Die Neckarhalde ist eine ost-westlich-verlaufende Straße parallel des Neckars sowie entlang der Stadtmauer und beginnt in der Tübinger Altstadt. Sie ist über das Wienergässle zum Marktplatz, an dem sich auch das Rathaus der Stadt befindet, angeschlossen und beginnt am sogenannten „Faulen Eck“ über dem Klosterberg, dem Evangelischen Stift Tübingen, von dem aus sie sich in den Westen stadtauswärts hinunter zum Neckar zieht und an der Gabelung Biesinger- und Hirschauer Straße endet. Sie ist – neben der weit entfernten Mühlstraße – die einzige Möglichkeit, die Altstadt in Richtung Süden zu verlassen. Auf etwa halber Strecke führt sie zum Fußgänger- und Fahrradtunnel, der der Alleenbrücke gegenüber liegt.
Geschichte
In der Neckarhalde gab es lange keine Kanalisation, und das Gebäude in der Neckarhalde 7 wurde durch die nur schwer zu leerende Abortgrube bekannt. Wie in der Raupenhymne[3] beschrieben, war es erforderlich, dass die Tübinger Weinbauern mit Bütten die stinkenden Feststoffe den Berg hoch trugen, die dann als Dünger auf ihre in den Weinbergen angepflanzten Erdbeeren verbracht wurden.[4] Als Raupen werden umgangssprachlich alle Tübinger Weingärtner bezeichnet, auch wenn diese nicht in der Tübinger Unterstadt wohnen, während der Ausdruck Gôgen in der Regel untrennbar mit den Bewohnern der Unterstadt verbunden ist.[5]
Nennenswerte Gebäude
Hausnummer 1
Ehemalige Pfisterei des früheren Augustinerklosters, heute Neues Ephorat des Evangelischen Stifts, denkmalgeschützter zweieinhalb- bis dreigeschossiger Massivbau in Hanglage mit Mansarddach, der 1779/80 umgebaut wurde.[8]
Hausnummer 2
Das Hotel Hospiz wurde aus brandschutztechnischen Gründen am 17. Dezember 2017 geschlossen.[9][10] Die Ev. Kirche verkaufte das Haus an einen Investor, der es seit 2020 renoviert und in Wohnungen umbaut. Das traditionsreiche Hotel wurde zuvor rund siebzig Jahre von der der Familie Veihelmann geführt. Das Gebäude war im 17. Jahrhundert Sitz der Kanzlei und Versammlungsort der Reichsritterschaft des Kantons Neckar/Schwarzwald.[11]
Hausnummer 6
Vis-à-vis vom Evangelischen Stift lag früher die Gaststätte Seif. Der Betreiber der Wirtschaft, Ferdinand Forstbauer, war ein gelernter Seifensieder. In dem Lokal gab es später die Gaststätte Hecht, die zum „Animierlokal der übelsten Art“ verkam und deshalb 1934 geschlossen wurde.[12]
Der Astronom Wilhelm Schickard arbeitete hier vor den Kriegsereignissen von 1634/35, durch die oder möglicherweise durch die Pest seine Frau und ein Teil seiner Kinder starben. Nachdem er vor der Pest geflohen war, kehrte er aus Angst vor Plünderungen nach Tübingen zurück, wo er an den Folgen der Pest starb.[17]
Hausnummer 24
Geburtshaus von Ludwig Uhland. Das 1830 abgerissene Hirschauer Tor stand oberhalb des Neckars und unterhalb des Schlosses Hohentübingen zwischen Hausnummer 24 und 27 Es war eines der fünf Stadttore in der alten Stadtmauer Tübingens und öffnete den Weg in Richtung Hirschau und Rottenburg. Vom Tor blieben die eingeschossigen Reste des Rundturmes, genannt Diebsturm.[18]
Hausnummer 26a
Altstadtambulanz der Tübinger Akademie für Verhaltenstherapie gGmbH (TAVT), in der bei gesetzlichen Krankenkassen abrechenbare, psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden.[19]
