Die Aussprache des Tamil unterscheidet sich recht stark vom Schriftbild, lässt sich aber nach bestimmten Regeln aus diesem ableiten. Die Tamil-Schrift ist weitgehend phonematisch, d. h., ein Graphem (Buchstabe) repräsentiert ein Phonem. Diese Phoneme haben aber zahlreiche positionsbedingte Allophone, d. h., sie werden abhängig von ihrer Stellung im Wort als unterschiedliche Laute realisiert. Daher erfordert die korrekte Aussprache eines geschriebenen Textes die Kenntnis der Phonologie des Tamil. Da Lehnwörter nicht den phonologischen Regeln des Tamil unterliegen, lässt sich ihre Aussprache nicht ohne weiteres aus dem Schriftbild schließen.
Die Aussprache des Tamil unterliegt regionalen Variationen. So beherrschen viele Sprecher nicht die prestigeträchtige Standardlautung des ழ் ḻ als [ɻ], sondern sprechen es als [j] (im Norden) oder als [ɭ] (im Süden) aus. Auch unterbleibt etwa in Sri Lanka die Jotierung von /e/ und /eː/ am Wortanfang.
Die genaue Aussprache des Tamil wird in der Fachliteratur teils unterschiedlich beschrieben. Beispielsweise wird die Aussprache des ழ் ḻ teils als Approximant [ɻ], teils als Frikativ [ʐ] angegeben. Die nachfolgenden Angaben beruhen im Wesentlichen auf Anton 1976. Kursiv ist die wissenschaftliche Transliteration, in eckigen Klammern die IPA-Lautschrift angegeben.
Die Allophonie bei den Vokalen ist weniger stark ausgeprägt als bei den Konsonanten. Die Phoneme /a/ und /u/ werden in unbetonter Position reduziert ausgesprochen. Die Phoneme /i/ und /e/ sowie ihre langen Entsprechungen /iː/ und /eː/ werden durch einen nachfolgenden retroflexen Konsonanten zentralisiert. Am Wortanfang erhalten /e/ und /eː/ einen [j]-Vorschlag (sogenannte Jotierung), in ähnlicher Weise geht manchen mit /ɔ/ anlautenden Wörtern ein [ʋ] voran.
Bei den Konsonanten haben die Plosive (Verschlusslaute) eine große Zahl an Allophonen. Generell werden sie am Wortanfang und in Verdopplungstimmlos und nach Nasal und zwischen Vokalen stimmhaft gesprochen. Zwischen Vokalen tendieren sie außerdem dazu, als Frikative (Reibelaute) gesprochen zu werden.
Die Laute ந் /n̪/ und ன் /n/ kommen in komplementärer Verteilung vor und können deshalb als Allophone desselben Phonems angesehen werden. In der Aussprache wird zwischen ihnen ebenso wie zwischen ர் /ɾ/ und ற் /r/, die bei genauer Aussprache kontrastieren können, oft nicht unterschieden. Es ist aber zu beachten, dass der alveolare Laut ற் /r/ in Verdopplung als [tːr] und nach Nasal als [dr] gesprochen wird. Der aus dem Alt-Tamil stammende Laut ஃ /h/ (āytam) ist in der modernen Sprache sehr selten.
Das Tamil hat eine große Zahl von Lehnwörtern insbesondere aus dem Sanskrit und dem Englischen übernommen. Diese entsprechen oft nicht den Regeln der tamilischen Phonologie, so können in ihnen stimmhafte Plosive am Wortanfang (z. B. [bas] „Bus“, von englisch bus) oder Laute, die in echten Tamil-Wörtern nicht vorhanden sind, (z. B. [ˈkaːfi] „Kaffee“, von englisch coffee) vorkommen. Da für diese Laute keine Entsprechungen in der Tamil-Schrift vorhanden sind, wird பஸ் pas und காப்பி kāppi geschrieben. Zumindest gebildetere Sprecher bemühen sich aber, solche Lehnwörter möglichst nah an ihrer Lautung in der Ausgangssprache auszusprechen. In diesem Fall ist die Aussprache also nicht aus dem Schriftbild ersichtlich. Andererseits ersetzen manche Sprecher die fremden Laute durch die entsprechenden tamilischen Laute, so dass die Aussprache von Fremdwörtern keineswegs einheitlich ist.
Literatur
Helga Anton: The Script and Pronunciation of Modern Tamil. Madras: Alamu Printing Works, 1976. S. 19–74.
A. H. Arden: A Progressive Grammar of the Tamil Language. Madras: Christian Literature Society, 1942 (Nachdruck 1969). S. 33–63.
Hermann Beythan: Praktische Grammatik der Tamilsprache. Wiesbaden: Harrassowitz, 1943. S. 17–37.
Elinor Keane: "Tamil". In: Journal of the International Phonetic Association 34,1 (2004). S. 111–116.