Caruso stammte aus einer armen, kinderreichen Familie, die an der Via Santi Giovanni e Paolo 7 im neapolitanischen Stadtteil San Carlo all’Arena wohnte. Er war das dritte von sieben Kindern. Der Mythos von 18 Kindern seiner Eltern ist eindeutig widerlegt. Seine Mutter, die er über alles liebte, ermöglichte ihm eine Schulbildung. Schon als Kind sang er im Kirchenchor Knabenalt, wobei seine Stimme dem Pfarrer sofort auffiel. Enrico studierte daraufhin privat Gesang bei lokalen Lehrern, ab sechzehn bei dem renommierten Lehrer Guglielmo Vergine. Vergine war angeblich nicht von einer großen Karriere Carusos überzeugt, unterrichtete ihn aber schließlich kostenlos, jedoch mit einem Vertrag, der ihm 25 % aller Einnahmen in den ersten fünf Jahren einer möglichen Karriere sicherte. Dagegen ging Caruso später juristisch vor und es kam zu einem Vergleich. Vergine war es auch, der Caruso wegen des besseren Klanges zur Änderung seines Vornamens von Errico zu Enrico brachte. Ein weiterer Lehrer war Vincenzo Lombardi.
Caruso vor seinem weißen Piano, einem Geschenk des Herstellers Hardman, Peck and Company, in seinem Apartment in New York City„La donna è mobile“ aus Rigoletto (um 1908)
Caruso hatte sein erstes Engagement in seiner Heimatstadt Neapel, der er zeit seines Lebens durch eine zwiespältige Liebe verbunden blieb, da man ihm, seiner Ansicht nach, dort nicht die nötige Anerkennung zollte: In den vier Jahren nach seinem Debüt (mit neunzehn Jahren) blieb seine Karriere unbeachtet. Erst mit der Partie des Loris bei der Premiere von Umberto Giordanos Oper Fedora in Mailand begann Carusos unaufhaltsamer Aufstieg. Er kam (schon als Star) nach Neapel zurück, wo die gehobene Gesellschaft ihn im Teatro San Carlo aber noch immer als Gassenjungen betrachtete, der unter den Balkonen singt. Das vergaß er nie und schwor sich, nie wieder in Neapel zu singen, sondern lediglich zum Spaghetti-Essen wiederzukommen. Diesen Schwur hielt er zeitlebens. Den endgültigen internationalen Durchbruch erlebte er 1903 an der Metropolitan Opera in New York City im Rigoletto von Giuseppe Verdi, in dem er den Herzog sang. Selten bei einem Debüt: Er musste eine Arie, „La donna è mobile“, wiederholen.
Sein Privatleben sorgte für Aufregung. Er lebte acht Jahre unverheiratet mit der Opernsängerin Ada Giachetti zusammen, mit der er zwei Söhne hatte, Rodolfo und Enrico. Die Kinder sollen nach Hauptpersonen der Oper La Bohème benannt worden sein, in der sich die Eltern kennenlernten. Aus diesem Grund trug Enrico auch den Spitznamen Mimi. Ada verließ den oft untreuen Caruso. Sie floh mit seinem Chauffeur, woraufhin es zum Eklat und vielen Prozessen kam.
Caruso lebte danach einige Zeit mit Adas Schwester Rina zusammen, ebenfalls Sängerin, bis er zur Überraschung aller 1918 die amerikanische Millionärstochter Dorothy Park Benjamin heiratete. Mit ihr bekam er im Alter von 45 Jahren eine Tochter, Gloria.
Wegen seines Reichtums war Caruso ein Ziel der „Schwarzen Hand“, eines frühen Ablegers der sizilianischen Mafia in den Vereinigten Staaten, und entging in Kuba mit Glück einem Bombenattentat. Carusos Großzügigkeit war legendär. So beschenkte er beispielsweise in seinen erfolgreichsten Jahren an der Metropolitan Opera zu Weihnachten fast alle Mitarbeiter. Auch sein Humor war berühmt. Immer wieder nahm er sich Späße gegenüber seinen Bühnenkollegen heraus, nähte beispielsweise einen Ärmel eines Mantels zu, den ein Kollege in La Bohème während der Aufführung anziehen musste, oder füllte Wasser in einen abgelegten Hut, den jemand in der Aufführung aufzusetzen hatte.
