Beim Treize-Spiel gewinnt der Spieler, falls bei 13 durchmischten Spielkarten einer Farbe (untere Reihe) mindestens eine Karte an der richtigen Position (obere Reihe) auftritt, hier die Zehn.
Ein Spieler mischt einen Satz von 13 Spielkarten einer Farbe und legt ihn als Stapel vor sich hin. Nun deckt er die Karten der Reihe nach auf, wobei er jede Karte gemäß der Reihenfolge As, Zwei, Drei bis König aufruft. Sollte irgendwann die aufgerufene Karte mit der aufgedeckten Karte übereinstimmen, so gewinnt er das Spiel; trifft dies bei keiner der 13 Karten zu, verliert er.
Nun stellt de Montmort sich die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, mit der der Spieler das Spiel gewinnt. In der ersten Auflage seines Buchs von 1708 gibt de Montmort zwar das korrekte Ergebnis an, allerdings ohne genauere Herleitung. In der zweiten Auflage von 1713 stellt er dann zwei Beweise vor, einen eigenen, der auf einer rekursiven Darstellung beruht, und einen weiteren aus einem Briefwechsel mit Nikolaus I Bernoulli, der auf dem Inklusions-Exklusions-Prinzip basiert. De Montmort zeigt weiter, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit sehr nahe an dem Wert von liegt. Vermutlich stellt dies die erste Verwendung der Exponentialfunktion in der Wahrscheinlichkeitstheorie dar.[2]
Ohne die Vorarbeiten zu kennen, analysierte Leonhard Euler 1753 ein verwandtes Glücksspiel namens Rencontre („Wiederkehr“), das folgendermaßen abläuft:[3]
Zwei Spieler besitzen jeweils ein vollständiges Kartenspiel mit 52 Karten. Sie mischen ihre Karten und legen diese als Stapel vor sich ab. Nun ziehen beide Spieler gleichzeitig immer wieder die oberste Karte von ihrem Stapel. Erscheint zu irgendeinem Zeitpunkt zweimal die gleiche Karte, so gewinnt der eine Spieler, andernfalls der andere.
Wiederum stellt sich die Frage nach der Gewinnwahrscheinlichkeit. Euler leitet die Lösung mit Hilfe weiterer Rekurrenzformeln her, wobei er annehmen darf, dass nur einer der Spieler seine Karten mischt und der andere Spieler seine Karten in einer vorgegebenen Reihenfolge aufdeckt. Weitere Varianten und Verallgemeinerungen der Fragestellung wurden unter anderem von de Moivre[4], Lambert[5] und Laplace[6] untersucht.
In modernen Lehrbüchern zur Kombinatorik wird das Problem häufig als „Problem der vertauschten Hüte“ (auch Mäntel, Koffer, Briefe oder ähnliches) in etwa so formuliert:[7][8][9]
Bei einem Empfang geben Gäste ihre Hüte an der Garderobe ab. Die Garderobenfrau ist an diesem Abend jedoch sehr zerstreut und gibt beim Verlassen jedem Gast einen zufällig gewählten Hut zurück. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein Gast den richtigen Hut erhält?
Die drei mathematischen Probleme sind zueinander äquivalent und können durch das Studium fixpunktfreier Permutationen gelöst werden.
für alle gilt. Eine fixpunktfreie Permutation ist damit eine Permutation, bei der kein Element seine Ausgangsposition beibehält, das heißt, es tritt kein Zyklus der Länge eins auf. Bezeichnet die Menge aller fixpunktfreien Permutationen in und deren Anzahl, dann entspricht der Anteil
nach der Laplace-Formel gerade der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer fixpunktfreien Permutation, wenn man annimmt, dass alle möglichen Permutationen in gleich wahrscheinlich sind. Allgemeiner können auch Permutationen beliebiger endlicher Mengen, beispielsweise Alphabete, betrachtet werden, zur Analyse der mathematischen Eigenschaften kann man sich jedoch auf die ersten natürlichen Zahlen beschränken.
Beispiele
Ein Fixpunkt einer Permutation ist dadurch charakterisiert, dass in ihrer Zweizeilenform zweimal die gleiche Zahl untereinander steht. Die einzige Permutation in
hat einen Fixpunkt und es gilt damit und . Die beiden Permutationen in sind
und ,
wobei die erste zwei Fixpunkte hat und die zweite keinen. Es gilt also und . Von den sechs Permutationen in
und
sind nur die vierte und fünfte fixpunktfrei, es gilt also und .
In besteht die Trägermenge aus der leeren Menge mit der einzigen Permutation darin, die leere Menge auf die leere Menge abzubilden. Da aus der leeren Menge kein Element ausgewählt werden kann, ist diese Permutation fixpunktfrei und es gilt und .
