Dörr wurde im Haus Holzmarkt 5 geboren. Als er 6 Jahre alt war, starb sein Vater, der ihm bis dahin nicht viel beibringen konnte. Doch seine Laufbahn wurde dadurch vorbestimmt, im Gegensatz zu seinem Vetter lernte er schon in frühen Jahren Malerei und fertigte bereits als Fünfzehnjähriger Auftragsporträts an. Dörrs erster Lehrer war der französische Emigrant Lionné, anschließend übernahm der mit seinem Vater befreundete Johann Christian Partzschefeldt seine Ausbildung. Im Alter von etwa 13 Jahren zog Dörr nach Nürnberg, um bei dem Kunsthändler und Akademiedirektor Christoph Johann Sigmund Zwinger seine Ausbildung fortzusetzen. 1799 ging Dörr dann nach Stuttgart und wurde Schüler von Philipp Friedrich Hetsch, der ihn sehr schätzte. Die Ausbildung bei Hetsch sah einen Studienaufenthalt in Dresden vor, den Dörr 1801 unternahm. Dort kopierte er wie viele andere Kunststudenten auch, die Werke der großen Meister. 1802 kehrte er nach Tübingen zurück, wo er zahlreiche Porträtaufträge bekam. Nachdem er sich durch ein Gemälde „über ein Thema des klassischen Altertums“ dem Kurfürsten Friedrich empfohlen hatte, bekam er von ihm ein Reisestipendium.
Italienreise
In den Jahren 1804–1806 weilte Dörr in Italien, vor allem in Rom, aber auch in Neapel, um vor Ort die Meister der Renaissance zu studieren und seine Malkunst zu vervollkommnen. In Rom hielt Dörr engen Kontakt zu den dort lebenden deutschen Künstlern, er schloss sich als Schüler und Freund Christian Gottlieb Schick an,. 1805 unternahm er mit Joseph Anton Koch, den er bereits aus Stuttgart kannte, Reisen in Italien. In dieser Zeit versuchte sich Dörr in der Historienmalerei. Schick sprach Dörr anfangs – nicht zuletzt wegen dieser Versuche – „das Geringste vom Geiste eines Malers“ ab. Obwohl Dörr Schicks einziger Schüler war, konnte er sich nur kurz im Bannkreise seines großen Lehrers halten.[2]
Porträtist und Universitätszeichenlehrer in Tübingen
Nachdem Dörr nach Tübingen zurückgekehrt war, arbeitete er zunächst als selbständiger Porträtmaler, aber er musste sein Auskommen durch das Illustrieren von Taschenbüchern und Almanachen und mit privatem Zeichenunterricht ergänzen. In dieser Zeit knüpfte er eine enge Freundschaft mit Ludwig Uhland, dessen Schwester Luise er seit 1806 Zeichenunterricht gab. Um einen sozialen Rückhalt zu bekommen, bewarb er sich um die Stelle eines Universitätszeichenlehrers. Ende 1808 begann Dörr als „erster Zeichenlehrer“ den Unterricht im Zeichnen und Malen an der Universität zu geben,[3] wofür er am 4. Januar 1809 Erlaubnis Herzog Friedrichs bekam. Mit dieser „Einstellung“ bekam er weder eine Besoldung, noch den Titel eines Universitätszeichenlehrers. Als solcher durfte er sich ab Wintersemester 1812/13 bezeichnen, als diese Stelle geschaffen und der Zeichenunterricht zum ersten Mal im Vorlesungsverzeichnis angekündigt wurde. In die Universitätsmatrikel wurde er 1813 aufgenommen. Das Einkommen musste er sich weiterhin ausschließlich durch Malaufträge und privaten Unterricht erarbeiten.[4] Dörr leitete die Zeichenanstalt, der als „zweiter Zeichenlehrer“ Johann Christian Partzschefeldt angehörte. Gegen den deutlichen Widerstand der Oberstudiendirektion gegen den Ausbau der Position des Zeichenlehrers wurde die Zeichenanstalt 1816 in Zeicheninstitut umbenannt, und erst dann erhielt Dörr ein Jahresgehalt von 150 fl. Das Angebot dieser Einrichtung richtete sich insbesondere an Studenten der Naturwissenschaften: sie sollten lernen, Gegenstände ihrer Arbeit und Forschung selbst zu zeichnen. Dörr fertigte komplizierte Zeichnungen „namentlich anatomischer Natur“ selbst an. Mit der Zeit trat der künstlerische Aspekt des Zeichnens und Malens in den Vordergrund des Unterrichts.[5] Nach Partzschefeldts Tod 1820 arbeitete Dörr mit dessen Nachfolger Ludwig August Helvig zusammen.