Gedenktafel für Caruso am Eingang zum Grand Hotel Excelsior Vittoria in der Altstadt von Sorrent
Im Spätherbst 1920 zog sich Caruso durch eine Erkältung eine eitrige Rippenfellentzündung zu. Obwohl er während einer Vorstellung von L’elisir d’amore Blut zu husten begann und starke Schmerzen spürte, wurde die Erkrankung nicht rechtzeitig entdeckt. Einen Arzt zu konsultieren, verweigerte er zunächst. Die letzten Vorstellungen von La Juive von Halévy im Dezember 1920 sang er stehend gestützt von seiner Partnerin, weil er sonst nicht hätte atmen können. Nach einem Zusammenbruch zu Weihnachten 1920 wurde er operiert und überlebte nur knapp. Er kehrte daraufhin im Frühjahr 1921 zu einem Erholungsurlaub nach Italien zurück, wo er sich zunächst im Grand HotelExcelsior Vittoria in Sorrent[1] erholte und bereits Auftritte für die kommende Saison an der Met-Oper in New York City plante. Es kam jedoch nach einigen Monaten unerwartet zu einem plötzlichen Rückfall. Im Grand Hotel Vesuvio in Neapel starb er kurz danach im Alter von 48 Jahren an einer Brustfellentzündung und Blutvergiftung, bevor er sich auf den Weg nach Rom zu seinen Ärzten ins Krankenhaus begeben konnte.
Carusos Tod wurde in vielen Teilen der Welt betrauert. Caruso wurde in der königlichen Kirche San Francesco di Paola in Neapel aufgebahrt und in einem großen Trauerzug zum Cimitero di Santa Maria del Pianto[2] begleitet. König Viktor Emanuel III. selbst öffnete die Kirche, in der zuvor nur königliche Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen stattgefunden hatten, für Caruso. Bei der Beerdigung am 19. August 1921 säumten an die hunderttausend Menschen Carusos letzten Weg. Freunde, Weggefährten und gekrönte Häupter aus aller Welt waren anwesend. Die Gebäudefassaden längs des Leichenzuges waren mit schwarzen Tüchern verhängt; die Geschäfte in Neapel blieben geschlossen. Seitdem ruhen die sterblichen Überreste des Sängers in einem prunkvollen Mausoleum hinter Marmor, wo ihn bis heute unzählige Verehrer besuchen. Von 1921 bis 1930 wurde Enrico Caruso in einem Glassarg aufgebahrt und man konnte seinen einbalsamierten Leichnam öffentlich besichtigen – erst auf Drängen seiner Frau wurde der Sarg geschlossen.
Historisches Profil
Filmische Nachstellung des Sextetts aus Lucia di Lammermoor (1908)
Caruso war berühmt für seinen baritonalen Stimmklang und seine Bühnenpräsenz. In einer Aufführung von La Bohème sang er für den plötzlich stimmlosen Bass die Arie vecchia zimmarra so überzeugend, dass es im Publikum niemand merkte und er die Arie später sogar aufzeichnete. Sein Sängerformant wurde mit 2800 Hz festgestellt. Seine Bühnenpartnerin Geraldine Farrar berichtete darüber, wie sie das erste Mal mit Caruso auf der Bühne stand und vergaß zu singen, weil sie über die Schönheit seines Gesangs in Tränen ausbrach. Lina Cavalieri fiel ihm auf offener Bühne um den Hals und küsste ihn aus Begeisterung so leidenschaftlich, dass dieser Kuss als der erste „echte“ Bühnenkuss in die Annalen der Geschichte einging. Der Name Carusos ist derart berühmt und legendär geworden, dass man einen Sänger immer wieder mit Caruso vergleicht. Die, die ihn erlebt haben, beschrieben das Einsetzen seiner Stimme mit der warmen Macht einer Orgel.
Caruso war zunächst ein Vertreter der alten italienischen Schule des Belcanto, etablierte jedoch wegen der Dramatik des Verismo einen neuen, beispielhaften Gesangsstil, bei dem nicht der schöne Vortrag im Vordergrund stand, sondern das Einswerden mit der dargestellten Figur.[5] Bei seinen Gastspielen wurde Caruso mit Ehrenbezeugungen überhäuft, in Berlin sammelten sich 30.000 Menschen vor der Oper, um Caruso für eine Minute zu sehen. Caruso war ein Großverdiener der Opernszene und der erste, der Stierkampfarenen mit seinem Gesang füllte (im November 1919 in Mexiko-Stadt vor 25.000 Menschen). Caruso hält auch den Rekord von 863 Auftritten auf der Bühne der Metropolitan Opera (s. auch Metropolitan data base) binnen 17 Jahren (zwischen November 1903 und Dezember 1920). Somit sang Caruso mehr Vorstellungen an der Met als an allen anderen Opernhäusern weltweit.
