Der Jüdische Friedhof am Ölberg (hebräisch בֵּית הַקְּבָרוֹת הַיְּהוּדִי בְּהַר הַזֵּיתִים Bejt ha-Qvarōt ha-Jəhūdī bə-Har ha-Sejtīm) in Jerusalem mit der Nekropolis von Silwan ist der älteste und aufgrund jüdischer Rituale und Traditionen bedeutendste jüdische Friedhof der Welt.[1][2][3] Die ersten Grablegungen am 809 Meter hohen Ölberg, der sich rund 50 Meter über der Jerusalemer Altstadt erhebt, fanden vor etwa 3000 Jahren am Anfang der Zeit des Ersten Tempels statt.[4] Einige der Grabstätten sind heute Baudenkmäler.
Der Friedhof liegt östlich der Altstadt im Kidrontal (Tal Joschafat) vor dem Tempelberg. Der älteste Teil erstreckt sich in den oberen Hangbereichen des Ölbergs auf der Ostseite des Kidrontals. Weiter unterhalb wurden die Juden aus der Zeit der Zweiten Tempelperiode bestattet.[5] Obwohl auf dem Friedhof mittlerweile Platzmangel herrscht, wurde die Tradition der zeitlich unbegrenzten Ruhefrist nicht aufgehoben. Dem Midrasch zufolge beginnt hier die Auferstehung der Toten,[6] wenn der Messias auf dem Ölberg erscheint und anschließend mit ihnen in die Jerusalemer Altstadt zieht.[7]
Noch heute werden Juden aus aller Welt auf diesem Friedhof beigesetzt.[6][4][8] Er enthält Schätzungen zufolge zwischen 200.000 und 300.000 Grabsteine verschiedener Zeitabschnitte, darunter berühmter Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte wie Abraham Isaak Kook (1865–1935) oder Eliezer Ben-Jehuda (1858–1922).[9]
Während der Zeit des Ersten und Zweiten Tempels (Eisenzeit bis frühe Römische Kaiserzeit) wurden die Juden Jerusalems in Felsengrabhöhlen an den Hängen des Ölberges bestattet.[4]
Nekropolis von Silwan
Die Nekropolis von Silwan ist der bedeutendste Teil des Friedhofs, der vermutlich von den höchsten Beamten Jerusalems genutzt wurde. Sie liegt am felsigen Osthang des Kidrontals mit Blick auf den ältesten Teil Jerusalems. Später wurde auf der Nekropolis das palästinensische Dorf Silwan gebaut.[10]
Die Grabstätten wurden in der Zeit vom 9. bis 7. Jahrhundert v. u. Z. angelegt.[11] Sie wurden im Laufe der Jahrhunderte umgebaut und zur Nutzung als Wohnraum umgestaltet. In der byzantinischen Zeit dienten sie Mönchen als Mönchszellen, aber auch als Kirchen und Kapellen. Später nutzten muslimische Dorfbewohner Teile weiterer Grabstätten für den Bau zusätzlicher Häuser, Zisternen und Abwassersammelbecken.[11]
Die Existenz dieser Gräber wurde der Allgemeinheit erst im 19. Jahrhundert bekannt. Zu dieser Zeit waren noch 40 Felsengräber von außergewöhnlicher Größe vorhanden. Die meisten davon blieben bis 1868 erhalten,[10] als genauere archäologische Erforschungen durch Charles Warren (1840–1927), britischer General der Royal Engineers und Archäologe, unternommen wurden. Bei seinen Untersuchungen wurde er in mehreren Fällen von den Dorfbewohnern angegriffen. Er führte dies auf „die feindliche Natur der Dorfbewohner“ zurück, die er als „gesetzlose Gruppe“ bezeichnete.[12][11] Die Gräber waren zu dieser Zeit bereits geöffnet und geplündert.[10]
Sowohl die Architektur der Grabstätten als auch die Art der Bestattung unterscheiden sich von allem, was aus dem heutigen Palästina bekannt ist. Nur hier erscheinen Elemente wie hoch gelegene Eingänge, Giebel- und Simsdecken, trogförmige Ruhestätten und oberirdische Gräber mit Inschriften auf Hebräisch.[10] Nischenbankgräber, in denen die Leichen abgelegt wurden, und die kleinen quadratischen Eingänge finden sich im heutigen Judäa wieder. Der israelische Archäologe David Ussishkin (geb. 1935) entwickelte die These, dass die Ähnlichkeit mit Baustilen phönizischer Städte die biblische Beschreibung des phönizischen Einflusses auf die israelitischen Königreiche bestätigt.[11]
