Die Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen eröffneten am 20. September 1859 das erste Teilstück ihrer Strecke nach Immendingen. Nürtingen, günstig am Neckar gelegen und Oberamtsstadt, erhielt dabei auch einen Schienenanschluss. Der Bahnhof entstand östlich der Stadt. Das damalige Empfangsgebäude ist noch erhalten. Bis 1893 beherbergte es auch die Post, bis diese ein eigenes Gebäude südlich des Empfangsgebäudes erhielt.
Nürtingen wird Eisenbahnknoten
Ende des 19. Jahrhunderts bemühte sich die Stadt Neuffen um einen Eisenbahnanschluss. Dieser wurde durch die private Württembergische Eisenbahn-Gesellschaft (WEG) ermöglicht. Seit 1. Juni 1900 zweigt in Nürtingen die Bahnstrecke nach Neuffen von der Hauptstrecke ab. Die Züge der WEG benutzten auch den Bahnhof der Staatsbahn.
Die Direktion der Staatsbahn plante zur gleichen Zeit eine Strecke, die in Nürtingen abzweigend am linken Neckarufer bis Kirchentellinsfurt führen sollte. Sie verwarf jedoch dieses Projekt.
Nürtingen verzeichnete steigende Einwohnerzahlen. Mit neuen Wohn- und Geschäftshäusern, aber auch Industrie- und Gewerbebetrieben, wuchs die Stadt in Richtung Bahnhof.
Reichsbahnzeit
Bereits 1926 erklärten die Stadtverwaltung und der Verkehrsverein das Empfangsgebäude für zu klein und nicht mehr zeitgemäß. Die Deutsche Reichsbahn teilte diese Meinung nicht und weigerte sich einen Neubau zu finanzieren. Erst als einige Nürtinger Industriebetriebe die Bereitschaft erklärten, sich an den Kosten zu beteiligten und die Post das alte Gebäude übernehmen wollte, stimmte die Reichsbahn zu.
Das neue Empfangsgebäude entstand nördlich des ehemaligen Gebäudes. Am 19. November 1934 fand seine feierliche Einweihung statt. Bereits zum 1. Oktober 1934 elektrifizierte die Deutsche Reichsbahn im Rahmen des Stuttgarter Vorortverkehrs die Strecke von Plochingen bis Tübingen.
Ausblick
Der Verband Region Stuttgart beschloss am 22. April 2020, eine Planung (Leistungsphasen 1 bis 4) zur Anpassung von Bahnsteigen zu beauftragen, die für eine Verlängerung der S-Bahn Stuttgart bis Nürtingen erforderlich sind.[3][4] Der Nürtinger Gemeinderat sprach sich am 6. Oktober 2020 einstimmig für die Anbindung Nürtingens an das S-Bahn-Netz aus.[5]
Inzwischen ist geplant, an Gleis 6 einen gemeinsamen Bahnsteig für die S-Bahn (220 m, 96 cm hoch) und der Tälesbahn zu errichten.[6] Ein Realisierungs- und Finanzierungsvertrag soll Ende 2024 unterzeichnet werden. Die Gesamtkosten wurden Mitte 2024, auf Grundlage der Vorplanung, mit ca. 7,4 Millionen Euro beziffert.[7] Der Bahnsteig soll bis 2027 hergestellt werden.[8]
Im August 2023 beantragte die DB ein Planfeststellungsverfahren zur Modernisierung der Verkehrsstation. Es beinhaltet, den Hausbahnsteig am Gleis 1 sowie den Mittelbahnsteig an den Gleisen 2 und 3 zu erneuern sowie einen den Außenbahnsteig an Gleis 6. Ferner sind u. a. auch Zugänge, Treppen und Aufzüge mit umfasst.[9]
Darüber hinaus sollen in Nürtingen Abstellgleise für S-Bahnen entstehen. Dazu lag Ende 2021 eine Vorplanung vor.[6] Die Planung wurde aufgrund der Ergebnisse der Vorplanung zurückgestellt. Alternative Standorte werden gesucht.[10]
Empfangsgebäude
In Nürtingen ist sowohl das Empfangsgebäude von 1859, als auch der Neubau von 1934 erhalten geblieben.
Empfangsgebäude von 1859
Das Empfangsgebäude aus dem Jahr 1859 ist ein zweistöckiges Bauwerk mit Satteldach. Fenster und Türen im Erdgeschoss waren mit Rundbogen versehen (heute noch erkennbar). Es maß ursprünglich eine Länge von 25,78 Metern und eine Breite von 14,32 Metern. Von der Straßenseite aus gelangten die Reisenden in eine schlanke Schalterhalle. Das Gebäude bot Platz für einen Warteraum und Diensträume für die Bahnangestellten sowie für die Post. Das Gebäude erhielt später nach Süden hin einen Anbau. Im Obergeschoss befanden sich Wohnungen für die Bahnbediensteten. Die Post erhielt 1893 südlich des Empfangsgebäudes ein eigenes Bauwerk. 1934 übernahm die Post das Empfangsgebäude von der Reichsbahn.