Selbstkarikatur beim Singen in einen Aufnahmetrichter, 1902
Es wurden zahlreiche Biographien Carusos verfasst. Durch seine frühen Schallplattenaufnahmen erlangte das Grammophon Bekanntheit. Caruso verband eine enge künstlerische Freundschaft mit Paolo Tosti und Giacomo Puccini, die viele ihrer Werke für ihn schrieben. Den irischen Tenor John McCormack sah er als seinen größten Konkurrenten an, schätze diesen jedoch sehr. Caruso war auch als Karikaturist und Zeichner tätig und schuf zu einigen Liedern die Melodie (z. B. Dreams of Long Ago) oder den Text (z. B. Campane a sera).
Carusos erste Aufnahmen entstanden für G&T (Mailand 1902–04), Pathé und Zonophone (beide Mailand 1903), ab 1903 bis 1920 in den USA dann ausschließlich Aufnahmen für Victor, die in Europa unter den Etiketten von G&T, Gramophone und HMV erschienen.
Caruso nahm insgesamt 498 Schallplattentitel auf, von denen allerdings einige unveröffentlicht blieben. Darunter sind nicht nur Opernarien, sondern auch viele volkstümliche Lieder des Repertoires der „Canzone napoletana“, insbesondere „’O sole mio“ von Eduardo Di Capua, dem er zu Weltruhm verhalf. Es war Caruso, der durch seine Arbeit für die Victor Talking Machine Company den Siegeszug der Schallplatte initialisierte. Sein am 1. Februar 1904 für Victor aufgenommenes Vesti la giubba (aus Ruggero Leoncavallos Oper Pagliacci) gilt mit über einer Million verkaufter Schallplatten seit der Veröffentlichung im Mai 1904 als erster Millionenseller der Schallplattenindustrie.[6]
Da die Abspielgeschwindigkeit der Platten seinerzeit noch nicht exakt vereinheitlicht war, ist es wichtig, jede Platte mit der korrekten Geschwindigkeit wiederzugeben, bei älteren Überspielungen wurde dies oft nicht beachtet (siehe auch unten zu Carusos Nachwirken im Film). Eine Komplettausgabe der Aufnahmen Carusos wurde zwischen 2000 und 2004 von Naxos veröffentlicht. Die Aufnahmen wurden von Ward Marston, einem ausgewiesenen Spezialisten für die Restaurierung historischer Tonaufnahmen, in den korrekten Tempi abgespielt und sehr sorgfältig und ausgewogen restauriert. Eine rund zehn Jahre ältere Ausgabe, welche die meisten der veröffentlichten Aufnahmen Carusos umfasst, ist die mit dem NoNoise-Verfahren bearbeitete und dadurch stark entstellte 14-CD-Ausgabe von Bayer Records. 1999 unterlegte das Radio-Symphonieorchester Wien die digital behutsam „modernisierte“ Aufnahme der Stimme Carusos mit einem modernen Orchester, so dass man ahnen kann, wie es klingen würde, könnte Caruso heute Aufnahmen machen. Das „Caruso 2000“ genannte Experiment ist unter Spezialisten und Gesangskennern umstritten.
2007 brachte die Enrico-Caruso-Agentur gemeinsam mit dem Pianisten Tommaso Farinetti eine neue Caruso-CD auf den Markt, auf der der junge Pianist Farinetti dem verewigten Caruso virtuell begegnet und die Orchesterstimmen der Originalaufnahme durch seine Klavierbegleitung ersetzt. Die Aufnahmen wurden im Unterschied zu den älteren Digitalaufnahmen in einem kleinen Konzertsaal aufgenommen und nicht künstlich mit Hall versehen. Im Ergebnis steht Carusos Stimme zwar im Vordergrund, wobei die Spanne in der Klangqualität zwischen alter und neuer Aufnahme nicht ganz überwunden werden kann.
Filmografie
Caruso wirkte im Jahr 1918 in zwei Stummfilmen mit, von denen nur noch einer (My Cousin) in Kopie vorhanden ist. Der Film wurde in Europa ein Erfolg.
Carusos Nachwirken
Eine fiktive Fassung von Carusos Leben wurde 1951 mit Mario Lanza in der Hauptrolle unter dem Titel Der große Caruso eher kitschig verfilmt. Der Film war in Italien wegen seines relativ frei erfundenen Inhalts verboten.
In dem Film Fitzcarraldo (1982) von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle des Fitzcarraldo steht am Anfang ein Auftritt von Caruso im Teatro Amazonas, der Oper von Manaus (Brasilien), wo Caruso jedoch in Wirklichkeit niemals gesungen hat. Der Soundtrack des Films besteht zum größten Teil aus Originalaufnahmen Carusos, die jedoch teilweise mit der falschen Abspielgeschwindigkeit übertragen wurden und daher entstellt klingen.[7]
Aufnahmen von durch Caruso interpretierte Arien stellen den Großteil der Filmmusik des Films Match Point (2005) von Woody Allen dar.
