Codex Sassoon 1053

Beginn des Buchs der Psalmen (Tehillim) im Codex Sassoon 1053

Der Codex Sassoon 1053 (auch bezeichnet als Codex S1[1] oder nach einem späteren (bis 2023) Eigentümer: Geneva, Jacqui E. Safra, JUD 002[2][3]) ist eine frühe orientalische Handschrift der gesamten Hebräischen Bibel (Tanach). Sie wird mangels eines Kolophons ungefähr ins 9./10. Jahrhundert n. Chr. datiert.

Vom Codex Sassoon 1053 zu unterscheiden ist der Codex Sassoon 507, eine wichtige frühe Handschrift des Pentateuch.

Beschreibung

Es handelt sich beim Codex Sassoon 1053 um einen fast vollständigen Tanach. Die 396 Blätter bzw. 792 Seiten im Folio-Format sind aus Pergament.[4] Zwölf Blätter fehlen.[5]

Schreiber und Herkunftsort sind unbekannt; mit der Radiocarbon-Methode wurde der Codex ins 9./10. Jahrhundert datiert, was die ältere paläographische Datierung bestätigt. Der hebräisch/aramäische Text wird mit Masora parva geboten, nur auf einzelnen Seiten auch mit Masora magna. Die Handschrift ist verglichen mit dem Codex von Aleppo oder dem Codex Leningradensis weniger sorgfältig. Sie „folgt in 40 % der Divergenzfälle anderen masoretischen Autoritäten als Ben Ascher und Ben Naftali.“[6] Bei der Erstellung der Masora dieses Codex wurde der Codex von Aleppo herangezogen.[7] Mordechai Breuer, der eine Textrekonstruktion der 1947 zerstörten Teile des Codex von Aleppo erarbeitete, urteilte, der Codex Sassoon 1053 stehe dem Codex von Aleppo in Bezug auf den Konsonantentext der Tora besonders nahe, sei aber in jeder anderen Hinsicht weniger sorgfältig geschrieben als die anderen frühmittelalterlichen Codices der Hebräischen Bibel.[8]

Im ersten Kanonteil der Hebräischen Bibel, der Tora, und bei den Vorderen Propheten gibt es keine Besonderheiten des Bücherarrangements. Die Reihenfolge der Hinteren Propheten ist: Jeschajahu (יְשַׁעְיָהוּ), Jirmejahu (יִרְמְיָהוּ), Jechezkel (יְחֶזְקֵאל) und Tre aśar (aramäisch: תְּרֵי עֲשַׂר „zwölf“), was mit der Liste von Hieronymus (391 n. Chr.)[9] übereinstimmt, nicht dagegen mit der Reihenfolge dieser Prophetenbücher im Talmud (Bava Batra 14b). Der Vergleich der mittelalterlichen hebräischen Bibelhandschriften ergibt, dass die unter anderem vom Codex Sassoon 1053 gebotene Anordnung das älteste[10] und häufigste Arrangement dieser Bücher darstellt, welches auch in die Druckausgaben des Tanach übernommen wurde.[11]

Der dritte Kanonteil (Ketuvim) ist in seiner Anordnung in der hebräischen Handschriftentradition sehr variabel; der Codex Sassoon 1053 hat folgendes Bücherarrangement: Divre haJamim (דִּבְרֵי הַיָּמִים), Tehillim (תְּהִלִּים), Ijob (אִיּוֹב), Mischle (מִשְׁלֵי), Gruppe der fünf Megillot, Daniel (דָּנִיּאֵל) und Esra (עֶזְרָא). Dass die fünf Megillot als Gruppe zusammengefasst werden, ist erst seit dem Mittelalter üblich; hier gibt es im Wesentlichen zwei Bücherarrangements, das chronologische und das liturgische. Der Codex Sassoon hat ebenso wie der Codex von Aleppo und der Codex Leningradensis ein chronologisches Arrangement der Megillot.[12] Im Codex Sassoon 1053 findet sich also die gleiche „westliche“ Tradition, die Ketuvim anzuordnen, wie im Codex Leningradensis (und der Biblia Hebraica Quinta).

Provenienz

David Solomon Sassoon

Den Eigentümervermerken im Codex zufolge wurde das Buch im 11. Jahrhundert von Chalaf ben Abraham an Jitzhak ben Jechezkel al-Attar verkauft. Im Mittelalter wurde es zeitweise in der Synagoge von Makisin (dem heutigen Markada im Nordosten Syriens, Gouvernement al-Hasaka) verwahrt. Die Zerstörung dieser Synagoge ist entweder dem Mongolenreich im 13. Jahrhundert oder dem Timuridenreich um 1400 zuzuordnen. Danach erhielt ein Gemeindeglied, Salama bin Abi al-Fakhr, den Bibelcodex bis zum (nicht mehr erfolgten) Wiederaufbau der Synagoge zur Aufbewahrung.[13]