Hausnummer 27
Stiftskirchengemeinde, gemeinsames Pfarrbüro Ost/Mitte/West. Hier wohnte am Hirschauer Tor der jüdische Professor Leopold Pfeiffer (geboren 25. Oktober 1821 in Weikersheim, gestorben 4. November 1881 in Tübingen). Er hatte sich auf Zivilprozesse und Strafprozesse in Verbindung mit Strafrecht spezialisiert und war 1851–1881 außerordentlicher Professor (Rechtslehrer) an der Universität Tübingen. Er wurde nach seinem Tod im israelitischen Sektor des Pragfriedhofes in Stuttgart beerdigt.[20]
Theodor-Haering-Haus, Museumsvilla und Städtische Sammlungen; am 24. Januar 1989 brach in dem Haus ein Brand aus und die Sammlung wurde ins ehemalige Kornhaus in der Kornhausstraße 10 verlagert.[22] Das Theodor-Haering-Haus wird vom Museum weiterhin als Depot benutzt. Im Haus lebte Peter Weiss als Kind.[23] Museumsgarten.[24]
Hausnummer 32
Früher waren der Tübinger Arbeitslosentreff, das Asylzentrum Tübingen und der Schülertreff Schüli in einem der drei Häuser der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Tübingen in der Neckarhalde untergebracht. Das Haus wurde wie 2013 von der Gesamtkirchengemeinde beschlossen, Mitte 2016 für 1,2 Millionen Euro öffentlich angeboten. Eine Bauherrengemeinschaft erwarb das 1832 erbaute, denkmalgeschützte Gebäude, um es zu sanieren und dann als Wohnraum zu vermieten.[25] Heute ist hier der gemeinnützige Tübinger Verein Fluchtpunkte e.V. untergebracht, der Flüchtlinge bei ihren Bemühungen um ein Bleiberecht in Deutschland unterstützt.[26]
„Pfälzerhaus“, ehem. Gaststätte Zur Pfalz, Gründungsort der Verbindung Palatia, das Asylzentrum Tübingen e.V., der Tübinger Arbeitslosen-Treff e.V. (TAT) und der Ökumenische Schülertreff Schüli.[30]
Villa Lust von Landgerichtsrat Ludwig Lust; er ließ 1888 die brachgefallenen Weinberge hinter der Villa in einen kleinen, Ludwigslust genannten Park verwandeln, „ausgestattet mit Grotte, Brunnenbecken und einem luxuriösen gusseisernen Wintergarten, den er eigens von einer alten Stuttgarter Villa erstanden hatte“[34][35][36]; hier wohnte Konrad Knopp.[37]
Die Neckarhalde verzweigt sich an ihrem oberen, nordöstlichen Ende, am sogenannten Faulen Eck, in die Burgsteige, das Wienergässle, die Kronenstraße und die Münzgasse. Über die Herkunft des umgangssprachlich gebräuchlichen Namens gibt es nur Vermutungen. Er trägt demnach diese Bezeichnung entweder wegen des Geruchs feuchten Holzes, das früher durch die Neckarflößerei die Neckarhalde hinaufbefördert wurde und dort eine Zeitlang zwischengelagert wurde oder dadurch, dass die dort schuftenden Holztransporteure über die angeblich faulen Studenten schimpften, die ihnen zusahen und sie manchmal verspotteten. Neben diesen volkstümlichen Erklärungen des 19. Jahrhunderts gilt heute jedoch als am wahrscheinlichsten, dass vor langer Zeit diese Kreuzung wegen ihrer Enge und früheren Beschaffenheit, besonders bei größeren Transporten vom Marktplatz herauf und weiter zum Schloss, schlecht begehbar und befahrbar, also „faul“ war.[40]
Am unteren, südwestlichen Ende der Neckarhalde verzweigt sich diese in die Biesingerstraße und Hirschauer Straße.
