Die Argonautensage ist ein Themenkomplex der griechischen Mythologie und handelt von der Fahrt des Iason und seiner Begleiter nach Kolchis im Kaukasus, der Suche nach dem Goldenen Vlies und dessen Raub. Die Reisegefährten werden nach ihrem sagenhaft schnellen Schiff, der Argo, die Argonauten genannt. Bereits Homer nimmt Bezug auf den Argonautenmythos: In der Odyssee erzählt Kirke dem Odysseus, dass die Argo mit Heras Hilfe erfolgreich durch die Plankten – zwei im Meer treibende überhängende „Irrfelsen“, gegen die eine starke Strömung brandet – gesegelt sei.[1] Die Verwendung des Epithetonsπᾶσι μέλουσα („allbekannt“, „viel besungen“) für die Argo zeigt, dass der Mythos bereits bei Abfassung der Odyssee weit verbreitet war.[2] Umfassendere und geschlossene Behandlungen des Stoffes werden Argonautika genannt. Die älteste in sich geschlossene Darstellung des Stoffes sind die vier Bücher der Argonautika des Apollonios von Rhodos aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.
Ihren Ausgangspunkt hat die Argonautensage im Machtkampf um das Königreich Thessalien in Griechenland.
Pelias, der König, der sich die Macht in Thessalien von seinem Bruder Aison gesichert hatte, erhält einen Orakelspruch. Er solle sich vor einem Einschuhigen aus der griechischen Stadt Iolkos hüten.
Göttermutter Hera (ihm als alte Frau erschienen) bittet Pelias’ Neffen Iason, ihr bei der Überquerung eines Baches zu helfen, wobei dieser einen Schuh verliert. Als Iason, der Sohn des Aison, vor seinen Onkel tritt, erkennt dieser sofort, wen er vor sich hat, und greift zu einer List. Er verspricht seinem Neffen den Thron, wenn dieser das Goldene Vlies, das sehr wertvolle Fell eines Widders, vom Ende der Welt in die Heimat zurückhole. Pelias denkt, dass dies eine Reise ohne Wiederkehr ist.
Das Goldene Vlies des Widders Chrysomallos, auf dessen Rücken die Zwillinge Phrixos und Helle vor ihrer Stiefmutter Ino geflohen waren, befindet sich im Hain des Ares in Kolchis. Um dorthin zu gelangen, lässt Iason von Argos die mit 50 Rudern bestückte Argo bauen.
Iolkos ist der Sammelplatz, an dem sich alle einfinden. Bald hat das Schiff den Hafen hinter sich; Orpheus belebt den Mut mit Harfenspiel und Gesang. Zuerst stieg man am Pelion aus und besucht Cheiron, der Iason einst aufgezogen hatte, dann geht die Fahrt um die Chalkidike nach Samothrake. Von hier wird das Schiff an die illyrische Küste verschlagen und von da nach der Insel Lemnos, auf der die Frauen alle Männer (ausgenommen den Vater der Königin Hypsipyle) wegen Untreue ermordet hatten. Sie gewähren den Fremden gastliche Aufnahme, und diese genießen das Leben mit den Frauen, bis Herakles, der mit einigen Kameraden auf dem Schiff zurückgeblieben war, die Säumigen zur Weiterfahrt mahnt. Sie segeln an die phrygische Küste nach Kyzikos, wo die sechsarmigen Gegeneis und die friedlichen Dolionen nebeneinander wohnen. Letztere nehmen die Argonauten gastlich auf und erklären ihnen den weiteren Weg.
Nach mühevoller Fahrt landen die Argonauten endlich zwischen der Propontis und dem Schwarzen Meer bei der Stadt Kios (später zeitweise Prusias ad Mare), wo sie von den Mysiern freundlich empfangen werden. Bei der Abfahrt vergessen sie Herakles, der seinen beim Wasserholen von einer Nymphe entführten Freund Hylas suchen gegangen war, ebenso den Polyphemos, und segeln allein weiter.
Kurz darauf landen die Argonauten morgens im Bebrykenland (Bithynien). Der König Amykos hatte allen Fremden auferlegt, sich mit ihm im Faustkampf zu messen. Verächtlich fordert er die Argonauten heraus, worauf Polydeukes ihn im Kampf tötet.
