farbloses bis weißes, radialstrahlig-kugeliges Artinit-Aggregat auf Antigorit-Matrix aus Picacho Peak (Diabolo Range), San Benito County, Kalifornien, USA
Artinit kristallisiert im monoklinen Kristallsystem und entwickelt nadelige Kristalle bis etwa 2,5 cm Länge, die nach der b-Achse gestreckt sind. Meist treten die Kristalle zu faserigen Äderchen und Matten, krustigen Überzügen sowie radialstrahligen bis kugeligen Mineral-Aggregaten oder traubenförmigen Massen zusammen. Das Mineral ist im Normalfall farblos und durchsichtig, kann aber durch vielfache Lichtbrechung aufgrund von Gitterfehlern oder polykristalliner Ausbildung auch durchscheinend weiß sein. Der bei einzelnen Kristallen auffällige glasähnliche Glanz tritt bei den Aggregatformen zurück und weicht einem seiden- bis satinähnlichen Schimmer.
Artinit wurde von S. C. Luigi Brugnatelli 1902 erstbeschrieben und nach dem italienischen Professor der Mineralogie Ettore Artini (1866–1928) benannt, der von 1911 bis 1927 zudem Direktor des Museo Civico di Storia Naturale di Milano war.
Bereits 1896 hatte Luigi Brugnatelli ein bisher unbekanntes, wasserhaltiges Magnesiumcarbonat im Valbrutta (auch Val Brutta) in der italienischen Gemeinde Lanzada (Provinz Sondrio, Lombardei) gesammelt und analysiert. Die von ihm aus den Analysen abgeleitete chemische Zusammensetzung MgCO3·Mg(OH)2·3H2O (Oxidformel) stimmte ebenfalls bereits mit der aktuell gültigen Zusammensetzung überein. Aufgrund der geringen Menge des Probenmaterials, das einschließlich Verunreinigungen nur 0,171 g wog, hatte Brugnatelli jedoch Bedenken, seine Entdeckung als neue Mineralart zu postulieren. Um sicher zu gehen, wollte er weitere Entdeckungen und Analysen abwarten.[8]
Im Sommer 1902 ergab sich diese Möglichkeit durch den Fund des Mineralsammlers Pietro Sigismund (1874–1962) im benachbarten Valmalenco. Dieser hatte Mineralproben in der Umgebung der „Miniera di Franscia“ (auch Dossi di Franscia) bei Franscia gesammelt, an denen Brugnatelli die vollständige Analyse und die Bestätigung der Identität der beiden Probenfunde gelang. Die „Miniera di Franscia“ gilt daher als Typlokalität für den Artinit und besteht heute aus aufgelassenen und aktiven Serpentin-Asbest-Steinbrüchen, Bergwerken und Berge- bzw. Abraumhalden.[9]
Da der Artinit bereits lange vor der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) bekannt und als eigenständige Mineralart anerkannt war, wurde dies von ihrer Commission on New Minerals, Nomenclature and Classification (CNMNC) übernommen und bezeichnet ihn als sogenanntes „grandfathered“ (G) Mineral.[2] Die ebenfalls von der IMA/CNMNC anerkannte Kurzbezeichnung (auch Mineral-Symbol) von Artinit lautet „Art“.[1]
Im zuletzt 2018 überarbeiteten und aktualisierten Lapis-Mineralienverzeichnis nach Stefan Weiß, das sich aus Rücksicht auf private Sammler und institutionelle Sammlungen noch nach dieser alten Form der Systematik von Karl Hugo Strunz richtet, erhielt das Mineral die System- und Mineral-Nr. V/E.01-040. In der „Lapis-Systematik“ entspricht dies ebenfalls der Abteilung „Wasserhaltige Carbonate, mit fremden Anionen“, wo Artinit zusammen mit Brugnatellit, Chlorartinit, Coalingit, Dypingit, Giorgiosit, Hydromagnesit, Indigirit und Widgiemoolthalit die unbenannte Gruppe V/E.01 bildet.[4]
Die von der International Mineralogical Association (IMA) zuletzt 2009 aktualisierte[12]9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Artinit in die neu definierte Klasse der „Carbonate und Nitrate“ (die Borate bilden hier eine eigene Klasse), dort aber ebenfalls in die Abteilung der „Carbonate mit zusätzlichen Anionen; mit H2O“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der relativen Größe der beteiligten Kationen, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „Mit mittelgroßen Kationen“ zu finden ist, wo es nur noch zusammen mit Chlorartinit die nach ihm benannte „Artinitgruppe“ mit der System-Nr. 5.DA.10 bildet.
Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Artinit wie die veraltete Strunzsche Systematik in die gemeinsame Klasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“ und dort in die Abteilung der „Carbonate – Hydroxyl oder Halogen“ ein. Hier ist er zusammen mit Chlorartinit in der unbenannten Gruppe 16b.03.01 innerhalb der Unterabteilung „Carbonate - Hydroxyl oder Halogen mit AmBn(XO3)pZq • x(H2O), (m+n) : p = 2 : 1“ zu finden.
Die Kristallstruktur von Artinit besteht aus kantenteilenden MgO(OH)2(H2O)3-Oktaedern, die parallel der b-Achse [010] Doppelketten bilden. Diese werden über CO3-Gruppen miteinander verbunden, die versetzt auf beiden Seiten der Doppelketten angeordnet sind. Zusammen mit vier weiteren Ketten entlang der a- [100] und c-Achse [001] wird ein Gerüst gebildet, dass durch Wasserstoffbindungen (von OH und H2O) zusammengehalten wird.[3]
Kristallstruktur von Artinit
mit Blickrichtung parallel zur a-Achse
mit Blickrichtung parallel zur b-Achse
mit Blickrichtung senkrecht zur Ebene ab
räumliche Darstellung in der kristallographischen Standardausrichtung
größerer Ausschnitt der Kristallstruktur als Polyedermodell mit freier Achsenstellung
Als seltene Mineralbildung konnte Artinit nur an wenigen Orten nachgewiesen werden, wobei weltweit bisher rund 70 Fundstätten dokumentiert sind (Stand 2023).[13] Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass Artinit weltweit auftreten und gefunden werden kann.[6]
In Deutschland konnte Artinit bisher nur am Römerbrunnen bei Bad Honnef im Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen und am Arensberg bei Zilsdorf in der rheinland-pfälzischen Vulkaneifel gefunden werden.
Die bisher einzigen beiden bekannten Fundorte in der Schweiz sind ein natürlicher Aufschluss am Lägh da Cavloc (deutsch Cavloccio-See) und ein ebensolcher am Fornogletscher im Val Forno im Schweizer Kanton Graubünden.
Weitere Fundorte liegen unter anderem in Australien, Bulgarien, China, Frankreich, Griechenland, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Portugal, Russland, der Slowakei, Spanien, Tschechien, der Türkei und in einigen Staaten der USA (Kalifornien, Nevada, New Jersey, New York, Vermont).[14]
S. C. Luigi Brugnatelli: Sopra un nuovo minerale delle cave d’Amianto della Valle Lanterna. In: Rendiconti Reale Istituto Lombardo di Scienze e Lettere (Milano). Band35, 1902, S.869–874 (italienisch, rruff.info [PDF; 393kB]).
M. Akao, S. Iwai: The hydrogen bonding of artinite. In: Acta Crystallographica. B33, 1977, S.3951–3953, doi:10.1107/S0567740877012576 (englisch).
Artinite search results. In: rruff.info. Database of Raman spectroscopy, X-ray diffraction and chemistry of minerals (RRUFF); abgerufen am 21. Februar 2023 (englisch).
↑ abcHugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S.310 (englisch).
↑ ab
Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
↑ abc
M. Akao, S. Iwai: The hydrogen bonding of artinite. In: Acta Crystallographica. B33, 1977, S.3951–3953, doi:10.1107/S0567740877012576 (englisch).
↑ abc
Artinite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 53kB; abgerufen am 21. Februar 2023]).
↑ abcdeArtinite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 21. Februar 2023 (englisch).
↑
Luigi Brugnatelli: Prime contribuzioni allo studio dei giacimenti di amianto della Valle Malenco. Tip. Bernardoni di C. Rebeschini, Milano 1897, S.3–7, Di un carbonato di magnesio probabilmente nuovo (italienisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 23. Februar 2023]).
↑Localities for Artinite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 21. Februar 2023 (englisch).