Hans Kemmer genoss vermutlich seine erste Ausbildung in seinem Heimatstadt Lübeck, ehe er als Geselle und Schüler um 1515–1520 in der Wittenberger Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren tätig war. Durch Vergleiche einzelner Werke der Cranach-Werkstatt mit Kemmers späteren Lübecker Werken konnte ihm Gunnar Heydenreich die Mitarbeit bzw. maßgebliche Arbeit an mehreren aus der Zeit von Kemmers Aufenthalt in Wittenberg stammenden Tafeln zuschreiben.[1] Dabei handelte es sich einerseits um Kopien von bei den Kunden beliebten Motiven Cranachs, teilweise um Teilleistungen wie die Gestaltung prächtiger Stoffe und Schmuck.[2]
Im Lübecker Niederstadtbuch ist er erstmals am 25. Mai 1520 erwähnt. Spätestens im September 1521 heiratete er Anneke, die Witwe des im August 1521 verstorbenen Lübecker Malers Hermann Wickhorst, dessen Werkstatt er übernahm. Sie brachte zwei Töchter in die Ehe. Über zwei 1536 bzw. 1540 gestorbene Kinder hinaus sind keine Nachkommen aus dieser Ehe bekannt.[3]
Am 5. Oktober 1522 ist Kemmer als Mitglied des Maleramts nachgewiesen, als die Testamentsvollstreckern des im Jahr 1520 verstorbenen Bergenfahrers Tideke Roleves bei ihm einen Flügelaltar in Auftrag gaben.[4] Für das gesamte Retabel, das auch Schnitzarbeiten enthalten sollte, von denen nicht klar ist, ob diese von Kemmer selbst geschaffen wurden oder ob dieser sie nur den Goldgrund und die Fassung herstellte, sollte Kemmer 190 lübsche Mark erhalten. Den anvisierten Termin der Fertigstellung am 24. Juni 1523 konnte Kemmer nicht einhalten. Erst am 6. März 1524 wurde das Retabel aufgestellt und Kemmer erhielt die letzte Rate seines Lohns.[5] Dieser Olavs- oder Bergenfahreraltar, das erste von Kemmer bekannte und mit Johannes Kemmer signierte Werk, verbrannte beim Luftangriff auf Lübeck am 29. März 1942 in der Marienkirche.[6]
Zur Zeit dieses ersten belegten Auftrags war der Lübecker Kunstmarkt noch in voller Blüte. Kemmer verdiente offensichtlich gut und erwarb schon 1528 das Haus Königstraße 34. Zwei seiner sakralen Kunstwerke, Altäre aus dieser Zeit, befinden sich in der Sammlung des St.-Annen-Museums in Lübeck.
Mit der 1530 in Lübeck eingeführten Reformation gingen die Aufträge für Kunstwerke dieser Art zurück. Kemmer dagegen malte schon im selben Jahr im Auftrag des Kaufmanns Johann Wigerinck mit Christus und die Ehebrecherin ein evangelisches Programmbild. Zudem stellte er sich erfolgreich auf die Porträtmalerei um. Vornehmste Lübecker Familien gehörten zu seinen Auftraggebern. So werden ihm auch mehrere Porträts Lübecker Bürgermeister in der Bürgermeistergalerie im Rathaus zugeschrieben.
Er wurde mehrfach Ältermann des Glaser- und Maleramtes und signierte mit „HK“. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er 1543 Margarete Berndes.
Der auch Olavsaltar genannte Altarschrein in der Bergenfahrerkapelle der Lübecker Marienkirche soll wie folgt ausgesehen haben: Das Hauptstück zeigte ein geschnitztes Bildwerk der heiligen Familie; die Innenseite eines Flügels war ebenfalls als Schnitzwerk ausgeführt und zeigte drei Einzelfiguren (Rochus, Antonius und Sebastian). Die Tafel war in zwei Reihen mit Statuetten der zwölf Apostel eingefasst. Von diesen Schnitzarbeiten waren schon im 19. Jahrhundert nur noch Reste erhalten, nur drei 1,56 m hohe und 1,4 m breite Gemäldetafeln von Kemmer befanden sich noch in der Kapelle. Ein ursprünglicher Innenflügel zeigte ein Gemälde der Kreuzabnahme. Bei geschlossenem Schrein standen sich die Gemälde des von den Evangelisten Johannes und Matthäus gerahmten Heiligen Olavs und der drei heiligen Jungfrauen Barbara, Katharina und Dorothea gegenüber.[9][10] Das Werk verbrannte am 28./29. März 1942 beim Luftangriff auf Lübeck.
Ausstellung
2021/22: Cranach - Kemmer - Lübeck. Meistermaler zwischen Renaissance und Reformation, St. Annen-Museum Lübeck[11]
Literatur
Friedrich Bruns: Die Lübecker Bergenfahrer und ihre Chronistik (= Hansische Geschichtsquellen. Neue Folge, Band2). Pass & Garleb, Berlin 1900, Die Bergenfahrerkompagnie. Kirchliche Beziehungen und Kirchliche Stiftungen. Nr. 7, S.CXXXI und 298 (Textarchiv – Internet Archive).
Fritz Hirsch, Friedrich Bruns, Gerhard Schaumann: Petrikirche, Marienkirche, Heil.-Geist-Hospital. B. Nöhring, Lübeck 1906, S.228–229 (Textarchiv – Internet Archive – Mit Abbildungen zwischen den Seiten).
Christoph Emmendörffer: Hans Kemmer – Ein Lübecker Maler der Reformationszeit. Leipzig 1997, ISBN 3-363-00670-5.
Theodor Gaedertz: Johann Kemmer, der Meister des St. Olavaltars in der Marienkirche zu Lübeck. Leipzig 1901.
Gustav Lindtke: Lübecker Reformationskunst – Zu den Bildern von Hans Kemmer im St. Annen-Museum. In: Der Wagen. 1961, S. 21–30.
Jan Friedrich Richter (Hrsg.): Lübeck 1500 – Kunstmetropole im Ostseeraum. Katalog. Imhof, Petersberg 2015 (Nrn. 66, 67, 68, 69, 70, 71).
Rita Kauder: Die drei protestantisch geprägten religiösen Bilder Hans Kemmers im Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. In: ZLGAG 62, 1982, S. 83–101.
Dagmar Täube (Hrsg.): Lucas Cranach der Ältere und Hans Kemmer: Meistermaler zwischen Renaissance und Reformation. Hirmer, München 2021, ISBN 978-3-7774-3748-4.
↑Gunnar Heydenreich: Hans Kemmer: Spuren künstlerischer Gestaltungsprozesse. Teil II: Wittenberg. In: Dagmar Täube (Hrsg.): Lucas Cranach der Ältere und Hans Kemmer. Meistermaler zwischen Renaissance und Reformation. Lübeck 2021, S.59-59.
↑Ingo Sander: Die Werkstattpraxis Lucas Cranach des Älteren. In: Dagmar Täube (Hrsg.): Lucas Cranach der Ältere und Hans Kemmer. Meistermaler zwischen Renaissance und Reformation. Lübeck 2021, S.71–81; hier S. 76.
↑Julia Hartenstein: Historische Überlieferungen zu Hans Kemmer. In: Dagmar Täube (Hrsg.): Lucas Cranach der Ältere und Hans Kemmer. Lübeck 2021, S.33–35; hier S. 33.