Weiterfahrend, werden die Argonauten an die thrakische Küste nach Salmydessos verschlagen, wo Phineus seit langem von den Harpyien gequält wird, indem sie seine Speise rauben oder sich darauf entleeren. Den abgemagerten Greis retten Zetes und Kalais. Als Dank erzählt Phineus den Argonauten, wie sie durch die am Eingang zum Schwarzen Meer stehenden Symplegaden – die Kyaneischen Felsen, die alles Passierende, ob Schiff oder Vogel, zerquetschen – gelangen können. Zuerst werden die Argonauten durch vierzigtägige Nordwestwinde aufgehalten, bis Opfer und Gebet helfen. Auf der Fahrt durchs Schwarze Meer kommen sie zu den Mariandynern, deren König Lykos sie als die Besieger seines Feindes Amykos freundlich aufnimmt. Später kommen sie zum Land der Chalyber, dann noch zu mancherlei Völkern und zur Insel Tia, der Aresinsel, wo die stymphalischen Vögel hausen, die ihre ehernen Federn als Pfeile abschießen. Danach sehen die Argonauten die Spitzen des Kaukasus emporragen und vernehmen des Prometheus’ Stöhnen und den Flügelschlag des Adlers, der in dessen Leber wühlt.
Nun gelangen sie ans Ziel, an den Fluss Phasis, in den sie das Schiff rudern. Links erblickt man den Kaukasus und die Hauptstadt Kyta, rechts, als Schauplatz der Dinge, die da kommen sollen, Feld und Hain des Ares.
Am anderen Morgen begibt sich Iason mit Telamon und den Söhnen des Phrixos zum König Aietes, um das Goldene Vlies zu fordern. Aietes verspricht, es auszuliefern, wenn Iason mit den feuerschnaubenden, erzfüßigen Stieren, die ihm Hephaistos geschenkt hatte, die Aresflur pflüge und Drachenzähne säe. Iason bewältigt dieses Unterfangen mit Hilfe Medeas, der Tochter des Königs, die sich in ihn verliebt hat. So sind die Bedingungen zwar erfüllt, aber Aietes verweigert das Fell und denkt darüber nach, über Nacht die Argonauten zu erschlagen. Medea verrät den Plan ihres Vaters und hilft Iason, das Vlies zu stehlen, unter der Bedingung, dass er sie zur Frau nimmt.
Über die Heimfahrt der Argonauten weichen die Sagen sehr voneinander ab. Die einen lassen sie auf demselben Weg, den sie gekommen, andere durch den Phasis in den Okeanos (Meer), um Asien herum, durch den Nil und teils zu Lande, wo sie das Schiff tragen, teils zu Wasser über Libyen (Afrika) durch den See Triton in das Mittelländische Meer gelangen. Apollonios („Argonautika“) zufolge wollen die Argonauten nach Phineus’ Rat nicht auf demselben Weg zurückkehren, sondern durch den Pontus Euxinus in den Ister (Donau) fahren; die Kolchier folgen ihnen aber und schneiden ihnen den Ausweg ab (siehe auch Absyrtos).
Darauf gelangen die Argonauten aus dem Ister in den AdriatischenMeerbusen und zu einer Insel an der Mündung des Eridanos, fahren weiter zum Lande der Hylleer in Illyrien, an Korkyra, Melite und Kalypsos’ Insel vorbei. Nach weiteren Irrfahrten hat Hera ein Einsehen und begünstigt die weitere Fahrt. Orpheus’ Gegengesang bringt die Argonauten glücklich an den Sirenen vorbei, Thetis und die Nereiden helfen ihnen durch Skylla und Charybdis (Meerenge von Messina), und so kommen sie fröhlich zu dem glücklichen Volk der Phäaken, dessen König Alkinoos sie gastlich aufnimmt. Letzterer, von den einholenden Kolchern, welche die Auslieferung Medeas forderten, wie von den verfolgten Argonauten als Schiedsrichter anerkannt, will nun die Jungfrau den Kolchern zusprechen. Seine Gattin Arete aber weiß Iasons und Medeas eheliche Verbindung zu bewirken, und die Kolcher müssen verzichten.
