Die Bahnstrecke Bordeaux-St-Louis–Pointe de Grave (französischLigne de Bordeaux-Saint-Louis à Pointe-de-Grave) ist eine 102 Kilometer lange, eingleisige, elektrifizierte Strecke auf der südwestfranzösischen Halbinsel Médoc. Die Strecke führt teilweise durch die weltbekannten Weingärten von Saint-Estèphe, Haut-Médoc und vielen anderen zum Bordeaux gehörenden Anbaugebiete. Am Endbahnhof Pointe de Grave besteht Fährverbindung zum der Mündung der Gironde gegenüberliegenden Royan. Der Bau dieser Strecke liegt in der Frühphase der Streckenbautätigkeit in Frankreich und ist eine der ersten, die elektrifiziert worden sind.[1]
Die Strecke verläuft in überwiegend flachem Gelände, das keine aufwändigen Kunstbauten erforderte. So weist sie keine Tunnel, größere Brücken oder ähnliches auf und war entsprechend einfach zu projektieren. Lediglich in Höhe von Saussac galt es, einem Sumpf zu überqueren. In Blanquefort und Pauillac wurde jeweils rechts von der Strecke ein kurzer Abzweig zu Gewerbegebieten angelegt, in Le Verdon-sur-Mer zweigte ab 1931 die Anschlussbahn zum Überseehafen Môle d’Escale du Verdon ab.[2] Vom Bahnhof Saint-Louis gab es an vier Punkten jeweils nach links Abzweigungen zu anderen Strecken: Noch im Stadtgebiet von Bordeaux gab es den Abzweig der Ringbahn zum Bahnhof Bordeaux-Saint-Jean und seit 1885 die Bahnstrecke Bordeaux–Lacanau-Océan für die Züge über Bruges nach Lacanau-Océan, hinter Margaux nach Sainte Hélène und hinter Lesparre zur Bahnstrecke nach Saint Symphorien.
Im Bahnhof Saint-Louis waren drei Gleise dem Betrieb der Strecke nach Pointe de Grave vorbehalten, vier Gleise dienten dem Anschluss über die Ringbahn nach Saint-Jean und der Strecke nach Lacanau. Zusätzlich gab es östlich anschließend fünf Gleise für den Güterverkehr. Befördert wurden vor allem landwirtschaftliche Produkte wie Lebendvieh, Weinfässer und Landmaschinen.[3] Ein Gleis erreichte die Hafenmole von Bordeaux-Rive-gauche.
1931 ging der Kohlehafen Le Port de Grattequina bei Le Verdon in Betrieb, der der Société anonyme Hersent - Entreprises de travaux publics et maritimes, einer Tochter des Baukonzerns Société anonyme Hersent - Entreprises de travaux publics et maritimes gehörte. Die Kohle kam per Schiff aus deutschen und polnischen Kohlebergwerken. Der Bahnanschluss ist sieben Kilometer lang und heute noch sichtbar, aber nur noch teilweise befahrbar. In den 1990er Jahren wurde dort ein Containerterminal mit zwei Kranbrücken in Betrieb genommen.
Die Bahnstrecke wurde von Bordeaux-St-Louis aus in mehreren Etappen erbaut und 1868 in Betrieb genommen.[5] Zum Zeitpunkt ihres Baues bis 1884 war diese die einzige normalspurige französische Strecke, die keine Verbindung mit dem übrigen Schienennetz hatte, also einen Inselbetrieb darstellte. Erst dann bekam sie durch die Strecke in Richtung Facture–Saint Symphorien einen Anschluss. Während die 100 Kilometer bis Le Verdon-sur-Mer von Anfang an konzessioniert waren, kam das zwei Kilometer lange Schlussstück bis zum Fährhafen erst 25 Jahre später hinzu, nachdem die Bedeutung dieser Fährverbindung zugenommen hatte. Diese Verlängerung führte zwei Gleise, die man heute immer noch sieht, bis auf die nach Norden hin auslaufende Mole. Bis dahin übernahm dort eine Pferdebahn den Transport der Fahrgäste.[6]
In Le Verdon gab es seit Juli 1933 für wenige Jahre den tidenunabhängigen Anleger für Transatlantikschiffe Môle d’Escale, auf den Personenzüge fahren konnten und der Passagieren einen bequemen Umstieg Schiff–Bahn ermöglichte. Diese Einrichtung war mit der Elektrifizierung der Strecke verbunden und hat den Bahnverkehr sehr befördert. Der Anleger wurde von den deutschen Truppen vor ihrem Rückzug von der Halbinsel Médoc gesprengt und nach dem Krieg als Öltankerterminals umgebaut, wird aber heute ebenfalls nicht mehr benutzt.[7][8]
Der Bahnhof Bordeaux-Saint-Louis wurde 1968 geschlossen und ist heute zu einem Einkaufszentrum umgewandelt. Der Endbahnhof wurde damals etwa 900 Meter weiter nördlich an die Boulevard Alfred Daney verlegt und in Bordeaux-Ravezies umbenannt. Trotzdem wurde die Strecke bis 2008 nach dem alten Endbahnhof benannt. Seit August 2012 ist auch der Halt Ravezies geschlossen, um Platz für den Neubau der Tramlinie C Straßenbahn Bordeaux zu machen.[9] Seit Mitte August 2012 verkehren daher die Personenzüge über die Ringbahn um Bordeaux herum zum Bahnhof Bordeaux-Saint-Jean.
Die Linie C der Straßenbahn Bordeaux wurde zwischen ihren Stationen La Vache und Ausone weitgehend auf der stillgelegten Bahntrasse angelegt. Nördlich von Ausone, wo sie die Bahnstrecke nach Pointe de Grave auf einer Brücke kreuzt, nutzt sie das Planum des einstigen westlichen Gleises dieser Strecke. Eingleisig mit Ausweichen, ohne Verbindung mit dem Eisenbahngleis, verläuft sie parallel zu jenem bis zu ihrer Endstation Gare de Blanquefort.