David Solomon Sassoon (1880–1942), ein Mitglied der Kaufmannsfamilie Sassoon, erwarb den Codex 1929[14] für seine große Judaica-Sammlung. Durch den Katalog dieser Sammlung, Ohel David (London 1932) wurde der Codex der Fachwelt bekannt. Er war ab 1989[15] im Besitz des Schweizer Sammlers Jacqui E. Safra. Nachdem der Codex jahrzehntelang für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war, wurde er im Februar 2023 bei Sotheby’s in London ausgestellt und war anschließend in Tel Aviv (ANU – Museum des Jüdischen Volkes), Dallas und Los Angeles zu sehen. Am 17. Mai 2023 wurde er durch das Auktionshaus Sotheby’s in New York für 38 Millionen US-Dollar versteigert; den Zuschlag bekam ein Unterstützerverein des ANU Museums. Laut Sotheby’s sei er damit das am teuersten versteigerte Manuskript und der am teuersten versteigerte religiöse jüdische Gegenstand der Geschichte.[16]

Literatur

  • David Solomon Sassoon: Ohel David: Catalogue of the Sassoon Hebrew and Samaritan manuscripts. London 1932.
  • Adrian Schenker u. a. (Hrsg.): Biblia Hebraica quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato (Biblica Hebraica Quinta). Faszikel 18: General Introduction and Megilloth. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2004, S. XVIII–XXV.
  • Alexander Achilles Fischer: Der Text des Alten Testaments. Neubearbeitung der Einführung in die Biblia Hebraica von Ernst Würthwein. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-438-06048-8.
  • Yosef Ofer: The Masora on Scripture and Its Methods (= Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes. Band 7). De Gruyter, Berlin/Boston 2019, ISBN 978-3-11-059574-1.
  • Harry Rabinowicz: The Sassoon Treasures. In: The Jewish Quarterly Review 57/2 (1966), S. 136–153.
Commons: Codex Sassoon 1053 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Hanna Liss: Jüdische Bibelauslegung. Mohr Siebeck, Tübingen 2020, S. 13.
  2. Vincent D. Beiler: The Marginal nun/zayin: Meaning, Purpose, Localisation. In: Daniel J. Crowther, Aaron D. Hornkohl, Geoffrey Khan (Hrsg.): Studies in the Masoretic Tradition of the Hebrew Bible. University of Cambridge 2022, S. 75–114, hier S. 76. (Open Access)
  3. Nehemia Gordon: Text-Correcting Qere, Scribal Errors, and Textual Variants in Medieval Hebrew Bible Manuscripts. In: Journal of Biblical Literature 141/2 (2022), S. 317–336, hier S. 318.
  4. Hanna Liss, Kay Joe Petzold: Die Erforschung der westeuropäischen Bibeltexttradition als Aufgabe der Jüdischen Studien. In: Andreas Lehnardt (Hrsg.): Judaistik im Wandel. Ein halbes Jahrhundert Forschung und Lehre über das Judentum in Deutschland. De Gruyter, Berlin/Boston 2017, S. 189–210, hier S. 189.
  5. Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R: Alte hebräische Bibel könnte bei Auktion Millionen bringen. 16. Februar 2023, abgerufen am 17. Februar 2023.
  6. Alexander Achilles Fischer: Der Text des Alten Testaments, Stuttgart 2009, S. 54.
  7. Yosef Ofer: The Masora on Scripture and Its Methods, Berlin/Boston 2019, S. 8 und 134.
  8. Dominique Barthélemy: Studies in the Text of the Old Testament: An Introduction to the Hebrew Old Testament Text Project. Penn State University Press, 2012, S. 304.
  9. Michael D. Marlowe: Jerome on the Canon. In: Bible Research. 21. Januar 2012, abgerufen am 20. Februar 2023 (englisch, Latein).
  10. Sie entspricht der Reihenfolge, in der bereits Jesus Sirach in hellenistischer Zeit die Propheten erwähnte (Sir 48,20-49,10).
  11. Peter Brandt: Endgestalten des Kanons. Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel (= Bonner Biblische Beiträge. Band 131). Philo, Berlin/Wien 2001, S. 142–144.
  12. Peter Brandt: Endgestalten des Kanons. Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel (= Bonner Biblische Beiträge. Band 131). Philo, Berlin/Wien 2001, S. 159 und 165.
  13. Nadia Khomami, Nadia Khomami Arts, culture correspondent: Oldest complete Hebrew Bible expected to break auction records. In: The Guardian. 15. Februar 2023, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 16. Februar 2023]).
  14. ToI Staff: Codex Sassoon, oldest near-complete Hebrew Bible, set to fetch $30-50m at auction. Abgerufen am 16. Februar 2023 (amerikanisches Englisch).
  15. Lianne Kolirin CNN: World's oldest Hebrew Bible could fetch $50 million at auction. Abgerufen am 16. Februar 2023 (englisch).
  16. Bieterwettstreit um hebräische Bibel dauert vier Minuten - Zuschlag bei 38 Millionen Dollar. In: n-tv.de. Abgerufen am 17. Mai 2023.

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