und kritischen Inhalts legte Stäudlin vor, wobei er sehr viel Scharfsinn zeigte. Die Prinzipien der kritischen Philosophie, denen Stäudlin in der Moral gefolgt war, hielt er für unzureichend zur Begründung der Religion, und gestattete ihnen daher im Wesentlichen keinen Einfluss auf seine Darstellung der Dogmatik. Überzeugt von der Unvereinbarkeit des Rationalismus mit dem Wesen des Christentums, als einer göttlichen Offenbarung, glaubte Stäudlin, das Unhaltbare der bloßen Verstandesansicht vom Christentum nicht besser darstellen zu können, als wenn er ihre historischen Verknüpfungen nachwies und ihre mannigfachen Modifikationen näher bestimmte.
So beschäftigte sich Stäudlin mit der Idee einer allgemeinen Geschichte aller Religionen. Nicht eine Geschichte der theologischen Literatur wollte Stäudlin schreiben, wie ein Rezensent in der Jenaischen Literaturzeitung irrig annahm, sondern eine Geschichte der Versuche, aus den einzelnen Zweigen des theologischen Wissens ein zusammenhängendes Ganzes zu bilden, und der Schriften, die, wenn sie auch nicht das Ganze der theologischen Wissenschaft umfassten, doch darauf entschiedenen Einfluss gehabt hatten. Aus mehreren litterarischen Arbeiten geht hervor, dass seine schriftstellerische Tätigkeit, so ausgebreitet und mannigfaltig sie war, fast immer in Verbindung stand mit den Bedürfnissen und Regungen der Zeit. So hinterließ er als Vertreter des Rationalistischen Supranaturalismus seine Spuren.