Die Höhle (Französischla grotte) ist nach dem kleinen Bach Ruisseau de Fontéchevade bzw. nach dem an ihm gelegenen gleichnamigen Weiler Fontéchevade benannt. Der Ruisseau de Fontéchevade ist ein rechter Nebenfluss der Tardoire.
Die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Höhle besitzt die Gestalt eines 6 bis 7 Meter breiten und 30 Meter langen Tunnels. Am hinteren Ende der Höhle befindet sich ein Kamin, der zur plateaurtigen Oberfläche öffnet. Der Eingang liegt auf 120 Meter Meereshöhe in einem kleinen Wald unmittelbar südlich unterhalb des Weilers Fontéchevade auf der linken Talseite des Ruisseau de Fontéchevade. Der Bach entspringt etwas weiter nordöstlich an einer Quelle. Der Bach fließt innerhalb seiner Niederterrasse, eine ältere Hochterrasse liegt 6 bis 7 Meter höher. Der Eingang zur eigentlichen Haupthöhle befindet sich einige Meter über der Hochterrasse. Auf gleichem Niveau mit der Hochterrasse befindet sich jedoch noch ein zweiter Höhlenzugang.
Die Grotte de Fontéchevade kann über die Départementsstraße D 6 erreicht werden.
Geologie
Die Höhle hat sich in flach liegenden karbonatischen Sedimenten des Aquitanischen Beckens gebildet, welche das Flusstal der Tardoire beidseitig säumen. Wegen der umfassenden Rekristallisation des Gesteins – eines sandigen Dolomits – ist es jedoch schwierig, eine eindeutige stratigraphische Zuordnung zu treffen, es dürfte sich aber entweder um Lias oder unteres Bajocium (Dogger) handeln. Der Mündungsbereich des Ruisseau de Fontéchevade mit seinen beiden Terrassen wird von einer mittelpleistozänen Mittel- und einer altpleistozänen Hochterrasse der Tardoire flankiert. Das eigentliche Flusstal der Tardoire ist jetzt mit holozänemAlluvium ausgefüllt – vorwiegend Sande und ziegelrote Tone mit Kieseln aus Quarz, Quarzit, Granit sowie Kalkbruchstücken.
Geschichte
Die Grotte de Fontéchevade wurde zum ersten Mal ab 1870 von Paire und sodann von J.-L. Fermond untersucht.[1] Es folgten zwischen 1902 und 1910 Durousseau-Dugontier, Vallade zwischen 1913 und 1914, Saint-Perrier im Jahr 1921 und David im Jahr 1933.[2] David nahm Sondierungen im Aurignacien vor.[3] Am 6. September 1933 wurde die Höhle als Monument historique eingeschrieben.
Zwischen 1937 und 1955 übernahm Germaine Henri-Martin die Grabungen. Im Jahr 1947 wurde eine menschliche Schädeldecke freigelegt. Sie wurde einem frühen
Neandertaler zugeordnet und dürfte deswegen den ältesten menschlichen Fund in der Charente darstellen.[4]
Zwischen 1994 und 1998 unterzogen Harold L. Dibble und Kollegen die Höhle einer neuen Grabungskampagne. Auch die bisherigen, in Museen gespeicherten Funde wurden von ihnen erneut untersucht.[5] Ihre Ergebnisse stellten die vormals gemachten Schlussfolgerungen sehr in Zweifel, insbesondere sahen sie nur minimale Anzeichen für eine eigenständige Kultur des Tayaciens.
Stratigraphie
Im Jahr 1957 konnte Germaine Henri-Martin in der Höhle eine Stratigraphie aus den sechs Schichten A bis E erstellen. Der Höhlenboden war von einer Lehmschicht bedeckt. Die Schicht B entsprach dem Aurignacien, die Schicht C dem Moustérien und die Schicht E dem Tayacien. Die Besiedlung während des Tayaciens reichte auf das Interglazial zwischen der Riß- und der Würm-Kaltzeit zurück, bzw. auf 150.000 Jahre vor heute. Moderne Untersuchungen erbrachten mittlerweile acht Schichten.