1812 heiratete Dörr, seine Frau starb jedoch 1820. 1830 kaufte Dörr das Haus in der Neckarhalde 35[6], 1831 heiratete er zum zweiten Mal. Dörr führte in Tübingen ein sehr geselliges Leben, unternahm auch unterschiedliche Reisen, unter anderem nach München, und Heidelberg, aber auch nach Paris und in die Schweiz. Neben der Arbeit am Zeicheninstitut porträtierte er weiter, seine Porträts waren in Tübingen sehr populär und geschätzt, weil sie große Ähnlichkeit mit den Dargestellten hatten.[7] In den 1820er und frühen 1830er Jahren lässt sich ein Wandel seiner Bildauffassung – ein Entfernen vom Klassizismus und ein Annähern an das Biedermeier – beobachten.[8] Die steigenden Studentenzahlen führten zu einer stärkeren Belastung. Dadurch hatte er weniger Zeit fürs Porträtieren, was ihm ein Auskommen sicherte, und er war 1830 gezwungen, um eine Gehaltserhöhung zu bitten. 1831 hat man ihm sein Jahresgehalt auf 200 fl erhöht. Im gleichen Jahr erhielt er ein Angebot, die Stelle des Galerieinspektors in Stuttgart zu übernehmen. Dies lehnte er ab, weil er „sein geliebtes Tübingen“ nicht verlassen wollte. Trotz der Gehaltserhöhung ermöglichte ihm sein Einkommen nur ein bescheidenes Leben, so dass der mit ihm befreundete Tübinger Handelsmann Immanuel Bossert, der nach Dörrs Tod zum Pflegevater von dessen Kindern wurde, sich schon bald – im März 1841 – im Auftrag der Witwe an den König richtete, um für sie und die vier Kinder eine jährliche Pension zu erbitten.[9]
Charakteristik des Werkes und Kritik
Im künstlerischen Werk Dörrs dominieren natürliche, schlichte Porträts mit nur wenigen Attributen. Insbesondere zu Anfang seines Schaffens malte er Halbfiguren und Brustporträts. Die ersten Ganzfigurenbilder entstehen nach 1810. Das Œuvre Dörrs ist bestimmt von einer zumeist glatten Malweise, von einer getreuen, wenn auch eher flächenhaften Darstellung der Figuren und der Umgebung, während die Farbpalette häufig aus warmen, harmonisierenden Erdtönen mit nur wenigen Farbakzenten besteht.[10]
Die frühesten Werke Dörrs zeichnen sich bereits durch eine sichere und feine Charakterisierung der dargestellten Personen und den souveränen Umgang mit der Modellierung der Gesichter durch Licht und Schatten aus.[10] Einige der früheren Bilder Dörrs (bis 1805, z. B. die Porträts der Helferichs) sind noch weich und unentschieden, obwohl es deutlich sichtbar ist, dass er sowohl um „große Gestaltung im ganzen“ als auch um Details bemüht ist. Große Formen sind allerdings kraftlos, der Bildaufbau unfrei und ängstlich, die Gesichter etwas leer und einem weichlichen Idealtyp angeglichen. Andere Porträts (z. B. die Bosserts und das von Flatt) in ihren natürlichen, klaren Farben strahlen ungeschminkte sachliche Frische aus und stehen auf einer Ebene mit den Arbeiten seines Lehrers Hetsch. Es ist offensichtlich, dass Hetschs Unausgeglichenheit und Unsicherheit den jungen Dörr beeinflussten: einige seiner Bilder (z. B. die Porträts der Autenrieths und das von Hartmann) sind kleinbürgerlich gesinnt und dazu technisch wenig geschickt. Auch in dieser Zeit vermochte Dörr Bilder zu schaffen, die sich durch freiere, größere Formgestaltung (L. Landauer) oder kraftvolle Gestaltung und große Schärfe der Physiognomie (J. F. Scheid) auszeichnen.[11]
