Der Philosoph als Autodidakt (arabisch حي بن يقظان, DMG Ḥayy ibn Yaqẓān ‚der Lebendige, Sohn des Wachenden‘, lat. Philosophus Autodidactus) ist ein philosophischer Inselroman aus dem 12. Jahrhundert von Ibn Tufail. Das Werk entstand zwischen 1169 und 1184[1] und demonstriert das islamische Fitra-Konzept und handelt von Ḥayy ibn Yaqẓān, der von Kindheit an alleine auf einer tropischen Insel aufwächst und von den Tieren ernährt wird. Ḥayy entwickelt sich langsam und kommt schließlich zu der höchsten für einen Menschen erreichbaren Erkenntnis.
Von der gleichnamigen, um 1013 verfassten allegorischen Erzählung Avicennas wurde, wie in der arabischen und persischen Literatur des Mittelalters nicht unüblich, lediglich der berühmte Titel übernommen.[3]
Das Werk zeichnet sich durch eine hebdomadische Erzählstruktur aus, die Sieben-Jahres-Zyklen werden allerdings bisweilen nicht stringent eingehalten.[4]
Eine der beiden Geburtsgeschichten des Titelhelden besteht in einer spontanen Generation. In dieser Version kommt Ḥayy ohne Einwirkung von Mutter und Vater, in einem gärenden Schlamm zur Welt. Bei seiner embryonalen Entwicklung, die mit den Vorstellungen des Philosophen und Mediziners Avicenna (Ibn Sina) im Einklang steht, entsteht durch „die gestaltende Kraft des aktiven Intellekts“ zuerst das Herz, gefolgt von Gehirn und Leber.[5]
Als Ḥayy 50 Jahre alt ist, trifft er auf den frommen Absāl, der auf Ḥayys Insel kam, um zu meditieren. Es stellt sich heraus, dass die Bewohner der Nachbarinsel mit Ḥayy in allen wesentlichen Punkten zu den Fragen, die er schon immer mit jemandem diskutieren wollte, übereinstimmen: die Existenz Gottes, die Beschaffenheit der Welt und Bestimmung des Menschen. Ḥayy aber hat die unverhüllte Wahrheit erkannt, während sie den Menschen der Nachbarinsel durch einen Propheten, durch Anweisungen und Symbole verkündet wurde. So gehen sie auf Absāls Heimatinsel, auf der die Menschen einer „wahren Regligion“ angehören, um sie die unverhüllte Wahrheit über das Notwendig-Seiende zu lehren.[6]
Ibn Tufail schließt mit der Bemerkung, dass zur Erkenntnis mehrere Wege möglich sind, sowohl ein eher philosophischer (wie letztlich bei Ibn Sīnā) als auch ein eher religiöser (wie bei al-Ghazālī). Sein Roman dient auch, wie im Vorwort erwähnt wird, der Symbiose dieser beider Philosophen. Weiters hält Ibn Tufail es auch für möglich, dass andere Religionen ebenfalls zur Erkenntnis gelangen können, so etwa Judentum und Christentum und nicht nur der Islam. Im Bereich der christlichen Philosophie ist es vor allem der Thomismus, der für die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft argumentiert.
Im islamischen Mittelalter wurde der Roman von ʿAlā' addīn Ibn an-Nāfis parodistisch rezipiert.[7]
Der ins Deutsche wohl am besten mit „Lebender, Sohn eines Wächters“[8] zu übersetzende Roman erscheint in England 1671 in einer arabischen Ausgabe mit beigegebener lateinischer Übersetzung von Edward Pococke als „Philosophus autodidactus“.[9] Der Eintritt des Textes in die europäische Philosophie- und Literaturgeschichte ist aber möglicherweise schon früher zu datieren. Denn bereits vor Daniel Defoes Robinson Crusoe (1719) weist Baltasar Graciáns El Criticón (1651–57) einschlägige Parallelen auf. 1726 erscheint eine von Johann Georg Pritius besorgte deutsche Übersetzung mit dem Titel „Der von sich selbst gelehrte Welt⸗Weise“. Im Mai 1763 bedankt sich Moses Mendelssohn bei Gotthold Ephraim Lessing für die „Mitteilung“ des Philosophus autodidactus;[10] die erste auf das arabische Original zurückgreifende deutsche Übersetzung wird im selben Jahr unter dem Titel „Der Naturmensch“ im Verlag von Lessings Freund Friedrich Nicolai publiziert.[11]