Die bekanntesten bis heute erhaltenen Ruinen der Nekropolis sind der Monolith von Silwan aus der Ersten Tempelperiode[13] und das Tomb of the Royal Steward, dessen Inschriften zufolge angenommen wird, dass hier der königliche Verwalter, der Royal Steward, bestattet wurde. Zum Zeitpunkt seiner Entdeckung diente die Grabstätte als Unterkellerung eines Dorfhauses, die erst als Zisterne und später als Lagerraum genutzt wurde.[11][10]
Das Grab von Abschalom (hebräisch: יד אבשלום; transliteriert: Yad Avshalom; wortgenau übersetzt: Absaloms Schrein), auch Absaloms Säule genannt, ist eines der bedeutendsten Monumente auf dem Jüdischen Friedhof am Ölberg. Es ist ein etwa 20 Meter hohes Felsengrab mit einem konischen Dach und steht im Kidrontal am westlichen Rand des Gräberfelds auf einer gedachten Linie vom Ölberg zum Tempelberg. Traditionell wird es Abschalom, dem rebellischen Sohn König Davids von Israel, zugeschrieben, was mit der jüngsten Datierung auf das 1. Jahrhundert n. u. Z. widerlegt werden konnte.[14]
Der obere Teil der eigenständigen Grabstruktur dient als Nefesh, als Denkmal für das darunterliegende Grab und das umliegende bzw. angrenzende Gräberfeld. Die Grabkammer mit den drei Nischenbankgräbern wurde in den massiven unteren Teil des Denkmals gemeißelt. Sie kann nur über einen Eingang im oberen Denkmalteil und eine Treppe erreicht werden. Diese Bauweise kann mit derjenigen im jordanischen Petra verglichen werden, einer Ruinenstätte mit monumentalen Grabtempeln, deren Fassaden ebenfalls direkt aus dem anstehenden Fels herausgearbeitet wurden.[14][15]
16. bis 19. Jahrhundert
Erst ab dem 16. Jahrhundert nahm der Friedhof allmählich seine heutige Form an.[4] Im 19. Jahrhundert wurde den jüdischen Friedhöfen in Jerusalem eine besondere Bedeutung beigemessen, da sie die letzte Begegnungsstätte nicht nur der Jerusalemer, sondern aller Juden der Welt waren. Im Alter kamen immer mehr Juden nach Jerusalem, um ihren Lebensabend dort zu verbringen und in der heiligen Erde bestattet zu werden.[6] Der Wunsch, auf dem Ölberg beigesetzt zu werden, beruht auf einer Segula, einem Ritual der kabbalistischen und talmudischen Tradition.
20. Jahrhundert
1949–1967: Jordanische Ära
Unter jordanischer Herrschaft, zwischen dem Waffenstillstandsabkommen von 1949 und dem Sechstagekrieg 1967, erfuhr der Jüdische Friedhof einen systematischen Abbau der Grabsteine und Grabstätten und damit eine umfangreiche Zerstörung. Bereits Ende 1949 berichteten Augenzeugen, vom Berg Zion aus den Abbau von Grabsteinen durch die Araber beobachtet zu haben. Die israelische Regierung reichte 1954 bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine formelle Beschwerde über die Zerstörung der Grabstätten und das Umbrechen des Erdbodens ein, die jedoch wenig Wirkung zeigte. In den späten 1950er-Jahren baute die jordanische Armee Militärlager und nutzte dafür Grabsteine des Jüdischen Friedhofs, beispielsweise für ein Lager nahe Al-Eizariya, wo man sie zum Bau von Steinböden, Hütten und Toiletten missbrauchte.[16]
Unter Verwendung von Kies aus zerkleinerten Grabsteinen wurde auf dem Ölberg das Seven Arches Hotel erbaut, dessen Zufahrtsstraße ebenfalls mit Grabsteinen gepflastert wurde. Bei der Verlängerung der Straße nach Jericho rissen jordanische Bauarbeiter sechs Grabreihen ab. Sie warfen dabei achtlos Knochen und Erde in den unteren sephardischen Friedhofsabschnitt, der anschließend gereinigt werden musste.[17] Außerdem wurden alte Grabsteine aus dem Bereich um das Grab des Zacharias entfernt, um die Zufahrtsstraße zum Dorf Silwan zu erweitern. In seinem Buch מול החומה הסגורה (auf Deutsch etwa Auf der anderen Seite der Mauer) beschreibt Meron Benvenisti (geb. 1934), dass man Grabsteine auch in die Davidszitadelle verbrachte, wo sie zerschlagen und Fragmente davon als Feldmarkierungen für den Exerzierplatz verwendet wurden.[18]
Gegenwart