Anzahl
fixpunktfreie Permutationen
alle Permutationen
Anteil
0
1
1
1
1
0
1
0
2
1
2
0,5
3
2
6
0,33333333…
4
9
24
0,375
5
44
120
0,36666666…
6
265
720
0,36805555…
7
1.854
5.040
0,36785714…
8
14.833
40.320
0,36788194…
9
133.496
362.880
0,36787918…
10
1.334.961
3.628.800
0,36787946…
Die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen in lässt sich mit Hilfe der Subfakultät durch
ausdrücken. Der Anteil der fixpunktfreien Permutationen in ist entsprechend
.
Die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen und ihr Anteil an der Gesamtzahl der Permutationen sind für bis in nebenstehender Tabelle zusammengefasst.
Für liegt damit der Anteil der fixpunktfreien Permutationen bei etwa 37 % (daher auch 37%-Regel). Asymptotisch gilt für diesen Anteil
Jede der Schnittmengen besteht aus den Permutationen mit mindestens den Fixpunkten . Da die Werte dieser Permutationen festgelegt sind und die übrigen Werte durch eine beliebige Permutation der restlichen Zahlen gewählt werden können, gilt demnach
.
Da es Möglichkeiten gibt, Fixpunkte auszuwählen, erhält man somit
und weiter
.
Herleitung über Rekurrenzen
Bei der Herleitung sind zwei Fälle zu unterscheiden: ist , dann kann entweder sein (oben) und es verbleiben Bedingungen oder es ist (unten), dann verbleiben Bedingungen. Im Beispiel ist .
Ist mit eine fixpunktfreie Permutation, dann gilt per Definition . Nun werden die folgenden zwei Fälle unterschieden:
Befindet sich die Zahl an der Stelle , dann können die übrigen Zahlen auf Möglichkeiten fixpunktfrei auf die verbleibenden Plätze verteilt werden.
Ansonsten betrachtet man die Menge . Diese Zahlen müssen nun die Positionen einnehmen, sodass keine der Zahlen festbleibt und zudem die nicht an der Stelle steht. Die Anzahl der Möglichkeiten dies zu erreichen ist gerade .
Nachdem es mögliche Werte für gibt, folgt daraus die lineare Rekurrenz
mit und . Diese Rekurrenz lässt sich nun zu
.
umformen. Mit der Ersetzung erkennt man , also , und damit
Sollen in einer Permutation genau Zahlen an ihrem Platz verbleiben, so spricht man von einem unvollständigen oder partiellen Derangement. So sind beispielsweise die drei partiellen Derangements in , bei der genau eine Zahl an ihrem Platz bleibt
und .
Bezeichnet nun die Menge der partiellen Derangements in bei denen genau Zahlen an ihrem Platz verbleiben, dann wird die Anzahl durch die Rencontres-Zahlen
angegeben (Folge A008290 in OEIS). Als Spezialfall für erhält man mit die Menge der fixpunktfreien Permutationen und mit die Subfakultät.
Anwendungen
Die deutsche SchlüsselmaschineENIGMA, die während des Zweiten Weltkriegs zum Einsatz kam, führte konstruktionsbedingt fixpunktfreie (und selbstinverse) Permutationen durch. Eine spezielle Walze, nämlich die ganz links liegende Umkehrwalze, bewirkte, dass der Strom den Walzensatz zweimal durchfloss, einmal in Hinrichtung und einmal in Rückrichtung. Dadurch konnte ein Buchstabe nicht mehr in sich selbst verschlüsselt werden, was zwar die Konstruktion und Bedienung der Maschine vereinfachte, da Verschlüsselung und Entschlüsselung hierdurch gleich waren, zugleich allerdings eine signifikante kryptographische Schwächung bewirkte (siehe auch: Kryptographische Schwächen der ENIGMA).
Das Wichteln ist ein vorweihnachtlicher Brauch, bei dem eine Gruppe von Personen auf zufällige Weise Geschenke austauscht. Nimmt man dabei an, dass sich keine Person selbst beschenkt, kann der Austausch der Geschenke mathematisch als fixpunktfreie Permutation der Personen beschrieben werden.[10]
Herbert Kütting, Martin J. Sauer: Elementare Stochastik: Mathematische Grundlagen und didaktische Konzepte. Springer, 2011, ISBN 3-8274-2759-2, S.155–162.
Matthias Löwe, Holger Knöpfel: Stochastik – Struktur im Zufall. Oldenbourg, 2011, ISBN 3-486-70676-4, S.59–60.