Empfangsgebäude von 1934
Das Empfangsgebäude aus dem Jahr 1934 ist – seiner Zeit entsprechend – sehr repräsentativ, aber sachlich aufgebaut. Der Hauptteil des Gebäudes (Mittelbau und zwei zweistöckige Flügelbauten) maß ursprünglich eine Länge von 43 Metern und eine Breite von 14,5 Metern. Nach Norden hin ragt mit einer Länge von etwa 4,5 Metern ein Treppenhaus als Risalit heraus, in dessen Länge sich ein einstöckiger Anbau anschließt. Auch nach Süden hin vergrößerte die Deutsche Bundesbahn das Gebäude 1949[11] um einen fünf Meter langen einstöckigen Anbau.
Die Länge der Schalterhalle im Mittelbau ist durch Innenumbauten nicht mehr erhalten. Ursprünglich war sie 24 Meter lang und 7,12 Meter breit. Die Raumhöhe beträgt 6,6 Meter. Die große Fensterfront an der Straßenseite belichtet die Halle. Der Mittelbau setzt sich nach Osten hin einstöckig fort.
Das Gebäude ist mit mehreren Walmdächern gedeckt, der einstöckige Teil des Mittelbaus mit einem Flachdach.
Am 19. November 1934 weihte die Reichsbahn das Gebäude feierlich ein.
Bahnbetrieb
Der Bahnhof Nürtingen verfügt über drei Bahnsteiggleise. Auf Gleis 1, dem Hausbahnsteig, halten die Züge Richtung Metzingen, auf Gleis 2 die Richtung Wendlingen. Auf Gleis 3 fahren die Züge der WEG von und nach Neuffen. Der Bahnhof wird von der Deutschen Bahn in der Preisklasse 3 geführt und von einem Spurplanstellwerk vom Typ SpDrS60[12] gesteuert.
Überregionale Bekanntheit erreichte der Bahnhof Nürtingen durch die Harald Schmidt Show vom 19. Dezember 2001: Darin wurde das Geschehen am Bahnhof auf einer Modelleisenbahnanlage nachgespielt und von Harald Schmidt – der in Nürtingen aufwuchs – scherzhaft kommentiert.[13] Später war das Modell aus der Sendung im Bahnhofsgebäude ausgestellt. Der Kunstprofessor Andreas Mayer-Brennenstuhl sieht darin einen Auslöser für die Renovierung des Bahnhofs, auch wenn das Modell mit der tatsächlichen Situation vor Ort kaum etwas zu tun gehabt habe.[14]
Laut dem dritten Gutachterentwurf des Deutschlandtakts sind zukünftig drei Fernverkehrszüge pro Stunde und Richtung vorgesehen, darunter ein zweistündliches Zugpaar von/nach Amsterdam.[15] Die Fahrzeit zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Nürtingen wird mit 16 bis 18 Minuten angegeben.[16]
Literatur
Dieter Reichold: Obere Neckarbahn. Eine Zeitreise auf der Strecke Plochingen, Wendlingen, Nürtingen, Metzingen, Reutlingen. Wiedemann Verlag, Münsingen-Rietheim 2010, ISBN 978-3-941453-09-8.
↑Sitzungsvorlage Nr. 052/2020. (PDF) Zu Tagesordnungspunkt 5 Investitionsoffensive Infrastruktur S-Bahn (QSS Maßnahmen). Bericht über den aktuellen Stand der Vertragsgestaltung, Vorbereitung der erforderlichen ergänzenden Vereinbarungen mit der DB PSU. In: gecms.region-stuttgart.org. Verband Region Stuttgart, 7. April 2020, S. 1, 3, abgerufen am 10. Oktober 2021.
↑Philip Sandrock: Einstimmig für den S-Bahn-Anschluss. In: Nürtinger Zeitung. 8. Oktober 2020, S.16 (online).
↑Zielfahrplan Deutschland-Takt. (PDF) Dritter Gutachterentwurf Baden-Württemberg. SMA und Partner AG, 30. Juni 2020, abgerufen am 3. Juli 2020.
↑Deutscher Bundestag (Hrsg.): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Matthias Gastel, Dr. Franziska Brantner, Dr. Anna Christmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/23871 – Resilienz von Knotenpunkten im Deutschlandtakt am Beispiel Stuttgart. Band19, Nr.25402, 17. Dezember 2020, ISSN0722-8333, S.14.BT-Drs. 19/25402