Menschliche Präsenz
Germaine Henri-Martin konnte im Jahr 1947 Bruchstücke eines einem Homo I zugeordneten Stirnbeins und eines Scheitelbeins freilegen. Bei Homo II war ein Teil einer relativ dicken Schädeldecke noch vorhanden, an welcher das Stirnbein und Teile des rechten und linken Scheitelbeins hingen. Es handelte sich anscheinend hier um einen betagten Frühneandertaler, da die Suturen verwachsen waren. Zur damaligen Zeit war in Frankreich nur ein vergleichbarer Fund bekannt. Dieser stammte aus der Grotte de l’Hyène vom Fundplatz Arcy-sur-Cure im Département Yonne.[6]
Chase und Kollegen (2007) datierten jedoch Homo I und II auf 39.000 bis 33.000 Jahre vor heute (Protoaurignacien), was dem Sauerstoff-Isotopenstadium OIS 3 entspricht – und nicht dem letzten Interglazial.[7]
Später wurden weitere menschliche Überreste entdeckt, wie beispielsweise der fünfte Mittelfußknochen links, der 1948 dem Moustérien zugeordnet wurde, sowie vier Zähne und eine Phalanx aus dem Aurignacien oder jünger.
Auch Durousseau-Dugontier hatten Reste von Homo sapiens angetroffen – das Scheitelbein eines jungen Mannes, Unterkieferreste eines Kindes und ein Speichenbruchstück. Sämtliche Funde waren aus dem Aurignacien.
In der Bronzezeit wurde die Höhle als kollektive Grabstätte genutzt.[8]
Angetroffene Fauna
Die in der Höhle angetroffene Fauna bestand aus Pferden (darunter anwesend waren Equus aff. germanicus und ein Europäischer WildeselEquus hydruntinus), Großrindern (Rind und Wisent), Hirschen (Cervus elaphus), Rehen, Rentieren (Rangifer tarandus), Nagetieren (Feldhamster, Hasen, Murmeltiere, Rötelmäuse, Ziesel), Wildschweinen (Sus scrofa), Großkatzen (HöhlenlöwePanthera spelaea), Füchsen (PolarfuchsAlopex lagopus und RotfuchsVulpes vulpes), Bären (Ursus spelaeus), Hunden (WolfCanis lupus und RothundCuon alpinus) und Hyänen.[9] Auch Vogelknochen waren vorhanden, gehörend zu Schneeammer (Plectrophenax nivalis) und Alpenbraunelle (Prunella collaris). Die tiefe Schicht aus dem Tayacien enthielt Überreste einer Landschildkröte, eines Waldnashorns (Stephanorhinus kirckbergensis) und eines Clacton-Damhirschs (Dama dama clactoniana). In der Mikrofauna fanden sich Steppenlemminge (Lagurus lagurus), Alpenmurmeltier (Marmota marmota) und Microtus ratticeps. Insgesamt deutet die vorgefundene Fauna somit auf ein vorwürmzeitliches Alter des Tayaciens.[10] Anmerkung: dem widerspricht jedoch die Neudatierung von Chase und Kollegen.
Die Fauna umschließt mehrheitlich Bewohner einer Taiga. Zugegen sind aber auch einige wenige Savannenbewohner (beispielsweise Hyänen), und das Waldnashorn verweist gar auf warmgemäßigten Regenwald. Diese erheblichen Unterschiede in der faunistischen Zusammensetzung lassen sich am ehesten durch starke und sehr rasche klimatische Schwankungen erklären. Sie sind möglicherweise aber auch taphonomisch bedingt, da die Höhlensedimente nur zum Teil in situ gebildet wurden, vorwiegend jedoch über den rückwärtigen Kamin eingeschwemmt wurden.
Werkzeuge und Artefakten
Die Grotte de Fontéchevade war ab dem Mittelpaläolithikum bewohnt. Sie hat folgende Werkzeuge und Artefakten geliefert:
Périgordien
Unter den während des Périgordiens von Menschen hinterlassenen Gegenständen befanden sich zahlreiche Stichel, Gravette-Spitzen und ein Bruchstück einer Font-Robert-Spitze.
Aurignacien
Das Aurignacien lässt sich an Schabern, Sticheln, Klingen und Knochenspeerspitzen mit gespaltenem Schaft erkennen.
Moustérien
Das Moustérien besteht aus Steinartefakten wie beispielsweise Spitzen und Faustkeilen.
Tayacien
Das zeitlich parallel zum Acheuléen einhergehende Tayacien von Fontéchévade umfasst Schaber, Denticulés, Chopper oder auch massive Kratzer, jedoch keine Faustkeile.[11]
P. G. Chase, A. Debénath, H. L. Dibble, S. P. McPherron, H. P. Schwarcz, T. W. Stafford und J.-F. Tournepiche: New dates for the Fontéchevade (Charente, France) Homo remains. In: Journal of Human Evolution. Band52, 2007, S.217–221.