Die Anzahl der Gräber und Grabstätten wird heute auf bis zu 300.000 geschätzt. Da der Friedhof hauptsächlich während der jordanischen Herrschaft starke Beschädigungen erfuhr, ist es nicht mehr möglich, die Anzahl genauer zu beziffern.[9] Es werden heute noch Juden aus aller Welt auf dem Friedhof beigesetzt[6][4][8] – da der Platz jedoch bereits sehr knapp ist, sind diese Bestattungen sehr teuer.[19]
Seit 1968 werden Juden auf dem Weg durch die arabische Siedlung zum Jüdischen Friedhof von arabischen Anwohnern belästigt. Während der Vorbereitungen der Bestattung des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin (1913–1992) auf dem Ölberg wurde 1992 beschlossen, ein Sicherheitsunternehmen zum Schutz des Friedhofs und seiner Besucher zu gründen. Da die Belästigungen der Juden im Jahr 2005 zunahmen, wurde eine Wachabteilung zur persönlichen oder Gruppenbegleitung abgestellt.[3] Die Lage verschärfte sich erneut im Jahre 2009, als auch Autos beschädigt und Besucher bereits auf dem Weg zum Friedhof angegriffen und verletzt wurden. Der Verein „Jerusalem seit Generationen“ wandte sich daraufhin an Personen des öffentlichen Lebens; eine Debatte in der Knesset folgte.[20] Nachdem der Vorsitzende des Terroropferverbandes „Almagor“, Meir Indor (geb. 1947),[21] 2011 auf dem Weg zur Grabstätte seiner Eltern attackiert und verletzt worden war, wurde versucht, die Öffentlichkeit über solche Angriffe zu informieren und Behörden zu Gegenmaßnahmen zu mobilisieren. Seit 2010 ist der Begleitservice kostenlos und wird vom Ministerium für Wohnungswesen finanziert.[22]
Auch heute noch werden Grabstätten auf dem Jüdischen Friedhof beschädigt, entweiht und zerstört.[23] Eine Reihe von Regierungsentscheidungen zur Sanierung, Instandhaltung und Renovierung haben die Situation bisher kaum geändert.
Galerie
Überblick über den Jüdischen Friedhof und den Ölberg
Blick von der südlichen Stadtmauer über den Jüdischen Friedhof auf den Ölberg
Blick vom Ölberg über den Jüdischen Friedhof auf den Tempelberg mit dem Felsendom
Teilansicht des Jüdischen Friedhofs mit dem Grab des Zacharias (vorne links)
Gräber von Menachem Begin, Ministerpräsident Israels, und seiner Frau Aliza Begin (links)
orthodoxer jüdischer Gelehrter, erster aschkenasischer Großrabbiner des Völkerbundsmandatsgebiets für Palästina und einer der geistigen Väter des modernen religiösen Zionismus[4]
mizrachischer Rabbi und Kabbalist, letzter Führer der jüdischen Gemeinde in Irak und leitender Vertreter der Sepharden im Orthodoxen Rat von Jerusalem[55]
kurdischer Jude und Mitglied der Lechi, einer radikal-zionistischen, paramilitärischen Untergrundorganisation in Palästina, einer der Olei haGardom[75]
israelischer revisionistisch-zionistischer Philosoph und zur Zeit des britischen Palästina-Mandats Untergrundkämpfer, Gründungsmitglied und Chefideologe der Lechi[77]
Aktivistin des frühen Zionismus sowie Erzieherin, Autorin und Sozialarbeiterin; Gründerin der amerikanischen zionistischen Frauenorganisation „Hadassah“[4]
britischer Journalist, Verleger und Diplomat österreichisch-jüdischer Herkunft; politischer Berater der israelischen Regierung und Kabinettschef des Präsidenten Chaim Weizmann[92]
↑ abcde
David Ussishkin: The Necropolis from the Time of the Kingdom of Judah at Silwan, Jerusalem. In: The Biblical Archaeologist. Band33, Nr.2, Mai 1970, ISSN0006-0895, S.34–46.
↑Charles Warren: Underground Jerusalem: an account of some of the principal difficulties encountered in its exploration and the results obtained. Bentley, London 1876, S.149.
↑
Dave Winter, J. Matthews: Israel Handbook: with the Palestinian Authority areas. Footprint, Bath 1998, ISBN 1-900949-01-6, S.174.
↑ ab
Theodore Fyfe: Hellenistic Architecture: An Introductory Study. Cambridge 1936, S.57–58.
↑
Rachel Hachlili: Jewish Funerary Customs, Practices and Rites in the Second Temple Period. Brill, Leiden 2005, ISBN 90-04-12373-3, Kap. Monumental Tombs in the Kidron Valley, S.30–34.