Im unteren Drittel zweigen die Alleenbrücke, der Fußgängertunnel und die Schlossbergstaffel ab. Letztere beginnt Vor dem Haagtor und führt über das Schänzle westlich vom Schloss zur Kreuzung von Alleenbrücke, Fußgängertunnel und Neckarhalde.[41] Der Fußweg besteht laut älteren Stadtplänen schon seit langer Zeit, aber erst 1906[42] wurde er zur befestigten Staffel ausgebaut. Ihr ehemaliger Name Haeringstaffel (1971 bis 22. März 2015) wurde aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses am 22. März 2015 unter Enthaltung der CDU-Stadträte aus politischen Gründen aus dem Stadtplan getilgt,[43][44][43]
Tunnel
Die Neckarhalde liegt in unmittelbarer Nähe der drei Schlossbergtunnel:
Tunnel der Ammertalbahn
Der Tunnel der Ammertalbahn ist ein eingleisiger Eisenbahntunnel durch den Schlossberg, der die Neckarhalde unterquert. Er ist 288 m lang und wurde am 1. Mai 1910 eröffnet. Der Tunnel ist wie die gesamte Ammertalbahnstrecke nicht elektrifiziert,[45] soll aber bis 2022 elektrifiziert werden.[46] Er böte mit einer Abzweigung vom Westbahnhof über den Hagellocher Weg und die Ebenhalde nach Waldhäuser Ost als alternative Route für die Regional-Stadtbahn bezogen auf die Streckenbaukosten die günstigste Lösung für die Durchquerung des Schlossbergs mit Schienenfahrzeugen anstelle des Verlegens von Straßenbahngleisen auf der Neckarbrücke und in der Mühlstraße,[47] allerdings wird diese beim derzeitigen Planungzustand noch nicht systematisch in Erwägung gezogen.[48]
Fußgängertunnel
Der Fußgängertunnel mündet im unteren Drittel von Nordnordwesten in die Neckarhalde. Er führt durch den Schlossberg und verbindet seit Mitte der 1970er Jahre die Alleenbrücke mit dem Haagtorplatz. Bis zur Fertigstellung der beiden Röhren 1979 im Verlauf der Bundesstraße 28 fuhr dort für knapp fünf Jahre auch einspurig der Kraftfahrzeugverkehr. Er darf heute nur zu Fuß, mit dem Fahrrad und von der Feuerwehr genutzt werden. Mofas und Motorroller sind seit 2007 im Tunnel nicht mehr gestattet.[49]
Tunnel der B 296
Der Schlossbergtunnel der B 296 (bis Ende 2017 der B 28) unterquert die Neckarhalde. Er ist rund 290 m lang und besteht aus drei Röhren, die beiden äußeren jeweils zweispurigen Röhren werden von der Bundesstraße genutzt, die mittlere kleinere fungiert als Service- bzw. Rettungstunnel.[50]
↑vor der Zeit würtembergischer Herrschaft. In: Max Eifert: Geschichte und Beschreibung der Stadt Tübingen. Fues, 1849, S. 47. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
↑Studium der Theologie in Tübingen, Berlin und Marburg. In: Konrad Hammann: Rudolf Bultmann. Eine Biographie. Mohr Siebeck, 2012, S. 17. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
↑Susanne Ruess: Stuttgarter jüdische Ärzte während des Nationalsozialismus. Königshausen & Neumann, 2009, S. 134. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
↑Wilfried Setzler: Tübingen - Ein Stadtführer: Auf alten Wegen Neues entdecken, Verlag Schwäbisches Tagblatt, Tübingen 2003, 3. Auflage, S. 54, ISBN 978-3-928011-27-3
↑Kurt Oesterle: Tübingen, Paris, Plötzensee …; in: Rainer Koch, Martin Rector, Rainer Rother, Jochen Vogt: Peter Weiss Jahrbuch. Band 2. Springer-Verlag, 2013, S. 21ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
↑Neckarhalde 38. In: Katharina Sommer: 111 Orte in Tübingen, die man gesehen haben muss. Reiseführer, Emons Verlag, 2016, Kap. 68. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
↑ abAnna Treutler: Architekt Heinrich Johann Niemeyer (1936-2010) Dissertation, Universität Stuttgart, 2017, doi:10.18419/opus-9682.
↑Ulrike Pfeil: Architekturführer Tübingen. Neue Architektur im Landkreis Tübingen 1901-2001. Architektenkammer Baden-Württemberg, Tübingen 2002, S. 15.
↑Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) In: W. Doyle Gentry: Glück für Dummies. John Wiley & Sons, 2012. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
↑ abArndt Spieth: Wandern in Tübingen: Über den Schlossberg zur Tübinger Riviera und die Neckarinsel. In: Wanderwerkstatt. 10. Januar 2018. (online verfügbar)
↑Sonderabdruck aus Band 37. Heft 1 (1933), der Mathematischen Zeitschrift, Justus Springer, Berlin. In: Ludwig Berwald: Über einige mit dem Satz von Kakeya verwandte Sätze. Salzwasser-Verlag, Paderborn 2013, S. 60ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)