A. Debénath: Apports récents à la connaissance du Paléolithique moyen du Sud-ouest de la France : les exemples de La Quina et Fontéchevade. Hrsg.: Z. Mester und A. Ringer, À la recherche de l'homme préhistorique. Volume commémoratif de Miklos Gabori et Veronika Gabori-Csank. ERAUL 95, Lüttich 2000, S.257–263.
Harold L. Dibble, S. J. P. McPherron, P. Chase, W. R. Farrand und A. Debénath: Taphonomy and the concept of Paleolithic Cultures: The Case of the Tayacian from Fontéchevade. In: PaleoAnthropology. 2006, S.1–21.
V. Dujardin und S. Tymula: Relecture chronologique de sites paléolithiques et épipaléolithiques anciennement fouillés en Poitou-Charentes. In: Le temps, Actes du 129e Congrès des Travaux historiques et scientifiques, Bulletin et Mémoires de la Société préhistorique française. t. 102, nº 4. Besançon 2005, S.771–788.
Germaine Henri-Martin: La Grotte de Fontéchevade : historique, fouilles, stratigraphie, archéologie. vol. 1 et 2. Masson, coll. « Archives de l'Institut de paléontologie humaine », 1957, S.288.
Germaine Henri-Martin: La Grotte de Fontéchevade. In: Bulletin de l'association française pour l'étude du Quaternaire. vol. 2, nos 3–4, 1965, S.211.
C. Paletta: Contribution à l’étude de l’évolution des comportements de subsistance des hommes du Moustérien au Solutréen dans la région Poitou-Charentes (France). In: Antiquités nationales. Band37, 2005, S.23–41.
Jean Piveteau: La Paléontologie humaine en Charente. In: Bulletin de l'Association pour l'étude du Quaternaire. vol. 2, nos 3–4, 1965.
G. Le Pochat u. a.: Montbron. In: Carte géologique de la France à 1/50 000. BRGM, 1986.
Erik Trinkaus: A New Reconsideration of the Fontechevade fossils. In: American Journal of Physical Anthropology. Band39, 1973, S.25–35.
Einzelnachweise
↑J.-L. Fermond: La Charente préhistorique : vallée de la Tardoire et du Bandiat. In: Bulletin de la société de géographie de Rochefort pour l’année 1894. Rochefort 1894, S.253–271.
↑P. David: Communication sur les travaux effectués à Fontéchevade. In: Bulletins et Mémoires de la Société archéologique et historique de la Charente. Angoulême 1933, S.LXXXIV-LXXXVI.
↑André Debénath: Néandertaliens et Cro-Magnons, les temps glaciaires dans le bassin de la Charente. Le Croît Vif, Saintes 2006, ISBN 2-916104-00-3, S.356.
↑A. Debénath und J. F. Tournepiche: Neandertal en Poitou-Charentes. Association régionales des musées en Poitou-Charentes, 1992, ISBN 978-2-905221-14-8, S.130.
↑H. L. Dibble, S. J. P. McPherron, P. Chase, W. R. Farrand und A. Debénath: Taphonomy and the concept of Paleolithic Cultures: The Case of the Tayacian from Fontéchevade. In: PaleoAnthropology. 2006, S.1–21.
↑André Leroi-Gourhan: Stratigraphie et découvertes récentes dans les grottes d'Arcy-sur-Cure (Yonne). In: Revue de géographie de Lyon. vol. 27, no 4, 1952, S.425–433.
↑P. G. Chase, A. Debénath, H. L. Dibble, S. P. McPherron, H. P. Schwarcz, T. W. Stafford und J.-F. Tournepiche: New dates for the Fontéchevade (Charente, France) Homo remains. In: Journal of Human Evolution. Band52, 2007, S.217–221.
↑J.-L. Heim: Les restes humains. In: R. Joussaume u. a., Sépulture collective de l’Âge du Bronze de la grotte de Fontéchevade (Hrsg.): Bulletins et Mémoires de la Société d’Anthropologie de Paris. XIIIe série, t. II, 1975, S.61–86.
↑Germaine Henri-Martin: Recherches préhistoriques dans la vallée de Fontéchevade (Charente). In: Bulletin de la Société préhistorique pour l'étude du quaternaire. vol. 36, no 4, 1939, S.196–199.
↑Jean Chaline: Problèmes posés par la découverte du Lemming des steppes dans la couche Tayaciene de la grotte de Fontéchevade. In: Bulletin de l'Association française pour l'étude du quaternaire. vol. 2, nos 3–4, 1965, S.218.
↑Germaine Henri-Martin: Note préliminaire sur un niveau Tayacien. In: Bulletin de la Société préhistorique Française. vol. 43, nos 5–6, 1946, S.179–182.