Die Argonauten irren noch eine Weile zu Land und zu Wasser durch die Gegend, bis sie endlich auf der Insel Ägina landen und in die Heimat zurückkehren. Nach Ovid lebte Aison noch bei Iasons Rückkehr und wird von Medea verjüngt. Iasons Mutter hatte den Pelias verflucht und sich getötet; ihren Sohn Promachos hatte Pelias ermordet. Nun kommt Iason und überreicht das Goldene Vlies. Pelias allerdings verweigert Iason den Thron, den er ihm im Gegenzug für das goldene Vlies versprochen hatte.
Nachdem er die Argo Poseidon geweiht hat, fordert Iason Medea auf, ihm bei der Rache an Pelias zu helfen. Sie redet seinen Töchtern ein, dass sie Pelias verjüngen könnte, wenn sie ihn zerstückeln und kochen, was diese tun. Medea aber hat nicht vor, ihren Verjüngungszauber erneut wirken zu lassen, so dass Pelias auf diese Weise umkommt. Sein Sohn Akastos begräbt seinen Vater und vertreibt Medea und Iason. Diese fliehen nach Korinth, in das Reich des Königs Kreon. Sie leben dort glücklich zehn Jahre lang, bis sich Iason in die Tochter Kreons, Glauke, verliebt. König Kreon verlobt seine Tochter mit Iason und verstößt Medea, die sich daraufhin an den beiden rächt.
Laut Apollonios von Rhodos nahmen Theseus und Peirithoos nicht teil, weil sie gerade in der Unterwelt festgehalten wurden.
Laut Apollonios von Rhodos durfte Atalante nicht teilnehmen, um Eifersuchtsprobleme unter der ansonsten rein männlichen Besatzung zu vermeiden.
Nestor wird zwar von Valerius Flaccus als Teilnehmer genannt, aber laut Quintus von Smyrna (Posthomerica) wurde ihm die Teilnahme von Pelias verwehrt.
In der Bibliotheke ist Argos, der Sohn des Phrixos, der Erbauer der Argo. In den anderen Überlieferungen sind er und der Erbauer jedoch verschiedene Personen.
Auch Künstler machten den Argonautenzug zum Gegenstand ihrer Darstellungen, so Lykios in einem nicht näher bekannten plastischen Bildwerk. Im Anakeion, dem in Athen so bezeichneten Tempel der Dioskuren, stammte das Gemälde von der Rückkehr der Argonauten von Mikon. Auch ein von Quintus Hortensius Hortalus für 144.000 Sesterzen gekauftes Gemälde des Kydias behandelt die Argonautensage. Unter den noch vorhandenen Kunstwerken ist die Darstellung der Besiegung des Amykos durch Polydeukes auf der sogen. „FicoronischenCiste“ im Museo Nazionale Etrusco di Villa Giulia in Rom hervorzuheben. Auch auf Vasenbildern ist der Mythos mehrfach behandelt. Von neueren Darstellungen verdienen Erwähnung: der Argonautenzug von Asmus Carstens und der Szenen daraus enthaltende Fries von Ludwig Michael Schwanthaler in der Münchner Residenz.
Solveig Kristina Malatrait: Iason und die Argonauten. In: Maria Moog-Grünewald (Hrsg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 5). Metzler, Stuttgart/Weimar 2008, ISBN 978-3-476-02032-1, S. 357–366.
Paul Dräger: Argo pasimelousa. Der Argonautenmythos in der griechischen und römischen Literatur. Teil 1: Theos aitios. Steiner, Stuttgart 1993 (Palingenesia 43) [grundlegend], ISBN 3-515-05974-1 (Zugleich Dissertation an der Universität Trier 1990/1991).
Übersetzungen und Nacherzählungen
Paul Dräger: Apollonios von Rhodos: Die Fahrt der Argonauten. Griechisch/Deutsch. Stuttgart 2002, ISBN 3-15-018231-X
Paul Dräger: C. Valerius Flaccus: Argonautica/Die Sendung der Argonauten. lateinisch/deutsch, Lang, Frankfurt am Main 2003, ISBN 978-3-631-50799-5 (= Studien zur klassischen Philologie, Band 140)