Der italienische Sänger und Liedschreiber Lucio Dalla schuf 1986 eine moderne Hymne auf Caruso. Sein Lied mit dem Titel Caruso wurde von zahlreichen Künstlern interpretiert.
Aus Anlass von Carusos 100. Todestag wurde am 2. August 2021 in seinem Geburtshaus das Casa Museo Enrico Caruso („Hausmuseum Enrico Caruso“) eingeweiht.[8]
Verschiedenes
Caruso trank laut seiner Frau Dorothy täglich zwei oder drei US liq.qt. Mineralwasser, wohingegen er auf Milch und Tee verzichtete. Er trank auch kein Bier und keine Highballs, aber manchmal ein wenig Wein und einen Alexander. Zwei Schachteln ägyptische Zigaretten rauchte er täglich.[9]
Caruso besaß eine bedeutende Sammlung von Goldmünzen, die postum am 28. Juni 1923 und den folgenden Tagen durch das Auktionshaus C. & E. Canessa in Neapel versteigert wurde. Der Katalog hat 104 Seiten mit 1458 Losnummern und 64 Lichtdrucktafeln.
Paul Bruns, Maximilian Hörberg (Bearb./Hrsg.): Carusos Technik. Maximilian Hörberg, München 2009, ISBN 978-3-00-023411-8 (überarbeitete Fassung der Ausgabe Charlottenburg 1922).
A. Lancellotti: Le voci d’oro. Palombi, Rom 1942.
Frank Thiess: Der Tenor von Trapani. Novelle. Reclam, Leipzig 1942.
Eugenio Gara: Caruso. Storia di un emigrante. Rizzoli, Mailand 1947.
Ferdinand Pfohl: Aus Glanztagen der Oper – Caruso in Hamburg. In: Hamburger Jahrbuch für Theater und Musik 1947–1948, J. P. Toth, Hamburg 1947, S. 218–261.
Kurt Reis: Caruso, Triumph einer Stimme. Deutsche Buchvertriebs- und Verlags-Gesellschaft, München 1955.
V. Tortorelli: Enrico Caruso nel centenario della nascita. Artisti Associati, Rimini 1973.
Frank Thiess: Caruso in Neapel. Bertelsmann Lesering 1955.
Jean-Pierre Mouchon: Particularités physiques et phonétiques de la voix enregistrées de Caruso. Vorwort von Prof. André Appaix. Le Sud Médical et Chirurgical, 99e année, n° 2509, Marseille 31. Oktober 1964, 11.812-11.829.
Jean-Pierre Mouchon: Enrico Caruso 1873–1921 Sa vie et sa voix. Étude psycho-physiologique, physique, phonétique et esthétique. Vorwort von Dr. Édouard-Jean Garde. Imprimerie du Petit-Cloître, Langres 1966.
Jean-Pierre Mouchon: Enrico Caruso. His Life and Voice. Éditions Ophrys, Gap 1974.
Jean-Pierre Mouchon: Enrico Caruso. L’homme et l’artiste. vol. I, II, III. Dissertation. Sorbonne, Paris 1978.
Jean-Pierre Mouchon: Chronologie de la carrière artistique du ténor Enrico Caruso. Académie régionale de chant lyrique, Marseille 1992.
Riccardo Vaccaro: Caruso. Vorwort von Ruffo Titta Jr. Edizioni Scientifiche Italiane, Neapel 1995.
Jean-Pierre Mouchon: Enrico Caruso. L’homme et l’artiste. vol. I & II. Terra Beata, Marseille 2011 (Buch und CD-Rom).
Jean-Pierre Mouchon: Enrico Caruso. Deuxième partie. (La voix et l’art, les enregistrements). Étude physique, phonétique, linguistique et esthétique. Volume III. Association internationale de chant lyrique Titta Ruffo, Marseille 2012.
Michael Jahn: Caruso und Ruffo in „Rigoletto“ (1906). In: Verdi und Wagner in Wien 4. Verlag Der Apfel, Wien 2015, ISBN 978-3-85450-325-5, S. 43–62.
↑Patricia Schultz: 1,000 Places to See Before You Die. Workman Publishing Company, New York City 2010, ISBN 978-0-7611-6102-8, S. 188 (englisch).
↑Alberto Spano: Napoli. In: Valerio Tura, Roberto Verti (Hrsg.): Philharmonia. Guida alle città dell’Europa musicale. Calderini, Bologna 1993, ISBN 88-7019-669-0, S. 333–344, hier S. 339 (italienisch).
↑Pierre Van Rensselaer Key, Bruno Zirato: Enrico Caruso. A Biography. Little, Brown, and Company, Boston 1922, S. 396 f. (Textarchiv – Internet Archive).