Beeinflusst von der italienischen Renaissancemalerei fängt Dörr an, seit seiner Italienreise Porträts mit der Landschaft im Hintergrund zu malen. Die Weite der Landschaft mit dem tiefen Horizont in etwas blassen Tönen („Das Mädchen von Schwärzloch“, Karoline Steudel) schaffen einen beruhigenden, klaren Hintergrund. „Neben reizenden Feinheiten im Einzelnen ist auch manches unfrei und gefühllos. Aber in dem menschlich freien und gelösten, ungezwungenen Zusammenklang der Jungmädchenfigur mit der Landschaft […] spiegelt sich doch der Geist des größeren Meisters.“[12] Diese Porträts bilden den Höhepunkt seines Schaffens.
Recht bald, schon ab 1812, fängt diese Frische an aus Dörrs Bildern zu verschwinden. So sind z. B. die Porträts der Gmelins noch monumental angelegt und ihre Gesamthaltung klar und frei, aber die seelische Zeichnung ist trotz der edlen Züge gleichgültiger. Viele Bilder aus dieser Zeit zeigen noch einfache, kräftige Formen und starkes Leben (M. K. Baur, Bengels, H. Ch. Fleischmann), aber die Einzelheiten des Beiwerks sind in einem schon biedermeierlichen Sinne wichtig geworden. In den späteren Bildern (Geschwister Knapp) werden die gewohnten Kunstmittel zur Formel und „zeigen ein erschreckendes Nichtmehrbeherrschenkönnen der monumental-plastischen Form“. Gleichzeitig aber kündigt sich Neuartiges an: in den lebensfernen, innerlich nicht mehr erfüllten Formen der klassischen Kunst, „im Äußerlichen in der altdeutschen Tracht und Kleidung des Jünglings, in dem traulichen Beieinanderstehen der Geschwister, in dem unklaren Ineinanderführen der Hände, in der träumerisch verschwimmenden Hintergrundlandschaft“: Dieses Neue – die Romantik – ahnte Dörr wohl, doch vermochte er es nicht mehr voll zur Gestaltung zu bringen.[13]
Seit 1812 malt Dörr auch Bildchen geringen Ausmaßes, mit kleinen Figuren in friedlicher, sanfter Natur, wie auf einem Ausflug oder einem Spaziergang. Es dringt ein kleinbürgerlicher Geschmack mit leicht sentimentaler Gefühlsinnigkeit vor. „Bildchen, wie das des jungen Friedrich Silcher und seiner Braut Luise Enslin, sind beispielhaft für das biedermeierliche Bescheiden selbst der schwäbischen Romantik in ernst verhaltener Feierstimmung.“ „Zum Gefühl des Einsseins von Mensch und Natur in der romantischen Bildniskunst kann Dörr nie durchdringen.“[14]
Die zahlreichen, repräsentativen Bilder Tübinger Professoren sind offenbar ohne innere Anteilnahme Dörrs entstanden. Sie sind „geschickt angelegt und sauber ausgeführt, aber flau in der Charakteristik und formelhaft in der Gestaltung. Nur Äußerlichkeiten erinnern noch an die früheren Bilder.“ Ganz vereinzelt (bezeichnenderweise gerade in den kleinen Bildern) bricht das Gefühl für echte Monumentalität wieder durch, so in den fein, aber nicht kleinlich gemalten Bildnissen der Palmers.[15]
Dörrs künstlerische Kräfte haben sich recht bald verbraucht, das Absinken von der geistigen Spannkraft der Kunst des Idealismus herab ins Kleinbürgerliche, Gefühlsbetonte und Weiche ging zu rasch vor sich. Die ihm nahe Ideenwelt der Romantik stellte Aufgaben, die er nicht mehr bewältigen konnte. Der gediegenen Unbefangenheit und Wirklichkeitstreue der Biedermeiermalerei stand aber sein stark philosophischer Sinn und seine Schulung im Geiste der klassischen Kunst im Wege. Dörr war sich dessen bewusst, dass seine künstlerische Kraft abnahm und er litt darunter.[16] Es ist möglich, dass Dörrs Verfall der Kräfte teilweise damit zusammenhing, dass er in Tübingen weitgehend isoliert war und dadurch nur einen geringen Austausch mit anderen Künstlern hatte.[8]
↑Das Haus stand unmittelbar nördlich des Hirschauer Stegs (den später die Alleenbrücke ersetzte) und ist in den 1960er Jahren der damaligen Verkehrspolitik zum Opfer gefallen.
↑Franziska Boll: Christoph Friedrich Dörr, S. 68, nach Hans-Otto Schaal.
↑ abFranziska Boll: Christoph Friedrich Dörr, S. 69.
↑Franziska Boll: Christoph Friedrich Dörr, S. 70, mit Berufung auf den Brief vom 8. März 1841 im Universitätsarchiv Tübingen, Akten 117/815.
↑ abFranziska Boll: Christoph Friedrich Dörr, S. 68.
Hans Otto Schaal: Der Tübinger Universitätsmaler Christoph Friedrich Dörr (1782–1841). In: »Schwäbische Kronik. Sonntagsbeilage«, 21. September 1912, 2. Bl.
Otto Fischer: Schwäbische Malerei des neunzehnten Jahrhunderts, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart / Berlin / Leipzig 1925, S. 21–22.
Werner Fleischhauer: Das Bildnis in Württemberg 1760–1860. Geschichte, Künstler und Kultur, Metzler Stuttgart 1939, S. 88–90.
Helmut Hornbogen: Maler Dörr und das bürgerliche Genügen. Heimische Reminiszenzen zur großen Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie. In: »Schwäbisches Tagblatt«, 2. August 1993, S. 21.
Stefanie Mnich: Der Maler Christoph Friedrich Dörr: ein biedermeierlicher Klassizist? Magisterarbeit, Universität Tübingen 1998.
Stefanie Mnich: Dörr (Doerr), Christoph Friedrich. In: Günther Meißner (Hrsg.): Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Band 28, München / Leipzig 2001, S. 253.
Elke Schulze: Nulla dies sine linea: Universitärer Zeichenunterricht, eine problemgeschichtliche Studie, Franz Steiner Verlag, 2004, S. 67 und 91 (books.google.de).
Franziska Boll: Christoph Friedrich Dörr. In: Evamarie Blattner, Wiebke Ratzeburg, Ernst Seidl (Hrsg.): Künstler für Studenten. Bilder der Universitätszeichenlehrer 1780–2012. Stadtmuseum Tübingen 2012, ISBN 978-3-941818-13-2, S. 66–71 (= Tübinger Kataloge, Nr. 94).
Silke Schöttle: „Mahler Glocker informirt im Zaichnen“. Spuren ersten Zeichenunterrichts im 18. Jahrhundert. In: Evamarie Blattner, Wiebke Ratzeburg, Ernst Seidl (Hrsg.): Künstler für Studenten. Bilder der Universitätszeichenlehrer 1780–2012, Stadtmuseum Tübingen 2012, ISBN 978-3-941818-13-2, S. 12–23 (= Tübinger Kataloge, Nr. 94).